Landgericht Münster:
Urteil vom 22. Dezember 2011
Aktenzeichen: 06 S 25/11
(LG Münster: Urteil v. 22.12.2011, Az.: 06 S 25/11)
Lassen Kinder eines Telefonfestnetzanschlussinhabers über den Auskunftsdienst eines Drittanbieters Mobilfunkverbindungen herstellen, so kommt es zwischen dem Anschlussinhaber und dem Drittanbieter dann nicht zu einem Vertragsschluss, wenn der Anschlussinhaber geeignete Vorkehrungen trifft, um von ihm nicht gebilligte Nutzungen zu unterbinden (hier: Handy-Sperre beim Vertragspartner beantragt).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen - das am 26.01.2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Beckum teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Klage und die Widerklage werden abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 88 % und die Beklagte zu 12 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin macht mit ihrer Klage aus abgetretenem Recht Entgelte für Telekommunikationsdienstleistungen geltend. Sie ist ein Unternehmen, das u.a. im Bereich des Factoring bzgl. Telekommunikationsdienstleistungen bzw. -entgelten tätig ist.
Die Beklagte unterhält einen Festnetzanschluss bei der U2 mit der Rufnummer ...
Mit Rechnung vom 15.05.2007 und 14.06.2007 sind der Beklagten für die Zeit vom 10.04.2007 bis 23.05.2007 Entgelte der Fa. U3 in Höhe von 434,94 € netto = 517,58 € brutto und 62,62 € netto = 74,52 € brutto in Rechnung gestellt worden. Diese sind (abzüglich einer Zahlung von 3,77 €) Gegenstand des Verfahrens (588,33 €).
Die Fa. U3 betreibt einen Auskunftsdienst unter der Nr. ...#. In diesem Rahmen kann sich ein Anrufer auch weiterverbinden lassen.
Die Beklagte hat u.a. behauptet, für ihren Telefonanschluss habe eine Sperre dergestalt bestanden, dass von dort aus Handygespräche nicht geführt werden könnten. Die Sperre habe sie bei der U2 einrichten lassen, da sie entsprechende Kosten durch Gespräche ihrer Kinder nicht mehr habe tragen wollen.
Widerklagend hat die Beklagte die Klägerin auf Erstattung der ihr entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren zur vorgerichtlichen Abwehr des Klageanspruchs in Anspruch genommen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen und auf die Widerklage die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte 83,54 € zu zahlen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Das Amtsgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte schulde die angefallenen Telekommunikationsentgelte, da ihre Kinder das Verbot von Handytelefonaten bewusst mittels Einschaltung des Telefonauskunftsdienstes umgangen hätten. Gegensprüche mit denen sie aufrechnen könne, stünden ihr nicht zu.
Wegen der Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im amtsgerichtlichen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
In der Berufungsinstanz hat die Beklagte ein Schreiben der U2 vom 11.10.2007 vorgelegt, wonach für den Telefonanschluss der Beklagten mit der Rufnummer ...# die Vorwahlen ...#, ...#, ...# und ... seit dem 20.09.2006 gesperrt sind und eine Sperre der Rufnummer "...#" am 18.05.2007 beauftragt worden ist.
II.
Die Berufung ist zulässig und hinsichtlich der Klage begründet, hinsichtlich der Widerklage jedoch unbegründet.
1.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung von 588,33 € gem. §§ 612, 398 BGB oder aus anderem Rechtsgrund.
Denn es fehlt bereits an einem entsprechenden Vertrag zwischen der Beklagten und der Fa. U3, so dass ein entsprechender Anspruch auch nicht auf die Klägerin wirksam im Wege der Abtretung übergegangen sein kann.
Unstreitig sind die abgerechneten Gespräche nicht durch die Beklagte persönlich, sondern durch deren minderjährige Kinder geführt worden. Zwar kann in dem Fall eine vertragliche Verpflichtung der Beklagten entstehen, da sie unabhängig von einer ausdrücklichen oder konkludenten Bevollmächtigung ihrer Kinder unter dem Gesichtspunkt der Anscheinsvollmacht durch diese beim Vertragsschluss wirksam vertreten worden sein kann. Eine Anscheinsvollmacht liegt dabei vor, wenn der Vertretene das Handeln des Scheinvertreters zwar nicht kennt, es jedoch bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte erkennen und verhindern können und der andere darauf vertraut hat und vertrauen durfte, der Vertretene dulde und billige das Handeln des Vertreters (vgl. BGH NJW 2006, 1971). Für den Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen wird dieser Gedanke noch durch § 45 i Abs. 4 S. 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) konkretisiert, der bestimmt, dass ein Anspruch auf Entgelt nicht besteht, wenn der Teilnehmer nachweist, dass ihm die Inanspruchnahme von Leistungen des Anbieters nicht zugerechnet werden kann. Diese Nachfolgevorschrift zu dem früheren § 16 Abs. 3 S. 3 Telekommunikations-Kundenschutzverordnung (TKV), der bestimmte, dass Entgelte nicht gefordert werden konnten, wenn der Nachweis erbracht war, dass der Netzzugang in vom Kunden nicht zu vertretendem Umfang genutzt worden war, beinhaltet ausweislich der Gesetzesbegründung inhaltlich keine Änderung im Hinblick auf die Anforderungen an das Einstehen für das Handeln eines Dritten, so dass es nach wie vor darauf ankommt, was der Anschlussinhaber zu vertreten hat und damit, welche Sorgfaltsanforderungen von ihm verlangt werden können, bei deren Anwendung er das Handeln des Dritten, der das Gespräch geführt hat, hätte erkennen und verhindern können (vgl. BGH NJW 2011, 2122; LG Saarbrücken, Urteil vom 28.04.2009, 9 O 312/08, zit. nach juris).
Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen für eine Anscheinsvollmacht nicht erfüllt; der Beklagten kann das Handeln ihrer Kinder nicht zugerechnet werden, denn sie hätte es auch bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt nicht erkennen und verhindern können. Denn der Anschlussinhaber muss zur Wahrung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nur die ihm zumutbaren geeigneten Vorkehrungen treffen, um eine von ihm nicht gebilligte Nutzung seines Telefons zu unterbinden. Zumutbar sind dabei all diejenigen Maßnahmen, die einem gewissenhaften durchschnittlichen Telefonkunden bekannt sind und zu deren Durchführung er mit vertretbarem Aufwand in der Lage ist (vgl. BGH NJW 2006, 1971). Zwar ist es - anders als in dem vom BGH im Jahr 2006 entschiedenen Fall zur Annahme von R-Gesprächen - grundsätzlich und mit vertretbarem Aufwand möglich, den Zugang zu Auskunftsdiensten - ebenso wie zu Rufnummerngassen, die Handytelefonate ermöglichen - sperren zu lassen, jedoch setzt dies voraus, dass dem Anschlussinhaber, d.h. einem gewissenhaften durchschnittlichen Telefonkunden, bekannt und bewusst ist, dass dies eine erforderliche Maßnahme ist, um nicht gebilligte Telefonate in Handynetze zu unterbinden, was wiederum das Bewusstsein voraussetzt, dass auf diese Weise eine sog. Handysperre umgangen werden kann. Nach Ansicht der Kammer gehört dies nicht zum aktiven Wissen eines gewissenhaften durchschnittlichen Telefonkunden. Dies gilt insbesondere, wenn man mit dem BGH davon ausgeht, dass auch ein gewissenhafter durchschnittlicher Telefonkunde nicht verpflichtet ist, sich ständig über die auf dem Telekommunikationsmarkt angebotenen Dienstleistungen auf dem Laufenden zu halten und sich umgehend auf neue technische Möglichkeiten der Nutzung des Telefonschlusses einzustellen (vgl. NJW 2006, 1971). Entsprechendes gilt dann auch für etwaige - ggfs. unter Jugendlichen bekannte - Umgehungsmöglichkeiten für sog. Handysperren. Da der Beklagten schon diese Möglichkeit nicht bewusst sein musste, kann ein Sorgfaltsverstoß weder in der nicht erfolgten Sperrung dieser Rufnummerngasse gesehen werden, noch hätte sie sonstige Maßnahmen unternehmen müssen, etwa das gezielte Verbot aussprechen, über diesen Weg Handytelefonate zu führen, um den Sorgfaltsanforderungen gerecht zu werden. Die Sperrung unmittelbarer Gespräche zu Handynummern hatte die Beklagte ausweislich der Angaben der U2 bereits im September 2006 veranlasst. Auch hat sie unmittelbar, nachdem ihr das Telefonieren über den Auskunftsdienst durch die Rechnung vom 15.05.2007 bewusst wurde, nämlich am 18.05.2007, eine Sperre für die Rufnummer "...#" einrichten lassen. Insofern kommt auch eine Anscheins- bzw. Duldungsvollmacht in Folge des Erhalts der ersten Rechnung vom 15.05.2007 nicht in Betracht.
Schließlich ist die Klägerin bzw. die Zedentin auch nicht besonders schutzbedürftig. Die Kinder der Beklagten haben die Auskunftsdienste der Zedentin gar nicht in Anspruch genommen, sondern lediglich sich direkt an eine von ihnen genannte (Handy-) Nummer verbinden lassen, was nicht zur eigentlichen Leistung der Zedentin gehört, sondern nur als Zusatz-Service angeboten wird. Ihr hätte daher ohne Weiteres auffallen müssen und können, dass hier möglicherweise eine von dem Anschlussinhaber nicht autorisierte Leistung in Anspruch genommen wird, zumal wenn sich Kinder oder Jugendliche melden.
2.
Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf die Nebenforderungen.
3.
Ein Anspruch der Beklagten gegen die Klägerin auf Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren, die zur Abwehr des Anspruchs entstanden sind, besteht unter keinem Rechtsgrund. Da es an einem Vertrag zwischen der Beklagten und der Fa. U3 fehlt, kommt insbesondere ein materiellrechtlicher Kostenerstattungsanspruch aufgrund Nebenpflichtverletzung im Rahmen eines Vertrages nicht in Betracht. Auch weitere mögliche Grundlagen für einen materiellrechtlichen Kostenerstattungsanspruch (vgl. BGH NJW 2007, 1458) sind nicht ersichtlich.
4.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.
5.
Die Revision war gem. § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, denn die Sache hat grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung liegt dann vor, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 28. Auflage, § 543 Rn. 11 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall. Denn es ist klärungsbedürftig, inwiefern dem Anschlussinhaber Telefonate von Dritten über Auskunftsdienste bei bestehender sog. Handysperre zugerechnet werden. Das Auftreten dieser Frage ist auch in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten, denn aufgrund der Häufigkeit von Handytelefonaten unter Jugendlichen und den damit in der Regel verbundenen nicht unerheblichen Kosten versuchen die Eltern als Anschlussinhaber, dem durch sog. Handysperren zu begegnen, was wiederum durch Telefonate über Auskunftsdienste umgangen werden kann.
6.
Der Streitwert für die Berufungsinstanz wird auf 671,87 € festgesetzt.
LG Münster:
Urteil v. 22.12.2011
Az: 06 S 25/11
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