Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. März 2003
Aktenzeichen: 21 W (pat) 44/01
(BPatG: Beschluss v. 13.03.2003, Az.: 21 W (pat) 44/01)
Tenor
Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse A 61 N des Deutschen Patent- und Markenamts vom 21. März 2001 aufgehoben und das Patent erteilt.
Bezeichnung: Vorrichtung zur Behandlung von Gewebe- und/oder Gelenkserkrankungen Anmeldetag: 29. April 1998.
Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:
Patentansprüche 1 bis 11, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2003, Beschreibung Seite 1, 1a, 2 bis 16, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 13. März 2003, 2 Blatt Zeichnungen Figuren 1 bis 3, eingegangen am 4. Januar 1999.
Gründe
I.
Die Patentanmeldung wurde am 29. April 1998 unter der Bezeichnung "Vorrichtung zur Behandlung von Gewebe- und/oder Gelenkserkrankungen" beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht. Die Offenlegung erfolgte am 4. November 1999.
Die Prüfungsstelle für Klasse A 61 N hat mit Beschluss vom 21. März 2001 die Patentanmeldung zurückgewiesen, da der Gegenstand des am 30. Juni 1999 eingegangenen Anspruchs 1 nicht neu sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Anmelders.
In der mündlichen Verhandlung hat der Anmelder nach Erörterung der Sach- und Rechtslage neue Patentansprüche 1 bis 11 und Beschreibungsseiten 1, 1a, 2 bis 16 vorgelegt.
Die Ansprüche lauten:
"1. Vorrichtung zur Behandlung von Gewebe- und/oder Gelenkserkrankungen im Kiefer- oder Nackenbereich eines Patienten, insbesondere zur Behandlung von Parodontose, umfassend,
- ein Gehäuse (4), das zumindest den zu behandelnden Kiefer- oder Nackenbereich umgibt, und - eine Mehrzahl von in dem Gehäuse (4) angeordneten Spulen (6) zum Erzeugen zumindest eines elektromagnetischen Feldes (E), das auf den zu behandelnden Bereich anwendbar ist, dadurch gekennzeichnet, dassdas Gehäuse (4) aus wenigstens zwei dünnwandigen Gehäuseteilen (24) zusammengesetzt ist;
die Gehäuseteile (24.4, 24.2) jeweils einen schalenförmigen Querschnitt aufweisen; unddie beiden Gehäuseteile (24.4, 24.2) mittels eines Abstandshalters so zueinander positioniert sind, dass die Randabschnitte (26) des einen Gehäuseteils mit den Randabschnitten des anderen Gehäuseteils überlappend und beabstandet voneinander angeordnet sind, wodurch Belüftungsöffnungen (28) zur Ventilation des Gehäuseinneren (5) zwischen den Randabschnitten (26) gebildet sind.
2. Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse (4) U-förmig gestaltet ist.
3. Vorrichtung nach Anspruch 1 oder Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass eine Positionierungseinrichtung (30) zum Positionieren des Gehäuses (4) zumindest über dem zu behandelnden Kiefer- oder Nackenbereich vorgesehen ist.
4. Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Spulen (6) in dem Gehäuse (4) in einem vorbestimmten Abstand (A) zueinander angeordnet sind.
5. Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass zumindest sieben Spulen in dem Gehäuse (4) angeordnet sind.
6. Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 5, dadurch gekennzeichnet, dass das Gehäuse (4) zumindest zwei Arme (8) umfasst, die drehbeweglich miteinander verbunden sind.
7. Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Spulen (6) jeweils einen Kern (16) aufweisen, der von einer Anzahl an Drahtwicklungen (18) umgeben ist.
8. Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 7, dadurch gekennzeichnet, dass die Mittelachsen (22) der Spulen (6) jeweils auf den zu behandelnden Bereich gerichtet sind.
9. Vorrichtung nach einem oder mehreren der Ansprüche 1 bis 8, dadurch gekennzeichnet, dass diese eine Einrichtung zum Betreiben der Spulen (6) umfasst.
10. Vorrichtung nach Anspruch 9, dadurch gekennzeichnet, dass die Einrichtung zum Betreiben der Spulen (6) eine Steuerungseinrichtung umfasst.
11. Vorrichtung nach Anspruch 10, dadurch gekennzeichnet, dass die Spulen (6) wahlweise gemeinsam oder jeweils unabhängig voneinander betreibbar sind."
Folgende Entgegenhaltung sind im Verfahren:
(E1) DE 32 31 837 C2
(E2) DE 25 17 896 A1
(E3) US 4 056 097
(E4) DE 40 40 682 C2
(E5) US 5 131 904
(E6) US 5 453 073.
Dem Anmeldungsgegenstand liegt die Aufgabe zugrunde, eine Vorrichtung mit den Merkmalen im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 derart weiterzubilden, dass Überhitzungsprobleme im Inneren des Gehäuses vermieden werden (siehe den die Seiten 2 und 3 der in der mündlichen Verhandlung überreichten Beschreibung umgreifenden Absatz).
Der Anmelder ist der Auffassung, dass der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. So seien Lüftungsschlitze an sich zwar naheliegend, aber nicht in Verbindung mit zwei ineinander greifenden Gehäuseteilen.
Der Anmelder stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen (Ansprüche 1 bis 11, Beschreibungsseiten 1, 1a, 2 bis 16) sowie mit 2 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 3, eingegangen am 4. Januar 1998, zu erteilen.
Außerdem erklärt der Anmelder:
"Hiermit trenne ich den mit Teilanmeldung (Anspruch 1) bezeichneten Gegenstand ab."
II.
Die zulässige Beschwerde des Anmelders ist begründet, denn der gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu und beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Teilungserklärung ist formgerecht und rechtzeitig vor Beschlusskraft des Beschlusses über die Beschwerde erklärt worden (BlPMZ 2000, 245, II2c - Graustufenbild). Zuständig für die Prüfung der entstehenden Teilanmeldung ist die Stelle, die für die betroffene Stammanmeldung im Zeitpunkt des Eingangs der Teilungserklärung zuständig ist (BGH GRUR 1998, 458, III3 - Textdatenwiedergabe; BGH GRUR 1999, 148, III1b - Informationsträger). Vorliegend ist dies das Bundespatentgericht.
Die Entscheidung über die Stammanmeldung kann erfolgen, da kein "Schwebezustand" dahin gehend besteht, dass im Beschwerdeverfahren eine Entscheidung nicht möglich ist, solange nicht feststeht, ob für die abgetrennte Anmeldung innerhalb von drei Monaten die nach den §§ 34 bis 36 PatG erforderlichen Anmeldungsunterlagen eingereicht und die gemäß § 39 Abs 2 PatG nachzuzahlenden Gebühren entrichtet sind oder die Teilung rückwirkend beseitigt wird, falls die Anmeldungsunterlagen und Gebühren nicht fristgerecht eingehen. Denn die wirksame Teilung einer Patentanmeldung setzt nicht voraus, das durch die Teilungserklärung ein gegenständlich bestimmter Teil des Patent definiert wird, der von dieser abgetrennt wird (vgl BGH GRUR 1988, 458 - Textdatenwiedergabe; BlPMZ 2003, 66 II.c. - Sammelhefter; vgl auch Melullis, GRUR 2001, 971). Demnach gibt es auch keinen mit der Teilungserklärung abgetrennten Teil, der wieder in die Stammanmeldung zurückfallen könnte, wenn die Teilungserklärung als nicht abgegeben gilt oder vorzeitig zurückgenommen wird.
Die geltenden Ansprüche 1 bis 11 sind zulässig. Sie finden ihre Stütze in den ursprünglichen Unterlagen (Ansprüche 1 bis 13, Figur 2 mit zugehöriger Beschreibung und Seite 8, Absatz 2).
Auch die übrigen Unterlagen gehen nicht über das ursprünglich Offenbarte hinaus. Insbesondere sind die Änderungen in der Beschreibung zulässig, denn sie betreffen die notwendig gewordene Anpassung an die geltende Anspruchsfassung sowie die Aufnahme des auf die Erfindung zutreffenden Inhalts der Entgegenhaltungen E1 und E4.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu, denn eine Vorrichtung zur Behandlung von Gewebe- und/oder Gelenkserkrankungen im Kiefer- oder Nackenbereich eines Patienten mit sämtlichen in diesen Anspruch angegebenen Merkmalen ist in keiner der in Betracht gezogenen Entgegenhaltungen E1 bis E6 beschrieben. So hat keine der daraus bekannten Behandlungsvorrichtungen ein Gehäuse, bei dem zwei Gehäuseteile mittels eines Abstandhalters so zueinander positioniert sind, dass die Randabschnitte des einen Gehäuseteils mit den Randabschnitten des anderen Gehäuseteils überlappend und beabstandet voneinander angeordnet sind, wodurch Belüftungsöffnungen zur Ventilation des Gehäuseinneren zwischen den Randabschnitten gebildet sind.
Weitere Einzelheiten ergeben sich auch aus den nachfolgenden Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die in der E1 beschriebene Behandlungsvorrichtung, von der im Oberbegriff des Anspruchs 1 ausgegangen wird, vermochte dem Fachmann, der hier ein in der Entwicklung von elektrophysikalischen Behandlungsgeräten tätiger Diplom-Physiker ist, für die Lösung seiner Aufgabe keine Anregung zu einer Ausgestaltung zu vermitteln, wie sie im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 dargelegt ist.
Diese Vorrichtung umfasst ein Gehäuse (14) das zumindest den zu behandelnden Kieferbereich umgibt und in dem eine Mehrzahl von Spulen (Magnetkerne 20, Wicklungen 22) angeordnet sind zum Erzeugen zumindest eines elektromagnetischen Feldes (18), das auf den zu behandelnden Bereich anwendbar ist (Figuren 1 bis 3 mit zugehöriger Beschreibung). Damit sind die Merkmale im Oberbegriff des Anspruchs 1 aus der E1 bekannt.
Nun wird der Fachmann bei dieser Behandlungsvorrichtung ohne weiteres als Nachteil erkennen, dass das Gehäuse einteilig und geschlossen ist. Denn damit ergeben sich allein schon fertigungs- und wartungstechnische Probleme beim Zusammenbau des Behandlungskopfes (12) aus Gehäuse und Spulen sowie beim Austausch von defekten Spulen. Deshalb wird er das Gehäuse zweckmäßigerweise aus wenigstens zwei Gehäuseteilen zusammensetzen. Um damit das Gewicht der Vorrichtung möglichst gering bliebt und je nach verwendetem Material keine elektromagnetischen Abschirmwirkungen auftreten, wird er außerdem noch daran denken, die Gehäuseteile dünnwandig auszuführen.
Doch selbst wenn man unterstellt, dass er auch noch das geschlossene Gehäuse hinsichtlich einer möglichen Überhitzung als nachteilig erkennt und diesen Nachteil fachgerecht durch Belüftungsöffnungen zur Ventilation des Gehäuseinneren behebt, kommt er nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1. Denn Anregungen, wie diese Gehäuseteile am vorteilhaftesten ausgestaltet und zueinander positioniert werden sollen, damit Überhitzungsprobleme im Gehäuseinneren vermieden werden, können der E1 nicht entnommen werden. Insbesondere ist nichts erkennbar, was den Fachmann auf die Idee hätte bringen können, die Gehäuseteile mit jeweils einem schalenförmigen Querschnitt zu versehen und sie mittels eines Abstandhalters so zueinander zu positionieren, das die Randabschnitte des einen Gehäuseteils mit den Randabschnitten des anderen Gehäuseteils überlappend und beabstandet voneinander angeordnet sind, wodurch Belüftungsöffnungen zwischen den Randabschnitten gebildet werden, so wie es im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 angegeben ist. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist demnach aus der Entgegenhaltung E1 nicht nahegelegt.
Auch die in der mündlichen Verhandlung in Verbindung mit der E1 diskutierte E4 sowie die übrigen Entgegenhaltungen E2, E3, E5 und E6, die in der mündlichen Verhandlung keine Rolle spielten, können keine Anregung in diese Richtung geben, denn diese Entgegenhaltungen beschäftigen sich zwar jeweils mit elektrophysikalischen Behandlungsvorrichtungen, ohne jedoch nähere Ausführungen zu einem Gerätegehäuse zu machen. So betrifft die E4 eine Magnetdecke, die ohnehin kein Gehäuse aufweist. In der E2 ist lediglich von halbzylindrischen Induktionsspulen die Rede. Die in der E3 beschriebenen sichelförmigen Polschuhe sind dort ohne Gehäuse dargestellt. Und in den Entgegenhaltungen E5 und E6, die vom Anmelder in den ursprünglich eingereichten Unterlagen selbst genannt worden sind, ist im Hinblick auf den Gegenstand des Anspruchs 1 lediglich ausgeführt, dass ein torusförmiges Gehäuse vorhanden ist. Die Entgegenhaltungen geben somit weder für sich noch in der Zusammenschau mit der E1 eine Anregung für die erfindungsgemäße Lösung des zugrundeliegenden Problems.
Der Patentanspruch 1 ist daher gewährbar.
Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 bis 11 betreffen vorteilhafte und nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Gegenstandes des Anspruchs 1 und sind deshalb zusammen mit diesem ebenfalls gewährbar.
Von der im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts stehenden Anordnung der Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach PatG § 80 Abs 3 iVm § 47 Abs 3 war abzusehen.
Eine Rückzahlung ist dann anzuordnen, wenn sie als gerechtfertigt angesehen wird, weil es aufgrund besonderer Umstände nicht der Billigkeit entsprechen würde, die Gebühr einzubehalten.
Im vorliegenden Fall hat die Prüfungsstelle unter Hinweise auf eine Entgegenhaltung 1 einen ausführlichen Beanstandungsbescheid erlassen, in dem sie auch zu allen Unteransprüchen Stellung genommen hat. Der von der Anmelderin daraufhin neu formulierte Anspruch 1 enthielt im kennzeichnenden Teil ein Merkmal, das in der von der Prüfungsstelle zitierten Entgegenhaltung zu finden war. Diesem Schriftsatz konnte die Prüfungsstelle darüber hinaus gehende Änderungswünsche nicht entnehmen. Da sie durch den neu formulierten Anspruch ihre Auffassung von der fehlenden Neuheit des Gegenstands nicht ausgeräumt sah, auch sonst in den Unterlagen keine patentfähige Erfindung sah, war es unter dem Blickwinkel der Verfahrensökonomie noch vertretbar, die Anmeldung ohne zuvor nochmals einen Prüfungsbescheid abzufassen, zurückzuweisen, zumals sich die Prüfungsstelle auf den Zurückweisungsgrund bezog, der auch in der Beanstandung ausführlich angesprochen war.
Dr. Winterfeldt Klosterhuber Dr. Franz Dr. Maksymiw Pr
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Az: 21 W (pat) 44/01
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