Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Juli 2005
Aktenzeichen: 9 W (pat) 27/03
(BPatG: Beschluss v. 25.07.2005, Az.: 9 W (pat) 27/03)
Tenor
Die Beschwerde der Patentinhaberin wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Patentabteilung 21 des Deutschen Patent- und Markenamts hat nach Prüfung des Einspruchs das am 31. August 1990 angemeldete Patent mit der Bezeichnung
"Unterdruck-Bremskraftverstärker"
durch Beschluss vom 17. Februar 2003 widerrufen, weil der mit einem geänderten Patentanspruch 1 verteidigte Gegenstand unzulässig erweitert sei.
Gegen den Widerruf richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin. Sie verteidigt das Streitpatent mit geänderten Patentansprüchen und meint, ein derartiger Unterdruck-Bremskraftverstärker sei neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit.
Sie beantragt:
den angefochtenen Beschluss der Patentabteilung 21 insoweit aufzuheben, als das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten wird:
Patentansprüche 1 bis 4 und Beschreibung Spalten 1 bis 3, jeweils eingereicht in der mündlichen Verhandlung, Zeichnung Fig 1, wie Patentschrift.
Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach ihrer Auffassung ist der geltende Patentanspruch 1 unzulässig erweitert. Außerdem beruhe der streitpatentgemäße Unterdruck-Bremskraftverstärker nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Ausgehend von einem gattungsgemäßen Bremskraftverstärker gemäß der US 4 716 814 erfahre ein durchschnittlicher Fachmann für Unterdruckbremskraftverstärker durch die DE-AS 11 92 065 eine hinreichende Anregung, um den Streitgegenstand ohne erfinderische Tätigkeit auszubilden.
Der geltende Patentanspruch 1 lautet:
1. Unterdruck-Bremskraftverstärker, der in einem Verstärkergehäuse (1) eine Unterdruckkammer (4) mit konstantem Druck und eine Arbeitskammer (3) mit veränderlichem Druck sowie ein in einem Steuergehäuse (5) angeordnetes Steuerventil (12) aufweist, wobei der aus dem Verstärkergehäuse (1) herausragende Teil des Steuergehäuses (5) durch einen Faltenbalg (19) geschützt ist, der einerseits am Verstärkergehäuse (1) und andererseits an einer zur Steuerventilbetätigung dienenden Betätigungsstange (7) dichtend befestigt ist, undwobei der Lufteintritt durch radiale Lufteintrittsöffnungen (13) im Faltenbalg (19) erfolgt, denen ein ringförmiges Filterelement (11) zugeordnet ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Lufteintrittsöffnungen (13) im Bereich der Befestigung des Faltenbalges (19) am Verstärkergehäuse (1) vorgesehen sind unddass das Filterelement (11) radial außenliegend auf dem Faltenbalg (19) angeordnet ist, wobei das Filterelement (11) durch am Faltenbalg (19) angeformte Wulste (17) gehalten wird.
Rückbezogene Patentansprüche 2 bis 4 schließen sich an.
Streitpatentgemäß soll damit die Aufgabe gelöst sein, einen montagefreundlichen Bremskraftverstärker zu schaffen, welcher darüber hinaus einen geringen Geräuschpegel emittiert.
II.
Die Beschwerde ist zulässig. In der Sache bleibt ihr der Erfolg versagt.
1. Zulässigkeit Inhaltlich gehen die Merkmale des geltenden Patentanspruchs 1 aus den erteilten Patentansprüchen 1, 3 und 4 sowie deren unbestrittener Ursprungsoffenbarung hervor. Die geltenden Patentansprüche 2 bis 4 sind an den geltenden Patentanspruch 1 lediglich angepasst. Sie beinhalten die Merkmale der erteilten Patentansprüche 5 bis 7, deren Ursprungsoffenbarung ebenfalls unbestritten ist.
Im geltenden Patentanspruch 1 ist eine verallgemeinernde Formulierung enthaltenen, wonach den radialen Lufteintrittsöffnungen "... ein ringförmiges Filterelement (11) zugeordnet ist." Demgegenüber sind die Lufteintrittsöffnungen nach dem erteilten Patentanspruch 1 und in Übereinstimmung mit der Ursprungsoffenbarung "... von einem ringförmigen Filterelement (11) abgedeckt ..." Diesbezüglich teilt der Senat die Zulässigkeitsbedenken der Einsprechenden, weil die Zuordnung eines Filterelements zur Lufteintrittsöffnung lediglich einen funktionalen Bezug zwischen beiden herstellt, während die Abdeckung der radialen Lufteintrittsöffnungen die konkrete Bauteilanordnung festlegt. Mithin dürfte die gewählte Formulierung "Zuordnung" im geltenden Patentanspruch 1 in jedem Fall den Schutzbereich des Streitpatents vergrößern und dementsprechend unzulässig sein. Nach ausführlicher Diskussion in der mündlichen Verhandlung und dem Angebot der Patentinhaberin, bedarfsweise die offenbarte Formulierung "abgedeckt" wieder zu verwenden, hat der Senat seine Bedenken wegen unzulässiger Erweiterung (PatG § 21 (1) Nr. 4) des Streitgegenstandes dahinstehen lassen, denn das Streitpatent ist auch mit seiner offenbarten Formulierung aus den nachfolgenden Gründen nicht bestandsfähig.
2. Patentfähigkeit Der zweifellos gewerblich anwendbare Unterdruck-Bremskraftverstärker nach dem geltenden Patentanspruch 1 mag neu sein. Zu seiner beanspruchten Ausgestaltung war indes keine erfinderische Tätigkeit erforderlich.
Als patentrechtlich zu definierenden Durchschnittsfachmann legt der Senat seiner nachfolgenden Bewertung des Standes der Technik einen Ingenieur der Fahrzeugtechnik zugrunde, der bei einem Kfz-Hersteller oder -Zulieferer seit mehreren Jahren mit der Entwicklung und Adaption von Bremskraftverstärkern für Kraftfahrzeuge befasst ist. Zu dessen gewöhnlichen Aufgaben zählt es insbesondere, Lösungen für Einbau- und Geräuschprobleme bei Unterdruck-Bremskraftverstärkern in konkreten Einbausituationen zu entwickeln.
Am Anmeldetag des Streitpatents war aus der US-PS 4 716 814 ein Unterdruck-Bremskraftverstärker mit folgenden Merkmalen bekannt:
- Der vorbekannte Unterdruck-Bremskraftverstärker umfasst in einem Verstärkergehäuse eine Unterdruckkammer mit konstantem Druck und eine Arbeitskammer mit veränderlichem Druck sowie ein in einem Steuergehäuse angeordnetes Steuerventil, vgl insb Fig 1.
- Der aus dem Verstärkergehäuse herausragende Teil des Steuergehäuses ist durch einen Faltenbalg 40 geschützt, der einerseits am Verstärkergehäuse 2 und andererseits an einer zur Steuerventilbetätigung dienenden Betätigungsstange 26 dichtend befestigt ist, vgl insb Sp 5 Z 29 bis 35 iVm Fig 2.
- Der Lufteintritt erfolgt durch radiale Lufteintrittsöffnungen 44 im Faltenbalg 40, denen ein ringförmiges Filterelement 43 derart zugeordnet ist, dass es die Lufteintrittsöffnungen 44 abdeckt, vgl insb Sp 5 Z 41 bis 45 iVm Fig 2.
- Das Filterelement 43 ist formschlüssig durch den Faltenbalg 40 gehalten. Dazu ist der Faltenbalg mit einer Kammer 42 versehen, in welcher das Filterelement durch am Faltenbalg, insbesondere verstärkergehäuseseitig, angeformte Wulste gehalten wird, vgl insb Fig 2.
Von diesem bekannten Unterdruck-Bremskraftverstärker unterscheidet sich derjenige des Streitpatents in seiner verteidigten Ausgestaltung im wesentlichen dadurch, dass die Lufteintrittsöffnungen im Bereich der Befestigung des Faltenbalges am Verstärkergehäuse vorgesehen sind und dass das Filterelement radial außenliegend auf dem Faltenbalg angeordnet ist. Diese Unterschiedsmerkmale sind durch den einschlägigen Stand der Technik nahegelegt.
Wenn der eingangs definierte Durchschnittsfachmann vor der streitpatentgemäßen Aufgabe steht, das Ansauggeräusch des Bremskraftverstärkers weiter zu vermindern und den Bremskraftverstärker montagefreundlicher zu gestalten, erfährt er zunächst aus der in Rede stehenden US-PS 4 716 814, dass für eine wirkungsvolle Ansauggeräuschdämpfung vor allem die Umlenkung der Luft maßgebend ist, vgl insb Anspruch 1. Die Lage des Filterelements am Faltenbalg, ob innen oder außen, spielt im Hinblick auf die Ansauggeräuschdämpfung keine Rolle. Diese Auffassung der Patentinhaberin aus ihrer Einspruchserwiderung vom 8.6.2001 (Bl 24 der Einspruchsakte des DPMA) teilt der Senat ausdrücklich. Für eine optimale Filterwirkung kommt es lediglich auf eine möglichst dichte, gleich ob nun innen oder außen angeordnete Abdeckung der Lufteintrittsöffnungen an.
Aus der einschlägigen DE-AS 11 92 065 entnimmt der Durchschnittsfachmann ohne weiteres, dass zur Montageerleichterung eines Unterdruck-Bremskraftverstärkers eine leichtere Zugänglichkeit des Steuerventils erreicht werden kann, indem u.a. die Lufteintrittsöffnung im Bereich der Befestigung des Faltenbalges am Verstärkergehäuse vorgesehen wird, vgl insb Sp 3 Z 60 bis 62, Sp 7 Z 8 bis 31 sowie Anspruch 7 iVm der Figur. Einem sachgerechten Verständnis kann dabei nicht verborgen bleiben, dass mit einer derartigen Anordnung der Lufteintrittsöffnungen im Bereich der Befestigung des Faltenbalges am Verstärkergehäuse auch eine zusätzliche Umlenkung der in die Arbeitskammer angesaugten Luft einhergeht, wodurch eine zusätzliche geräuschmindernde Wirkung zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund bot es sich an, den gattungsgemäßen Unterdruck-Bremskraftverstärker gemäß der US-PS 4 716 814 hinsichtlich seiner geräuschmindernden Wirkung und seiner Montagefreundlichkeit zu verbessern, indem die Lufteintrittsöffnungen in den Bereich der gehäuseseitigen Faltenbalgbefestigung verlegt werden. Wenn sich dabei die Anordnung des Filterelements innen oder außen als vorteilhafter erweisen sollte, so steht eine entsprechende Anordnung im sachgerechten Ermessen des Durchschnittsfachmannes. Eine erfinderische Tätigkeit geht damit jedenfalls nicht einher.
Der Patentanspruch 1 ist mithin nicht patentfähig.
Mit dem Patentanspruch 1 fallen auch die nachgeordneten Patentansprüche 2 bis 4, denn sie beinhalten lediglich weiterbildende Merkmale des Bremskraftverstärkers gemäß Patentanspruch 1.
Petzold Bork Guth Reinhardt Hu
BPatG:
Beschluss v. 25.07.2005
Az: 9 W (pat) 27/03
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