Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 14. Mai 2004
Aktenzeichen: 24 U 152/02
(OLG Frankfurt am Main: Urteil v. 14.05.2004, Az.: 24 U 152/02)
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 8. Zivilkammerdes Landgerichts Darmstadt vom 18. Juni 2002 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 10.180,13nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Januar 2001 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, derKlägerin Rechtsnachteile auszugleichen, die ihr dadurch entstehen,dass ihr in der Zeit vom 8. Juli 1991 bis zum 7. Oktober 1991 undvom 6. November 1991 bis zum 10. Mai 1992 kein Krankengeld gezahltworden ist.
Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 27 % und derBeklagte 73 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beide Parteien sind mit weniger als € 20.000,00beschwert.
Gründe
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen unzureichender Beratung in sozialrechtlichen Angelegenheiten auf Schadensersatz in Anspruch.
Seit dem 8. Mai 1989 wurde die Klägerin € unter späterer Förderung durch die K € zur Ergotherapeutin umgeschult. Nachdem sie seit dem 1. August 1990 zunächst Sozialhilfe in unterschiedlicher Höhe erhalten hatte, bewilligte die K mit Bescheid vom 17. September 1991 die Ausbildung der Klägerin zur Ergotherapeutin und mit weiterem Bescheid vom 9. April 1992 ein entsprechendes Übergangsgeld. Am 8. Juli 1991 erkrankte die Klägerin an €krebs. Die begonnene Umschulung musste sie unterbrechen. Bis zum 10. Mai 1992 war sie arbeitsunfähig. Während dieser Zeit erhielt sie außer der von der Stadt O1 gewährten Sozialhilfe weder Übergangsgeld noch Krankengeld. 1990 hatte die Klägerin den Beklagten beauftragt, gegenüber der K die Förderung ihrer beabsichtigten Umschulung zur Ergotherapeutin durchzusetzen. Das vom Beklagten bei dem Sozialgericht O2 gegen die K geführte sozialgerichtliche Verfahren war am 8. Juli 1991 noch nicht beendet. Es wurde später für die Klägerin erfolgreich abgeschlossen. Mit der Behauptung, der Beklagte sei von ihr für alle sozialrechtlichen Angelegenheiten umfassend mandatiert gewesen, insbesondere hätte es ihm oblegen, für die hier streitbefangene Zeit vom 8. Juli 1991 bis zum 10. Mai 1992 Krankengeldansprüche geltend zu machen, nimmt sie ihn wegen Pflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 29.256,75 DM (= 14.958,74 €) nebst 4 % Zinsen ab Zustellung der Klage zu zahlen;2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Rentennachteile auszugleichen, die ihr dadurch entstehen, dass der Klägerin in der Zeit vom 08.07.1991 bis 07.10.1991 und vom 06.11.1991 bis 10.5.1992 kein Krankengeld gezahlt worden ist.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat eine Mandatserteilung zur Geltendmachung von Krankengeld bestritten und im übrigen weitere rechtlichen Einwände gegenüber dem Klagebegehren geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird im übrigen auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar habe der Beklagte auch ein Mandat zur Geltendmachung des Krankengeldes besessen. Der Klägerin hätte auch ein Anspruch auf Krankengeld zugestanden. Indes fehle es an einem Schaden, weil die Mandatserteilung erst am 15. Mai 1992 erfolgt sei und der Anspruch auf Krankengeld zu diesem Zeitpunkt bereits verfristet gewesen sei.
Wegen der landgerichtlichen Begründung im einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Gegen das ihr am 10. Juli 2002 zugestellte landgerichtliche Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 12. August 2002 (einem Montag) eingelegten und € nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 10. Oktober 2002 € am 7. Oktober 2002 begründeten Berufung. Die Klägerin ist weiterhin der Ansicht, der Beklagte sei von ihr umfänglich in allen sozialrechtlichen Fragen beauftragt worden. Sie legt dar, dass ihr für die ersten sechs Wochen nach dem 8. Juli 1991 wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit ein Fortzahlungsanspruch gegenüber der K zugestanden hätte; für die Folgezeit habe ihr ein Anspruch gegenüber der C auf Krankengeld zugestanden. Da beide Ansprüche vom Beklagten in unverjährter Zeit nicht geltend gemacht worden seien, hafte dieser auf Schadensersatz. Gegenüber der vom Beklagten erhobenen Einrede der Verjährung beruft sich die Klägerin auf die sogenannte Sekundärhaftung des Anwalts.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils 1. den Beklagten zur Zahlung von € 14.958,74 nebst 4 % Zinsen seit Zustellung der Klage an sie zu verurteilen, 2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Rechtsnachteile auszugleichen, die ihr dadurch entstehen, dass der Klägerin in der Zeit vom 08.07.1991 bis 07.10.1991 sowie vom 06.11.1991 bis 10.05.1992 kein Krankengeld gezahlt worden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte beruft sich weiterhin darauf, er sei zur Geltendmachung von Krankengeld für den hier streitbefangenen Zeitraum nicht mandatiert worden. Im übrigen sei das Krankengeld gesetzlich auf eine Höchstbezugsdauer von 78 Wochen begrenzt. Einen Schaden habe er nicht verursacht; für eine fehlerhafte Bearbeitung innerhalb des Sozialsystems habe er nicht einzustehen. Auch sei der Klägerin ein Übergangsgeld nur bis zum 7. Juli 1991 bewilligt worden; den insoweit zeitlich befristeten Bescheid der K vom 9. April 1992 habe die Klägerin nicht angefochten. Schließlich wiederholt der Beklagte die Einrede der Verjährung. Den Feststellungsantrag hält er für unzulässig. Wegen des weiteren Parteivorbringens im Berufungsrechtszug wird auf die Berufungsbegründungsschrift der Klägerin vom 9. September 2002 (Bl. 197 ff. d.A.) und auf den klägerischen Schriftsatz vom 11. Februar 2003 (Bl. 242 ff. d.A.), sowie auf die Berufungserwiderungsschrift des Beklagten vom 19. Dezember 2002 (Bl. 229 ff. d.A.) und auf den weiteren Schriftsatz vom 19. April 2004 (Bl. 281 ff. d.A.) der weiteren Einzelheiten wegen Bezug genommen.
II. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat zum Teil Erfolg. Der Beklagte ist der Klägerin wegen Verletzung anwaltlicher Pflichten zum Schadensersatz verpflichtet.
1. Die Klägerin hatte den Beklagten auch damit beauftragt, die Geltendmachung von sozialrechtlichen Ansprüchen für die Zeit nach dem 8. Juli 1991 zu prüfen und geltend zu machen.
a) Dass der Beklagte 1990 von der Klägerin beauftragt worden war, die Finanzierung der beabsichtigten Umschulung zur Ergotherapeutin durch die K durchzusetzen, ist unter den Parteien nicht streitig.
b) Dass der Beklagte darüberhinaus von der Klägerin beauftragt worden ist, Sozialleistungen für den Zeitraum ihrer ersten Arbeitsunfähigkeit zwischen dem 8. Juli 1991 und dem 10. Mai 1992 geltend zu machen, hat das Landgericht zutreffend ausgeführt. Auf die diesbezüglichen Darlegungen nimmt der Senat Bezug. Dass der Beklagte spätestens im Mai 1992 mandatiert wurde, ergibt sich eindeutig aus dem zu den Akten gereichten Schriftwechsel der Parteien. Der Beklagte hat ausweislich seines eigenen Schreibens vom 17. Mai 1994 auch Kontakt mit der C aufgenommen, obgleich der im Jahre 1990 erteilte Auftrag ausdrücklich nur ein Vorgehen gegenüber der K umfasste.
c) Entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts bestand ein Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen den Parteien aber für Ansprüche der hier streitbefangenen Zeit schon vor dem 15. Mai 1992.
Die Bewilligung von Sozialleistungen während der ersten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin stand in einem inneren Zusammenhang mit ihrer Umschulung zur Ergotherapeutin. Das bei dem Sozialgericht O2 anhängige Verfahren (S € 8/An 544/90) war am 8. Juli 1991 noch nicht abgeschlossen. Auch der Bewilligungsbescheid der K vom 10. September 1991 erging zu einer Zeit, zu der die Klägerin längst erkrankt war. Ohne ihre Erkrankung hätte sich die Umschulungsmaßnahme problemlos fortgesetzt. Der Abschluss des Anwaltsvertrages bedarf keiner Form. Der Vertrag kann auch durch schlüssiges Verhalten geschlossen werden. Aus Gründen der Rechtssicherheit sind hieran freilich strenge Anforderungen zu stellen (BGH, NJW 1991, 2084, 2085 f.). Auch muss sich der Rechtsanwalt grundsätzlich nur mit den tatsächlichen und rechtlichen Aufgaben beschäftigen, die zur pflichtgemäßen Erledigung des erteilten Auftrags zu beachten sind (BGH, NJW 1995, 958). Andererseits muss der Rechtsanwalt aber den Mandanten vor erkennbaren Schäden bewahren. Dass mit der Erkrankung der Klägerin am 8. Juli 1991 Probleme bei der Bewilligung der Umschulung und des Übergangsgeldes entstehen konnten, musste dem Beklagten, der als Fachanwalt für Sozialrecht tätig ist, bekannt sein. Dass ihm die Problematik bekannt war, haben die Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vom 23. April 2004 gezeigt. Der Beklagte hat aus diesem Anlass nämlich selbst darauf hingewiesen, dass die K wegen der aufgetretenen Krebserkrankung der Klägerin Umschulung und Übergangsgeld nicht weiter bewilligen wollte. Da der Beklagte verpflichtet war, die Interessen der Klägerin optimal wahrzunehmen, musste er der Klägerin diejenigen Schritte anraten, die während ihrer Erkrankung die weitere Inanspruchnahme von sozialrechtlichen Hilfen gewährleistete. Ihn traf daher schon vor Mitte Mai 1992 als vertragliche Nebenpflicht zu dem für das erste sozialgerichtliche Verfahren erteilten Mandat die Pflicht, die Klägerin umfassend und erschöpfend zu belehren. Auf offenkundige Gefahren, insbesondere auf die mögliche Versäumung von Antragsfristen, sowie über den richtigen Antragsgegner musste der Beklagte die Klägerin aufklären. Hierbei hatte der Beklagte zu beachten, dass die Klägerin rechtsunkundig war und das Nebeneinander der verschiedenen Sozialsysteme für jeden Laien kaum durchschaubar ist.
d) Im übrigen kommt es, wie noch darzulegen sein wird, entgegen der Rechtsansicht des Landgerichts auf die Ausschlussfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ohnehin nicht an. Aus diesem Grunde wäre der Beklagte auch bei einer Mandatierung erst im Mai 1992 nicht daran gehindert gewesen, für den streitbefangenen Zeitraum Sozialleistungen zu Gunsten der Klägerin geltend zu machen.
2. Der Beklagte hat die ihn treffenden anwaltlichen Pflichten missachtet. Für die Zeit vom 8. Juli 1991 bis zum 10. Mai 1992 hat die Klägerin weder Übergangsgeld noch Krankengeld erhalten. Ansprüche auf Sozialleistungen sind seit dem 1. Januar 1997 verjährt (§ 45 Abs. 1 SGB I). Dies beruht auf der Untätigkeit des Beklagten. Den Beklagten trifft der Vorwurf der Fahrlässigkeit. Es gilt ein objektiver Fahrlässigkeitsmaßstab. Abzustellen ist daher auf das Maß an Fähigkeiten, Umsicht und Sorgfalt, das von einem Rechtsanwalt zur Erledigung des vorliegenden Geschäfts typischerweise erwartet wird. Hiernach war der Beklagte gehalten, bei den entsprechenden Trägern der Sozialleistungen zu Gunsten der Klägerin vorstellig zu werden oder die Klägerin über die von ihr zu unternehmenden Schritte im einzelnen zu unterrichten. Dies ist nicht geschehen.
3. Durch das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten ist der Klägerin ein Schaden entstanden.
a) Der Klägerin stand nach § 18 e Abs. 2 AVG (in der damals geltenden Fassung) für die Dauer von sechs Wochen seit Beginn der Erkrankung (8. Juli 1991) weiterhin Übergangsgeld in bisheriger Höhe zu. Hierbei handelte es sich um eine Art €Lohnfortzahlung€. Zahlungsverpflichtet war die K.
Nach Ablauf des sechswöchigen Zeitraums konnte die Klägerin nach § 48 Abs. 1 SGB V für die Dauer von längstens 78 Wochen Krankengeld von der C beanspruchen.
Damit wäre der gesamte Zeitraum zwischen dem 8. Juli 1991 und dem 10. Mai 1992 abgedeckt worden. Der einschränkenden Interpretation des § 18 e Abs. 2 AVG durch das angefochtene Urteil vermag der Senat nicht zu folgen. Die vom Landgericht angeführte Entlastung der Rentenversicherung zu Lasten der Krankenversicherung findet im Gesetz keine Stütze. Nach § 17 AVG (damaliger Fassung) war zwischen €medizinischen€ und €berufsfördernden€ Maßnahmen zur Rehabilitation zu unterscheiden. Dies erkennt auch das Landgericht. Ausweislich der Bescheide der K vom 17. September 1991 und vom 9. April 1992 wurde die Umschulung der Klägerin als €berufsfördernde€ Maßnahme bewilligt. Die Umschulung war für die Klägerin eine Art Arbeitsverhältnis. Ebenso wie beim normalen Arbeitsverhältnis die sechswöchige Lohnfortzahlung dem Anspruch auf Krankengeld vorgeht, geht auch hier der Anspruch gegenüber der K auf Weiterzahlung des Übergangsgeldes für die Dauer von sechs Wochen dem erst nachfolgenden Anspruch auf Krankengeld vor. Für die Dauer der ersten sechs Wochen tritt eine Belastung der Krankenversicherung gerade nicht ein. Da beide Ansprüche verjährt sind (§ 45 Abs. 1 SGB I), sind die Sozialleistungen der Klägerin entgangen, weshalb sie einen Schaden erlitten hat.
b) Zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die Erkrankung der Klägerin in der Zeit vom 12. Januar 1993 bis zum 14. Juni 1994 einen anderen Grund hatte als ihre erste Erkrankung zwischen dem 8. Juli 1991 und dem 10. Mai 1992. Es handelte sich nicht um €die selbe Krankheit€ im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB V. Auf die zutreffenden Ausführungen des landgerichtlichen Urteils nimmt der Senat Bezug. Der im Berufungsrechtszug gehaltene Vortrag des Beklagten führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Beweisbelastet ist der Beklagte. Denn die gesetzliche Regel ist der Bezug von Krankengeld €ohne zeitliche Begrenzung€ (§ 48 Abs. 1 SGB V). Die Begrenzung auf 78 Wochen ist die gesetzliche Ausnahme. Ausnahmetatbestände hat regelmäßig derjenige zu beweisen, der die Ausnahme für sich in Anspruch nimmt. Einer Beweisaufnahme bedarf es nicht. Der im Berufungsrechtszug gehaltene Beweisantritt des Beklagten € Einholung eines Sachverständigengutachtens € bleibt nach § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO ausgeschlossen. Im ersten Rechtszug hat sich der Beklagte nur auf zu den Akten gereichte Urkunden bezogen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hat er in sämtlichen Schriftsätzen des ersten Rechtszugs zu keinem Zeitpunkt beantragt. Die Urkundenlage ist nach Ansicht des Senats eindeutig. Sie spiegelt sich in den rechtlichen Darlegungen des angefochtenen landgerichtlichen Urteils wider. Bis auf den Anästhesisten Dr. Z1 hat keiner der medizinisch sachkundigen Personen einen sicheren Bezug der im Januar 1993 bei der Klägerin aufgetretenen Osteopathie oder Neuropathie mit der Krebserkrankung des Jahres 1991 hergestellt. Unklarheiten gehen zu Lasten des beweispflichtigen Beklagten.
c) Der Bewilligungsbescheid der K vom 9. April 1992 ist bestandskräftig. Er erstreckt sich aber nur auf die beschiedene Zeit. Er besitzt keinen Regelungsgehalt für die Zeit nach dem 7. Juli 1991. Auch insoweit folgt der Senat der anderslautenden Rechtsansicht des Landgerichts nicht. Die landgerichtliche Wertung erschließt sich aus dem Wortlaut des Bescheids nicht. Wäre der Bescheid für die Zeit nach dem 7. Juli 1991 abschließend gewesen, so hätte die K auch in dem nachfolgenden Bescheid vom 19. Juni 1992 für die Zeit ab dem 11. Mai 1992 kein weiteres Übergangsgeld mehr bewilligen dürfen. Auch weist die Klägerin zutreffend auf § 44 Abs. 3 SGB X hin. Da ihr nach § 18 e Abs. 2 AVG ein Übergangsgeld für weitere sechs Wochen zustand, hätte die K das Recht €unrichtig angewandt€. Die K war daher verpflichtet (€ist€), einen etwaigen über den 7. Juli 1991 hinaus bindenden Verwaltungsakt zurückzunehmen. Die Neuentscheidung hätte der Beklagte vorsorglich beantragen müssen. Auch dies ist nicht geschehen.
d) § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V hätte dem Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Krankengeld nicht entgegengestanden. Auch insoweit folgt der Senat dem Landgericht nicht.
Abgesehen davon, dass für die ersten sechs Wochen nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit eine Verfristung sozialrechtlicher Ansprüche der Klägerin ohnehin nicht in Betracht kam, weil § 49 SGB V nur für die gesetzliche Krankenversicherung, nicht aber auch für Maßnahmen nach dem AVG gilt, greift die Ausschlussfrist des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 SGB V vorliegend nicht ein. Die Arbeitsunfähigkeit der Klägerin in der Zeit vom 8. Juli 1991 bis zum 10. Mai 1992 wurde der C € unstreitig € nicht gemeldet. Die nachträgliche Bewilligung von Krankengeld ist gesetzlich nicht vorgesehen. Die C hätte sich aber vorliegend auf die Ausschlussfrist nicht berufen dürfen, weil dies rechtsmissbräuchlich gewesen wäre (BSGE 52, 254 ff. = NJW 1982, 715, 716). Grundsätzlich traf die Klägerin als die bei der C Versicherte die Obliegenheit, selbst die eingetretene Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse zu melden. Dies ist unstreitig nicht geschehen. Dass die Meldung grundsätzlich dem Verantwortungsbereich des Versicherten entspringt, hat das Landgericht richtig gesehen. Rechtsmissbräuchlich ist die Berufung auf die Ausschlussfrist aber dann, wenn die verspätete oder unterlassene Meldung der Arbeitsunfähigkeit im Verantwortungsbereich der Krankenkasse liegt. In diesem Falle ist zu unterstellen, dass die Meldung der Arbeitsunfähigkeit fristgerecht erfolgt ist (BSG, a.a.O.). Von einem solchen Ausnahmefall geht der Senat vorliegend aus. In seinem Urteil vom 28. Oktober 1981 hat das Bundessozialgericht zum Verfahrensgang der Arbeitsunfähigkeitsmeldung im einzelnen Stellung bezogen. Hiernach wurde zwischen den Allgemeinen Ortskrankenkassen und den Kassenarztorganisationen ein Vordrucksatz entwickelt, der eine reibungslose Meldung sicherstellen soll. Der Vordrucksatz, den der Kassenarzt ausfüllt, enthält drei Teile: der erste, für den Arbeitgeber bestimmte Teil, wird dem Versicherten zur eigenverantwortlichen Weiterleitung ausgehändigt; den zweiten Teil leitet der Kassenarzt unmittelbar der Krankenkasse zu; der dritte Teil verbleibt als Beleg bei dem Kassenarzt. Die Verwendung des Vordrucksatzes ist verbindlich vereinbart worden. Durch dieses Verfahren wird dem Versicherten, der Anspruch auf Lohnfortzahlung hat, die Verpflichtung abgenommen, die Kasse selbst von der Arbeitsunfähigkeit zu unterrichten. Wie das Bundessozialgericht entschieden hat, gilt dies auch für Versicherte, die lediglich Anspruch auf Arbeitslosengeld haben (BSG, a.a.O.). Ebensolches gilt für die Klägerin, die Übergangsgeld bezog, welches nach § 18 e Abs. 2 AVG wie €Lohn€ für sechs Wochen weiterzuleisten ist. Erhält der Versicherte von dem in Anspruch genommenen Kassenarzt eine AU-Bescheinigung nach vorgeschildertem Muster, so kann er regelmäßig darauf vertrauen, dass die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse auch gemeldet wurde. Für ein sogenanntes €Systemversagen€ ist er nicht verantwortlich (vgl. auch BSGE 79, 190 ff. = NJW 1998, 850, 852; BSGE 82, 158 ff. = NZS 1999, 242). Bei der Klägerin bestand ein Vertrauenstatbestand. Die Klägerin befand sich vom 10. bis 26. Juli 1991 in stationärer Behandlung. Für diese Zeit bedurfte es keiner AU-Meldung (§ 44 Abs. 1 SGB V), da die Gewährung von Krankengeld im Falle der stationären Behandlung keine Arbeitsunfähigkeit voraussetzt (Kasseler Kommentar/Höfler, § 49 SGB V, Rdnr. 19). Für den 8. und 9. Juli 1991 bestand ein Anspruch auf Weiterzahlung des Überganggeldes; § 49 SGB V fand hier keine Anwendung. Am 27. Juli 1991 suchte die Klägerin die Kassenärztin Dr. Z2 auf, bei der sie bis zum 10. Mai 1992 in kassenärztlicher Behandlung stand. Die Ärztin bestätigte als Zeugin, dass sie die Krebsnachsorge vorgenommen hat. Die Kassenärztin Dr. Z2 war in das System der kassenärztlichen Versorgung eingebunden. Die Klägerin durfte deshalb darauf vertrauen, dass die AU-Meldung innerhalb des Systems der C zugeleitet würde. Ob die Kassenärztin die Meldung versehentlich unterlassen hat, oder ob die zuständige C die Meldung verlegt hat, ist nicht geklärt. Es liegt aber ein Fehler im System vor. Für diesen ist die Klägerin nicht verantwortlich. Das Vertrauen des Versicherten wird nicht geschützt, wenn er aufgrund besonderer Umstände wusste oder hätte wissen können, dass seine Krankenkasse von der Arbeitsunfähigkeit keine Kenntnis erlangt hat (BSGE 52, 254 ff.; BSGE 82, 158 ff.). Hierfür sind auf Seiten der Klägerin Anhaltspunkte nicht ersichtlich.
e) Der Einwand des Beklagten, er hafte nicht für ein Fehlverhalten der Kassenärztin und auch nicht für ein €Systemversagen€, ist für Entscheidung nicht relevant. Denn der Beklagte haftet dafür, dass er es in unverjährter Zeit unterlassen hat, für die Klägerin Sozialleistungen zu beantragen, auf die sie Anspruch hatte.
4. Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist nicht verjährt.
a) Nach § 51 b BRAO (früher § 51 BRAO) verjährt der Schadensersatzanspruch gegen den Rechtsanwalt regelmäßig in drei Jahren nach Entstehung des Schadens.
Der Schaden der Klägerin ist wegen der Verjährungsregelung in § 45 Abs. 1 SGB I mit Ablauf des Kalenderjahres 1995 (für Sozialleistungen aus 1991) bzw. 1996 (für Sozialleistungen aus 1992) entstanden. Zu diesen Zeitpunkten waren die Ansprüche verjährt. Der Primäranspruch der Klägerin gegen den Beklagten war spätestens mit Ablauf des 31. Dezember 1999 verjährt. Das Mandat des Beklagten endete eigenem Bekunden zufolge am 18. Dezember 1997. Für eine Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung spricht nichts.
Die Klage wurde am 27. November 2000 anhängig.
b) Auch wenn die Primärverjährung demnach eingetreten ist, haftet der Beklagte gleichwohl.
Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Anwalt verpflichtet, den Mandanten rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist auf mögliche Regressansprüche gegen sich selbst und auf die Verjährungsfrist des § 51 b BRAO hinzuweisen (BGH, NJW 2000, 1267 m.w.N.). Zu einem derartigen Hinweis hatte der Beklagten allen Anlass. Unterbleibt der Hinweis, so macht sich der Anwalt schadensersatzpflichtig (pVV; heute: § 280 Abs. 1 BGB). Er hat den Mandanten dann so zu stellen, als wäre der Primäranspruch nicht verjährt (Palandt/Heinrichs, BGB € 63. Aufl. Überblick vor § 194 Rdnr. 21 m.w.N.); dies folgt aus § 249 Abs. 1 BGB. Für die Verletzung der sekundären Hinweispflicht genügt jedes Verschulden, auch leichte Fahrlässigkeit (BGH, NJW 2000, 1267, 1268).
Der Sekundäranspruch verjährt analog § 51 b BRAO in drei Jahren nach Verletzung der Aufklärungspflicht, spätestens drei Jahre nach Mandatsende (BGH, NJW 1988, 265, 266). Seine Pflicht zur Aufklärung hat der Beklagte gegen Ende der Jahre 1998 bzw. 1999 verletzt. Zu diesen Zeitpunkten hätte er die Klägerin aufklären müssen. Die am 24. Januar 2001 erhobene Klage hat die Verjährung unterbrochen (§ 209 Abs. 1 BGB a.F.).
5. Der Höhe nach steht der Klägerin nur ein Anspruch über € 10.180,13 zu.
a) Ihren Schaden hat die Klägerin bereits in der Klageschrift schlüssig dargelegt. Er beläuft sich € ohne die in Abzug gebrachten Krankenkassenbeiträge € auf insgesamt DM 29.256,75. Der Beklagte hat das diesbezügliche Vorbringen substantiiert nicht bestritten. Der Beklagte wendet lediglich ein, dass die Klägerin im betroffenen Zeitraum Sozialhilfe bezogen haben, die ihr verblieben sei, weshalb in diesem Umfang ein Schaden entfalle. Dieser Einwand des Beklagten ist berechtigt.
b) Seit dem 1. August 1990 hat die Klägerin Sozialhilfeleistungen erhalten. Nach § 102 Abs. 1 SGB X hatte der Sozialhilfeträger insoweit einen Erstattungsanspruch gegenüber der K. Dementsprechend hat die K ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 31. Juli 2001 DM 11.529,59 an den Sozialhilfeträger gezahlt. Diese Erstattung gilt der Klägerin gegenüber als Erfüllung ihres Anspruchs auf Übergangsgeld (§ 107 Abs. 1 SGB X). An die Stelle der verjährten Ansprüche auf Übergangs- bzw. Krankengeld tritt der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten. Dieser führt aber nicht dazu, dass die Klägerin für die streitige Zeit Sozialhilfe u n d Schadensersatz erlangen könnte. Nach § 116 Abs. 1 SGB X kam es in Höhe der geleisteten Sozialhilfe zu einem gesetzlichen Forderungsübergang. Der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten, der nicht im SGB begründet liegt, ist in Höhe der Sozialhilfeleistungen auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen. Insoweit fehlt die Aktivlegitimation der Klägerin.
c) Bei der Schadensberechnung ist die monatliche Differenz zwischen dem Anspruch auf Übergangs-/Krankengeld einerseits und geleisteter Sozialhilfe andererseits zu bilden. Das Übergangsgeld wird nach § 18 Abs. 1 AVG in gleicher Weise wie das Krankengeld berechnet. Das tägliche Krankengeld hat die Klägerin € von niemandem bestritten € mit DM 119,57 angegeben. Die von der Klägerin zu tragenden Krankenkassenbeiträge in Höhe von jeweils 12,3 % bringt die Klägerin bei der Berechnung ihres Anspruchs selbst in Abzug. Der Anspruch auf Übergangs- bzw. Krankengeld besteht daher nur in Höhe von 87,7 %. In der Zeit vom 8. Oktober 1991 bis zum 5. November 1991 bestand wegen einer Anschlussheilbehandlung kein Leistungsanspruch der Klägerin. Diese Zeit wird bei der Berechnung ausgespart. Die erhaltenen Sozialhilfeleistungen entnimmt der Senat dem Bescheid der Stadt O1 vom 6. April 1992. Dieser Bescheid enthält auch die Zuordnung zu den einzelnen Monaten. In dem Monaten Juli 1991, Oktober 1991, November 1991 und Mai 1992 kommt nur eine anteilige Anrechnung der monatlichen Sozialhilfe in Betracht, da die Klägerin für diese Monate auch nur zeitanteilig Schadensersatz begehrt.
Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Berechnung:
(Es folgt eine Tabelle, die aus technischen Gründen nicht dargestellt werden kann - die Red.)
(Die Originalentscheidung enthält Fußnoten, die im Feld €Volltext€ nicht dargestellt werden können. Diesbezüglich wird auf die angehängte pdf-Datei verwiesen - die Red.)
Der Gesamtbetrag von DM 19.910,60 entspricht € 10.180,13. In dieser Höhe hat die Berufung der Klägerin Erfolg.
d) Zinsen stehen der Klägerin in Höhe von 4 % p.a. (§§ 291, 288 Abs. 1 BGB a.F.; Art. 229 § 1 Abs. 1 Satz 3 EG BGB) seit dem 24. Januar 2001 zu.
6. Auch die Feststellungsklage ist zulässig und begründet.
a) Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung (§ 256 Abs. 1 ZPO). Der von der K erlassene Rentenbescheid vom 28. September 1999 bezieht sich auf eine Berufsunfähigkeitsrente. Ein Bescheid über das Altersruhegeld der Klägerin liegt noch nicht vor. Die Einschaltung eines Rentenberaters zur Ermittlung des zukünftigen Altersruhegeldes ist nicht zumutbar. Damit bleibt der Klägerin nur die Feststellungsklage.
b) Der Antrag der Klägerin hat zwischen den Instanzen gewechselt. Im ersten Rechtszug begehrte die Klägerin noch die Feststellung etwaiger €Rentennachteile€; im Berufungsrechtszug erstreckt sich ihr Begehren auf €Rechtsnachteile€. Dies beanstandet der Beklagte ausdrücklich. Die Beanstandung ist grundlos. In der Änderung des Begehrens liegt keine Klageerweiterung, die im übrigen nach § 533 ZPO, weil sachdienlich, auch zulässig wäre. Es geht vielmehr um eine sachgerechte Berichtigung des Antrags für das ursprüngliche und gleichgebliebene Begehren der Klägerin (§ 264 Nr. 1 ZPO).
c) Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist begründet. Sie weist zu Recht darauf hin, dass Rentennachteile dadurch entstehen können, dass die Zeiten vom 8. Juli 1991 bis zum 7. Oktober 1991 und vom 6. November 1991 bis zum 10. Mai 1992 im Versicherungsverlauf fehlen, weil keine Entgeltersatzleistungen erbracht wurden. Ebenso zutreffend macht sie geltend, dass hierdurch möglicherweise auch Nachteile bei der Bemessung des späteren Krankenversicherungsbeitrags entstehen können.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711 und 713 ZPO. Die gesetzlichen Voraussetzungen zur Zulassung der Revision (§ 543 ZPO) sind nicht gegeben.
OLG Frankfurt am Main:
Urteil v. 14.05.2004
Az: 24 U 152/02
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