Bundespatentgericht:
Urteil vom 8. November 2000
Aktenzeichen: 3 Ni 35/99

(BPatG: Urteil v. 08.11.2000, Az.: 3 Ni 35/99)

Tenor

Das europäische Patent 0 322 438 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland dadurch teilweise für nichtig erklärt, daß die Patentansprüche folgende Fassung erhalten:

"1. Pharmazeutische Zubereitung geeignet zur subkutanen Verabreichung, enthaltend ein Protein, das eine - und eine -Untereinheit umfaßt, worin die -Untereinheit eine Gonadotropin-Untereinheit ist und die -Untereinheit die folgende Aminosäuresequenz aufweist:

Asn Ser Cys Glu Leu Thr Asn Ile Thr Ile Ala Ile Glu Lys Glu Glu Cys Arg Phe Cys Ile Ser Ile Asn Thr Thr Trp Cys Ala Gly Tyr Cys Tyr Thr Arg Asp Leu Val Tyr 40 50 Lys Asp Pro Ala Arg Pro Lys Ile Gln Lys Thr Cys Thr Phe Lys Glu Leu Val Tyr Glu Thr Val Arg Val Pro Gly Cys Ala His His Ala Asp Ser Leu Tyr Thr Tyr Pro Val 80 90 Ala Thr Gln Cys His Cys Gly Lys Cys Asp Ser Asp Ser Thr Asp Cys Thr Val Arg Gly Leu Gly Pro Ser Tyr Cys Ser Phe Gly Glu Met Lys Gluwobei das Protein eine spezifische Follikelreifungshormon(FSH)-Aktivität von nicht weniger als 6200 IE FSH pro mg lyophilisiertes Pulver besitzt und im wesentlichen frei von nachweisbaren Spuren von Luteinisierungshormon (LH) und anderen Harnproteinen ist, und wobei das Protein erhältlich ist nach einem Verfahren mit folgenden Schritten:

(a) Immunreinigen eines postmenopausalen Harnkonzentrats unter Verwendung FSH-spezifischer immobilisierter monoklonaler Antikörper;

(b) Eluieren zur Gewinnung des FSH; und

(c) Entfernen aller Restspuren von verunreinigenden Stoffen durch Umkehrphasen HPLC.

2. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 1, worin die -Untereinheit des Proteins 110 Aminosäuren besitzt und der in Anspruch 1 definierten Aminosäuresequenz entspricht, wobei aber das anfängliche Asn (Position 1) fehlt.

3. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 2, worin die -Untereinheit des Proteins 109 Aminosäuren besitzt und der in Anspruch 1 definierten Aminosäuresequenz entspricht, wobei aber das anfängliche Asn und das Ser in Position 2 fehlt.

4. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 1, worin die Gonadotropin-Untereinheit die folgende Aminosäuresequenz aufweist:

Ala Pro Asp Val Gln Asp Cys Pro Glu Cys Thr Leu Gln Glu Asn Pro Phe Phe Ser Gln Pro Gly Ala Pro Ile Leu Gln Cys Met Gly Cys Cys Phe Ser Arg Ala Tyr Pro Thr 40 50 Pro Leu Arg Ser Lys Lys Thr Met Leu Val Gln Lys Asn Val Thr Ser Glu Ser Thr Cys Cys Val Ala Lys Ser Tyr Asn Arg Val Thr Val Met Gly Gly Phe Lys Val Glu Asn 80 90 His Thr Ala Cys His Cys Ser Thr Cys Tyr Tyr His Lys Ser 5. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, worin die -Untereinheit des Proteins 90 Aminosäuren aufweist und der in Anspruch 4 definierten Aminosäuresequenz entspricht, wobei aber das anfängliche Ala und das Pro in Position 2 fehlt.

6. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 5, worin die -Untereinheit des Proteins 89 Aminosäuren aufweist und der in Anspruch 4 definierten Aminosäuresequenz entspricht, wobei aber das anfängliche Ala, das Po in Position 2 und das Asp in Position 3 fehlt.

7. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 6, wobei das Protein in glycosylierter Form vorliegt.

8. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 7, worin das Asn in den Positionen 7 und 24 der -Untereinheit(en) des Proteins und das Asn in den Positionen 52 und 78 der -Untereinheit(en) des Proteins glycosyliert sind.

9. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der vorangehenden Ansprüche, wobei das Protein aus menschlichem menopausalem Harn extrahiert wird.

10. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der vorangehenden Ansprüche, worin das Ausgangsmaterial für das Protein menschliches menopausales Gonadotropin (HMG) ist.

11. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der vorangehenden Ansprüche, worin die Elution von FSH von dem Immunkomplex unter Verwendung einer wässrigen Lösung als Elutionsmittel mit einem pH-Wert von mehr als 10 und einer Molarität von mehr als 0,5 durchgeführt wird.

12. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 11, worin das Elutionsmittel einen pH-Wert aufweist, der im Bereich von 11,3 bis 11,7 liegt, und eine Molarität von etwa 1.

13. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der vorangehenden Ansprüche, worin das Elutionsmittel 1 M Ammoniak ist.

14. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 13, die einen geeigneten Träger umfaßt.

15. Pharmazeutische Zubereitung nach Anspruch 14, worin der Träger Lactose ist.

16. Injizierbare lyophilisierte pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 15.

17. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 16, die etwa 75 I.E. FSH pro Ampulle enthält.

18. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 16, die etwa 150 I.E. FSH pro Ampulle enthält.

19. Pharmazeutische Zubereitung nach einem der Ansprüche 1 bis 18, die Humanalbumin als Stabilisator umfaßt.

20. Verfahren zur Herstellung eines Proteins, wie in den Ansprüchen 1 bis 9 definiert, dadurch gekennzeichnet, daß es folgende Schritte umfaßt:

(a) Immunreinigen eines postmenopausalen Harnkonzentrats unter Verwendung FSH-spezifischer immobilisierter monoklonaler Antikörper;

(b) Eluieren zur Gewinnung des FSH; und

(c) Entfernen aller Restspuren von verunreinigenden Stoffen durch Umkehrphasen HPLC.

21. Verfahren nach Anspruch 20, worin das Ausgangsmaterial menschliches menopausales Gonadotropin (HMG) ist.

22. Verfahren nach Anspruch 20 oder 21, worin die Elution von FSH von dem Immunkomplex unter Verwendung einer wässrigen Lösung als Elutionsmittel mit einem pH-Wert von mehr als etwa 10 und einer Molarität von mehr als etwa 0,5 durchgeführt wird.

23. Verfahren nach Anspruch 22, worin das Elutionsmittel einen pH-Wert aufweist, der im Bereich von 11,3 bis 11,7 liegt, und eine Molarität von etwa 1.

24. Verfahren nach einem der Ansprüche 20 bis 23, worin das Elutionsmittel 1 M Ammoniak ist.

25. Verwendung eines Proteins wie definiert in einem der Ansprüche 1 bis 9 in der Herstellung einer pharmazeutischen Zubereitung, die zur subkutanen Verabreichung geeignet ist."

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin und die Beklagte .

Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von ... - DM und für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von ... - DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 24. Juni 1988 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 322 438 (Streitpatent), für das sie die Priorität der italienischen Patentanmeldung 4811087 vom 26. Juni 1987 in Anspruch genommen hat. Das Streitpatent, das in der Verfahrenssprache Englisch angemeldet und erteilt wurde und vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 38 52 383 geführt wird, betrifft ein "Purified Follicle Stimulating Hormone" und umfaßt 23 Patentansprüche. Der erteilte Patentanspruch 1 hat in der deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut:

"Protein, umfassend eine - und eine -Untereinheit, worin die -Untereinheit eine Gonadotropin--Untereinheit ist und die -Untereinheit die folgende Aminosäuresequenz aufweist:

Asn Ser Cys Glu Leu Thr Asn Ile Thr Ile Ala Ile Glu Lys Glu Glu Cys Arg Phe Cys Ile Ser Ile Asn Thr Thr Trp Cys Ala Gly Tyr Cys Tyr Thr Arg Asp Leu Val Tyr 40 50 Lys Asp Pro Ala Arg Pro Lys Ile Gln Lys Thr Cys Thr Phe Lys Glu Leu Val Tyr Glu Thr Val Arg Val Pro Gly Cys Ala His His Ala Asp Ser Leu Tyr Thr Tyr Pro Val 80 90 Ala Thr Gln Cys His Cys Gly Lys Cys Asp Ser Asp Ser Thr Asp Cys Thr Val Arg Gly Leu Gly Pro Ser Tyr Cys Ser Phe Gly Glu Met Lys Gluwobei das Protein eine spezifische Follikelreifungshormon-(FSH)Aktivität von nicht weniger als 6200 I.E. FSH pro mg lyophilisiertes Pulver besitzt und im wesentlichen frei von nachweisbaren Spuren von Luteinisierungshormon (LH) und anderen Harnproteinen ist."

Wegen des Wortlauts der auf Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 23 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen, wobei die Patentansprüche 1 bis 9 ein Protein, die Patentansprüche 10 bis 14 ein Verfahren, die Patentansprüche 15 bis 22 eine pharmazeutische Zubereitung und Patentanspruch 23 die Verwendung des Proteins betreffen.

Die Klägerin macht geltend, das Streitpatent sei nicht patentfähig, weil es gegenüber den Druckschriften K 6 Storring et al., J. Endocrinology (1981), 91, S. 353-362, K 7 EP 0 211 894 B1, K 7a WO 86/04589 A1, K 8 Rathnam und Saxena, JBC, 250 (1975), (17), S. 6735-6746, K 9 GB 2 173 803 A nicht mehr neu sei und gegenüber einer Kombination der Druckschriften K 7 mit K 8 sowie K 7 mit K 9 oder K 9 mit K 10 Hallin et al, Preservation of biological LH and FSH Activity after Application on HPLC....., J. Liquid Chromatography, 9 (13), S. 2855-2868 (1986)

nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Darüber hinaus sei die Lehre des Streitpatents hinsichtlich der Aminosäuresequenz und der Reinheitsmerkmale nicht so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen könne. Dies belegten die Unterlagen K 11 Declaration Dr. G. Arpaia, K 12 LH ter, BIODATA und K 22 Gutachten Dr. D. Mercanti mit Anlagen A - I.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 322 438 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Zum Schluß der mündlichen Verhandlung hat die Beklagte neue Fassungen der Patentansprüche 1 bis 25 vorgelegt und erklärt, daß sie das Streitpatent nur noch mit dieser Anspruchsfassung verteidige. Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 1 bis 25 in dieser verteidigten Fassung wird auf den Tenor verwiesen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent im verteidigten Umfang richtet.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und bezieht sich zur Begründung auf die Druckschriften K 11A Butt, Hormone Chemistry Vol. 1, New York (1975), 1-2, K 12A Life Technologies Limited, UK, Biochemical Profile and Hormone Profile of Fetal Bovine Serum, K 13 HyClone Laboratories Inc., USA, Biochemical Assay, Defined Fetal Bovine Serum, K 14 Technical Report, Characterization of Fostimon (IBSA) and Metrodin HP (SERONO), July 19, 1999, K 15 LH ter Kit, Biodata, K 16 Saxena, J. Biol. Chem. 251 (1976), 993-1005, K 17 Shome, J. Clin. Endocrinol. Metab. 39 (1974), 203-205, K 18 Shome, J. Protein Chemistry 7 (1988), 325-339, K 19 Watkins, DNA 6 (1987), 205-212, K 20 Geigy Scientific Tables Vol. 1, und K 21 Erklärung von Dr. G. Jack vom 13. 9.2000 mit Anlagen A - E.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als teilweise begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur teilweisen Nichtigerklärung in dem Umfang, wie er sich aus dem Tenor ergibt.

Das Streitpatent ist deswegen teilweise für nichtig zu erklären, soweit die Beklagte es nicht mehr verteidigt. Die erklärte Beschränkung in Form des neuen Hauptantrags mit 25 Patentansprüchen hält sich im Rahmen der ursprünglichen Offenbarung und des erteilten Patents. Weder der Gegenstand noch der Schutzbereich des Streitpatents werden dadurch erweitert.

Im übrigen erweist sich die Klage als unbegründet, denn der Senat konnte weder feststellen, daß das Streitpatent in der verteidigten Fassung nicht patentfähig ist (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a iVm Art 56 EPÜ), noch daß ihm der Nichtigkeitsgrund der unzureichenden Offenbarung entgegensteht (Art II § 6 Abs 1 Nr 2 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit b EPÜ).

I.

1.) Das Streitpatent betrifft in der nunmehr verteidigten Fassung ein gereinigtes Follikelstimulierungshormon (FSH) in einer pharmazeutischen Zubereitung, die zur subkutanen Anwendung geeignet ist, sowie ein Verfahren zur Herstellung des Proteins und seine Verwendung.

Nach den Angaben der Streitpatentschrift (S. 3 Z 10 bis S. 4 Z 46) ist es wünschenswert, FSH zur Verfügung zu stellen, das auch subkutan verabreicht werden kann, weil sich dadurch die Belastung für die Patientinnen verringert. Bislang erhältliche FSH-Zubereitungen, die entweder aus menschlichen Hypophysen oder postmenopausalem Harn gewonnen wurden, enthielten neben anderen Proteinen auch einen Anteil an Luteinisierungshormon (LH) und kamen entweder wegen der Gefahr von Allergien für eine subkutane Anwendung oder aus anderen medizinischen Gründen nicht in Betracht. Nach den Angaben der Streitpatentschrift (s S 4 Z 30 - 46) scheinen auch Unterschiede in der biologischen Aktivität von Hypophysen- und Harn-FSH zu bestehen, wobei grundsätzlich die Beta-Untereinheit dem FSH-Molekül seine biologische Spezifität verleiht.

2.) Es ist daher Aufgabe des Streitpatents, ein hochreines FSH mit hoher Aktivität zur Verfügung zu stellen, das im wesentlichen frei von LH und anderen Harnproteinen ist.

3.) Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 in der verteidigten Form einepharmazeutische Zubereitung, 1. die zur subkutanen Verabreichung geeignet ist 2. und ein Protein enthält, 2.1. das eine - und eine -Untereinheit umfaßt, 2.1.1. wobei die -Untereinheit eine Gonadotropin--Untereinheit ist und 2.1.2. die -Untereinheit folgende Aminosäuresequenz aufweist:

Asn Ser Cys Glu Leu Thr Asn Ile Thr Ile Ala Ile Glu Lys Glu Glu Cys Arg Phe Cys Ile Ser Ile Asn Thr Thr Trp Cys Ala Gly Tyr Cys Tyr Thr Arg Asp Leu Val Tyr 40 50 Lys Asp Pro Ala Arg Pro Lys Ile Gln Lys Thr Cys Thr Phe Lys Glu Leu Val Tyr Glu Thr Val Arg Val Pro Gly Cys Ala His His Ala Asp Ser Leu Tyr Thr Tyr Pro Val 80 90 Ala Thr Gln Cys His Cys Gly Lys Cys Asp Ser Asp Ser Thr Asp Cys Thr Val Arg Gly Leu Gly Pro Ser Tyr Cys Ser Phe Gly Met Lys Glu 2.2. eine spezifische Follikelreifungshormon(FSH)-Aktivität von nicht weniger als 6.200 I.E. FSH pro mg lyophilisiertem Pulver besitzt, 2.3. im wesentlichen frei von nachweisbaren Spuren von Luteinisierungshormon (LH) und anderen Harnproteinen ist und 2.4. nach einem Verfahren mit den folgenden Schritten erhältlich ist:

2.4.1. Immunreinigen eines postmenopausalen Harnkonzentrats unter Verwendung FSH-spezifischer immobilisierter monoklonaler Antikörper;

2.4.2. Eluieren zur Gewinnung des FSH; und 2.4.3. Entfernen aller Restspuren von verunreinigenden Stoffen durch Umkehrphasen-HPLC.

II.

1. Die pharmazeutische Zubereitung mit den Merkmalen des Anspruchs 1 in der verteidigten Fassung ist neu.

Der nächstgelegene Stand der Technik wird in der nach Auffassung der Klägerin neuheitsschädlichen internationalen Anmeldung WO 86/04 589 A1 (K 7a) beschrieben, die korrespondierende nachveröffentlichte europäische Patentschrift 0 211 894 B1 bleibt außer Betracht. Aus der internationalen Anmeldung ist ein Protein bekannt, das unstreitig die Merkmale 2.1., 2.1.1. und 2.1.2. gemäß der unter I. 3) aufgeführten Merkmalsanalyse aufweist (vgl insbes S 4 Z 1 bis 7, S 5 Z 18 bis 26, S 6 Z 19 bis 21 und Figur auf S 10). Die in der Beschreibung (S 14 Z 14 bis 24) erwähnten wohlbekannten medizinischen Verwendungen sowie die Anwendung in diagnostischen Tests erfordern eine dieses Protein enthaltende pharmazeutische Zubereitung.

Die Eignung einer derartigen pharmazeutischen Zubereitung zur subkutanen Verabreichung (Merkmal 1) und konkrete Verfahren als Beispiele für den allgemein gehaltenen Hinweis auf konventionelle Reinigungstechniken zur Reinigung von Zellen und/oder Kulturmedien (S 14 Z 14 bis 17), insbesondere das in der Merkmalsanalyse des verteidigten Anspruchs 1 unter 2.4. näher spezifizierte Verfahren, sind in der internationalen Anmeldung nicht erwähnt. Allein mit der Nichtnennung dieser "Merkmale" der Entgegenhaltung kann die Neuheit der pharmazeutischen Zubereitung nach Patentanspruch 1 in seiner verteidigten Fassung jedoch nicht begründet werden, denn die Eignung gemäß Merkmal 1. ist eine durch die stoffliche Beschaffenheit bewirkte Eigenschaft, und die stoffliche Beschaffenheit ist zwar neben anderen Merkmalen durch den Herstellungsweg 2.4. gekennzeichnet, muß aber vom Stand der Technik - wie ein nicht durch productbyprocess - Merkmale umschriebenes Erzeugnis - unabhängig vom Herstellungsweg unterscheidbar sein.

Der Senat sieht indessen mit der Eignung für die subkutane Anwendung - in Übereinstimmung mit den Ausführungen in der Übersetzung der europäischen Streitpatentschrift (DE 38 52 383 T 2, insbes S 6 Z 24 bis S 7 Z 2) - eine höhere Anforderung an die Reinheit der beanspruchten Zubereitung umschrieben, als dies im Stand der Technik verwirklicht werden konnte.

Das rekombinante Protein gemäß WO 86/04 589 A1 ist zwar als frei von Kontaminationen durch andere menschliche Proteine, insbesondere andere Fertilitätshormone, beschrieben (S 15 Abs 1) und scheint insoweit auch das Kriterium bzw Merkmal 2.3. zu erfüllen. Es ist aber von der Klägerin nicht substantiiert dargelegt und auch für den Senat nicht erkennbar, daß mit der Aufreinigung dieses Proteins von Zellen und/oder ihren Kulturmedien durch konventionelle Reinigungstechniken (gemäß S 14 Z 14 bis 17) dem Fachmann, einem Molekularbiologen, regelmäßig und wiederholbar für eine subkutane Anwendung geeignete Zubereitungen zugänglich werden.

Zwar ist in der britischen Patentanmeldung 2 173 803 A (K 9) das Immunreinigen einer FSH-haltigen Lösung unter Verwendung FSH-spezifischer immobilisierter monoklonaler Antikörper mit anschließendem Eluieren zur Gewinnung des FSH offenbart (Beispiel 7), so daß die Verfahrensschritte 2.4.1. und 2.4.2. als dem Fachmann geläufige und somit konventionelle Reinigungstechniken iSd WO 86/04 589 A1 (S 14 Z 14 bis 17) zu bewerten sind. Ausweislich des genannten Beispiels 7 wird mit diesen Verfahrensschritten auch ein erheblicher Reinigungsfaktor bezüglich des FSH/LH-Verhältnisses bewirkt. Dem Senat liegen aber keine konkreten Anhaltspunkte - beispielsweise in Form von Versuchsberichten der Klägerin - vor, die die Argumentation der Patentinhaberin widerlegen könnten, eine so vollständige Entfernung verunreinigender heterologer Proteine aus dem Kulturmedium der transformierten, das FSH exprimierenden Zellen, daß sich das Protein bzw die pharmazeutische Zubereitung des Proteins zu einer subkutanen Verabreichung eigne, sei - in Übereinstimmung mit Seite 7 Zeilen 28/29 der T 2-Patentschrift - am Prioritätstag ohne die anschließende Umkehrphasen - HPLC (Merkmal 2.4.3.) nicht möglich gewesen.

Die Umkehrphasen - HPLC als solche war am Prioritätstag bekannt, vgl hierzu J. Liquid Chromatography aaO, insbes Seite 2865 le Abs bis Seite 2866 le Abs. Die Klägerin konnte aber keinen Beleg dafür liefern, daß der Fachmann die Gesamtheit der Verfahrensschritte 2.4.1. bis 2.4.3. als konventionelle Reinigungstechnik iSd internationalen Patentanmeldung aaO in Betracht ziehen konnte.

Die Literaturstelle Rathnam et al. aaO beschreibt herkömmliche Reinigungstechniken wie beispielsweise Gelfiltration und Ionenaustausch-Chromatographie, mit denen auch eine erhebliche Abreicherung von LH in FSH-Präparaten zu erzielen ist. Auch diese Literaturstelle enthält aber keinen unmittelbaren oder mittelbaren Hinweis auf die Erzielbarkeit einer für die subkutane Verabreichung notwendigen Reinheit.

Somit wird durch das Merkmal 1. ein besonderer Reinheitsgrad des in der pharmazeutischen Zubereitung enthaltenen Proteins umschrieben, der durch die productbyprocess Merkmale 2.4. gewährleistet ist und nach Überzeugung des Senates durch Nacharbeitung der in der WO 86/04 589 A1 gegebenen Lehre nicht einzustellen war. Die in dieser Entgegenhaltung zutreffend angegebene AS-Sequenz der - und -Untereinheit ist aus der Nukleotid-Sequenz abgeleitet (vgl insbes S 10 Z 9 bis 11) und nicht durch Analyse eines Proteins ermittelt, sie läßt insofern keine Rückschlüsse auf die Reinheit des nach der Lehre der Entgegenhaltung erhältlichen Proteins zu.

Bei dieser Sachlage ist es unerheblich, daß die Eignung von Merkmal 2.2. als Unterscheidungskriterium gegenüber dem Stand der Technik fraglich ist, weil die Bezugsgröße "mg lyophilisiertes Pulver" für die Aktivität nicht der Bezugsgröße "mg Protein" in den Vorveröffentlichungen (vgl zB Storring et al. aaO 1. Fußnote zu Tabelle 1 iVm Summary Z 5 bis 7) entspricht und das lyophilisierte Pulver außer dem Protein nach den Angaben der Patentinhaberin auch Wasser und Salze enthalten kann (vgl auch S 19 Abs 3 / 4 der T 2-Patentschrift). Welchen Zahlenwert die in der internationalen Anmeldung mehrfach (Ansprüche 1 u 12, S 2 Z 10 bis 12, S 14 Z 14 bis 17 u Abstract), aber nur qualitativ angegebene biologische Aktivität nach konventioneller Aufreinigung aufweisen könnte, kann daher dahinstehen.

Die nach Auffassung der Klägerin neuheitsschädlichen Literaturstellen Storring et al aaO, Rathnam et al aaO und britische Patentanmeldung 2 173 803 A liegen ferner als die internationale Anmeldung WO 86/04 589 A 1, da in den dort beschriebenen Präparaten Kontaminationen von LH nachgewiesen wurden, somit das Merkmal 2.3. und noch weniger das Merkmal 1. nicht verwirklicht und zudem die Aminosäuresequenz der -Untereinheit von FSH nicht angegeben ist.

2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Form beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Klägerin konnte nicht widerlegen, daß nach der Lehre des Streitpatents der Öffentlichkeit erstmals eine zur subkutanen Verabreichung geeignete pharmazeutische Zubereitung von FSH zugänglich geworden ist, die auch eine Selbstverabreichung durch den Patienten ermöglicht (S 2 Abs 2 der T 2-Patentschrift). Der sich anschließenden Textstelle (aaO S 2 Abs 3), auf die die Klägerin hierzu verwiesen hat, ist lediglich zu entnehmen, daß bereits versucht wurde, eine hierfür ungeeignete Zubereitung subkutan zu verabreichen. Nach der Würdigung in der T 2-Patentschrift enthält dieses bekannte Präparat sowohl das als solches die subkutane Verabreichung nicht störende, aber aus medizinischer Sicht unerwünschte LH (vgl hierzu S 3 Z 28 bis S 4 Z 10 der T 2-Patentschrift) als auch für allergene Reaktionen ursächliche Verunreinigungen.

Eine die hohen Anforderungen erfüllende Zubereitung war für den Fachmann auch nicht auf einem naheliegenden Herstellungsweg erhältlich; vielmehr bedurfte es hierzu sämtlicher im verteidigten Patentanspruch 1 aufgeführter Verfahrensmaßnahmen 2.4.1. bis 2.4.3.. Wie erwähnt, war die in der Merkmalsanalyse mit 2.4.3. bezeichnete Aufreinigung durch Umkehrphasen - HPLC bereits bekannt. In der diesen Sachverhalt belegenden Literaturstelle J. Liquid Chromatography aaO wird aber die Umkehrphasen - HPLC ua wegen festgestellter Aktivitätsverluste bei der Aufreinigung von FSH als ungünstiger bewertet als die zum Vergleich herangezogene Ionenaustausch - HPLC (vgl insbes S 2865/6, Discussion). Somit bestand für den Fachmann keine Veranlassung, die Umkehrphasen - HPLC als abschließende Aufreinigung für ein bereits gemäß den - grundsätzlich aus der britischen Patentanmeldung 2 173 803 A bekannten - Verfahrensschritten 2.4.1. und 2.4.2. gereinigtes FSH-Protein in Betracht zu ziehen und gerade von dieser Kombination der Verfahrensschritte eine bisher nicht erreichte Reinheit zu erwarten.

Die Argumentation der Klägerin, die abschließende Umkehrphasen - HPLC leiste nur einen fast vernachlässigbaren Beitrag zu der insgesamt erzielten Produktqualität, bietet nach Auffassung des Senats keine geeignete Grundlage, um dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der verteidigten Fassung die erfinderische Tätigkeit abzusprechen. Wie in den Ausführungen zur Neuheit im einzelnen dargelegt führen die Verfahrensschritte 2.4.1. und 2.4.2. - wie andere konventionelle Reinigungstechniken - noch nicht zum angestrebten technischen Erfolg. Demnach war am Prioritätstag die Umkehrphasen - HPLC ein zur Erzielung des erwünschten Ergebnisses notwendiger Verfahrensschritt. Erwägungen, welcher Verfahrensschritt welchen Beitrag zum Gesamterfolg beisteuert, sind nach Auffassung des Senates möglicherweise von wissenschaftlichen Interesse, aber nicht von Bedeutung zur Beurteilung der Patentfähigkeit der gegebenen technischen Lehre.

Dem Senat liegen auch keine konkreten Anhaltspunkte - beispielsweise Versuchsberichte - dafür vor, daß ein anderer abschließender Reinigungsschritt, dessen Kombination mit den Verfahrensschritten 2.4.1. und 2.4.2. eventuell naheliegend gewesen wäre, zu einem vergleichbaren technischen Gesamterfolg hätte führen können. Damit besteht keinerlei Berechtigung zu der Annahme, eine mit der pharmazeutischen Zubereitung nach dem verteidigten Patentanspruch 1, deren stoffliche Beschaffenheit ua über den Herstellungsweg 2.4. definiert ist, identische Zubereitung wäre dem Fachmann auf anderem Weg ohne erfinderisches Zutun zugänglich gewesen.

3. Die Klägerin hat dem Senat auch nicht vom Vorliegen des Nichtigkeitsgrundes der mangelnden Ausführbarkeit (Art II § 6 Abs 1 Nr 2 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit b EPÜ) überzeugen können.

In ihrem in der mündlichen Verhandlung erneuerten und vertieften Vortrag zu diesem Nichtigkeitsgrund beanstandet die Klägerin vor allem, in der Beschreibung des Streitpatents sei keine hinreichende Definition des unter I. 3) mit 2.3. bezeichneten Merkmals gegeben. Das im Stand der Technik bekannte LH-ter-Kit weise - insbesondere aufgrund der Kreuzreaktivität von 0,1%, die einen falsch positiven Nachweis von LH ergebe - keine ausreichende niedrige Nachweisgrenze gegenüber LH auf, um das Merkmal "(im wesentlichen) frei von nachweisbaren Spuren von LH" bestimmen zu können. Lege man die Ausführungen in der Streitpatentschrift zugrunde, so sei dieses Merkmal bereits im Stand der Technik verwirklicht und könne daher nicht als Unterscheidungskriterium herangezogen werden.

Nun ist aber in dem von der Klägerin zu dieser Frage vorgelegten Gutachten Dr. M... (K 22) selbst ausgeführt, daß unter Annahme einer kleinsten nachweisbaren LH-Konzentration von 1,5 mIE/ml das Merkmal "(im wesentlichen) frei von ...LH" vom Fachmann, einem Molekularbiologen, in Abhängigkeit von der festgestellten FSH-Konzentration beurteilt werden müsse (Übersetzung S 7 Abs 3). Bei einer angenommenen FSH-Konzentration von 15 mIE/ml erlaube die Nachweisgrenze nämlich einen Gehalt von bis zu 10% LH, bezogen auf FSH, was nicht als FSH-frei gewertet werden könne. Dagegen entspreche bei einer Probe mit 1.500 mIE/ml FSH eine LH-Konzentration unterhalb der Nachweisgrenze einem Gehalt von weniger als 1/1000, was als im wesentlichen frei von LH gelten könne. Somit sind für den Fachmann die Randbedingungen erkennbar, unter denen er unter Voraussetzung der genannten Nachweisgrenze die Aussage ..."(im wesentlichen) frei von .....LH" treffen kann. Die bei Lösungen mit erheblich höheren Aktivitäten von FSH nach den insoweit überzeugenden Darlegungen der Klägerin störende Kreuzreaktivität kann der Fachmann bei der analytischen Auswertung berücksichtigen, weil ihr Anteil (0,1% = 1/1000) bekannt ist und daher nur eine darüber hinaus gehende Aktivität dem ggf enthaltenen LH zuzuordnen ist. Weiterhin ist dem Fachmann bekannt, daß er durch geeignete Verdünnung im LH-ter-Kit einen Meßbereich einzustellen hat, bei dem die LH-ter Standardkurve eine möglichst hohe Steigung hat (vgl hierzu die Declaration Dr. G. Arpaia [K 11], le S u LH ter [K 12], vorle S).

Damit sind die Zweifel der Klägerin an der Ausführbarkeit nicht begründet, zumal nunmehr auch der die Reinheit des Proteins charakterisierende Herstellungsweg im Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung angegeben ist.

Die Unterscheidbarkeit vom Stand der Technik berührt nach Auffassung des Senates nicht die Frage der Ausführbarkeit, sondern ist - wie geschehen - bei der Beurteilung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen. Der Vergleich mit dem Stand der Technik muß dabei auf die Gesamtheit der im Anspruch festgelegten Merkmale abstellen; daß er lediglich auf ein einzelnes dieser Merkmale zu fokussieren ist, kann aus dem Patentgesetz nicht abgeleitet werden.

Erwägungen darüber, ob der Vortrag der Klägerin (auch) als Kritik an der Klarheit des Patentanspruchs 1 in seiner verteidigten Form interpretiert werden könnte und ob diese Kritik ggf berechtigt wäre, sind nicht anzustellen, weil mangelhafte Klarheit bekanntlich keinen Nichtigkeitsgrund darstellt (BGH GRUR 88, 757, 760 re Sp - Düngerstreuer).

4. Nach alledem ist Patentanspruch 1 in der verteidigten Fassung rechtsbeständig.

Die mittelbar oder unmittelbar auf diesen Patentanspruch rückbezogenen, auf eine pharmazeutische Zubereitung gerichteten Ansprüche 2 bis 19 haben mit dem Hauptanspruch Bestand.

Die Patentfähigkeit des Verfahrens nach dem verteidigten Patentanspruch 20 wird von dem für den Hauptanspruch zu den Verfahrensmaßnahmen 2.4.1. bis 2.4.3. ausgeführten Gründen getragen. Damit sind Patentanspruch 20 und mit ihm die weitere Ausgestaltungen des Verfahrens betreffenden Patentansprüche 21 bis 24 ebenfalls rechtsbeständig.

Patentanspruch 25 betrifft die Verwendung des in den Ansprüchen 1 bis 9 als Bestandteil der pharmazeutischen Zubereitung definierten Proteins FSH zur Herstellung einer zur subkutanen Verabreichung geeigneten pharmazeutischen Zubereitung, somit inhaltlich die Herstellung der in den Patentansprüchen 1 bis 9 charakterisierten pharmazeutischen Zubereitung. Die Rechtsbeständigkeit dieses Anspruchs ist gleichfalls sinngemäß aus den für das Erzeugnis dieser Verwendung dargelegten Gründen gegeben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 1 Satz 1 ZPO und entspricht dem Maß des jeweiligen Obsiegens bzw Unterliegens der Parteien.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Grüttemann Dr. Vogel Dr. G. Wagner Sredl Dr. Feuerlein Wf/Fa






BPatG:
Urteil v. 08.11.2000
Az: 3 Ni 35/99


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