Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. März 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 28/01

(BPatG: Beschluss v. 24.03.2003, Az.: 20 W (pat) 28/01)

Tenor

Der Beschluß des Patentamts vom 6. Dezember 2000 wird aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem paketorientierten digitalen, zellular aufgebauten, drahtlosen Datenübertragungsnetz mit Teilnehmerendgeräten Anmeldetag: 19. November 1996.

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

1 Patentanspruch, überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Blatt Beschreibung (Spalten 1 und 2), überreicht in der mündlichen Verhandlung, 1 Blatt ursprüngliche Zeichnung (Figur 1).

Gründe

I Das Patentamt - Prüfungsstelle für Klasse H 04 L - hat die Anmeldung durch Beschluß vom 6. Dezember 2000 mangels Erfindungshöhe des Gegenstandes des damals geltenden einzigen Patentanspruchs zurückgewiesen.

Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit dem in der mündlichen Verhandlung überreichten einzigen Patentanspruch sowie angepaßter Beschreibung zu erteilen.

Der Patentanspruch lautet:

"Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem paketorientierten digitalen, zellular aufgebauten, drahtlosen Datenübertragungsnetz (MODACOM) mit Teilnehmerendgeräten, wobei zwischen dem drahtlosen Datenübertragungsnetz und dem öffentlichen Telefonnetz (PSTN) ein Gateway (6) vorgesehen ist, das eine Kompression und Umsetzung gesprochener Mitteilungen in Datenpakete vor einer Übertragung über das drahtlose Datenübertragungsnetz vornimmt, wobei freie Zeiten zwischen Datenübertragungsanwendungen im drahtlosen Netz zur Sprachübertragung genutzt werden und die Sprachanwendung mit der geringsten Zugriffspriorität im drahtlosen Netz betrieben wird, wobei den Teilnehmerendgeräten des drahtlosen Netzes Module zugeordnet sind, die die Kompression und Umsetzung von in die Endgeräte eingegebenen Sprachinformationen bewirken und eingehende Sprachinformationen dekomprimieren, wobei ferner die Sprachinformationen bei Nichterreichbarkeit des Adressaten im drahtlosen Netz gespeichert werden und vom Adressaten nach Benachrichtigung über ein Teilnehmerendgerät abgerufen werden können."

Folgende Entgegenhaltungen sind in Betracht gezogen:

(1) US 5 452 289,

(2) EP 0 748 138 A2,

(3) DE 32 21 685 A1,

(4) US 5 018 136,

(5) Schlüter, Heinz: "ISDN-fähige Kommunikationsanlagen", v. Decker, Heidelberg, 1987, Seiten 221 bis 228,

(6) US 5 539 744,

(7) EP 0 730 362 A2,

(8) Lobensommer, Hans: Die Technik der modernen Mobilkommunikation, Franzis Verlag, München, 1994, Seiten 218 bis 236.

Zur Begründung ihres Antrags führt die Anmelderin im wesentlichen aus, daß der Gegenstand des Patentanspruchs gegenüber diesem Stand der Technik neu und durch diesen auch nicht nahegelegt sei.

II 1. Die Fassung des Patentanspruches ist zulässig. Er ist auf ein Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem paketorientierten digitalen, zellular aufgebauten, drahtlosen Datenübertragungsnetz mit Teilnehmerendgeräten gerichtet mit Merkmalen, die sich als zur Erfindung gehörend aus den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 bis 7 sowie aus der ursprünglichen Beschreibung, vgl Offenlegungsschrift DE 196 47 880 A1, Spalte 2, Zeilen 16 bis 23, Zeilen 29 bis 32, Zeilen 37 bis 44 und Zeilen 57 bis 63, ergeben.

2. Stand der Technik Aus dem Lehrbuchauszug (8), der insbesondere das Modacom-System beschreibt, vgl Seiten 224 bis 236 und Abb. 9.1, ist ein Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem paketorientierten digitalen, zellular aufgebauten, drahtlosen Datenübertragungsnetz mit Teilnehmerendgeräten als bekannt entnehmbar. Der Modacom-Dienst stellt verschiedene virtuelle Verbindungstypen bereit, ua für das "messaging", das dem Austausch von Daten und Textnachrichten zwischen mobilen Endgeräten dient (S 232 2. und 3. Abs). Zwischen dem drahtlosen Datenübertragungsnetz und dem öffentlichen Telefonnetz (PSTN) ist ein Gateway RNG vorgesehen, das Daten zwischen dem drahtlosen Modacom-Netz und dem öffentlichen Datex-P-Netz vermittelt (S 227 Abb 9.2 und 1. Abs, S 232 2. bis 4. Abs, S 233 1. Abs). Datenpakete können in einem paketorientierten Übertragungsnetz nach verschiedenen Prioritäten zeitversetzt gesendet werden, um damit Netz- und Systemkapazitäten besser zu nutzen (S 223 1. Abs). Dagegen ist bei Systemen mit Leitungsvermittlung bei der Übertragung einer Nachricht für die Dauer einer Übertragung ein Funkkanal oder eine Leitung im drahtgebundenen Netz belegt und steht während dieser Zeit keinem weiteren Teilnehmer zur Verfügung (S 222 vorle und le Abs). Eine Übertragung von Sprachinformationen iSd Patentanmeldung ist aus der Druckschrift (8) nicht entnehmbar.

Die Entgegenhaltung (1), vgl den Wortlaut des Anspruchs 1 nach Spalte 49 Zeile 22 bis Spalte 50 Zeile 23, die Beschreibung Spalte 1 Zeile 62 bis Spalte 2 Zeile 50 und Figur 3, beschreibt ein Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem paketorientierten digitalen leitungsgebundenen Informationsübertragungssystem mit Teilnehmerendgeräten (Fig 3, 301 bis 304, Sp 8 Z 18-21). Den Teilnehmerendgeräten sind Module zugeordnet, die Kompression und Umsetzung von in die Endgeräte eingegebenen Sprachinformationen bewirken und eingehende Sprachinformationen dekomprimieren (Fig 3, 305, 306, Sp 12 Z 22-36, Sp 23 Z 21-46). Bei Nichterreichbarkeit des Adressaten einer Sprachinformation bleibt diese im Teilnehmerendgerät gespeichert und kann nach Benachrichtigung des Adressaten über das Teilnehmerendgerät abgerufen werden (Fig 22 und 50, Sp 39 Z 64 bis Sp 40 Z 16). Die Übertragung von digitalen Datenpaketen erfolgt während Ruhepausen in der Übertragung von Sprachdatenpaketen, die aus (1) als bekannt entnehmbare Übertragung von Sprachinformation erfolgt in Echtzeit und hat Priorität vor der Übertragung von Daten (Sp 12 Z 37-55, Sp 24 Z 1-8, Sp 35 Z 56-60).

Aus der Druckschrift (6), vgl Spalte 3 Zeilen 2 bis 6 und Spalte 5 Zeilen 6 bis 14 iVm Figur 9, ist ebenfalls ein Verfahren zur Übermittlung von Informationen in einem paketorientierten digitalen Informationsübertragungssystem mit Teilnehmerendgeräten als bekannt entnehmbar. Zwischen einem zellular aufgebauten, drahtlosen Datenübertragungsnetz und einem drahtgebundenen Datenübertragungsnetz sind Gateways vorgesehen (Sp 3 Z 42-57, Sp 4 Z 23-26, Sp 8 Z 20-36, Sp 18 Z 6-36, Sp 18 Z 44-48). Die zu übermittelnden Informationen sind ua Sprachinformationen, die vor einer Übertragung komprimiert und in (Sprach-) Datenpakete umgewandelt werden (Sp 5 Z 47-65, Sp 6 Z 3-14, Sp 8 Z 20-36, Sp 18 Z 44-48, Fig 5). Als Sprachanwendung ist ua auch Voice-Mail genannt (Sp 19 Z 26-28). Resourcen im Netz werden dynamisch in Echtzeit zugeordnet (Sp 3 Z 34-41, Sp 4 Z 4-7). Darüber hinausgehend sind der Druckschrift zu Zugriffsprioritäten von Sprachanwendungen in Relation zu Datenübertragungsanwendungen keine näheren Angaben zu entnehmen.

Druckschrift (7) ist mit der Übertragung von Nachrichtenzellen nach einem asynchronen Übertragungsverfahren (ATM) über virtuelle Verbindungen (Übertragungspfade) befaßt (Sp 2 Z 31-52, Fig 1). Als Nutzinformationen werden ua Sprachsignale übertragen (Sp 2 Z 56 bis Sp 3 Z 3). Die virtuellen Verbindungen weisen unterschiedliche Verkehrscharakteristiken auf: RT (Real Time) - oder NRT (Non Real Time) - Verbindungen (Sp 3 Z 31-53). Als Beispiel für RT-Verbindungen sind Sprachverbindungen genannt, zu den NRT-Verbindungen werden Datenübertragungen, zB auch Mail-Dienste, gerechnet (Sp 3 Z 38-40, Z 46-49).

Die übrigen Entgegenhaltungen liegen weiter ab und haben in der mündlichen Verhandlung keine Rolle gespielt. Sie bringen auch hinsichtlich der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit keine neuen Gesichtspunkte.

3. Neuheit Der - zweifelsfrei gewerblich anwendbare - Gegenstand des Patentanspruchs ist neu, denn keine der Entgegenhaltungen zeigt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ein Verfahren, bei dem eine Sprachanwendung mit der geringsten Zugriffspriorität in einem drahtlosen Netz betrieben wird.

4. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruchs ergibt sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik.

Es mag sein, daß der hier zuständige Fachmann, ein Diplom-Ingenieur mit Hochschul-Abschluß der Fachrichtung Nachrichtentechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung in der Entwicklung und im Betrieb von Verfahren zur Übermittlung von Informationen in Datenübertragungsnetzen, in Betracht zieht, das aus dem Lehrbuchauszug (8) als bekannt entnehmbare Verfahren für paketorientierte digitale Datenübertragungsnetze zu verbessern, um erweiterte Möglichkeiten zur Informationsübermittlung bereitzustellen. Insbesondere mag es sich dem Fachmann anbieten, das in dem aus (8) bekannten Netz vorgesehene "messaging" zum Austausch von Daten und Textnachrichten (S 232 3. Abs) auch für Sprachinformationen anzuwenden. Dies vor allem auch deshalb, weil die Übertragung von Sprachinformationen in dem mit dem drahtlosen Netz gekoppelten öffentlichen Telefonnetz a priori den überwiegenden Teil der Übertragungen ausmacht.

Unter diesen Umständen könnte es dem Fachmann nahegelegen haben, das nach (8) vorhandene Gateway zwischen dem drahtlosen Datenübertragungsnetz und dem öffentlichen Telefonnetz, das dort der Weiterleitung von - ausschließlich - Daten zwischen den Netzen dient, auch für eine Kompression und Umsetzung gesprochener Mitteilungen in Datenpakete vor einer Übertragung über das drahtlose Datenübertragungsnetz einzusetzen (vgl (8) S 227 1. Abs, S 233 1. Abs). Zum Dekomprimieren der infolgedessen an den Teilnehmerendgeräten eingehenden Sprachinformationen ordnet der Fachmann selbstverständlich den Teilnehmerendgeräten des drahtlosen Netzes Funktionseinheiten in Form von Modulen zu, die diese Dekomprimierung durchführen. Dementsprechend mag es sich dem Fachmann weiter anbieten, diese den Teilnehmerendgeräten zugeordneten Module auch zur Kompression und Umsetzung von in den Endgeräten eingegebenen Sprachinformationen zu nutzen. Ein solches Vorgehen ist dem Fachmann aus dem Stand der Technik geläufig und bspw durch die Druckschrift (1) belegt (vgl Fig 3, 305, 306, Sp 12 Z 22-36, Sp 23 Z 21-46).

Ein Umgang mit Sprachinformationen nach Art des in (8) beschriebenen "messaging" könnte den Fachmann auch weiter daran denken lassen, bei Nichterreichbarkeit des Adressaten die Sprachinformationen im drahtlosen Netz zu speichern und dem Adressaten die Möglichkeit einzuräumen, diese Sprachinformation über ein Teilnehmerendgerät abrufen zu können. Ein solches Vorgehen für sich gesehen wird dem Fachmann nicht nur durch (8), sondern außerdem durch den Stand der Technik nahegebracht, der mit "messaging" in Form von Mail-Diensten (zB voice mail) befaßt ist (vgl (1) Fig 22 und 50, Sp 39 Z 64 bis Sp 40 Z 16; (6) Sp 19 Z 26-28; (7) Z 46-49); allerdings kommt es - abweichend vom Anspruch - nicht auf eine Benachrichtigung des Adressaten an.

Dagegen konnte keine der den Stand der Technik belegenden Druckschriften dem Fachmann eine Anregung für die zusätzliche Maßnahme vermitteln, freie Zeiten zwischen Datenübertragungsanwendungen im drahtlosen Netz zur Sprachübertragung zu nutzen und die Sprachanwendung mit der geringsten Zugriffspriorität im drahtlosen Netz zu betreiben.

Die in (8), Seite 223 erster Absatz, angesprochenen (Sende-) Prioritäten sind auf Datenpakete bezogen, nicht aber auf Anwendungen als Ganzes und schon gar nicht in Relation zu Sprachanwendungen. Auch wenn der Fachmann die in Druckschrift (8) (vgl S 222 vorle und le Abs) beschriebenen Eigenschaften des öffentlichen Telefonnetzes mit den dort gegebenen Verbindungsmöglichkeiten bei Datenübertragungen (Leitung frei/Leitung belegt) in Betracht zieht, hilft ihm das hinsichtlich der in einem paketorientierten digitalen Datenübertragungsnetz festzulegenden Zugriffspriorität für eine Sprachanwendung nicht weiter, weil in einem System mit Leitungsvermittlung eine besetzte Leitung keinem anderen Teilnehmer - und damit keiner weiteren Anwendung - zur Verfügung steht und sich deshalb die Frage nach einer zeitlichen Verteilung von Sprachanwendungen und Datenübertragungsanwendungen überhaupt nicht stellt.

Die aus den Druckschriften (1), (6) und (7) als bekannt entnehmbaren Verfahren zur Übermittlung von Informationen weisen der Sprachübertragung eine im Vergleich zu sonstigen Datenübertragungen jeweils höhere Priorität zu, rechnen Sprachübertragung insbesondere zur Kategorie der EchtzeitÜbertragungen (vgl (1) Sp 12 Z 37-55, Sp 24 Z 1-8, Sp 35 Z 56-60; (6) Sp 3 Z 34-41, Sp 4 Z 4-7; (7) Sp 3 Z 38-40). Außerdem werden auch in diesen Druckschriften Prioritäten bzw Kategorisierungen nicht auf Anwendungen als Ganzes bezogen, sondern entweder auf die von den Anwendungen über das jeweilige Netz übertragenen Datenpakete - und deren zeitliche Einordnung in den Strom der insgesamt übertragenen Datenpakete -, oder auf eine Zuordnung von Netz-Ressourcen zu einer Verbindung, oder auf eine für eine Verbindung garantierte Bitrate (vgl die zuletzt genannten Zitatstellen zu (1), (6) und (7)).

Die aus den Druckschriften (8), (1), (6) und (7) als bekannt entnehmbaren Verfahren können somit weder für sich genommen noch in ihrer Zusammenschau dem Fachmann einen Hinweis geben auf die mit dem Verfahren nach dem Patentanspruch in Verbindung mit den übrigen Merkmalen beanspruchte Maßnahme, nämlich daß freie Zeiten zwischen Datenübertragungsanwendungen im drahtlosen Netz zur Sprachübertragung genutzt werden und die Sprachanwendung mit der geringsten Zugriffspriorität im drahtlosen Netz betrieben wird. Die Besonderheit dieser Prioritätenregelung zeigt sich auch beim Abrufen der gespeicherten Sprachinformation, wofür anspruchsgemäß eine Benachrichtigung vorausgeht. Selbst unter Berücksichtigung weiterer, druckschriftlich nicht ausdrücklich belegter, aber dem Fachwissen zuzurechnender Kenntnisse, wie zB von in Telefonnetzen - bei Sprachübertragung - allgemein vorliegenden Verbindungsgegebenheiten, ist keine Veranlassung für die genannte Maßnahme in der beanspruchten Merkmalsausprägung ersichtlich.

5. Die Anmeldung genügt den Anforderungen des § 34 PatG.

Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Martens Pr






BPatG:
Beschluss v. 24.03.2003
Az: 20 W (pat) 28/01


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