Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. September 2005
Aktenzeichen: 25 W (pat) 214/03

(BPatG: Beschluss v. 15.09.2005, Az.: 25 W (pat) 214/03)

Tenor

1. Die Beschwerde der Widersprechenden wird zurückgewiesen.

2. Kosten werden nicht auferlegt.

Gründe

I.

Die am 5. April 2000 angemeldete farbige Marke Grafik der Marke 30026558.1 ist am 26. Juli 2000 für die Dienstleistungen

"Sozialberatung im Bereich Kinder, Jugend und Familie"

unter der Nummer 300 26 558 in das Markenregister eingetragen worden.

Die Inhaberin der am 16. September 1993 für die Waren und Dienstleistungen

"Hilfsprogramme für notleidende und hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche, vornehmlich in Asien, Afrika und Lateinamerika, nämlich materielle Versorgung durch Ernährung, Kleidung, medizinische Hilfe für Kinder und Jugendliche, Unterbringung in Schülerwohnheimen und Spezialeinrichtungen; Berufsausbildung und christliche Erziehung von Kindern und Jugendlichen, vornehmlich in Kindertagesstätten, Heimen, childrennewlifecenters, Schülerwohnheimen, Rehabilitationszentren für behinderte Mädchen und Jungen, Behinderteneinrichtungen und Berufsausbildungsstätten oder in Gastfamilien ohne Unterschied von Geschlecht, Rasse und Religion durch schulische Grundbildung, Ernährung, Kleidung und medizinische und Rehablitationsmaßnahmen; qualitative Verbesserung, Erweiterung und Neubau von Kindertagesstätten, Heimen und ähnlichen Einrichtungen; Ausbildung von Betreuungskräften für hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche, Ausbildungsmaßnahmen zur Qualifizierung der Arbeit, Berufsberatung, Berufsausbildung, Berufsvermittlung, Starthilfe für die berufliche Existenz von hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen wie Alphabetisierung, Initiativen zur Verbesserung der Wohn- und Verdienstmöglichkeiten, Betreuung von Frauengruppen, Bürger- und kirchliche Basisarbeit; Vermittlung von Patenschaften für hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche; Koordination der Arbeit von Kirchen, Missionsgesellschaften, einheimischen christlichen Gemeinden und Gemeinschaften und Sachverständigengremien im In- und Ausland auf ökumenischer Basis; Lehr- und Unterrichtsmittel in Form von Druckereierzeugnissen"

eingetragenen farbigen Marke 2 077 857 Grafik der Marke 2077857 hat dagegen Widerspruch erhoben.

Die Markenstelle für Klasse 42 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit zwei Beschlüssen vom 22. März 2002 und 8. September 2003, wovon letzterer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, den Widerspruch zurückgewiesen.

Nach der Auffassung des Erstprüfers ist die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke gering und sind die Marken klanglich und begrifflich hinreichend verschieden. Die Erinnerungsprüferin meint, der Wortbestandteil "KINDER NOT HILFE" sei eine beschreibende Angabe und die Widerspruchsmarke nur aufgrund der konkreten Ausgestaltung noch schutzfähig. Aber selbst wenn man unterstelle, dass die angegriffene Marke durch den Bestandteil "KINDER IN NOT" und die Widerspruchsmarke durch "KINDER NOT HILFE" geprägt werde, lägen ausreichende Unterschiede vor. Es handele sich jeweils um sinnvolle Gesamtaussagen, bei denen der Verkehr keinen Anlass habe, diese auf weitere Einzelbestandteile zu verkürzen. "KINDER IN NOT" weise auf Kinder in einer schlimmen Lage hin, "KINDER NOT HILFE" werde als Hilfsprogramm und -angebot für Kinder in einer Notlage verstanden. Der Verkehr sei nicht geneigt, die Bezeichnungen sinnverändernd willkürlich zu verkürzen.

Hiergegen hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt und beantragt sinngemäß, die Beschlüsse der Markenstelle aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen.

Zwischen den Marken sei eine schriftbildliche, klangliche sowie begriffliche Ähnlichkeit und damit Verwechslungsgefahr gegeben. Es sei maßgeblich auf die Übereinstimmungen und nicht auf die Unterschiede abzustellen, denn die übereinstimmenden Merkmale träten in dem Erinnerungsbild regelmäßig stärker hervor. Die beiden Marken seien in ihren prägenden Bestandteilen klanglich, schriftbildlich und begrifflich identisch. Vorliegend würden beide Marken durch die Bestandteile "KINDER" und "NOT", auf denen auch die Betonung liege und die einen deutlich höheren Erinnerungswert als die übrigen Bestandteile hätten, geprägt. Die untypische Wortverbindung "KINDER NOT HILFE" stelle keine beschreibende Angabe dar. Das Wort "HILFE" finde sich zudem auch in der angegriffenen Marke in dem Bestandteil "HILFSORGANISATION". Die Widerspruchsmarke habe eine überdurchschnittliche Kennzeichnungskraft. Diese ergebe sich aus der Verkehrsbekanntheit aufgrund ihrer Benutzung als Vereinsname und Firmenschlagwort. "KINDER NOT HILFE" werde seit 1993 in großem Umfang und intensiv als Marke benutzt. Es bestehe auch eine enge Dienstleistungsähnlichkeit. Aufgrund der besonderen Sensibilität der Öffentlichkeit im Bereich der Geldspenden müsse unbedingt sicher gestellt sein, dass Spenden, die der "KINDER NOT HILFE" zugedacht seien, diese auch erreichten. Es gebe bereits jetzt häufige Verwechslungen. Dieser sensible Bereich erfordere einen über den Durchschnitt liegenden erheblichen Abstand der beiden Vergleichsmarken.

Der Inhaber der angegriffenen Marke beantragt, die Beschwerde der Inhaberin der Widerspruchsmarke DE 2 077 857 "KINDER NOT HILFE" kostenpflichtig zurückzuweisen.

Es sei auf den Gesamteindruck abzustellen. Die Wortbestandteile der Marken seien rein beschreibend. Allein die markanten und einprägsamen Bildbestandteile prägten den Gesamteindruck der sich gegenüber stehenden Zeichen. Die Bildbestandteile ähnelten sich nicht im entferntesten. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei gering. Das Vorliegen eines überragenden Bekanntheitsgrads werde bestritten. Die Beschwerde sei damit kostenpflichtig zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde der Widersprechenden hat in der Sache keinen Erfolg, da keine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs 1 Nr 2 MarkenG besteht.

Die Zeichen können sich teilweise bei identischen Dienstleistungen begegnen, da die Dienstleistungen der Widerspruchsmarke eine Sozialberatung im Bereich Kinder, Jugend und Familie, für welche die angegriffene Marke eingetragen ist, mit umfassen kann. So ist die Widerspruchsmarke zB für die Dienstleistungen "Berufsberatung, Berufsausbildung, Berufsvermittlung, Starthilfe für die berufliche Existenz von hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen wie Alphabetisierung, Initiativen zur Verbesserung der Wohn- und Verdienstmöglichkeiten, Betreuung von Frauengruppen, Bürger- und kirchliche Basisarbeit" geschützt, welche auch eine Beratung im sozialen Bereich umfassen kann. Zumindest besteht aber eine erhebliche Ähnlichkeit der sich gegenüber stehenden Dienstleistungen.

Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist in der Gesamtheit von Hause aus allenfalls durchschnittlich. Die Kennzeichnungskraft ergibt sich dabei nur aus dem Bildbestandteil, da der Wortbestandteil nach § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG nicht schutzfähig ist. Insbesondere sind solche Zeichen nicht unterscheidungskräftig, bei denen es sich für den Verkehr in bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen ohne weiteres erkennbar um eine unmittelbar beschreibende Angabe handelt, wobei das Eintragungshindernis des § 8 Abs 2 Nr 1 MarkenG nicht auf beschreibenden Angaben im Sinne von § 8 Abs 2 Nr 2 MarkenG beschränkt ist. Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen die Wortbestandteile der Widerspruchsmarke in Verbindung mit den genannten Dienstleistungen im Sinne einer Hilfe für Kinder, die in einer Notlage sind. Die angemeldeten Waren und Dienstleistungen können alle eine solche Hilfe darstellen oder zum Inhalt und Gegenstand haben (vgl auch BGH GRUR 2000, 882 - Bücher für eine bessere Welt; BGH MarkenR 2003, 148, 149 - Winnetou). Die aus beschreibenden Wortbestandteilen gebildete Zusammenstellung "KINDER NOT HILFE" ist auch keine untypische Kombination, welche eine Unterscheidungskraft begründen könnte, zumal die Kombination in ihrer Gesamtheit eine Bedeutung aufweist. Der Senat hat bereits in einem anderen Verfahren entschieden, dass die Bezeichnung "KINDERNOTHILFE" keine ursprüngliche Unterscheidungskraft aufweist (PAVIS PROMA, Kliems, 25 W (pat) 44/04).

Die von der Widersprechenden geltend gemachte Verkehrsbekanntheit ihrer Marke ist vorliegend nicht entscheidungserheblich. Selbst eine umfangreiche markenmäßige Benutzung der Widerspruchsmarke könnte allenfalls belegen, dass die Kennzeichnungskraft dieser Marke in ihrer Gesamtheit gestärkt ist, jedoch könnte daraus noch nicht der Schluss gezogen werden, auch der isolierte Wortbestandteil der Widerspruchsmarke habe Kennzeichnungskraft erlangt.

Wegen der Identität bzw erheblichen Ähnlichkeit der sich gegenüber stehenden Dienstleistungen ist bei noch durchschnittlicher Kennzeichnungskraft der Widderspruchsmarke in ihrer Gesamtheit ein erheblicher Zeichenabstand erforderlich, um eine Verwechslungsgefahr auszuschließen. Entgegen der Ansicht der Widersprechenden spielt es dagegen keine entscheidungserhebliche Rolle, dass beide Beteiligte Empfänger von Spenden sind. Hier ist lediglich von Bedeutung, ob die Kennzeichnungen der Dienstleistungen zu einer Verwechslungsgefahr führen. Sollte der Verkehr tatsächlich in Bezug auf diese Dienstleistungen eine besondere Sensibilität walten lassen, so spräche dies sogar noch zusätzlich gegen eine Verwechslungsgefahr, da dann mit einer erhöhten Aufmerksamkeit der beteiligten Verkehrskreise gerechnet werden müsste, und die Zeichen um so weniger verwechselt würden.

Von der Widerspruchsmarke in ihrer Gesamtheit, welche für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr maßgeblich ist, unterscheidet sich die angegriffene Marke bereits wegen der deutlich unterschiedlichen graphischen Gestaltung, so dass keine Verwechslungsgefahr besteht.

Ein Herausgreifen der Wortbestandteile der Widerspruchsmarke, um diese der angegriffenen Marke isoliert gegenüber zu stellen, ist nicht zulässig, da diese Wortbestandteile, wie bereits ausgeführt, nicht schutzfähig sind. Es ist nämlich von dem Grundsatz auszugehen, dass schutzunfähige Zeichen und Angaben für sich gesehen nicht Grundlage einer markenrechtlich relevanten Verwechslungsgefahr sein können /Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl, § 9 Rdn 323). Wenngleich die Widerspruchsmarke kaum anders als mit ihren Wortbestandteilen benannt werden dürfte, folgt daraus kein selbständiger markenrechtlicher Schutz für diese. Ein Widersprechender kann sich im Widerspruchsverfahren grundsätzlich auch nicht darauf berufen, ein von Haus aus schutzunfähiger Bestandteil der Widerspruchsmarke habe sich zwischenzeitlich für ihn im Verkehr durchgesetzt. Eine Berücksichtigung eines solchen Vorbringens ist vielmehr nur in solchen Fällen möglich, in denen die behauptete Verkehrsdurchsetzung in einem den fraglichen Bestandteil betreffenden Eintragungsverfahren förmlich festgestellt worden ist (vgl Ströbele/Hacker, MarkenG 7. Aufl, § 9 Rdn 341 aE). Hinzu kommt, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die im Widerspruchsverfahren zu prüfende Schutzfähigkeit von Bestandteilen der älteren Marke grundsätzlich der Anmeldetag der jüngeren Marke ist. Die Schutzfähigkeit muss in diesem Zeitpunkt gegeben sein und bis zur Entscheidung über den Widerspruch fortbestehen (vgl Ströbele/Hacker, MarkenG 7. Aufl, § 9 Rdn 343).

Doch selbst wenn man der Wortkombination "KINDER IN NOT" der angegriffenen Marke isoliert die Wortbestandteile "KINDER NOT HILFE" der Widerspruchsmarke gegenüber stellen würde, bestünde keine Verwechslungsgefahr. Zwar enthalten beide Marken jeweils die Wörter "KINDER" und "NOT", jedoch sind sowohl im Gesamtklangbild als auch im Schriftbild die Unterschiede nicht zu überhören und nicht zu übersehen. Auch begrifflich besteht zwischen "KINDER IN NOT" und "KINDER NOT HILFE" - wie die Markenstelle bereits ausgeführt hat - ein deutlicher Unterschied. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich der Schutzgegenstand und Schutzbereich der Widerspruchsmarke - ebenso wie der jüngeren Marke - nicht auf den mit den Sachangaben "KINDER" und "NOT" schlagwortartig umrissenen Tätigkeits- und Themenbereich nach dem Waren- und Dienstleistungsverzeichnis erstreckt. In kennzeichenrechtlicher Hinsicht ist es deshalb unerheblich, dass der Verkehr in beiden Marken die Wörter "KINDER" und "NOT" wahrnimmt und allein wegen dieser Schlagwörter zu einer Spendentätigkeit animiert werden könnte. Denn dies bedeutet noch nicht, dass allein die Wörter "KINDER" und "NOT" als den Gesamteindruck prägende Bestandteile anzusehen wären und die Marken verwechselt würden. Vielmehr sieht der Verkehr darin eine beschreibende Angabe. Er nimmt nicht einmal an, dass es nur eine Organisation gibt, die sich um Kinder in Notlagen kümmert. Selbst wenn die konkrete Wortfolge "KINDER NOT HILFE" der Widerspruchsmarke für die Widersprechende Unterscheidungskraft erlangt haben sollte, so bedeutet dies noch nicht, dass der Verkehr alle Zeichen, welche die Wörter "KINDER" und "NOT" aufweisen, allein deshalb der Widersprechenden zurechnen würde. Soweit die Widersprechende vorträgt, die Inhaberin der angegriffenen Marke bzw eine namensgleiche Inhaberin in Hamburg hätten Spenden erhalten, die eigentlich der Widersprechenden zugedacht gewesen wären, zeigt dies eher die Kennzeichnungsschwäche ihrer eigenen Bezeichnung als dass daraus eine rechtserhebliche Verwechslungsgefahr zu entnehmen wäre. Sogar wenn der Wortbestandteil für die Widersprechende durchgesetzt sein sollte und dies vorliegend zu berücksichtigen wäre, könnte die Widersprechende daraus nicht gegen andere vorgehen, die einen entsprechenden beschreibenden Hinweis in anderer Art und Weise geben. Aus diesem Grund besteht auch keine Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des gedanklichen in Verbindung Bringens, denn sogar bei gleichem beschreibenden Inhalt der jeweiligen Wortfolgen, könnte die Widersprechende allein wegen der gleichen beschreibenden Bedeutung keine Verbietungsrechte gegenüber der Angabe "KINDER IN NOT" herleiten.

Die Beschwerde der Widersprechenden hat daher keinen Erfolg.

Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bot der Streitfall noch keinen Anlass, § 71 Abs 1 MarkenG. Zwar ist anerkannt, dass aus beschreibenden Bestandteilen keine isolierten Verbietungsrechte hergeleitet werden können. Jedoch ist hier zu berücksichtigen, dass die Widersprechende nicht von einer offensichtlichen Schutzunfähigkeit ihrer Wortbestandteile ausging, zumal sie annahm, dass diese Angabe für sie verkehrsdurchgesetzt ist, und ihr daher nicht vorgeworfen werden kann, dass sie ihre prozessuale Sorgfaltspflicht verletzt hat.

Kliems Richterin Sredlhat Urlaub und kann daher nicht unterschreiben.

Kliems Bayer Na






BPatG:
Beschluss v. 15.09.2005
Az: 25 W (pat) 214/03


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ec54cdc7b955/BPatG_Beschluss_vom_15-September-2005_Az_25-W-pat-214-03




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share