Verwaltungsgericht Köln:
Beschluss vom 25. März 2003
Aktenzeichen: 1 L 353/03
(VG Köln: Beschluss v. 25.03.2003, Az.: 1 L 353/03)
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (1 K 114/03) gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde vom 9. Dezember 2002 (C. 0f 00-000) wird hinsichtlich Ziffer 1. bis 3. sowie der Auflage zu Ziffer 2. angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 250.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag gemäß § 80 Abs. 5 und Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), § 80 Abs. 2 des Telekommunikationsgesetzes (TKG),
die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin (1 K 114/03) gegen den Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post vom 9. Dezember 2002 (C. 0f 00-000) anzuordnen, soweit sich diese gegen die Regelungen in Ziffer 1. bis 3. sowie die Auflage zu Ziffer 2. des Tenors des angegriffenen Bescheides richtet,
hat Erfolg.
1. Er ist zunächst zulässig. Entgegen der in diesem und in anderen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes von der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Regulierungsbehörde - RegTP) vertretenen Auffassung steht der Zulässigkeit nicht eine "Verwirkung" oder ein "Rechtsmissbrauch" entgegen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO von einigen Ausnahmefällen abgesehen nicht fristgebunden ist; dem Betroffenen bleibt es vielmehr unbenommen, bis zur Bestandskraft des kraft Gesetzes oder aufgrund besonderer behördlicher Anordnung sofort vollziehbaren Verwaltungsaktes um vorläufigen Rechtsschutz, gegebenenfalls auch noch in dritter Instanz, nachzusuchen. Angesichts der Bedeutung der angefochtenen Regelung für die Antragstellerin und der Erfahrung, dass bei gewichtigen Regulierungsentscheidungen regelmäßig Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vor dem beschließenden Gericht geführt werden, fehlt es neben dem für eine Verwirkung erforderlichen Zeitmoment - das ohnehin bei neun Wochen keinesfalls erfüllt ist - auch an dem Vertrauensmoment, d. h. an der durch objektive Umstände bestätigten Erwartung, die Antragstellerin werde keinen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO stellen. Dass bei der Inanspruchnahme eines gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfs vor diesem Hintergrund nicht von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgehen der Antragstellerin die Rede sein kann, bedarf keiner weiteren Begründung.
Ebensowenig zielführend ist allerdings auch der Vortrag der Antragstellerin, mit der sie - wohl - die Wirksamkeit des angefochtenen Bescheides in Frage stellen will. Dass die RegTP den Bescheid vom 9. Dezember 2002 als endgültige Regelung verstanden und in dieser Weise auch wirksam bekannt gegeben hat, steht nach den Gesamtumständen außer Frage. Dies hat die Antragstellerin auch so verstanden, wie sich aus der - rechtzeitigen - Klageerhebung gegen den Bescheid ergibt. Die sich im Zusammenhang mit der Übersendung der noch als "Entwurf" überschriebenen Entscheidung ergebenden Rechtsfragen wären nur unter Fristwahrungsgesichtspunkten von Relevanz, können demnach außer Betracht bleiben.
2. Der Antrag hat in der Sache Erfolg. Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzu- nehmende Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Aufrechterhaltung der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit der - hier nach Abtrennung des Verfahrens gegen Ziffer 4 des Bescheides - noch im Streit befindlichen Maßnahmen (§ 80 Abs. 2 TKG) und dem Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung fällt zu Gunsten der Antragstellerin aus, weil der angegriffene Teil des Bescheides der RegTP vom 9. Dezember 2002 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Hauptsacheverfahren keinen Bestand haben wird.
Die getroffenen Feststellungen und angeordneten Maßnahmen sind auf § 30 Abs. 4, § 25 Abs. 2 i. V. m. § 24 Abs. 2 Nr. 2 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) bzw. § 30 Abs. 5, § 29 TKG gestützt: Stellt die RegTP fest, dass der nachträglichen Regulierung nach § 25 Abs. 2 TKG unterliegende Entgelte nicht dem Maßstab des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG entsprechen, d. h. die Wettbewerbsmöglichkeiten anderer Unternehmen auf einem Markt der Telekommunikation beeinträchtigende Abschläge enthalten ("Dumping"), so fordert sie gemäß § 30 Abs. 2 TKG das betroffene Unternehmen auf, die Entgelte unverzüglich entsprechend den Maßstäben anzupassen. Erfolgt die durch die RegTP vorgegebene Anpassung nicht, hat sie das beanstandete Verhalten zu untersagen und die Entgelte für unwirksam zu erklären, § 30 Abs. 5 TKG, wobei § 29 Abs. 1 und 2 TKG entsprechend gelten.
Ob durchgreifende rechtliche Bedenken gegen den Bescheid bereits deswegen bestehen, weil seitens der RegTP die Regelung als "vorsorglich" (so Bl. 14 des angefochtenen Bescheides und Bl. 4 der Einleitungsverfügung vom 7. Oktober 2002 - C. 0f 00/000 -) bzw. die Einleitung des Verfahrens als "vorbehaltlich" (so Bl. 4 der Einleitungsverfügung) bezeichnet werden, kann offen bleiben, weil der Bescheid wahrscheinlich aus anderen Erwägungen der Aufhebung im Hauptsacheverfahren unterliegt.
Nach § 30 Abs. 2 i. V. m. § 25 Abs. 2 TKG kommt es darauf an, ob die umstrittenen Entgelte zum einen für andere als die in § 25 Abs. 1 TKG genannten Telekommunikationsdienstleistungen verlangt werden und zum anderen diese von einem Unternehmen erbracht werden, das auf dem jeweiligen Markt über eine marktbeherrschende Stellung nach § 19 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verfügt.
Da das in Rede stehende Angebot "TDN L. " nach dem von der RegTP unter Berufung auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein- Westfalen (OVG NRW)
Beschluss vom 13. März 2002 - 13 B 32/02 -, Beschlussabdruck (BA) S. 14 -
"vorsorglich" gewählten Ansatz eine Telekommunikationsdienstleistung für eine geschlossene Benutzergruppe darstellen soll, ist davon auszugehen, dass es sich dabei nicht um Sprachtelefondienst handelt und somit die Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 TKG nicht vorliegen. Es ist aber für den maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Bescheides, mit dem der Antragstellerin neben einer belastenden Feststellung auch ein Handlungsgebot bis zum 30. März 2003 auferlegt wird,
vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. April 2001 - 6 C 6.00 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 114, 160 (166 ff.), zur parallelen Situation bei einer Missbrauchsverfügung nach § 33 TKG,
nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt, dass die Antragstellerin "auf dem jeweiligen Markt" über eine marktbeherrschende Stellung verfügt.
Dieser Bewertung steht zunächst nicht der die Marktbeherrschung der Antragstellerin ursprünglich regelnd feststellende Bescheid über die Einleitung des Verfahrens nach § 30 Abs. 1 TKG (Einleitungsverfügung vom 7. Oktober 2002 - C. 0f 00/000 -) entgegen, der Gegenstand des Klageverfahrens 1 K 9351/02 beim beschließenden Gericht ist. Denn dieser Bescheid ist zwischenzeitlich von der RegTP aufgehoben worden, weswegen er schon deswegen keine Tatbestandswirkung entfalten kann.
Zu Unrecht hat die RegTP aber auch in dem angefochtenen Bescheid vom 9. Dezember 2002 die marktbeherrschende Stellung der Antragstellerin nach § 19 GWB auf dem einschlägigen Markt, der sich nach Auffassung der RegTP aus den Angeboten für Sprachkommunikation und Sprachtelefondienst zusammensetzen soll, bejaht.
Nach § 19 Abs. 2 Satz 1 GWB ist ein Unternehmen marktbeherrschend, soweit es als Anbieter oder Nachfrager einer bestimmten Art von Waren oder gewerblichen Leistungen ohne Wettbewerber ist oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt ist oder eine im Verhältnis zu seinen Wettbewerbern überragende Marktstellung hat. Die Feststellung der Marktbeherrschung bedarf der vorherigen Abgrenzung des relevanten Marktes in sachlicher, räumlicher und zeitlicher Beziehung. Räumlich relevant ist das Gebiet, in dem die in Rede stehenden Produkte nachgefragt werden, in dem die Wettbewerbsbedingungen hinreichend homogen sind und das sich von anderen Gebieten durch spürbar unterschiedliche Wettbewerbsbedingungen unterscheidet.
Vgl. nur BVerwG, a.a.O., BVerwGE 114, 160 (170 f.) m. w. Nachw. im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundesge- richtshofs.
Wenn auch vieles dafür spricht, dass als räumlich relevanter Markt das Gebiet der gesamten Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist, so ist die Abgrenzung des sachlich relevanten Marktes doch unzutreffend erfolgt.
Zur Bestimmung des sachlich relevanten Marktes kommt es nach dem von der ständigen Rechtsprechung zum Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen zugrunde gelegten Bedarfsmarktkonzept wesentlich auf die funktionelle Austauschbarkeit der Produkte und Dienstleistungen aus Sicht der Nachfrager an. Der sachlich relevante Markt wird somit bestimmt durch sämtliche Produkte oder Dienstleistungen, die aus der maßgeblichen tatsächlichen Sicht des verständigen Abnehmers hinsichtlich ihrer Eigenschaften, Preislage und ihres vorgesehenen Verwendungszwecks als austauschbar angesehen werden,
vgl. nur Bundesgerichtshof, Beschluss vom 24. Oktober 1995 - KVR 17/94 -, Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen (BGHZ) 131, 107 (110) - Backofenmarkt; BVerwG, a.a.O., BVerwGE 114, 160 (170 f.) m. w. Nachw. im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH.
Wie etwa die kartellrechtliche Anerkennung unterschiedlicher Märkte für Geschäfts- und Privatkunden zeigt,
vgl.: Immenga, MMR 2000, 196 (196, 200),
ist für die Frage der funktionellen Austauschbarkeit auch eine Ausdifferenzierung nach Kundengruppen von Bedeutung.
Davon ausgehend besteht hier - unabhängig von der Frage der inhaltlichen Unterschiedlichkeit oder Vergleichbarkeit der Leistungen - bereits deshalb keine funktionelle Austauschbarkeit der in Rede stehenden Sprachkommunikationsleistungen, weil sie nur von sich wesentlich voneinander unterscheidenden Abnehmergruppen bezogen werden können. Die Öffentlichkeit kann Sprachtelefondienstleistungen nicht gegen Leistungen aus dem Angebot "TDN L. " austauschen, weil Letztere von vornherein nur geschlossenen Benutzergruppen zugänglich sind. Andererseits bieten die für jedermann zugänglichen Sprachtelefondienstleistungen den geschlossenen Benutzergruppen keine vernünftige Alternative zum Angebot "TDN L. ", weil sie finanziell weitaus weniger attraktiv sind. Dass es sich dabei nicht nur um eine spitzfindige Unter- scheidung, sondern um eine sachlich begründete Marktabgrenzung handelt, zeigt sich auch daran, dass das TKG in § 3 Nr. 19 die Telekommunikationsdienstlei- stungen für beliebige Personen (Öffentlichkeit) ausdrücklich von denjenigen unterscheidet, die lediglich für die Teilnehmer geschlossener Benutzergruppen vorgesehen sind.
Unter diesen Umständen kann dahingestellt bleiben, ob auch deshalb unterschiedliche Märkte vorliegen, weil sich das Angebot "TDN L. " ausschließlich an Geschäftskunden richtet, während der von der RegTP damit als gemeinsam "verklammerte" Markt für Sprachtelefondienst auch Endkunden umfasst.
Ist es somit nicht zulässig, das Angebot für geschlossene Benutzergruppen ("TDN L. ") und das Angebot von Sprachkommunikation für die Öffentlichkeit (Sprachtelefondienst) einem gemeinsamen Markt zuzuordnen, so kann eine marktbeherrschende Stellung der Antragstellerin bei Angeboten für geschlossene Benutzergruppen nicht - wie aber im angegriffenen Bescheid (Blatt 19/20) geschehen - mit den Wettbewerbsverhältnissen - allein - auf dem Sprachtelefondienst-Markt begründet werden. Vielmehr hätte es insoweit eigenständiger Feststellungen, etwa in der Form einer Marktdatenerhebung, bedurft. Dieser Mangel wirkt sich zu Lasten der Antragsgegnerin aus, da dem Gericht keine gerichtsverwertbaren Erkenntnisse über die Wettbewerbsverhältnisse auf dem bundesdeutschen Sprachkommunikationsmarkt für geschlossene Benutzergruppen vorliegen.
Ob hier zudem "Dumping" im Sinne des § 24 Abs. 2 Nr. 2 TKG vorliegt und ob die RegTP mit der "IC+25 %-Regel" den zutreffenden Ansatz zur Feststellung eines sachlich nicht gerechtfertigten Abschlags gewählt hat, bedarf damit keiner Entschei- dung.
Die auf der Feststellung der marktbeherrschenden Stellung aufbauenden weiteren Regelungen des Bescheides hängen mit der Feststellung der Voraussetzung einer marktbeherrschenden Stellung der Antragstellerin so eng zusammen, dass sie deren rechtliches Schicksal teilen und wahrscheinlich gleichfalls der Aufhebung unterliegen
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streit- werts folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1, § 20 Abs. 3 GKG.
VG Köln:
Beschluss v. 25.03.2003
Az: 1 L 353/03
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