Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 24. August 2010
Aktenzeichen: I-20 U 54/10
(OLG Düsseldorf: Urteil v. 24.08.2010, Az.: I-20 U 54/10)
Tenor
Auf die Berufung der Antragstellerin wird das am 18. März 2010 ver-kündete Urteil der 14c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf abgeändert.
Die Antragsgegnerin wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ord-nungshaft bis zu sechs Monaten zu unterlassen,
Kinderwagen, die die nachstehenden Gestaltungsmerkmale aufweisen, im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft anzubieten und/oder anbieten zu lassen, in Verkehr zu bringen und/oder in Verkehr bringen zu lassen oder zu den vorstehend genannten Zwecken zu besitzen:
(1) annähernd elliptisch geformter Rahmen aus Aluminiumstan-gen, dessen Ellipsenform nur im oberen Bereich durch eine horizontal verlaufende Stange begrenzt wird;
(2) Applikationen aus schwarzem Kunststoff an den Gelenkstellen und am unteren Ende des Rahmens;
(3) horizontal verlaufende Verbindung der äußeren Streben des Rahmens im Griffbereich;
(4) Sitzfläche aus gespanntem Stoff, die den Rahmen ausfüllt und in den Rahmen eingespannt ist;
(5) hängemattenartige Form der Sitzfläche, die einstufig in den Stoff eingelassen ist;
(6) zwei Räder im hinteren Bereich, die durch Aluminiumstangen pfeilartig mit zwei im Abstand voneinander angeordneten Rä-dern an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind;
wenn diese wie nachfolgend abgebildet gestaltet sind, wobei es auf die konkrete Farbgebung nicht ankommt:
- Eine Wiedergabe ist technisch nicht möglich. -
Die Kosten des Verfahrens werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist ein Hersteller von Produkten, die der Mobilität von Babys und Kleinkindern dienen. Ihr bekanntestes Produkt ist der "M.", ein Auto-Schalensitz für Babys. Daneben stellt sie unter der Marke "Q." Kinderwagen her und vertreibt diese weltweit. Sie ist Inhaberin des am 3. Juli 2003 angemeldeten und eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nummer 0…, welches nachfolgend wiedergegeben wird:
- Eine Wiedergabe ist technisch nicht möglich -
Diesem Geschmacksmuster ist das seit 2003 unter der Marke "Q." vertriebene Kinderwagenmodell "Z." nachgebildet, das sich jedoch von dem eingetragenen Geschmacksmuster in einigen Details, insbesondere im Bereich der Fußstütze, unterscheidet. Eine Abbildung des im vorangegangenen Verfahren I - 20 U 46/09 zur Akte gereichten Originalkinderwagens wird nachfolgend wiedergegeben:
- Eine Wiedergabe ist technisch nicht möglich -
Die Antragsgegnerin ist ein Deutschland ansässiges Unternehmen, das ebenfalls Kinderwagen europaweit vertreibt. Die von ihr vertriebenen nachstehend wiedergegeben Kinderwagenmodelle "F. " und "K." waren Gegenstand des vorangegangen Verfahrens I - 20 U 46/09:
- Eine Wiedergabe ist technisch nicht möglich -
Der Senat hat in diesen Kinderwagenmodellen eine Nachahmung des Geschmacksmusters der Antragstellerin gesehen und der Antragsgegnerin den Vertrieb durch Urteil vom 30. Dezember 2009 untersagt. Derzeit ist eine Nichtzulassungsbeschwerde der Antragsgegnerin und dortigen Beklagten beim Bundesgerichtshof anhängig. Die Antragsgegnerin hat daraufhin die Modellgestaltung verändert. Sie vertreibt nunmehr die im Tenor wiedergegebenen Modelle "F." und "K.".
Wie schon bei den Vorgängermodellen gehören zum Lieferumfang neben dem eigentlichen Kinderwagen auch einen ausklappbares Verdeck, ein Frontbügel und ein Korb unter Sitzfläche. Diese können sie vom Benutzer nach Belieben entfernt und auch wieder angebaut werden.
Die Antragstellerin, die von der Präsentation der Modelle im Internet am 21. Januar 2010 Kenntnis erlangt hat, ist der Ansicht, auch diese Modelle verletzten das Klagegeschmacksmuster. Zudem stellten sie eine unlautere Nachahmung ihres Kinderwagenmodells "Z." im Sinne des ergänzenden wettbewerblichen Leistungsschutzes nach § 3, § 4 Nr. 9 a) und b) UWG dar, insoweit bestehe auch die Gefahr einer Verwechslung und damit einer Irreführung nach § 5 Abs. 2 UWG.
Die Antragsgegnerin ist dem bereits in erster Instanz entgegengetreten. Sie meint, mit den vorgenommenen Veränderungen habe sie der Auffassung des Senats zu den das Geschmacksmuster prägenden Merkmalen Rechnung getragen. So sei die elliptische Rahmenform aufgegeben worden, die Holme seien nun vollständig gerade ausgebildet. Die Einzelgriffe seien ersatzlos weggefallen, die horizontal verlaufende Verbindung aus metallisch hellem Material sei nicht mehr vorhanden. Wegen der nunmehr eckigen Ausgestaltung des Rahmens nehme das (unverändert) rund ausgebildete Fahrwerk die Rahmenform nicht mehr auf.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil, Bl. 92 ff. d. GA., Bezug genommen.
Das Landgericht hat den Verfügungsantrag zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Modelle der Antragsgegnerin stellten sich nicht als verbotene Nachbildung dar. Zwar weise das Geschmacksmuster einen erheblichen Abstand vom vorbekannten Formenschatz auf. Die angegriffenen Modelle verwirklichten jedoch nur die Merkmale 2, schwarze Kunststoffapplikationen an den Gelenkstellen und am unteren Ende des Rahmens, und 7, zwei Räder im hinteren Bereich, die durch metallischhelle Stangen pfeilartig mit zwei im Abstand voneinander angeordneten Rädern an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind. Merkmal 2 als einem gängigen Gestaltungsmerkmal komme nur sehr geringe Bedeutung zu. Der besonders prägende, elliptische Aluminiumrahmen sei nicht identisch übernommen, auch wenn im Wesentlichen dieselbe Kontur ausgebildet werde, wobei insbesondere die halbrund geformte Fußstütze den fortbestehenden Eindruck einer Ellipse bestärke. Allerdings werde diese Ellipse nicht mehr mit einer horizontalen metallischhellen Stange begrenzt, sondern durch einen eher kräftigen schwarzen umlaufenden Griff. Dieser Unterschied, der zudem mit dem Verzicht auf Einzelgriffe einhergehe, sei besonders augenfällig. Insgesamt erweckten die Modelle daher beim informierten Betrachter einen anderen Gesamteindruck. An diesen Unterschieden scheitere auch ein Anspruch aus ergänzendem wettbewerblichen Leistungsschutz sowie wegen Irreführung.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ordnungsgemäß begründeten Berufung.
Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens trägt die Antragstellerin vor, das Landgericht habe sich bei dem Vergleich der in Rede stehenden Gestaltungen in Einzelheiten verloren und sich damit den Blick auf den allein maßgeblichen, übereinstimmenden Gesamteindruck verstellt. Die vom Senat im vorangegangenen Verfahren zutreffend als prägend erkannten Gestaltungsmerkmale seien unverändert in identischer oder ganz ähnlicher Form vorhanden. So bildeten Streben trotz ihres seitlich eher geraden Verlaufs unverändert einen annähernd elliptisch geformten Rahmen aus metallischhellen Stangen. Diese Ellipsenform werde auch weiterhin vom Fahrwerk wieder aufgenommen, im oberen Bereich werde sie durch eine horizontal verlaufende Stange begrenzt.
Die Antragstellerin beantragt,
auf die Berufung der Antragstellerin das am 18. März 2010 verkündete und ihr am 29. März 2010 zugestellte Urteil der 14c. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf (Az: 14c O 27/10) abzuändern und im Wege der einstweiligen Verfügung anzuordnen:
Der Antragsgegnerin wird es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verhängenden Ordnungsgeldes von bis zu € 250.000,00, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfall Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, wobei die Ordnungshaft an ihrem jeweiligen gesetzlichen Vertreter zu vollziehen ist, untersagt,
Kinderwagen, die die nachstehenden Gestaltungsmerkmale aufweisen, im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft anzubieten und/oder anbieten zu lassen, in Verkehr zu bringen und/oder in Verkehr bringen zu lassen oder zu den vorstehend genannten Zwecken zu besitzen:
(1) annähernd elliptisch geformter Rahmen aus Aluminiumstangen, dessen Ellipsenform nur im oberen Bereich durch eine horizontal verlaufende Stange begrenzt wird;
(2) Applikationen aus schwarzem Kunststoff an den Gelenkstellen und am unteren Ende des Rahmens;
(3) horizontal verlaufende Verbindung der äußeren Streben des Rahmens im Griffbereich;
(4) Sitzfläche aus gespanntem Stoff, die den Rahmen ausfüllt und in den Rahmen eingespannt ist;
(5) hängemattenartige Form der Sitzfläche, die einstufig in den Stoff eingelassen ist;
(6) zwei Räder im hinteren Bereich, die durch Aluminiumstangen pfeilartig mit zwei im Abstand voneinander angeordneten Rädern an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind;
wenn diese wie nachfolgend abgebildet gestaltet sind, wobei es auf die konkrete Farbgebung nicht ankommt:
(es folgen die im Tenor wiedergegeben Abbildungen)
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Antragsgegnerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil, ebenfalls unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages. Zu Recht habe das Landgericht eine Verletzung verneint, obwohl es dem Merkmal 7, zwei Räder im hinteren Bereich, die durch metallischhelle Stangen pfeilartig mit zwei im Abstand voneinander angeordneten Rädern an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind, eine zu große Bedeutung beigemessen habe. Diese Gestaltung sei bereits aus dem Gebrauchsmuster DE 2… bekannt, das den Grundtyp des dreirädrigen Buggys beschreibe. Kinderwagen, deren Rahmen im mittleren Bereich ihren breitesten Punkt aufwiesen und sich nach oben und unten verjüngten, zeigten die US D4… und die DM/0…, wobei letztere zudem eine Verbindung der Hinterräder durch metallischhelle Stangen mit dem Vorderrad an der Spitze des dadurch gebildeten Pfeilsegments offenbare. Freiliegende Rahmen seien gleichfalls vorbekannt. Das Verfügungsgeschmacksmuster hebe sich folglich durch seine Merkmale 1, den elliptisch geformten Rahmen, nur oben durch eine metallischhelle Stange begrenzten Rahmen, 3, Griffe aus schwarzem Kunststoff, die die äußeren streben des Rahmen fortsetzten und nach vorne zeigten, und 4, die horizontal verlaufende Verbindung der Griffe mit einem schwarzen Versatzstück um das sich in der Mitte befindliche Gelenk herum, sowie die Merkmale 8 und 9 vom vorbekannten Formenschatz ab, die bei ihren, der Antragsgegnerin, Modellen alle nicht verwirklicht seien. Insbesondere der Rahmenschluss durch einen massiven, schwarzen Schiebebügel lasse die für das Geschmacksmuster charakteristische Kombination einer nach oben offenen Ellipse mit nach vorne geneigten Haltegriffen vermissen.
II.
Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat auch in der Sache Erfolg.
Die Antragstellerin hat gegenüber der Antragsgegnerin einen Anspruch auf Unterlassung des Angebots, des Inverkehrbringens und des Besitzes der streitgegenständlichen Kinderwagenmodelle im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft aus Art. 19 Abs. 1, Art. 10, Art. 89 Abs. 1a) Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV).
Der Vertrieb der Modelle "F." und "K." verletzt das Geschmacksmusterrecht der Antragstellerin. Die Antragstellerin ist Inhaberin des Gemeinschaftsgeschmacksmusters Nr. 0…, von dessen Rechtsgültigkeit nach Art. 85 Abs. 1 GGV auszugehen ist; auch die Antragsgegnerin stellt die Rechtsgültigkeit nicht in Frage. Das eingetragene Geschmacksmuster gewährt seinem Inhaber das ausschließliche Recht, es zu benutzen, Art. 19 Abs. 1 GGV, wobei sich der Schutz auf jedes Geschmacksmuster erstreckt, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt, Art. 10 Abs. 1 GGV.
Bei der Beurteilung des Schutzumfangs ist nach Art. 10 Abs. 2 GGV auf den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers abzustellen. Dieser wird durch den Abstand vom vorbekannten Formenschatz und die funktionalen Vorgaben bestimmt. Dabei ist das Geschmacksmuster so, wie es eingetragen ist, dem Verletzungsgegenstand gegenüberzustellen. Bei dem anzustellenden Vergleich des Gesamteindrucks wird der informierte Benutzer jenen Merkmalen und Merkmalskombinationen, die einen großen Abstand zum vorbekannten Formenschatz aufweisen, ein besonderes Gewicht beimessen (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Art. 10 Rn. 29). Demgegenüber wird er solchen Merkmalen, die aus dem Formenschatz vorbekannt sind, weniger Gewicht beimessen. Diese Untergewichtung wird aber bei einem Merkmal aus einem anderen Geschmacksmuster, welches sich im Übrigen von dem geschützten Muster unterscheidet, eher gering zu bewerten sein (Ruhl a.a.O. Rn. 28).
Der Senat bleibt bei seiner Auffassung, dass einer Gestaltung mit einem großen Abstand vom vorbekannten Formenschatz ein großer Schutzbereich zukommen muss. In diesem Punkt unterscheidet sich die Definition des Schutzbereichs von der der Eigenart nach Art. 6 GGV (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Art. 10 Rn. 5). Auch wenn das Geschmacksmuster keinen Ideenschutz gewährt, kann schon die Übereinstimmung in bestimmten, den großen Abstand vom vorbekannten Formenschatz begründenden Merkmalen für die Verneinung eines anderen Gesamteindrucks ausreichen (Ruhl, a.a.O., Rn. 30, Rn. 31). Die Entscheidung "Verlängerte Limousinen" des Bundesgerichtshofs (GRUR 2010, 718) steht dem nicht entgegen, mit den Grenzen des Schutzbereichs eines Musters mit großem Abstand vom vorbekannten Formenschatz hat sich der Bundesgerichtshof nicht befasst.
Das Klagegeschmacksmuster weist folgende Gestaltungsmerkmale auf:
elliptisch geformter Rahmen aus metallischhellen Stangen, dessen Ellipsenform nur im oberen Bereich durch eine horizontal verlaufende metallischhelle Stange begrenzt wird;
Applikationen aus schwarzem Material an den Gelenkstellen und am unteren Ende des Rahmens;
Griffe aus schwarzem Material, die die äußeren Streben des Rahmens fortsetzen und nach vorne zeigen;
horizontal verlaufende Verbindung der Griffe mit einem schwarzen Versatzstück um das sich in der Mitte befindende Gelenk herum;
Sitzfläche aus gespanntem Stoff, die den Rahmen ausfüllt und in den Rahmen eingespannt ist;
hängemattenartige Form der Sitzfläche, die einstufig in den Stoff eingelassen ist;
zwei Räder im hinteren Bereich, die durch metallischhelle Stangen pfeilartig mit zwei im Abstand voneinander angeordneten Rädern an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind;
zwei metallischhelle Stangen, die jeweils von den hinteren Rädern zu einem Verbindungsstück unter der Sitzfläche führen, von dem aus ein weiteres Verbindungsrohr zur vorderen Spitze führt;
zwei metallischhelle Stangen, die von dem Mittelgelenk der Seitenstangen gleichfalls zu dem Verbindungsstück führen;
Der durch diese Merkmale vermittelte Gesamteindruck weist einen erheblichen Abstand zum vorbekannten Formenschatz auf, das Klagegeschmacksmuster setzt sich dementsprechend deutlich vom vorbekannten Formenschatz ab.
Das Geschmacksmuster DM/0… der Firma H. GmbH & Co. KG (Anlage PBP 4 a) verfügt zwar ebenfalls über Applikationen aus schwarzem Material (Merkmal (2)). Jedoch fehlt es schon an der elliptischen Gestaltung des Rahmens. Dieser läuft nach unten spitz zu, eine - nur im Griffbereich abgeschnittene - Ellipse bildet er nicht. Auch die dreirädrig anmutende Radanordnung wird nicht durch die die Form der geschnittenen Ellipse aufnehmende pfeilartige Fahrwerkkonstruktion des Klagegeschmacksmusters erreicht. Das Vergleichsmuster entspricht vielmehr einem herkömmlichen Kinderwagen und ruft daher einen stark vom Klagegeschmacksmuster abweichenden Gesamteindruck hervor.
Die Gebrauchsmusterschrift DE 2… (Anlage PBP 4 b) offenbart keinen Kinderwagen, sondern lediglich ein Gestell. Dieses weist im Rahmen nicht die für das Klagegeschmacksmuster charakteristische Ellipsenform, sondern im unteren Bereich eine für die Verbindung von zwei Punkten mit einem dritten klassische V-Form auf, bei der die das V bildenden Schenkel etwa in der Rahmenmitte abrupt in zwei zueinander parallele Seitenstangen übergehen. Zwar ist die Radaufhängung pfeilartig gestaltet, diese nimmt jedoch nicht wie beim Verfügungsgeschmacksmuster die Rahmenform schlechthin, sondern allenfalls deren unteren Teil auf. Wegen der für die Verbindung von zwei Punkten mit einem dritten klassischen V-Form liegt hierin zudem kein in vergleichbarer Weise gestalterisches Element.
Das Modell G. (Anlagen PBP 4 c und PBP 4 d) ruft ebenfalls einen deutlich anderen Gesamteindruck hervor. Zwar weist dieses Modell einen ellipsenförmigen Rahmen auf. Dieser weicht aber schon deshalb erheblich von dem Verfügungsgeschmacksmuster ab, weil er nicht im oberen Bereich durch eine horizontal verlaufende Stange begrenzt wird. Vielmehr wird die Ellipsenform hier nicht - wie beim Verfügungsgeschmacksmuster - geschnitten, sondern in den Griffbereich fortgeführt. Die Fahrwerkkonstruktion des Modells "G." unterscheidet sich vollständig von derjenigen des Verfügungsgeschmacksmusters, insbesondere wird hier nicht die Rahmenform wieder aufgenommen, sondern es wird ein "klassisches" vierrädriges Fahrgestell genutzt. Die Sitzfläche schließlich ist nicht in den Rahmen eingespannt, sondern findet sich gleichsam als Sitzschale im Zentrum der Ellipse.
Die US Design-Patentschrift 3…(Anlage PBP 4 e) weist keine der für das Verfügungsgeschmacksmuster charakteristischen Eigenschaften auf. Weder ist der Rahmen elliptisch gestaltet, noch findet sich hier die pfeilartige Radaufhängung. Auch die Sitzfläche ist nicht in den Rahmen eingespannt, sondern umfasst diesen, so dass der Rahmen vollständig von der Sitzbespannung verborgen wird. Gleiches gilt für die US-Design-Patentschrift 4… (Anlage PBP 4 f), die ein Kinderwagengestell offenbart, welches ebenfalls keines der vorgenannten Merkmale des Klagegeschmacksmusters aufweist.
Bei der US Design-Patentschrift 4… (Anlage PBP 8 a) läuft der Rahmen im unteren Teil in klassischer Weise V-förmig auf die Achse des vordere Rad zu. Soweit sich der Rahmen im oberen Bereich wieder verjüngt entsteht eine an eine Raute angelehnte Grundform, die keinerlei Ähnlichkeit mit der elliptischen Rahmenform des Klagegeschmacksmusters aufweist. Die Hinterräder sind nicht unmittelbar mit Vorderrad, sondern nur mit dem Rahmen verbunden. Die Gestaltung der Stoffbespannung lässt Design-Patentschrift völlig offen.
Die internationale Geschmacksmusterregistrierung DM/0… (Anlage PBP 8 c) weist zwar zwei Räder im hinteren Bereich auf, die durch metallischhelle Stangen pfeilartig mit dem Vorderrad an der Spitze des Pfeilsegments verbunden sind. Auch findet sich hier die Gestaltung des unteren Rahmenteils im Fahrwerk wieder. Diese Verbindungen sind jedoch nicht konvex, sondern konkav gekrümmt. Auf diese Weise entsteht ein in Richtung auf das Vorderrad zunehmend spitzer werdendes Pfeilsegment, was der Front des Kinderwagens eine aggressive Anmutung verleiht. Zudem weist der Rahmen am Übergang von den seitlichen Stangen zum Pfeilsegment einen deutlichen Knick auf, der den kantigen, aggressiven Eindruck noch unterstützt. Die Stoffbespannung ist mit dem Rahmengestänge durch eine sich um das Gestänge windende Schnur verbunden. An das eine vorn sanft (stumpf) gerundete Rahmen- und Fahrwerksform aufweisende Verfügungsgeschmacksmuster fühlt sich der informierte Betrachter wegen des divergierenden ästhetischen Eindrucks nicht erinnert.
Eine Vorbekanntheit der in den Rahmen eingespannten Sitzfläche aus gespanntem Stoff ist dem Anlagenkonvolut PBP 10 nicht zu entnehmen. Dort ist die Sitzfläche klassisch in den Rahmen eingehängt, nicht eingespannt. Teile des Rahmens sind mit Stofflaschen bedeckt.
Der Senat bleibt zudem bei seiner Auffassung, dass der Gestalter eines Kinderwagens nur wenige funktionale Vorgaben beachten muss, ihm also ein großer Gestaltungsspielraum verbleibt. Schon die Antragsgegnerin hat im Rahmen ihres Vortrags eine Vielzahl unterschiedlichster Gestaltungen vorgelegt. Dabei ist auch die Entscheidung zwischen einer vierrädrigen und einer dreirädrigen Fahrwerksgestaltung keine technische, sondern eine gestalterische. Eine im zusammengeklappten Zustand möglichst kleine Form hat zwar Vorteile, technisch zwingend ist sie aber nicht. Hier mag gegebenenfalls eine gewisse Spannung zwischen Funktionalität und Ästhetik entstehen. Viele Konsumenten sind jedoch bereit, für eine gefällige Form Abstriche bei der Funktionalität in Kauf zu nehmen. Dem Verfügungsgeschmacksmuster ist daher weiterhin ein großer Schutzbereich zuzumessen.
Die angegriffenen Modelle "F." und "K." erwecken beim informierten Betrachter keinen anderen Gesamteindruck. Die das Geschmacksmuster prägenden Merkmale finden sich in identischer oder ähnlicher Form auch bei den Modellen der Antragsgegnerin.
Bei dem Modell "F." sind die Merkmale 1, 2, 5, 6 und 7 des Geschmackmusters nahezu identisch übernommen. Das Modell "F." orientiert sich in der Rahmenform unverändert an der Ellipse (Merkmal 1). Zwar weisen die seitlichen Stangen nunmehr gerade Abschnitte auf, durch jeweils drei sanfte Krümmungen und die halbrunde Umrahmung der Fußstütze wird jedoch weiterhin der Eindruck einer Ellipse hervorgerufen. Ebenso findet sich bei dem Modell "F." die Wiederaufnahme der Form der Ellipse bei der Fahrwerkgestaltung (Merkmal 7). Auch hinsichtlich der Sitzfläche übernimmt das Modell die wesentlichen Merkmale des Verfügungsgeschmacksmusters (Merkmale 5 und 6). Das Geschmacksmuster unterscheidet sich vom vorbekannten Formenschatz, insbesondere der US Design-Patentschrift 3… (Anlage PBP 4e), dadurch, dass der Stoff der Sitzfläche in den Rahmen eingespannt ist, wodurch anders als bei den vorbekannten Modellen der Rahmen vollständig sichtbar bleibt. Genau dieses Gestaltungsmerkmal weist auch das Modell "F." auf. Zwar ist der Stoff beim Verfügungsgeschmacksmuster straff eingespannt, während bei dem angegriffenen Modell eine eher lockere Gestaltung zu finden ist. Der Umstand beeinflusst den Gesamteindruck jedoch weit weniger als der deutlich sichtbare Rahmen.
Ebenso wenig Bedeutung wird der informierte Betrachter dem Umstand beimessen, dass das Verfügungsgeschmacksmuster lediglich eine Stufe für den Sitz offenbart, während das Modell "F." - wie im Übrigen auch das Modell "Z." der Antragstellerin - demgegenüber eine weitere Stufe für die Füße aufweist. Die Rückfront der Stufe tritt nur leicht hinter die durch den Rahmen definierte Ebene zurück. Die Fußstütze ist schmal und nach vorne geneigt. Der mit der Stufe einhergehende Einschnitt in die Ebene wird so optisch abgemildert. Zudem wurde ein schwarzer Stoff gewählt. Hierdurch werden die Stufe kontrastierende Schattenwürfe verhindert, die Struktur wirkt insgesamt flächig. Gleiches gilt für die unterhalb der Stufe in den Rahmen integrierte Kunststoffapplikation, durch die die Breite der Fußstütze nach vorne verlängert wird. Auch diese ist in Schwarz gehalten und zu den Seiten und nach unten hin abgerundet. Dem informierten Betrachter, der weiß, dass das Geschmacksmuster im unteren Bereich des Rahmens eine schwarze Applikation aufweist, wird sie nicht weiter auffallen. Gleiches gilt für das Fehlen der kleinen Öffnungen im Stoff, die das Geschmacksmuster für das Einstellen der Füße vorsieht.
Lediglich im oberen Bereich des elliptischen Rahmens unterscheidet sich das Modell "F." von seinem Vorgängermodell und vom Verfügungsgeschmacksmuster. Die horizontale obere Begrenzung schneidet die Ellipse nicht (Merkmal 4), sondern ist in Form eines die oberen Enden der offenen Ellipse verbindenden Griffs ausgebildet. Die Verbindung der oberen Enden verläuft jedoch im Wesentlichen gerade, insbesondere ist sie nicht - wie beim vorbekannten Modell G. - halbrund ausgebildet. Sie bildet daher eine im Grundsatz horizontal verlaufende Verbindung der oberen Rahmenenden, wie sie auch das Verfügungsgeschmacksmuster aufweist. Zudem verfügt sie wie dieses über ein Gelenk in der Mitte, das beidseitig von schwarzen Applikationen flankiert wird, auch wenn diese sich im Gegensatz zum Geschmacksmuster bis zu den oberen offenen Enden des elliptischen Rahmens hin erstrecken. Durch die schwarze Farbgebung ist der Griffbereich vom metallfarbenen Rahmen zudem optisch deutlich abgesetzt, wobei die dunklere Griffgestaltung zurücktritt, so dass der für das Verfügungsgeschmacksmuster wesentliche Eindruck der oben abgeschnittenen Ellipse aus metallischhellen Stangen und deren Wiederaufnahme im Fahrwerk erhalten bleibt. Gegenüber diesen Übereinstimmungen treten die fehlenden Einzelgriffe (Merkmal 3) zurück.
Wie schon das Vorgängermodell weicht das Modell "F." zudem im Bereich der Stützkonstruktion unterhalb der Sitzfläche, bei der das Geschmacksmuster die Verwendung von zweimal zwei metallischhellen Stangen vorsieht (Merkmale 8 und 9), etwas ab. Auch insoweit überwiegen jedoch die Übereinstimmungen. Die vier beim Verfügungsgeschmacksmuster verwandten Stangen bilden zwei Diagonalverbindungen zwischen dem elliptischen Rahmen und dem Fahrgestell, welche sich in einem zentralen Verbindungsstück schneiden. Über eine Stützkonstruktion, bei der zwei Metallstangen den elliptischen Rahmen mit dem Fahrgestell über Kreuz verbinden, verfügt aber auch das Modell "F.". Auch hier findet sich eine im Wesentlichen xförmige Stützstruktur. Zwar besteht diese nur aus zwei durchgehenden, im Kreuzungspunkt lediglich mit einer Schraube verbundenen Stangen, die zudem in Schwarz gehalten sind. Auch ist der Ansatzpunkt am Fahrgestell nach vorne verlagert. Wesentliche Bedeutung für den Gesamteindruck kommt diesen Abweichungen jedoch nicht zu. Eine Verbindung zwischen Rahmen und Fahrgestell ist technisch erforderlich, eine Verbindung lediglich im Bereich des Vorderrades ist wegen der dann wirkenden Hebelkräfte unzureichend. Dabei muss die Verbindung diagonal ausgebildet sein, um auftretende Scherkräfte aufzufangen und dem Kinderwagen die notwendige Steifigkeit zu verleihen. Auch wenn für die konkrete Ausgestaltung ein gewisser Spielraum verbleibt, wird die Stützstruktur von dem informierten Benutzer als eher technisch bedingt erkannt werden. Die Stützkonstruktion ist daher weder in der Ausprägung des Geschmacksmusters noch bei derjenigen des Modells "F." geeignet, den Gesamteindruck, der durch die sichtbare geschnittene Ellipsenform des Rahmens und deren Wiederaufnahme im Bereich der pfeilförmigen Fahrwerksgestaltung bestimmt wird, zu ändern.
Die weiteren Unterschiede erschöpfen sich Kleinigkeiten, die schon im Ansatz nicht geeignet sind, einen abweichenden Gesamteindruck zu begründen. Dass die seitlichen Kunststoffapplikationen etwas nach unten verlängert und mit einem silbernen Punkt auf dem Gelenk versehen sind, fällt dem informierten Betrachter nicht auf. Auch das Verfügungsgeschmacksmuster verfügt über einen hellen Punkt auf dem Gelenk, mag dieser auch etwas kleiner gehalten sein. Die Räder beim Modell "F." bestehen aus einer schwarzen Laufläche und einem hellgrauen Rad, auch dies stimmt mit dem Verfügungsgeschmacksmuster überein. Gleiches gilt für die Größe. Die leicht abweichende Gestaltung der Speichen fällt nicht auf.
Das zum Lieferumfang gehörende Verdeck, der Frontbügel und der Korb unter der Sitzfläche haben bei dem vorzunehmenden Vergleich außer Betracht zu bleiben. Es handelt sich um typisches Zubehör. Seine Montage und Demontage steht im Belieben des Nutzers. Der informierte Betrachter wird daher erkennen, dass es sich um austausch- beziehungsweise verzichtbare Zubehörteile handelt und demnach diese bei der Beurteilung des Gesamteindrucks des Geschmacksmusters außer Betracht lassen. Soweit nach der Demontage des Korbes dessen Halterungen verbleiben, ist auch dies für den Gesamteindruck nicht relevant. Bei der die geschnittene Ellipse und deren Wiederaufnahme durch das Fahrwerk zeigenden Frontansicht sind sie durch die Sitzfläche ohnehin verdeckt, bei der Seitenansicht fallen sie aufgrund ihres geringen Durchmessers und der schwarzen Farbgebung nicht weiter auf.
Zusammenfassend lässt sich damit festhalten, dass sich die wesentlichen prägenden Gestaltungsmerkmale des Geschmacksmusters bei dem Modell "F." in identischer oder ähnlicher Gestaltung wiederfinden. Der abweichend gestaltete Griffbereich, die Stützkonstruktion und die nicht straffe Einspannung der Sitzfläche führen gegenüber dem Geschmacksmuster nicht zu einem abweichenden Gesamteindruck. Die nahezu identisch übernommenen Merkmale, namentlich der in Form einer oben abgeschnittenen Ellipse gestaltete Rahmen, der durch das ebenfalls in dieser Form gestaltete Fahrwerk wieder aufgenommen wird und die Stoffeinspannung in einer Weise, die den Rahmen sichtbar lässt und so die Rahmenform deutlich hervortreten lässt, wiegen bei der Beurteilung des Gesamteindrucks schon deshalb besonders schwer, weil sich das Geschmacksmuster gerade durch diese Merkmale deutlich vom vorbekannten Formenschatz abhebt. Die abweichende Griffgestaltung, die ohnehin eher technisch wahrgenommene Stützkonstruktion und die Straffheit der Sitzfläche haben demgegenüber einen geringeren Einfluss auf den vom Geschmacksmuster vermittelten Gesamteindruck. Dies hat zur Folge, dass der Kinderwagen "F." der Antragsgegnerin keinen anderen Gesamteindruck erweckt als das Geschmacksmuster.
Das Vorgesagte gilt in gleicher Weise für das Modell "K." der Antragsgegnerin. Auch dieses ruft beim informierten Betrachter keinen anderen Gesamteindruck hervor, als das Verfügungsgeschmacksmuster. Von dem Modell "F." unterscheidet sich das Modell "K." alleine dadurch, dass die beiden Vorderräder etwas weiter auseinander stehen. Das Fahrwerk als solches, insbesondere die Wiederaufnahme der Rahmenform, findet sich bei dem Modell "K." in genau der gleichen Form, wie beim Modell "F." und beim Verfügungsgeschmacksmuster. Auch das Modell "K." ruft beim informierten Betrachter keinen anderen Gesamteindruck hervor als das Geschmacksmuster.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Einer Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bedarf es nicht, die Sache ist kraft Gesetzes nicht revisibel, § 542 Abs. 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 200.000,00 Euro festgesetzt.
OLG Düsseldorf:
Urteil v. 24.08.2010
Az: I-20 U 54/10
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ec6592d72139/OLG-Duesseldorf_Urteil_vom_24-August-2010_Az_I-20-U-54-10