Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 26. Oktober 1993
Aktenzeichen: 2 Ws 322/93

(OLG Köln: Beschluss v. 26.10.1993, Az.: 2 Ws 322/93)

Tenor

Die Beschwerde wird verworfen.

Gründe

I.

Unter dem 8. Juli 1992 erhob die

Staatsanwaltschaft gegen den Verurteilten vor der 15. großen

Strafkammer des Landgerichts Köln Anklage wegen Vergewaltigung und

Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin P.P.Y.. Die Anklageschrift

ging am 16. Juli 1992 bei der Strafkammer ein. Mit Schriftsatz vom

2. August 1992 zeigte die Beschwerdeführerin unter Vorlage einer

Vollmacht an, daß sie die geschädigte Zeugin Y. anwaltlich

vertrete. Auf die mit Schriftsatz vom 7. August 1992 gestellten

Anträge ließ die Strafkammer am 19. August 1992 die Zeugin Y. als

Nebenklägerin zu, bewilligte ihr Prozeß-kostenhilfe und ordnete ihr

die Beschwerdeführerin als Vertreterin bei. Das Hauptverfahren

wurde am 25. August 1992 eröffnet. Die Strafkammer verurteilte den

Angeklagten am 23. Oktober 1992 wegen Vergewaltigung in Tateinheit

mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und

legte ihm die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen

auf. Das Urteil ist seit dem 31. Oktober 1992 rechtskräftig.

Mit Schriftsatz vom 9. November 1992

hat die Beschwerdeführerin Festsetzung ihrer Gebühren und Auslagen

in Höhe von 786,49 DM - u.a. eine Vorverfahrensgebühr gemäß § 84

BRAGO von 200,00 DM - beantragt. Der Urkundsbeamte der

Geschäftsstelle hat mit Beschluß vom 20. April 1993 die aus der

Staatskasse zu erstattenden Gebühren und Auslagen - ohne

Vorverfahrensgebühr - auf 558,49 DM festgesetzt. Gegen den Beschluß

hat die Beschwerdeführerin wegen der Nichtfestsetzung der

Vorverfahrensgebühr am 30. April 1993 (Eingang) Erinnerung

eingelegt, die der Vorsitzende der Strafkammer am 18. Juni 1993

zurückgewiesen hat. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der

Vertreterin der Nebenklägerin.

II.

Das nach §§ 98 Abs. 3, 102 BRAGO

statthafte Rechtsmittel ist nicht begründet. Zu Recht hat der

Kammervorsitzende die Erinnerung der Beschwerdeführerin gegen den

Kostenfestsetzungsbeschluß des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle

vom 20. April 1993, mit dem die Festsetzung einer

Vorverfahrensgebühr gemäß § 84 Abs. 1 BRAGO in Höhe von 200,00 DM

gegen die Staatskasse abgelehnt worden ist, zurückgewiesen. Eine

solche Gebühr ist nicht angefallen; denn die Beschwerdeführerin,

welche die Interessen der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung

vertreten hat, ist nicht im vorbereitenden Verfahren (§ 84 Abs. 1

BRAGO) tätig geworden.

1.

Allerdings ist umstritten, unter

welchen Voraussetzungen der beigeordnete Rechtsanwalt, der erst -

wie hier - nach Anklageerhebung bestellt worden ist, die

Vorverfahrensgebühr verdient hat.

Eine - insbesondere auch im Schrifttum

- vertretene Auffassung, der zeitweilig auch der Senat gefolgt ist

(SenE vom 22. Dezember 1976 - 2 Ws 1051/76 -; SenE vom 13. Juli

1977 - 2 Ws 523/77 -, AnwBl 1977, 472 f.), gewährt dem gerichtlich

bestellten Rechtsanwalt die Vorverfahrensgebühr auch für die

Tätigkeit zwischen Anklageerhebung und Eröffnung des

Hauptverfahrens, unabhängig davon, ob er auch bereits vor Erhebung

der öffentlichen Klage tätig geworden ist (vgl.: OLG Bamberg,

JurBÓro 1991, 1348 und 1989, 967 f.; KG JurBüro 1989, 1554; OLG

Schleswig JurBüro 1986, 1207; OLG Düsseldorf JurBüro 1981, 1529 f.

und 1978, 1218; LG Frankfurt JurBüro 1987, 241; LG Hamburg MDR

1982, 778; LG Aachen NJW 1977, 2277 und JurBüro 1977, 120; Madert

in Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert, BRA-GO, 11. Aufl., § 97 Rdnr.

13; Hartmann, Kostengesetze, 25. Aufl., § 97 BRAGO Rdnr. 48;

Göttlich/Mümmler, BRAGO, 17. Aufl.,

"Amtsverteidiger/Pflichtverteidiger" Anm. 4.21; Sommermeyer MDR

1983, 6 ff.).

Diese Auffassung, die in § 97 Abs. 3

BRAGO nicht nur eine Regelung zur Rückwirkung des

Vergütungsanspruchs, sondern einen - im Gegensatz zum

Wahlverteidiger - erweitenden Gebührentatbestand für den

gerichtlich bestellten Rechtsanwalt sieht (OLG Bamberg a.a.O.),

stützt sich im wesentlichen auf folgende Erwägungen:

Schon eine am Wortlaut orientierte

Auslegung könne nicht übersehen, daß in § 97 Abs. 3 BRAGO von der

Tätigkeit "vor Eröffnung des Hauptverfahrens" die Rede sei, während

§ 84 Abs. 1 BRAGO die Vorverfahrensgebühr für die Tätigkeit "im

vorbereitenden Verfahren" gewähre. Dieser Unterschied im

Sprachgebrauch rechtfertige die Annahme , der Gesetzgeber habe in §

97 Abs. 3 BRAGO eine von der Vorschrift des § 84 Abs. 1 BRAGO

abweichende - weitergehende - Gebührenregelung treffen wollen

(OLG München RPfl 1978, 188, 189). Daß er mit der durch das

Kostenänderungsgesetz vom 20. August 1975 erfolgten Neufassung des

§ 97 Abs. 3 BRAGO diesen Zweck verfolgt habe, ergebe sich aus der

Entstehungsgeschichte und den Motiven. Es sei allgemeine Meinung

gewesen, daß nach § 97 Abs. 1 Satz 2 BRAGO a.F. ("war er auch vor

Eröffnung des Hauptverfahrens als Verteidiger tätig, so erhält er,

unabhängig vom Zeitpunkt seiner Bestellung, zusätzlich eine weitere

Gebühr in Höhe des Vierfachen der Mindestbeträge des § 84"), dem

gerichtlich bestellten Rechtsanwalt eine zusätzliche Gebühr

zugestanden habe, falls er auch vor Eröffnung, aber nach Erhebung

der Anklage, tätig gewesen sei (OLG München a.a.O.). Dafür, daß

der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 97 Abs. 3 BRAGO dem

gerichtlich bestellten Rechtsanwalt diese zusätzliche Gebühr habe

nehmen wollen, fehlten angesichts der nahezu wörtlichen

Óbereinstimmung zwischen § 97 Abs. 3 BRAGO n.F. und § 97 Abs. 1

Satz 2 BRAGO a.F., sowie der gesetzgeberischen Intention, die

Gebühren der Rechtsanwälte den veränderten wirtschaftlichen

Gegebenheiten durch eine Anhebung anzupassen (BT-Drucks. 7/3243 S.

3 f.), ausreichende Anhaltspunkte (OLG München a.a.O.). Vielmehr

sei der Gesetzgeber selbst von der "Selbständigkeit" der Vergütung

für die Tätigkeit vor Eröffnung des Hauptverfahrens ausgegangen

(BT-Drucks. 7/3243, Nr. 49, zu Buchstabe c S. 10). Schließlich sei

es auch gerechtfertigt gewesen, angesichts der starren

Gebührenregelung für den gerichtlich bestellten Rechtsanwalt dem

durch § 97 Abs. 1 Satz 2 BRAGO a.F. "normierten Vorsprung zu

erhalten", weil der Wahlverteidiger auch eine etwa zwischen

Anklageerhebung und Eröffnung liegende Tätigkeit innerhalb des ihm

nach § 83 BRAGO zuständigen Gebührenrahmens berücksichtigen könne

(OLG München a.a.O. S. 190).

2.

Schon im Jahre 1980 (SenE vom 10.

Oktober 1980 - 2 Ws 642/80 -, abgedruckt KostRspr. § 84 Nr. 71

BRA-GO) hat der Senat diese Auffassung aufgegeben. Nach der seither

von ihm in ständiger Rechtsprechung (zuletzt SenE vom 28. August

1990 - 2 Ws 395/90 -) vertretenen Ansicht kann der gerichtlich

bestellte Rechtsanwalt - ebenso wie der Wahlverteidiger - neben der

Gebühr für das Hauptverfahren nach §§ 83, 97 Abs. 1 BRAGO eine

Vorverfahrensgebühr gem. §§ 84 Abs. 1, 97 Abs. 1 BRAGO (hier in

Verbindung mit § 102 BRAGO) nur beanspruchen, wenn er schon vor

Anklageerhebung tätig geworden ist (ebenso: OLG Nürnberg JurBüro

1986, 1206; OLG Düsseldorf RPfl 1981, 368; OLG Hamburg MDR 1982,

955; OLG Karlsruhe JurBüro 1983, 1201 und 1981, 577; OLG Bamberg

JurBüro 1982, 1362 und 1981, 1834; LG Würzburg JurBü-ro 1987, 1370;

Fraunholz in Riedel/Sußbauer, BRAGO, 5. Aufl., § 97 Rdnr. 9). An

dieser Ansicht ist festzuhalten. Ihre Richtigkeit ergibt sich

sowohl aus dem Wortlaut des § 97 BRAGO als auch aus dem

systematischen Aufbau der §§ 83 ff. BRAGO (so auch: OLG Nürnberg

Jur-Büro 1986, 1206 f.). Der gewählte Rechtsanwalt erhält gem. § 84

Abs. 1 BRAGO die Vorferfahrensgebühr u.a., wenn er im

"vorbereitenden Verfahren" tätig geworden ist. Dieser

Verfahrensabschnitt endet mit der Erhebung der öffentlichen Klage,

wie auch von Vertretern der Gegenmeinung eingeräumt wird (vgl. OLG

München Rpfl 1987, 188 ff; Madert in Gerold/Schmidt/v.

Eikken/Madert a.a.O. § 97 Rdnr. 13). Für die Gebührenansprüche

des gerichtlich bestellten Rechtsanwalts verweist § 97 Abs. 1

BRAGO auf die Gebühren des gewählten Verteidigers, u.a. auf § 84

BRAGO. Schon aus dieser Verweisung läßt sich der Wille des

Gesetzgebers herleiten, daß im Sinne einer einheitlichen

Gebührenregelung dem gerichtlich bestellten Verteidiger nur die

Gebühren zustehen sollen, die auch der gewählte Verteidiger

beanspruchen kann. Soweit in § 97 Abs. 3 BRAGO bestimmt ist, daß

der gerichtlich bestellte Rechtsanawalt für die Tätigkeit vor

Eröffnung des Hauptverfahrens die Vergütung unabhängig vom

Zeitpunkt seiner Bestellung erhält, folgt daraus nicht, der

Gesetzgeber habe ihm eine zusätzliche Gebühr für seine Tätigkeit

zwischen Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens

zusprechen wollen (OLG Nürnberg JurBüro 1986, 1206 f.). Vielmehr

spricht der Wortlaut dieser Vorschrift - "die" Vergütung - dafür,

daß damit die Vergütungsansprüche des § 97 Abs. 1 BRAGO gemeint

sind, aus dem sich allein die Gebührenansprüche des gerichtlich

bestellten Rechtsanwalts ergeben. Gegen einen in § 97 Abs. 3 BRAGO

normierten selbständigen Gebührenanspruch spricht auch die

Tatsache, daß in § 97 BRAGO n.F. anders als in § 97 Abs. 1 Satz 2

BRAGO a.F. nicht mehr davon die Rede ist, der Rechtsanwalt erhalte

"zusätzlich eine weitere Gebühr in Höhe des Vierfachen der

Mindestbeträge des § 84" (ebenso: OLG Nürnberg a.a.O.).

Für die Richtigkeit der vom Senat

vertretenen Auffassung sprechen auch die bisher bekannten

Vorstellungen des Gesetzgebers zur Ànderung der hier maßgebenden

Gebührenvorschriften. Diese gehen insoweit allein dahin, eine im

Sinne der Einheitlichkeit der Gebühren von gewähltem und

gerichtlich bestelltem Verteidiger klarstellende Regelung zu

treffen und bestätigen somit nicht die Gegenmeinung, § 97 Abs. 3

BRAGO billige dem gerichtlich bestellten Rechtsanwalt eine

zusätzliche Gebühr zu. Das ergibt sich aus dem mit Schreiben des

Bundesministers der Justiz vom 25. Januar 1993 an die

Landesjustizverwaltungen vorgelegten vorbereitenden Entwurf eines

Gesetzes zur Ànderung von Kostengesetzen (Arbeitstitel:

Kostenänderungsgesetz 1993). Danach soll durch Ànderung des§ 84

Abs. 1 BRAGO, in dem hinter den Worten "im vorbereitenden

Verfahren": eingefügt werden soll:"Verfahren bis zum Eingang der

Anklageschrift oder des Antrages auf Erlaß des Strafbefehls bei

Gericht" lediglich "im Sinne der herrschenden Meinung in Literatur

und Rechtsprechung die gebührenrechltiche Schnittstelle zwischen

vorbereitendem und gerichtlich anhängigem Verfahren klargestellt

werden"(so Entwurfsbegründung Seite 142 f.). § 97 Abs. 3 BRAGO

soll wie folgt neu gefaßt werden:

"(3) Wird der Rechtsanwalt im ersten

Rechtszug bestellt, erhält er die Vergütung auch für seine

Tätigkeit als Verteidiger vor dem Zeitpunkt seiner Bestellung

einschließlich seiner Tätigkeit vor Erhebung der öffentlichen

Klage". Zum Zweck dieser Neufassung, mit der "Streitfragen" geklärt

werden sollen, heißt es in der Entwurfsbegründung (Seite 147):

"Die Rückwirkungsklausel der geltenden

Fassung ist mit ihrer Beschränkung auf Tätigkeiten des noch nicht

gerichtlich bestellten Verteidigers vor Eröffnung des

Hauptverfahrens zu eng. In Fällen der Bestellung nach diesem

Zeitpunkt gewährt die überwiegende Rechtsprechung keine Vergütung

aus der Staatskasse für Tätigkeitsquanten, die zwischen Eröffnung

der Hauptverhandlung und der Bestellung liegen. Die jetzt gewählte

Fassung soll einheitlich die Verteidigertätigkeiten vor der

Bestellung, auch vor Erhebung der öffentlichen Klage, dem Regime

des § 97 unterstellen. Damit sollen auch Zweifel, ob die geltende

Fassung als eigenständiger Gebührentatbestand für Tätigkeiten

zwischen Anklageerhebung und Eröffnung des Hauptverfahrens

anzusehen ist, im Sinne einer Gleichstellung mit dem System der

Wahlverteidigergebühren beseitigt werden".

III.

Das Verfahren über die Beschwerde ist

gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 98 Abs. 4

BRAGO).






OLG Köln:
Beschluss v. 26.10.1993
Az: 2 Ws 322/93


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