Bundespatentgericht:
Beschluss vom 25. Januar 2007
Aktenzeichen: 8 W (pat) 327/02
(BPatG: Beschluss v. 25.01.2007, Az.: 8 W (pat) 327/02)
Tenor
Das Patent DE 100 35 406 wird widerrufen.
Gründe
I.
Die Patentinhaberin hat das Patent 100 35 406 mit der Bezeichnung
"Aufsatzbacke für Spannfutter"
am 19. Juli 2000 beim Patentamt angemeldet. Die Patenterteilung wurde am 18. Juli 2002 veröffentlicht.
Gegen das Patent hat am 17. Oktober 2002 die Firma A... GmbH & Co. KG in B...
Einspruch erhoben.
Die Einsprechende hat ihren Einspruch neben der bereits im Prüfungsverfahren genannten DE 299 03 520 U1 auf folgende drei offenkundige Vorbenutzungen gestützt:
1. eine Auslieferung eines "Stufenbacken Hart" der Firma Schunk Spann- und Greiftechnik gemäß Zeichnung mit der Zeichnungsnummer 12807900200 und der Id.-Nr. 10012636 (Anlage A) an die Firma Industrie-Bedarf Lösch, Inh. Klaus Ackermann, Am Zwölfmannsgarten 11, 67373 Dudenhofen, gemäß Lieferschein (Anlage B) vom 25. Februar 2000;
2. eine Auslieferung eines "Aufsatzbackens, hart, SHB - M 800", Ident Nr. 121 160 gemäß Zeichnung vom 7. Dezember 1984 (Anlage C) an die Firma Hoesch Rothe Erde GmbH, Tremoniastraße 5 - 11, 44137 Dortmund, gemäß Lieferschein (Anlage D) vom 28. April 1999;
eine Auslieferung einer "Spannbacke, hart, Artikel - Nr. 10008856", gemäß Zeichnung mit der Zeichnungsnummer 12196400200 (Anlage E) an die Firma Heinrich-Meier-Eisengießerei GmbH & Co. KG, Postfach 230, 32363 Rahden, belegt mit einer Rechnung (Anlage F) vom 12. Dezember 1996.
Zum weiteren Beleg der offenkundigen Vorbenutzungen hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 9. Januar 2004 noch folgende weitere Anlagen als Beweismittel eingereicht:
4. Anlage (B1) eine Rechnung vom 28. Februar 2000 ausgestellt auf die FirmaIndustrie-BedarfLösch, Postfach 1153, 67367 Dudenhofen;
5. Anlage (B2) eine Anfrage der Firma Industrie-Bedarf Lösch an die Firma Schunk GmbH vom 9. November 1999 inklusive der Änderungsskizzen 1 und 2;
6. Anlage (B3) ein Auftragsbestätigungsschreiben vom 19. Januar 2000 der Firma Schunk GmbH an die Firma Industrie-Bedarf Lösch inklusive Änderungszeichnungen 128078 und 128079 gemäß den Änderungsskizzen 1 und 2 vom 9. November 1999;
7. Anlage (D1) eine Rechnung vom 28. April 1999 ausgestellt auf die Precitool Werkzeughandel GmbH, Postfach 51, 36286 Neuenstein;
8. Anlage (G) Zeichnungsnummernsystem der Firma Schunk.
In der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2007 hat die Einsprechende vorgetragen, dass dem Gegenstand des Anspruchs 1 wegen offenkundiger Vorbenutzung durch Verkauf von Spannbacken an die Firma Industrie-Bedarf Lösch die Neuheit fehle. Im Übrigen ergebe sich der Streitpatentgegenstand auch in nahe liegender Weise schon aus dem in der Beschreibungseinleitung des Streitpatents genannten Stand der Technik nach der DE 299 03 520 U1, da die bereits in der ersten Radialrichtung verwirklichten axialen Anlageflächen einfach nur auch auf die zweite Radialrichtung zu übertragen wäre, die der ersten Radialrichtung gegenüberliegt.
Die Einsprechende beantragt, das Patent 100 35 406 zu widerrufen.
Die Patentinhaberin tritt dem Vorbringen der Einsprechenden mit Schriftsatz vom 10. Juni 2003 entgegen. Sie hält den Patentgegenstand gegenüber den ihrer Meinung nach nicht glaubhaft gemachten offenkundigen Vorbenutzungen und dem Stand der Technik für neu und erfinderisch.
Sie beantragt, das Patent 100 35 406 in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.
An der mündlichen Verhandlung hat sie nicht teilgenommen. Von ihr liegt zuletzt der Antrag im Schreiben vom 10. Januar 2007 vor, nach Aktenlage zu entscheiden.
Der Patentgegenstand betrifft nach dem wie erteilt geltenden Patentanspruch 1 einen Aufsatzbacken für Spannfutter, formschlüssig und umschlagbar verbunden mit einem Spannschlitten, mit mindestens zwei radialen und mindestens zwei axialen Anlagestrukturen, wobei die radialen Strukturen tiefengestaffelt sind, während die axialen Strukturen höhengestaffelt sind und wobei mindestens zwei in die gleiche Radialrichtung orientierte Anlagestrukturen höhenversetzt zueinander angeordnet sind und mindestens eine Anlagestruktur entgegengesetzt zur vorgenannten Radialrichtung orientiert ist, dadurch gekennzeichnet, dass mindestens eine in die entgegengesetzt zur erstgenannten Radialrichtung (7) orientierte Anlagestruktur (52) an eine axial orientierte Anlagestruktur (51) angrenzt.
Hinsichtlich der Patentansprüche 2 bis 7 wird auf die Patentschrift verwiesen.
Der Erfindung liegt gemäß der Beschreibung Absatz [0004] der DE 100 35 406 C2 die Aufgabe zugrunde, eine Aufsatzbacke für Spannfutter zu konstruieren, die bei vergleichbaren Außenabmessungen einen Spannbereich des Spannfutters ermöglicht, der gegenüber dem Spannbereich konventioneller Spannfutter gleicher Typenklasse größer ist.
Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
II.
1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung (vgl. BLPMZ 2005, 3 und 2006, 225) durch den zuständigen Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
2. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig.
Er ist auch begründet, denn er führt zum Widerruf des angegriffenen Patents.
3. Gegen die Zulässigkeit der Anspruchsfassung bestehen keine Bedenken. Die erteilten Patentansprüche 1 bis 7 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 1 bis 7.
4. Im Einspruchsschriftsatz vom 17. Oktober 2002 hat die Einsprechende dargelegt, was (Stufenbacken Hart gemäß Zeichnung mit der Id.-Nr. 10012636), wann (am 25. Februar 2000, belegt durch den Lieferschein gemäß Anlage B), wo (Firma Schunk GmbH & Co. KG, Fabrik für Spann- und Greifwerkzeuge, Laufen), wie (Verkauf und Auslieferung) und durch wen (Verkauf an die Firma Industriebedarf Lösch, Dudenhofen) in der Öffentlichkeit zugänglicher Weise vorbenutzt worden ist. Zur Überzeugung des Senats hat die Einsprechende aufgrund der mit dem Einspruchsschriftsatz sowie der mit Schriftsatz vom 9. Januar 2004 vorgelegten weiteren Dokumente (Anlagen B1, B2, B3) in Verbindung mit den in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Einzelheiten hinreichend nachgewiesen, dass ein Stufenbackensatz, wie er durch die Zeichnung mit der Id.-Nr. 10012636 repräsentiert wird, an einen fachkundigen Dritten ohne Geheimhaltungspflicht verkauft und geliefert worden ist.
Damit ist die Möglichkeit der Kenntnisnahme für die Öffentlichkeit gegeben, da die Lieferung an eine fachkundige Firma ging, in der nach der Lebenserfahrung davon ausgegangen werden kann, dass beliebige Dritte und damit auch Fachleute eine ausreichende Kenntnis von dem Gegenstand erhalten konnten.
Die von der Patentinhaberin geäußerte Auffassung, was die Käuferin, die Firma Industrie-Bedarf Lösch, mit diesen Stufenbacken tatsächlich getan hat bzw. wann und wo die Stufenbacken ausgepackt oder verwendet wurden, steht dem nicht entgegen. Denn die Eröffnung der Möglichkeit der Kenntnisnahme reicht aus, solange nicht feststeht, dass Dritte tatsächlich keine Kenntnis von dem erworbenen Stufenbacken genommen haben, wofür hier keine ausreichenden Anzeichen bestehen. Mit dem Empfang der Lieferung bei der Käuferin war für diese die Möglichkeit eröffnet, jederzeit und in beliebigen Umfang Kenntnis von der Gestaltung der Stufenbacken zu nehmen.
Die Einwendungen der Patentinhaberin hinsichtlich der Unterbrechungen in den eingereichten Zeichnungen sowie der Übereinstimmung der betreffenden Nummern in der bzw. den Zeichnung(en) und im Lieferschein hat die Einsprechende durch das Einreichen einer einteiligen Kopie und mit den im Schriftsatz vom 9. Januar 2004 eingereichten Erläuterungen zum Zeichnungsnummersystem (Anlage G) der Firma Schunk überzeugend widerlegt.
Die Patentinhaberin hat dem auch nicht mehr widersprochen.
5. Es kann dahingestellt bleiben, ob der ohne Zweifel gewerblich anwendbare Gegenstand nach dem Patentanspruch 1 gegenüber dem aufgezeigten Stand der Technik neu ist. Denn er beruht aus den nachfolgend dargelegten Gründen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Bereits aus der DE 299 03 520 U1 sind Aufsatzbacken (10) für Spannfutter bekannt, die aufgrund ihrer Spitzverzahnung (12) formschlüssig mit einem Spannschlitten verbunden sind. Um einen möglichst weiten und vielfältigen Spannbereich abzudecken, ist der Aufsatzbacken umschlagbar (Seite 5, Zeile 1) mit dem Spannschlitten verbindbar und weist mehrere (in diesem Fall vier) radiale Anlagestrukturen (Einsätze (20)) bezüglich unterschiedlicher Spannflächen (F1, F2, F3 und F4) und zwei axiale Anlagestrukturen (Stirnflächen (16)) auf. Die radialen Strukturen (Einsätze (20)) sind, wie in Figur 3 der DE 299 03 520 U1 deutlich erkennbar ist, tiefengestaffelt, während die axialen Strukturen (16) auf unterschiedlichen Ebenen liegen und somit höhengestaffelt sind. Ebenso sind zwei in die gleiche Radialrichtung orientierte Anlagestrukturen (Spannflächen F1, F2) höhenversetzt zueinander angeordnet und mindestens eine Anlagestruktur (Spannfläche F4) entgegengesetzt zur vorgenannten Radialrichtung orientiert.
Somit unterscheidet sich der Streitpatentgegenstand vom Stand der Technik nach der DE 299 03 520 U1 nur dadurch, dass die mindestens eine, in bekannter Weise in die entgegengesetzt zur erstgenannten Radialrichtung orientierte Anlagestruktur auch an eine axial orientierte Anlagestruktur angrenzt.
Für diese Maßnahme erhält der Fachmann, ein Diplom-Ingenieur (FH) der Fachrichtung Maschinenbau mit Erfahrungen auf dem Gebiet der Werkzeugmittelkonstruktion, aus dem bekannten Stand der Technik ausreichend Anregungen.
Denn aus dem an die Firma Industrie-Bedarf Lösch verkauften Stufenbackensatz, gemäß der Zeichnung 10012636, ist der Öffentlichkeit ein Stufenbacken bekannt geworden, der ausweislich der Zeichnung drei radiale, höhengestaffelte Anlagestrukturen aufweist, von denen zwei in eine erste Radialrichtung und eine hierzu in die entgegen gesetzte Radialrichtungen orientiert sind. Hierbei grenzt an jede dieser radialen Anlagestrukturen - und somit auch an die eine, in die entgegengesetzt zur erstgenannten Radialrichtung orientierte Anlagestruktur - jeweils eine axial orientierte Anlagestruktur an.
Um bei vergleichbaren Außenabmessungen den Spannbereich des Spannfutters zu erhöhen, brauchte der Fachmann bei einem aus der DE 299 03 520 U1 bekannten Aufsatzbacken lediglich auch an der in die entgegengesetzt zur ersten Radialrichtung orientierten Anlagestruktur eine axial orientierte Anlagestruktur vorzusehen, wie es bereits bei dem vorbenutzten Stufenbacken oder bereits bei dem Aufsatzbacken nach der DE 299 03 520 U1 bezüglich der ersten Radialrichtung verwirklicht worden ist. Dies ist für den Fachmann auch nahe liegend. Denn er weiß, dass axiale Anlagestrukturen zur genauen Ausrichtung von zu spannenden Werkstücken dienen, zumal dies bereits im Streitpatent in Spalte 1, Zeilen 21 bis 23, als bekannt vorausgesetzt wird. Er wird daher immer dann, wenn Werkstücke einer genauen Ausrichtung beim Spannen bedürfen, jeder radialen Anlagestruktur eine axiale Anlagestruktur zur Ausrichtung zuordnen, so wie dies bereits beim vorbenutzten Stufenbacken verwirklicht worden ist, womit er - ohne erfinderisch tätig zu werden - zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt.
Hierbei ist es auch unerheblich, dass der bekannte, vorbenutzte Stufenbacken kein Aufsatzbacken im Sinne des Streitpatentgegenstandes, der formschlüssig mit einem Spannschlitten verbindbar ist, sondern ein einteiliger, die Funktionen von Aufsatzbacken und Spannschlitten in sich vereinigender Blockbacken ist. Denn bei Werkzeugmaschinen werden wahlweise entweder einteilige Blockbacken oder formschlüssig mit dem Spannschlitten verbundene Aufsatzbacken verwendet. Aus diesem Grund sind dem Fachmann beide Konstruktionen bekannt, so dass er ohne weiteres die von einteiligen Blockbacken bekannten Merkmale zur Ausrichtung von Werkstücken im Bedarfsfall auch bei den auf Spannschlitten befestigbaren Aufsatzbacken in Betracht zieht.
Nach alledem bedurfte es für den einschlägigen Fachmann keiner erfinderischen Tätigkeit, um ausgehend von dem Aufsatzbacken nach der DE 299 03 520 U1 in Verbindung mit dem durch den Verkauf an die Firma Industrie-Bedarf Lösch offenkundig gewordenen Stufenbacken, der in beiden Radialrichtungen den radialen Anlagestrukturen zugeordnete axiale Anlagestrukturen aufweist, zu dem im Patentanspruch 1 angegebenen Gegenstand zu gelangen.
Der Patentanspruch 1 hat daher keinen Bestand.
Gemeinsam mit dem Patentanspruch 1 haben auch die auf diesen rückbezogenen Ansprüche 2 bis 7 keinen Bestand (vgl. BGH GRUR 1997, 120 - elektrisches Speicherheizgerät).
BPatG:
Beschluss v. 25.01.2007
Az: 8 W (pat) 327/02
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