Landesarbeitsgericht Hamm:
Beschluss vom 2. Februar 2009
Aktenzeichen: 10 Ta 801/08

(LAG Hamm: Beschluss v. 02.02.2009, Az.: 10 Ta 801/08)

Tenor

Auf die Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Rheine vom 19.11.2008 - 1 BV 13/08 - unter Zurückweisung der Beschwerde im Übrigen abgeändert.

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfahren im Allgemeinen auf 8.000,00 € festgesetzt.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Gründe

I.

Im Ausgangsverfahren hat der Betriebsrat die Arbeitgeberin, einen Handwerksbetrieb mit ca. 40 Mitarbeitern, auf Unterlassung in Anspruch genommen. Insoweit hat er gerügt, dass die Arbeitgeberin in der Vergangenheit wiederholt das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern missachtet habe; bereits im Oktober 2007 seien drei Leiharbeitnehmer ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats beschäftigt worden; trotz Rüge vom 23.10.2007 seien im Frühjahr 2008 wiederum acht Leiharbeitnehmer beschäftigt worden, ohne dass der Betriebsrat hierzu vorher angehört worden sei.

Ferner habe die Arbeitgeberin in der Vergangenheit gegenüber drei Arbeitnehmern ohne Zustimmung des Betriebsrats Samstagsarbeit angeordnet, ein Arbeitnehmer habe an einem Freitag ohne Mitbestimmung des Betriebsrats Überstunden leisten müssen; des Weiteren habe die Arbeitgeberin gegenüber drei Beschäftigten die Arbeit in Zweischichtbetrieb angeordnet, ebenfalls ohne Beteiligung des Betriebsrats.

Den Anträgen des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 22.10.2008 stattgegeben. Der Beschluss vom 22.10.2008 wurde rechtskräftig.

Auf Antrag der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats hat das Arbeitsgericht durch Beschluss vom 19.11.2008 den Gegenstandswert für das Verfahren auf 4.000,00 € festgesetzt.

Gegen diesen Beschluss des Arbeitsgerichts vom 19.11.2008, den Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats am 25.11.2008 zugestellt, richtet sich die am 02.12.2008 beim Arbeitsgericht eingelegte Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats, der das Arbeitsgericht nicht abgeholfen hat.

Die Verfahrensbevollmächtigten der Arbeitgeberin sind der Auffassung, dass im vorliegenden Verfahren der dreifache Hilfswert in Ansatz zu bringen sei, da drei inhaltlich voneinander unabhängige Unterlassungstatbestände Gegenstand des Verfahrens gewesen seien. Die gerügten Verstöße gegen Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats hätten zu unterschiedlichen Zeitpunkten ohne inneren Zusammenhang untereinander stattgefunden. Die Vorwürfe seien auch nicht von Anfang an unbestritten gewesen.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass das Arbeitsgericht auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation des Arbeitgebers den Gegenstandswert angemessen festgesetzt habe, das Unternehmen befinde sich nach wie vor in einer finanziell angespannten Situation.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verfahrensakten ergänzend Bezug genommen.

II.

Die nach § 33 Abs. 3 RVG zulässige Beschwerde der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats ist teilweise begründet.

Der angefochtene Beschluss war abzuändern, der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit war auf 8.000,00 € festzusetzen.

Die Festsetzung des Gegenstandswerts für das vorliegende Beschlussverfahren richtet sich nach § 23 Abs. 3 RVG, wonach der Gegenstandswert in Fällen der vorliegenden Art nach billigem Ermessen zu bestimmen ist.

§ 23 Abs. 3 RVG stellt eine Auffangnorm für Angelegenheiten dar, für die Wertvorschriften fehlen. Der Auffangtatbestand des § 23 Abs. 3 RVG ist insbesondere für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten bedeutsam, deren Wert auf anderem Wege nicht bestimmt werden kann. Die Wertfestsetzung nach billigem Ermessen kommt im Anwendungsbereich des § 23 Abs. 3 RVG aber erst hinter allen sonstigen Bewertungsfaktoren zum Zuge. Für das arbeitsgerichtliche Beschlussverfahren folgt hieraus, dass die wirtschaftliche Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstandes vielfach im Vordergrund stehen muss (LAG Hamm, 24.11.1994 – LAGE BRAGO § 8 Nr. 27; LAG Hamm, 12.06.2001 – LAGE BRAGO § 8 Nr. 50; Wenzel, GK-ArbGG, § 12 Rn. 194, 441 ff. m.w.N.).

Im Ausgangsverfahren hat der Betriebsrat die Arbeitgeberin auf Unterlassung der Beschäftigung von Arbeitnehmer/innen bzw. Leiharbeitnehmer/innen ohne vorherige Zustimmung des Betriebsrats sowie auf Unterlassung der Anordnung von Überstunden, Samstagsarbeit und Schichtarbeit in Anspruch genommen. Die in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanträge hat die Beschwerdekammer im Hinblick auf die in Anspruch genommenen Mitbestimmungsrechte nach den §§ 99 ff. BetrVG sowie § 87 Abs. 1 Nr. 2, 3 BetrVG mit jeweils 4.000,00 € bewertet. Eine Bewertung des gesamten Verfahrens mit dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 RVG wird der Bedeutung des jeweiligen Streitgegenstandes nicht gerecht.

Bereits der Antrag auf Unterlassung der Beschäftigung von Mitarbeitern bzw. Leiharbeitnehmern ohne Einhaltung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats ist nach Auffassung der Beschwerdekammer mit dem Auffangwert des § 23 Abs. 3 RVG zu bewerten. Zwar wird regelmäßig in Beschlussverfahren nach § 99 BetrVG, in denen es um die Einstellung, Umgruppierung oder Versetzung von Arbeitnehmern geht, in Anbetracht der wirtschaftlichen Bedeutung der Angelegenheit auf den Streitwertrahmen des § 42 Abs. 4 GKG zurückgegriffen (LAG Hamm, 23.02.1989 – LAGE BRAGO § 8 Nr. 12; LAG Hamm, 28.04.2005 – NZA-RR 2005, 435). Im vorliegenden Fall haben die Beteiligten jedoch nicht um die Einstellung bestimmter Mitarbeiter bzw. um die Aufhebung der Einstellung bestimmter Mitarbeiter gestritten. Der Betriebsrat hat vielmehr die Arbeitgeberin auf Unterlassung der Beschäftigung von Mitarbeitern bzw. Leiharbeitnehmern ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des § 99 BetrVG in Anspruch genommen. Der vom Betriebsrat gestellte Unterlassungsantrag zu 1., dem das Arbeitsgericht stattgegeben hat, ist allein in die Zukunft gerichtet und auf § 23 Abs. 3 BetrVG gestützt worden. Insoweit kann nicht auf die Bewertung nach dem Vierteljahresverdienst eines Arbeitnehmers nach § 42 Abs. 4 GKG zurückgegriffen werden. Für einen in die Zukunft gerichteten Unterlassungsanspruch nach § 23 Abs. 3 BetrVG ist vielmehr regelmäßig der Hilfswert des § 23 Abs. 3 RVG maßgebend (LAG Hamm, 21.02.2002 - 10 TaBV 5/02 -).

Neben dem Wert von 4.000,00 € für den Unterlassungsantrag zu 1. mussten jedoch auch die Anträge des Betriebsrats auf Unterlassung der Anordnung von Überstunden, Samstagsarbeit sowie Schichtbetrieb ohne Zustimmung des Betriebsrats mit dem Hilfswert des § 23 Abs. 3 RVG in Höhe von weiteren 4.000,00 € berücksichtigt werden. Bei den Unterlassungsanträgen zu 2. und 3. handelt es sich gegenüber dem Unterlassungsantrag zu 1. um einen weitergehenden Streitgegenstand. Auch wenn der Betriebsrat die Unterlassungsanträge zu 2. und 3. auf § 23 Abs. 3 BetrVG gestützt hat, fanden diese Anträge ihre Rechtsgrundlage in § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG. Dem Betriebsrat ging es um die Einhaltung seines Mitbestimmungsrechts bei der Anordnung von Überstunden, Samstagsarbeit und Schichtarbeit. Bei diesem Begehren handelte es sich um einen gegenüber dem Unterlassungsantrag zu 1. anderweitigen Streitgegenstand, der zusätzlich bewertet werden musste, § 5 ZPO. Die Beschwerdekammer hat dieses Begehren, das ebenfalls in die Zukunft gerichtet war, ebenfalls mit dem Hilfswert des § 23 Abs. 3 RVG bewertet.

Der Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, auf die die Arbeitgeberin und auch das Arbeitsgericht besonders hinweisen, rechtfertigt keine Herabsetzung des Gegenstandswertes. Zutreffend ist zwar, dass gelegentlich auch anlässlich der Festsetzung des Gegenstandswertes in arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren auf den Umfang und die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit abgehoben wird (LAG München, 01.09.1993 – DB 1993, 2604; LAG Hamburg, 17.12.1996 – LAGE BRAGO § 8 Nr. 37; LAG Köln, 20.10.1997 – NZA-RR 1998, 275). Allein der Umstand, dass der Sachverhalt im Ausgangsverfahren im Wesentlichen unstreitig war, rechtfertigt aber keine Herabsetzung des Gegenstandswerts im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren nach § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten. Auch in vermögensrechtlichen Angelegenheiten richtet sich der Wert eines Beschlussverfahrens nicht nach der Art und/oder dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit. Diese Gesichtspunkte spielen auch im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren keine Rolle. Entscheidend ist regelmäßig der Wert des jeweiligen Streitgegenstandes. Auch in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten im Sinne des § 23 Abs. 3 Satz 2 ‚RVG kann sich deshalb die Höhe des Gegenstandswertes jedenfalls regelmäßig sich nicht nach dem Schwierigkeitsgrad und dem Umfang der anwaltlichen Tätigkeit richten (LAG Berlin, 16.10.2001 – 17 Ta 6150/01 – AE 2004, 92; LAG Hamm, 10.10.2005 – 10 TaBV 102/05 -; Wenzel, a.a.O., § 12 Rn. 441).

Das Gleiche gilt für den Einwand, die wirtschaftliche Situation der Arbeitgeberin sei derzeit sehr angespannt. Die Höhe des Gegenstandswertes richtet sich regelmäßig nicht danach, ob ein Arbeitgeber sich in einer finanziell angespannten Situation befindet.

Der Hinweis der Verfahrensbevollmächtigten des Betriebsrats darauf, dass drei Unterlassungsanträge gestellt worden seien, rechtfertigt keine anderweitige Beurteilung und die Ansetzung des dreifachen Hilfswertes. Die vom Betriebsrat gestellten Unterlassungsanträge zu 2. und 3. betreffen vielmehr einen Streitgegenstand, nämlich die Unterlassung der Anordnung von Überstunden, Samstagsarbeit und Schichtarbeit nach § 87 Abs. 1 Nr. 2 und 3 BetrVG, auch wenn das Begehren des Betriebsrats in zwei unterschiedliche Anträge gefasst worden ist.

III.

Da die Beschwerde jedenfalls teilweise erfolgreich war, hat die Beschwerdekammer von der Erhebung einer Gerichtsgebühr nach § 1 Abs. 2 GKG abgesehen (KV 8614 GKG).






LAG Hamm:
Beschluss v. 02.02.2009
Az: 10 Ta 801/08


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