Landgericht Bielefeld:
Beschluss vom 10. Juni 2009
Aktenzeichen: 2 Qs 224/09
(LG Bielefeld: Beschluss v. 10.06.2009, Az.: 2 Qs 224/09)
Tenor
Den Anzeigeerstattern ist über deren Verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwalt T. Akteneinsicht zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens werden der Staatskasse auferlegt, die auch die insoweit notwendigen Auslagen der Antragsteller zu tragen hat.
Gründe
1.
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld ermittelte auf Strafantrag der Beschwerdeführer gegen den Inhaber eines Internetanschlusses, über den nach bisherigem Stand der Ermittlungen neben anderen Dateien 1445 MP3-Musikdateien zum unberechtigten Download mittels eines Filesharingsystems bereitgestellt waren. Über eine Auskunft vom Provider ermittelte die Staatsanwalt den Anschlussinhaber des Computers, auf dem die Dateien zugänglich gemacht wurden.
Die Staatsanwaltschaft Bielefeld stellte das Ermittlungsverfahren anschließend nach § 170 Abs. 2 StPO ein und lehnte das Akteneinsichtsgesuch der Beschwerdeführer die mit Schreiben vom 05.09.2008 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass lediglich der Anschlussinhaber, nicht aber der tatsächliche Nutzer ermittelt worden sei. Da sich gegen den Anschlussinhaber nur ein vager Verdacht richte und die Verletzungen noch nicht gewerbliche Ausmaße erreiche, überwiege das Recht des Anschlussinhabers auf informationelle Selbstbestimmung. Sie teilte darüber hinaus mit, dass künftig in vergleichbaren Fällen der Urheberrechtsverletzung nicht gewerblichen Umfangs Ermittlungen gar nicht erst aufgenommen werden.
2.
Die Beschwerde gegen die Versagung der Akteneinsicht durch die Staatsanwaltschaft ist als Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 161 a Abs. 3 S. 2 bis 4, Abs. 4 S. 2 StPO statthaft und begründet.
Die beschwerdeführenden Musikverlage haben als verletzte Inhaber des Urheberechts über ihren bevollmächtigten Rechtsanwalt ein Recht auf Einsicht in die Ermittlungsakten gem. § 406 e Abs. 1 StPO. Überwiegende schutzwürdige Interessen der Beschuldigten oder anderer Personen stehen nicht entgegen.
a)
Die Beschwerdeführer sind als Tonträgerhersteller gem. § 85 UrhG Inhaber der Verwertungsrechte nach § 16, 17, 19 a UrhG. Die im Strafantrag bezeichneten Tonaufnahmen wurden von den Nutzern der im Strafantrag genannten IP-Adresse zu dem dort genannten Zeitpunkt über eine Filesharing-Software zum elektronischen Abruf durch andere Nutzer bereitgehalten und damit unter Verletzung der Verwertungsrechte der Beschwerdeführer öffentlich zugänglich gemacht.
b)
Die strafprozessuale Akteneinsicht wird dem Rechtsanwalt des Verletzten gewährt, wenn der Verletzte nach § 395 StPO berechtigt ist, sich dem Strafverfahren als Nebenkläger anzuschließen oder soweit er für die Akteneinsicht ein berechtigtes Interesse darlegen kann.
Nach § 395 Abs. 2 Ziff. 2 StPO besteht die Befugnis des Verletzten zum Anschluss als Nebenkläger in den Fällen der gewerbsmäßigen strafbaren Urheberrechtsverletzungen, §§ 108 a i. V. m. 106 - 108 UrhG. Ob Art und Zahl der auf dem Computer des Beschuldigten vorhandenen Dateien bereits auf eine Verletzung des Urheberrechts im gewerblichen Umfang schließen lassen, kann dahinstehen.
Denn ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 406 e Abs. 1 S. 1 StPO ist jedenfalls auch dann zu bejahen, wenn die Akteneinsicht zur Prüfung dienen soll, ob, gegen wen und in welchem Umfang zivilrechtliche Ansprüche, etwa aus Schadensersatz oder Unterlassung, geltend gemacht werden können (vgl. BVerfG Beschluss vom 05.12.2006 2 BvR 2388/06). Ob diese Beweise nach zivilrechtlichen Regelungen nicht gewonnen werden könnten, etwa weil keine entsprechenden zivilrechtlichen Auskunftsansprüche bestehen oder ein Beweisantritt für die behauptete Verletzungen als Ausforschungsbeweis abzulehnen wäre, spielt für die Frage, ob überhaupt ein berechtigtes Interesse für die Akteneinsicht besteht, keine Rolle. Das Interesse, einem Recht Geltung zu verschaffen, ist bis zur Grenze des Missbrauchs berechtigt.
c)
Eine wertende Betrachtung der Schutzwürdigkeit des Interesses an der Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erfolgt im Rahmen des § 406 e Abs. 2 S. 1 StPO. Danach kann die Akteneinsicht versagt werden, soweit überwiegende schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder anderer Personen entgegenstehen.
Schutzwürdig ist das Interesse des Beschuldigten an der Wahrung seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie seines sonstigen allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Dies umfasst sein Interesse, Dritten nicht bekannt werden zu lassen, was auf der Festplatte seines Computers gespeichert ist und welche Verbindungen über seinen Computer im Internet angewählt wurden.
Für die Gewichtung dieses Interesses ist von Bedeutung, dass die auf dem Computer des Beschuldigten gespeicherten Dateien bereits durch die Anmeldung bei einer Tauschbörse (P2P-Dienst) samt Freigabe seiner Festplatte für Zugriffe Dritter bereits unbeschränkt für dritte Internetnutzer einsehbar sind. Dem Rechteinhaber ist also bereits vor seinem Akteneinsichtsgesuch der Inhalt der auf dem Computer des Beschuldigten vorhandenen Dateien bekannt geworden, ohne dass er auf die in den Ermittlungsakten vorhandenen Informationen zurückgreifen musste. Soweit hierzu Informationen in der Ermittlungsakte enthalten sind, wurden sie von den Antragstellern übermittelt. Den Zugriff auf den Inhalt der Dateien hat derjenige, der die Anmeldung bei der Tauschbörse vollzogen hat - der allerdings nicht zwingend mit dem Anschlussinhaber identisch sein muss - selbst ermöglicht. Die entscheidende (und einzige) zusätzliche Information stellt der Name und die Adresse des Anschlussinhabers dar, der die Zuordnung der bereits vorhandenen Dateiinhalte einschließlich der Verbindungsdaten zu einer Person ermöglicht.
Die Schutzwürdigkeit des Interesses des Anschlussinhabers ist eingeschränkt, soweit er selbst die Anmeldung bei der Tauschbörse vorgenommen und so die Möglichkeiten sowohl zum illegalen Download als auch zur Einsicht in seine sonstigen gespeicherten Inhalte geschaffen hat.
Soweit dies von einem anderen Nutzer des Computers ohne seine Kenntnis geschehen ist, ist zu berücksichtigen, dass auch der Anschlussinhaber ein Interesse haben dürfte, die Möglichkeit des Zugriffs Dritter auf seinen Computer zu unterbinden. In diesem Fall des Auseinanderfallens von Anschlussinhaber und dem das Urheberrecht verletzenden Nutzer, der als Ausnahmefall angesehen werden muss, ist zudem zu berücksichtigen, dass der Anschlussinhaber jedenfalls bei Verletzung seiner Aufsichts- Überwachungs- und Sicherungspflichten bezüglich des von ihm ermöglichten und eröffneten Internetanschlusses nach §§ 97 UrhG, 1004 BGB als Störer haftet. Inwieweit dies der Fall ist, ist unter Berücksichtigung der Darlegungs- und Beweislast in einem Zivilverfahren festzustellen und kann im Rahmen des § 406 e StPO nicht geprüft werden. Auch insoweit ist das Interesse des verletzten Rechteinhabers gewichtig.
Das Interesse des Urhebers besteht demgegenüber darin, sich gegen die unberechtigte Nutzung seines Werkes zur Wehr setzen zu können. Bedeutung gewinnt das Interesse dann, wenn der Staat auf die strafrechtliche Verfolgung der Urheberrechtsverletzer verzichtet. Besonders gewichtig wird das zivilrechtliche Interesse des Urhebers schließlich dann, wenn zu befürchten ist, dass die Urheberrechtsverletzung andauert. Das Interesse des Urhebers beschränkt sich dann nicht nur auf die (zivilrechtliche) Sanktionierung eines bereits begangenen Urheberrechtsverstoßes und die Vergütung seiner Leistung, sondern liegt darüber hinaus darin, künftige Rechtsverletzungen zu unterbinden. Dieses Interesse des Urhebers entfaltet auch besonderes Gewicht gegenüber dem Anschlussinhaber, ohne dessen Kenntnis die Anmeldung bei der Tauschbörse erfolgt ist: denn er hat zumindest einem anderen den Zugang ins Internet über seinen Computer ermöglicht. Soweit von seinem Computer aus Straftaten ermöglicht werden, kann ihm zugemutet werden, eine Beeinträchtigung seines Rechts auf informelle Selbstbestimmung zu dulden, um die andauernde Rechtsverletzung zu beenden.
Im vorliegenden Fall ist nach derzeitigem Sachstand davon auszugehen, dass die auf dem Computer des Beschuldigten gespeicherten Musiktitel weiterhin unverändert über die Internettauschbörse von Dritten heruntergeladen werden können. Unter Berücksichtigung dessen, dass eine erhebliche Anzahl von rund 1.500 Musiktiteln gespeichert ist, die von Dritten herunter geladen werden konnten und nach derzeitigem Sachstand wahrscheinlich noch können, überwiegen - unabhängig von der Frage, ob hier bereits die Grenze zur Urheberrechtsverletzung in gewerblichem Umfang überschritten ist (vgl hierzu etwa LG Darmstadt, Beschluss vom 09.10.2008 9 Qs 490/08, das bei 620 Musiktiteln ein gewerbliches Ausmaß bejahrt hat) - die Interessen der Beschwerdeführer an der Akteneinsicht die Interessen des Anschlussinhabers am Schutz seines Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
d)
Der Anordnung der Akteneinsicht stand auch nicht entgegen, dass nach der künftigen Praxis der Staatsanwaltschaften in Fällen wie dem Vorliegenden die Personalien des Anschlussinhabers nicht mehr ermittelt werden.
Die Frage, ob die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen verpflichtet ist oder ob sie diese einstellen kann, ist eigenständig zu beantworten und deckt sich nicht mit der Frage, ob Akteneinsicht zu gewähren ist. Für die Frage der Abgrenzung von dem Verfolgungszwang nach dem Legalitätsprinzip und der Ausnahme hiervon nach dem Opportunitätsprinzip spielen unter anderem übergreifende, etwa generalpräventive Erwägungen eine Rolle, die für die Frage der Akteneinsicht, bei der konkret die berechtigte Interessen des Verletzten gegen schutzwürdige Interessen des Beschuldigten oder Dritter abzuwägen sind, nicht von Bedeutung sind.
Auch ist das strafprozessuale Akteneinsichtsrecht nicht durch die Regelung des § 101 UrhG limitiert, die einen zivilrechtlichen Auskunftsanspruch regelt, also privatrechtlich eine Pflicht des Verletzers eines einem anderen zustehenden Urheberrechts zum aktiven Tätig werden, begründet.
Die Frage des Absehens von Strafverfolgung richtet sich damit nach anderen Kriterien als die Interessenabwägung im Rahmen des Akteneinsichtsrechts. Insofern ist eine Gleichbehandlung des hier ermittelten Anschlussinhabers mit den gar nicht erst ermittelten Anschlussinhabern nicht geboten.
e)
Die Kostenentscheidung folgt aus § 464 StPO.
LG Bielefeld:
Beschluss v. 10.06.2009
Az: 2 Qs 224/09
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