Bundespatentgericht:
Urteil vom 6. August 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 3/01
(BPatG: Urteil v. 06.08.2002, Az.: 3 Ni 3/01)
Tenor
Das Patent DD 298 527 wird im Umfang der Patentansprüche 2 und 3 bis 5, soweit diese auf Patentanspruch 2 zurückbezogen sind, teilweise für nichtig erklärt.
Im übrigen wird die Klage zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 18. November 1988 angemeldeten Patents DD 298 527 (Streitpatent), für das die Prioritäten der amerikanischen Patentanmeldungen 122714 vom 18. November 1987, 161072 vom 26. Februar 1988, 263584 vom 26. Oktober 1988, 139886 vom 30. Dezember 1987, 191263 vom 6. Mai 1988 und 271450 vom 14. November 1988 in Anspruch genommen worden sind. Das Deutsche Patentund Markenamt hat das Streitpatent am 26. August 1991 gemäß § 17 Abs 1 PatG DDR vom 27. Oktober 1983 und den Bestimmungen des Einigungsvertrages erteilt und am 27. Februar 1992 veröffentlicht. Das Streitpatent, das ein Verfahren zur Herstellung HCV-Epitope enthaltender Polypeptide und HCV-freier Blutzubereitungen betrifft und in der erteilten Fassung 6 Patentansprüche umfasst, wurde durch das Urteil des 3. Senats des Bundespatentgerichts vom 19. Dezember 1995 dadurch teilweise für nichtig erklärt, dass seine Patentansprüche folgende Fassung erhielten:
"1. Verfahren zur Herstellung eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids mit den Schritten: a) Auswahl einer Wirtszelle, die mit einem rekombinanten Expressionssystem transformiert ist, das einen offenen Leserahmen (ORF) eines von HCV-cDNA abgeleiteten Polynucleotids umfasst, wobei der ORF operativ mit einer mit der Wirtszelle verträglichen Kontrollsequenz verbunden ist, undb) Inkubation der transformierten Wirtszelle unter Bedingungen, die die Expression des HCV-Polypeptids erlauben, wobei das Polypeptid ein HCV-Epitop umfasst, das in der HCV-cDNA-Sequenz gemäß Fig. 47 kodiert ist.
2. Verfahren zur Herstellung HCV-freier Blutzubereitungen mit den Schritten: a) Auswahl einer Blutprobe, bei der der Verdacht besteht, dass sieanti-HCV-Antikörper enthält; b) Auswahl eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids, hergestellt gemäß Anspruch 1;
c) Inkubierung der Probe gemäß a) mit dem immunogenen Polypeptid gemäß b) unter Bedingungen, die die Bildung von Antikörper-Polypeptid-Komplexen erlauben;
d) Bestimmung der in Stufe c) gebildeten Komplexe und e) Sammeln des Blutes, in dem keine Komplexe gemäß d) festgestellt wurden.
3. Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Polypeptid ein HCV-Epitop umfasst das in einer HCV-cDNA-Sequenz in ATCC-Nr. 40388, ATCC-Nr. 40389, ATCC-Nr. 40390, ATCC-Nr. 40391, ATCC-Nr. 40394, ATCC-Nr. 40511, ATCC-Nr. 40512, ATCC-Nr. 40513 oder ATCC-Nr. 40514 kodiert ist.
4.
Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Polypeptid ein Epitop von C100-3 umfasst.
5.
Verfahren nach Anspruch 1 oder 2, dadurch gekennzeichnet, dass das Polypeptid C100-3 umfasst."
Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart sei, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Darüber hinaus könne für Patentanspruch 2 keine Offenbarungsquelle in den ursprünglichen Unterlagen gefunden werden, so dass dem Patentanspruch 2 und den abhängigen Patentansprüchen 3 bis 5 der Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung entgegenstehe. Zur Begründung verweist sie auf die Anlagen K 1 bis K 25.
Die Klägerin beantragt, das Patent DD 298 527 für nichtig zu erklären.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent unter Berufung auf die Anlagen B 1 bis B 23 für patentfähig.
Gründe
Die zulässige Klage erweist sich als teilweise begründet.
Auf das als Ausschließungspatent nach § 17 Abs 1 Patentgesetz der DDR in der Fassung vom 27. Oktober 1983 beim ehemaligen Amt für Erfindungsund Patentwesen der DDR am 18. November 1988 angemeldete und vom Deutschen Patentund Markenamt am 27. Februar 1992 veröffentlichte Streitpatent ist nach § 5 Satz 2 ErstrG das übergeleitete Patentgesetz 1981 (PatG) anzuwenden. Nur soweit die Voraussetzungen der Schutzfähigkeit oder der Schutzdauer des Streitpatents betroffen wären, kämen nach Maßgabe der Anlage I Kapitel III Sachgebiet E Abschnitt II Nr. 1 § 3 Abs 1 Einigungsvertrag vom 31. August 1990 weiterhin die am Anmeldetag geltenden Rechtsvorschriften der ehemaligen DDR in Betracht (s amtl. Begründung zum ErstrG BlPMZ 1992, S. 213, 223, 224).
Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der unzulässigen Erweiterung führt zur teilweisen Nichtigerklärung des Streitpatents im Umfang des Patentanspruchs 2 und der auf ihn zurückbezogenen Patentansprüche 3 bis 5, §§ 81 Abs 1, 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 4 PatG. Soweit die Klägerin sich auf den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Offenbarung unter dem Gesichtspunkt der Ausführbarkeit stützt, § 22 Abs 1, § 21 Abs 1 Nr 2 PatG, konnte die Klage dagegen keinen Erfolg haben.
I.
1.
Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung HCV-Epitope enthaltender Polypeptide und HCV-freier Blutzubereitungen. Spezifische Nachweisund Screeningverfahren für den Nachweis einer Non A - Non B-Hepatitis (NANBH) bzw von entsprechend kontaminiertem Blut oder Blutprodukten haben große Bedeutung insbesondere für die Transfusionsmedizin. NANBH ist überwiegend für die Posttransfusionshepatitis verantwortlich und kann zu einer chronischen Leberschädigung führen. Sowohl die Behandlung von Patienten als auch die Vermeidung von Übertragung der NANBH erfordern zuverlässige diagnostische und prognostische Mittel zum Nachweis von Nucleinsäuren, Antigenen und Antikörpern, die mit dem NANBH-Virus im Zusammenhang stehen. Darüber hinaus besteht Bedarf an wirksamen Vakzinen und immuntherapeutischen Mitteln zur Vorbeugung und/oder Behandlung der Krankheit. Trotz dieser Bedürfnisse war es nicht gelungen, Antikörper oder Viren zu isolieren, so dass immunologische Testverfahren nicht zur Verfügung standen.
2.
Aufgabe des Streitpatents ist es, ein Verfahren zu Herstellung eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids zur Verfügung zu stellen, das bei einem Verfahren zur Untersuchung von Blutproben eingesetzt werden kann, um mit Hepatitis C-Viren kontaminiertes Blut zu erkennen. Außerdem soll ein Verfahren zur Herstellung HCV-freier Blutzubereitungen bereitgestellt werden, um die Häufigkeit von Hepatitis-Infektionen nach Transfusionen zu verringern.
3.
Zur Lösung beschreibt Patentanspruch 1 ein Verfahren zur Herstellung eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids mit den Schritten:
a) Auswahl einer Wirtszelle, die mit einem rekombinanten Expressionssystem transformiert ist, das einen offenen Leserahmen (ORF) eines von HCV-cDNA abgeleiteten Polynucleotids umfasst, wobei der ORF operativ mit einer mit der Wirtszelle verträglichen Kontrollsequenz verbunden ist, undb) Inkubation der transformierten Wirtszelle unter Bedingungen, die die Expression des HCV-Polypeptids erlauben, wobei das Polypeptid ein HCV-Epitop umfasst, das in der HCV-cDNA-Sequenz gemäß Fig. 47 kodiert ist.
Patentanspruch 2 beschreibtein Verfahren zur Herstellung HCV-freier Blutzubereitungen mit den Schritten:
a) Auswahl einer Blutprobe, bei der der Verdacht besteht, dass sie antiHCV-Antikörper enthält;
b) Auswahl eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids, hergestellt gemäß Anspruch 1;
c) Inkubierung der Probe gemäß a) mit dem immunogenen Polypeptid gemäß b) unter Bedingungen, die die Bildung von Antikörper-Polypeptid-Komplexen erlauben;
d) Bestimmung der in Stufe c) gebildeten Komplexe unde) Sammeln des Blutes, in dem keine Komplexe gemäß d) festgestellt wurden.
II.
1. Die Klage konnte nur im Umfang des Patentanspruchs 2 und der auf ihn zurückbezogenen Patentansprüche 3 bis 5 Erfolg haben, weil ihr Gegenstand über den Inhalt der Fassung der Anmeldung hinausgeht, in der diese bei der zuständigen Behörde, hier dem Amt für Erfindungsund Patentwesen der Deutschen Demokratischen Republik, ursprünglich eingereicht worden ist (§§ 81 Abs 1, 22 Abs 1, 21 Abs 1 Nr 4 PatG).
Die ursprünglich eingereichte Fassung der Patentanmeldung ist im vorliegenden Fall die am Amt für Erfindungsund Patentwesen der Deutschen Demokratischen Republik eingereichte beglaubigte Übersetzung gemäß Blatt 7 bis 181, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 (Aktenzeichen der Patentanmeldung AP C12N 321 971 8) der in englischer Sprache abgefassten Patentanmeldung (siehe Teil 2 und Teil 4 dieser Patentakte). Aus der Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen AP C12N 321 971 8 ist nach Beanstandung der Einheitlichkeit im Prüfungsbescheid vom 12. Januar 1990 des Amts für Erfindungsund Patentwesen der Deutschen Demokratischen Republik die hier in Streit stehende Patentschrift DD 298 527 A5 mit den neuen Patentansprüchen 1 bis 5 hervorgegangen.
Die Beschreibung zur Patentschrift DD 298 527 A5 ist in der vom Anmelder eingereichten Fassung veröffentlicht.
In den ursprünglichen Unterlagen sowie in der veröffentlichten Beschreibung der Patentschrift DD 298 527 A5 konnte die Beklagte keine Fundstelle angeben, die das beanspruchte Verfahren zur Herstellung HCV-freier Blutzubereitungen offenbart. Auch der Senat konnte keine geeignete Stelle für eine Offenbarung des beanspruchten Verfahrens ermitteln.
Auf Seite 7 le Abs bis Seite 8 Abs 1 (Bl 175 bis 174, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 3 Z 33 bis 40 der Patentschrift DD 298 527 A5) der ursprünglichen Unterlagen wird die große Bedeutung eines sensitiven, spezifischen Screeningund Nachweisverfahrens für mit NANBV kontaminiertes Blut oder Blutprodukte hingewiesen. Auf Seite 31 Abs 2 (Bl 151, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 9 Z 29 bis Z 39 der Patentschrift DD 298 527 A5) wird die Wichtigkeit des Tests von Spenderblut auf das Vorhandensein des HC-Virus erwähnt. Auch auf Seite 32 le Abs (Bl 150, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 9 Z 57 bis 60 der Patentschrift DD 298 527 A5) findet sich ein Hinweis auf ein Screening von infiziertem Blut und blutähnlichen Produkten. Gemäß Seite 52 bis 53 (Bl 130 und 129, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 15 Z 1 bis 35 der Patentschrift DD 298 527 A5) können Polypeptide, die Epitope aus spezifischen Domänen einschließen, für den Nachweis von Virusantikörpern in infizierten Blutspendern und infizierten Patienten nützlich sein. In Beispiel IV.D.3. auf Seite 115 bis 116 (Bl 67 bis 66, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 32 und 33 der Patentschrift DD 298 527 A5) wird der Nachweis von Antikörpern gegen HCV-Epitope durch Festphasen-Radioimmunoassay beschrieben. Im Beispiel IV.D.4 auf Seite 120 (Bl 62, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 34 der Patentschrift DD 298 527 A5) wird die Spezifität der Festphasen-RIA bezüglich NANBH untersucht. Die Verwendung des ELISA-Tests bei HCV-Infektionen mit HCV-c100-3 als Testantigen findet sich auf den Seiten 135 bis 138 (Blatt 47 bis 44, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 39 der Patentschrift DD 298 527 A5). Im Beispiel IV.I.1. wird die HCV-Infektion in einer Population von Zufallsblutspendern nachgewiesen (S 138 bis 139; Bl 44 bis 43, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 40 der Patentschrift DD 298 527 A5). Auf den Seiten 142 bis 159 (Bl 40 bis 23, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 41 bis 49 der Patentschrift DD 298 527 A5) wird ua die Übertragung der C-Hepatitis beim Blutspenden untersucht. Auf Seite 165 (Bl 17, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 50 unter "Industrielle Anwendbarkeit" der Patentschrift DD 298 527 A5) findet sich schließlich der Hinweis, dass die erfindungsgemäßen HCV-Epitope beim Screenen von Blutspendern nach HCV-verursachter infektiöser Hepatitis und auch beim Nachweis von kontaminiertem Blut von infektiösen Blutspendern kommerziell angewendet werden.
Keine der von der Beklagten angegebenen Fundstellen in den ursprünglichen Unterlagen noch die ursprünglichen Patentansprüche auf Seite 168 bis 173 (Bl 14 bis 9, Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5) offenbaren ein Verfahren zur Herstellung HCV-freier Blutzubereitungen mit den Schritten:
a) Auswahl einer Blutprobe, bei der der Verdacht besteht, dass sie anti-HCV-Antikörper enthält; b) Auswahl eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids, hergestellt gemäß Anspruch 1; c) Inkubierung der Probe gemäß a) mit dem immunogenen Polypeptid gemäß b) unter Bedingungen, die die Bildung von Antikörper-Polypeptid-Komplexen erlauben; d) Bestimmung der in Stufe c) gebildeten Komplexe und e) Sammeln des Blutes, in dem keine Komplexe gemäß d) festgestellt wurden.
Ein solches Verfahren ist aus den ursprünglichen Unterlagen auch nicht herleitbar.
Die Gegenstände des Patentanspruchs 2 sowie der Patentansprüche 3 bis 5, soweit sie auf den Patentanspruch 2 rückbezogen sind, gehen somit über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus und sind deshalb nicht rechtsbeständig.
Die Klägerin hat gegen Patentanspruch 2 und die darauf rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 5 in der mündlichen Verhandlung noch einen weiteren, bereits schriftsätzlich geltend gemachte Nichtigkeitsgrund (nacharbeitbare Offenbarung) vorgetragen. Der Senat verzichtet auf ein detailliertes Eingehen hierauf, weil dem Bestreben der Klägerin bereits durch die erfolgte Vernichtung dieser Patentansprüche Rechnung getragen wird.
2. Die Klägerin hat den Senat nicht vom Vorliegen des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Offenbarung unter dem Gesichtspunkt der Ausführbarkeit, § 22 Abs 1, § 21 Abs 1 Nr 2 PatG, der Gegenstände nach Patentanspruch 1 und der auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 5 überzeugen können.
Gemäß § 21 Abs 1 Nr 2 PatG wird das Patent widerrufen, wenn das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Die bloße Breite eines Patentanspruchs spricht nicht gegen eine ausreichende Offenbarung und stellt keinen eigenständigen Nichtigkeitsgrund dar.
Nach Ansicht des Senats bestehen keine Bedenken, dass das beanspruchte Verfahren zur Herstellung eines ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptids nach Patentanspruch 1 zumindest im Umfang der offenbarten Beispiele unter IV.B. auf Seite 94 bis 106 der ursprünglichen Unterlagen (Blatt 88 bis 76 , Teil 3 der Patentakte zur Patentschrift DD 287104 A5 bzw S 27 bis 30 der Patentschrift DD 298 527 A5) nacharbeitbar offenbart ist. Die Klägerin hat dies weder schriftlich noch in der mündlichen Verhandlung in Abrede gestellt. Dass die angegriffenen Patentansprüche nach Meinung der Klägerin außerordentlich weit über die nacharbeitbare Offenbarung hinausgehen, ist nach geltendem Recht kein Nichtigkeitsgrund (siehe zB BGH - Taxol - GRUR 2001, 813, 818 re Sp).
Von Seiten der Klägerin wird geltend gemacht, dass das Erfordernis der Ausführbarkeit einer technischen Lehre nicht schon dann gegeben sei, wenn der durch das Streitpatent geschützte Gegenstand überhaupt hergestellt werden könne. Wenn eine zum Patent angemeldete Lehre in einem größeren, in sich abgeschlossenen und ohne weiteres aus der allgemeinen Lehre auszuklammernden Bereich oder in mehreren solcher Bereiche versage, dann sei die Lehre insoweit nicht ausführbar und in diesem Umfang für nichtig zu erklären (BGH - Polyesterfäden - GRUR 1991, 518, 520 re Sp).
Unter Abwägung aller Umstände des hier vorliegenden Einzelfalls ist nach Auffassung des Senats eine Einschränkung des Patentbegehrens nach Patentanspruch 1 nicht notwendig.
Gemäß dem Leitsatz des BGH-Urteils "Taxol" (GRUR 2001, 813) kann bei einem Patent für ein chemisches Syntheseverfahren ein bestimmter Verfahrensschritt in Form einer an sich geläufigen, allgemein bezeichneten Reaktion auch dann allgemein beansprucht werden, wenn bekannte Möglichkeiten, diese Reaktion durchzuführen, versagen, in der Patentschrift aber ein ausführbarer Weg zur Durchführung der Reaktion nacharbeitbar offenbart ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob dem Fachmann auch andere Wege zur Durchführung der Reaktion zur Verfügung standen. Wenn, wie auf Seite 818 li Sp dieses Urteils weiter ausgeführt wird, der Schutz eines Verfahrenspatents neben dem Fachmann geläufigen Verfahrensabläufen immer nur den konkreten, im Patent offenbarten Verfahrensgang erfassen dürfte, würde dies jedenfalls dann, wenn ein bestimmtes Verfahren erstmals der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt wird, grundsätzlich keine angemessene Belohnung der erfinderischen Leistung darstellen. Dabei kommt es nicht einmal darauf an, ob dem Fachmann zum Anmeldeoder Prioritätszeitpunkt oder bei Veröffentlichung der Patentschrift noch andere Wege zur Durchführung der Reaktion zur Verfügung standen und ob es überhaupt andere Wege gibt, die Reaktion mit brauchbarer Ausbeute durchzuführen.
Im vorliegenden Fall sind unter Punkt IV.B. in der Streitpatentschrift unterschiedliche Wege für die Herstellung von brauchbaren, ein HCV-Epitop enthaltenden Polypeptiden offenbart. Dem Fachmann wird die Nacharbeitbarkeit sogar durch den Rückgriff auf die bei der American Type Culture Collection (ATCC) nach dem Budapester Vertrag hinterlegten Arbeitsmittel erleichtert. Die Angaben im Patentanspruch erschöpfen sich auch nicht in einer Umschreibung der der Erfindung zu Grunde liegenden Aufgabe, sondern kennzeichnen die Lösung der Aufgabe. Die vom BGH im Urteil "Taxol" entwickelten Bedingungen für ein allgemein beanspruchtes Verfahren sind daher im Umfang der im gültigen Patentanspruch 1 genannten Maßnahmen erfüllt. Dass bei der Suche nach weiteren geeigneten Polypeptiden eine Vielzahl von Peptiden synthetisiert und getestet werden müssten, ist bei der hier gegebenen Sachlage nicht von Bedeutung. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die Beklagte im Verfahren 3 Ni 40/94 den Patentanspruch 1 bereits auf solche Polypeptide eingeschränkt hat, die ein HCV-Epitop umfassen, das von der HCV-cDNA-Sequenz gemäß Fig. 47 kodiert ist.
Mit den Dokumenten K15 Einspruchsschriftsatz vom 15. September 1994 und K16 Schriftsatz vom 18. Dezember 1995 mit Versuchsbericht, möchte die Klägerin nachweisen, dass die Lehre des angegriffenen Patents in bestimmten Ausführungsformen nicht nacharbeitbar ist. Diese Dokumente können jedoch zu keiner anderen Beurteilung des Patentgegenstandes führen, da bei einem chemischen Verfahren immer die Möglichkeit besteht, durch eine nicht optimale Prozessführung ein schlechteres Verfahrensergebnis zu erhalten. In dem von der Klägerin eingereichten nachveröffentlichten Dokument K12 H. Meisel, Diagnostische Bibliothek, März 1994, Nr 21, Seiten 1 bis 10 findet sich auf Seite 6 li Sp sogar der Hinweis, dass mit dem Test der 1. Generation zum Nachweis von Anti-HCV-Antikörpern unter zu Hilfenahme des Polypeptids C100-3 nach Patentanspruch 5 des Streitpatents der Beweis erbracht werden konnte, dass HCV der Erreger der meisten Posttransfusionshepatitiden ist. Somit ist der beanspruchte Gegenstand zumindest in diesem Umfang ausführbar. Die weiteren von der Klägerin angezogenen Dokumente K4 bis K11, K13, K14 sowie K17 bis K25 können ebenfalls nicht belegen, dass die Gegenstände nach Patentanspruch 1 nicht so deutlich und vollständig offenbart sind, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
Die Klägerin versucht aufzuzeigen, dass die gestellte Aufgabe mit den in den Beispielen offenbarten Polypeptiden nicht gelöst worden sei, weil mit den auf der Grundlage dieser Polypeptide aufgebauten Testsystemen keine Infektionen nachgewiesen werden könnten, die von bisher unbekannten HCV-Genotypen verursacht würden, und weil mit diesen Testsystemen viele falschnegative oder falschpositive Befunde erhalten würden. Auch dieses Vorbringen kann den Senat nicht überzeugen, weil der hier zuständige Fachmann beim Studium der Patentschrift am Anmeldetag die Aufgabe nicht so verstanden hätte, dass mit diesen Testsystemen alle bis dahin bekannten und unbekannten HCV-Genotypen fehlerfrei erfasst werden sollen. Die dem Patent objektiv zu Grunde liegende Aufgabe kann nämlich nicht darin gesehen werden, dass am Anmeldetag ein in jeder Hinsicht optimiertes Testsystem bereitgestellt werden sollte. Die technische Lehre der Streitpatentschrift stellt vielmehr erstmals nacharbeitbar Werkzeuge zur Verfügung, zumindest eine Form der Hepatitis C zu diagnostizieren. Polypeptide, die HCV-Epitope von am Anmeldetag noch nicht bekannten HCV-Genotypen enthalten und die nicht in der HCV-cDNA-Sequenz gemäß Fig. 47 kodiert sind, sind nicht Gegenstand des Patentanspruchs 1. Die Argumentation der Klägerin, dass es kein einheitliches HCV-Genom gäbe, weil mehrere genetisch unterschiedliche HC-Viren existieren würden, die erst in jüngster Zeit entdeckt worden wären, und dass somit kein patentgemäßes für alle HCV-Typen einzigartiges Epitop identifiziert werden könnte, greifen deshalb nicht durch.
Die Entscheidung der Beschwerdekammer 3.3.4 des Europäischen Patentamts mit dem Aktenzeichen T 0188/97 vom 8. Februar 2001 (K19), die von der Klägerinauch für das vorliegende Nichtigkeitsverfahren als höchst relevant angesehen wird, kann schon deshalb zu keiner anderen Beurteilung des Patentgegenstands führen, weil ein Gegenstand, der dem des Patentanspruchs 1 nach Streitpatent entspricht, dort nicht untersucht wurde.
Nach alledem ist der Gegenstand nach Patentanspruch 1 nacharbeitbar offenbart. Da die Breite der Patentansprüche für sich kein Nichtigkeitsgrund ist, Neuheit und erfinderische Tätigkeit der Gegenstände nach Patentanspruch 1 und der auf ihn rückbezogenen Patentansprüche 3 bis 5 im Hinblick auf den bisher bekannt gewordenen Stand der Technik unbestritten gegeben sind und die ursprüngliche Offenbarung dieser Gegenstände nicht in Frage gestellt wird, sind diese Patentansprüche rechtsbeständig.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 92 Abs 1 ZPO.
Hellebrand Dr. Wagner Sredl Dr. Feuerlein Dr. Gerster Na
BPatG:
Urteil v. 06.08.2002
Az: 3 Ni 3/01
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