Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 7. September 2012
Aktenzeichen: 2 AGH 29/11

(OLG Hamm: Urteil v. 07.09.2012, Az.: 2 AGH 29/11)

Tenor

1. Der belehrende Hinweis der Rechtsanwaltskammer Hamm vom 27.10.2011 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Die Berufung wird zugelassen.

4. Der Gegenstandswert wird auf 5.000,-- € festgesetzt.

Gründe

A. Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen einen belehrenden Hinweis der beklagten Rechtsanwaltskammer, wonach die Führung der Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" auf dem Briefkopf des Klägers ohne weitere Erläuterung eine unzulässige Form der Wer­bung darstelle (Verstoß gegen die Berufspflicht nach §§ 43b BRAO i.V.m. § 6 BORA).

Der Kläger ist als Rechtsanwalt und Notar in I tätig; ein Schwerpunkt seiner Tätig­keit ist die Beratung im Bereich anwaltlichen Vorsorgerechtes, insbesondere im Zusammen­hang mit Erbrecht, Vorsorgevollmachten und Patienten- und Betreuungsverfügungen. Der Kläger bildet zusammen mit Rechtsanwältin X und Rechtsanwalt und Notar X2 eine Sozietät; auf dem Briefkopf der Sozietät wird für den Kläger unter seiner Bezeichnung „Rechtsanwalt und Notar" die Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" genutzt. Nach dem Briefkopf befindet sich die Sozietät außerdem in Bürogemeinschaft mit Frau Rechtsanwältin D, unter deren Namen ebenfalls die Bezeichnung „VorsorgeAnwältin" verwendet wird.

Auf Hinweis dritter Anwaltskollegen beanstandete die beklagte Rechtsanwaltskammer die Verwendung der Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" auf dem Briefkopf. Außergerichtlich machte der Kläger gegenüber der Rechtsanwaltskammer geltend, eine Verwechselungsge­fahr der Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" mit dem Fachanwaltstitel sei nicht gegeben; es gäbe auch keinen Fachanwalt für „Vorsorgerecht". Mit „VorsorgeAnwalt" werde in erster Linie seine Tätigkeit beschrieben; er bringe auch in Artikeln bzw. in Anzeigen in Zeitschrif­ten zum Ausdruck, dass er spezialisiert sei auf Vorsorgevollmachten sowie auf Patienten- und Betreuungsverfügungen. Er habe in den letzten Jahren mehr als 200 Vorsorgevollmach­ten und Patientenverfügungen entwickelt und beurkundet. Der Kläger legt ferner fünf Teilnahmebescheinigungen des Vereins K e.V. für den Zeitraum 25.04.2009 bis 13.05.2011 vor. Er macht weiter geltend, die Auffassung des AGH Nordrhein-Westfalen, auf die sich die Anzeigeerstatter und die Rechtsanwaltskammer zur Begründung bezogen hätten, sei im Wesentlichen durch eine Entscheidung des BGH vom 9. Juni 2011 aufgehoben wor­den, der bei nachgewiesener Spezialisierung durchaus die Bezeichnung „Zertifizierter Tes­tamentsvollstrecker" zugelassen habe. Bei Nachweis der entsprechenden Tätigkeit und Spe­zialisierung hätten gegen diese Bezeichnung keine Bedenken bestanden. Entsprechendes müsse auch für „VorsorgeAnwalt" gelten.

Mit dem angefochtenen belehrenden Hinweis vom 27.10.2011 macht die beklagte Rechts­anwaltskammer geltend, die Führung dieser Bezeichnung stelle eine unzulässige Form der Werbung dar; sie sei zur Irreführung des rechtssuchenden Publikums geeignet. Es handele sich nicht um eine zulässige Angabe von Teilbereichen der Berufstätigkeit, da die Bezeich­nung „VorsorgeAnwalt" gerade nicht bestimmbar und hinreichend konkret in Bezug auf den tatsächlichen Tätigkeitsbereich des Anwalts sei. Der Begriff „Vorsorge" trete in unterschied­lichen, tatsächlichen und rechtlichen Bereichen auf. Die Rechtsanwaltskammer bezieht sich ferner auf die Entscheidung des erkennenden Senats des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-Westfalen vom 07.01.2011 (Az.: 2 AGH 36-38/10, AGH NW); in dieser Ent­scheidung habe der Anwaltsgerichtshof darauf hingewiesen, dass es keinen klaren Begriff oder fest umgrenzte Begrifflichkeit des Vorsorgerechtes gebe. Die Rechtsanwaltskammer macht sich diese Auffassung des erkennenden Senats aus der Entscheidung vom 07.01.2011 zur Begründung der Berufswidrigkeit der Bezeichnung „Vorsorgeanwalt" zu Eigen.

Mit seiner Klagebegründung vom 14.05.2012 legt der Kläger dar, dass als Rechtsgrundlage für den belehrenden Hinweis nur das Verbot der irreführenden Werbung nach § 5 UWG i.V.m. § 43 BRAO in Betracht komme. Dem Berufsrecht komme neben dem UWG keine Bedeutung mehr zu. § 43b BRAO oder § 7 BORA gingen nicht über das Irreführungsverbot des § 5 UWG hinaus. Der Begriff des „Vorsorgeanwalts" stelle keine Angabe eines qualifi­zierenden Zusatzes i.S.d. § 7 Abs. 1 S. 2 BORA seiner Berufstätigkeit dar. Vielmehr erfolge nur ein Hinweis auf sein Schwerpunktgebiet. Auch sei die Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 BORA verfassungskonform zu interpretieren. Es müsse jeder - auch der junge - Anwalt an­geben können, in welchen Teilbereichen er schwerpunktmäßig tätig sei bzw. sein wolle.

Der Kläger vertritt die Auffassung, der Begriff des „Vorsorgeanwalts" sei nicht irreführend i.S.d. § 5 UWG. Dagegen spreche in tatsächlicher Hinsicht schon, dass er spezialisiert sei auf Vorsorgevollmachten und Vorsorgerecht. Insbesondere durch seine Mitgliedschaft in dem Verein „K e.V." habe seine Tätigkeit in diesem Bereich noch einmal stark zu­genommen. Dem Begriff des „Vorsorgeanwalts" komme ein eigenständiger Informations­wert zu. Die Bezeichnung habe sich in den letzten Jahren hinreichend konkret entwickelt als Bezug auf den tatsächlichen Tätigkeitsbereich des Anwalts. Ein Blick in das Internet, insbe­sondere eine Suche bei Google, zeige, wie sehr sich der Begriff schon durchgesetzt habe. Für den Rechtssuchenden sei erkennbar, was Vorsorge im Rechtssinne bedeute, nämlich, dass spezielle Kenntnisse im Bereich des Vorsorgerechts angeboten würden. Das „Vorsorgerecht" sei ein eigenständiges Rechtsgebiet. Es umfasse insbesondere alle Fragen, die mit Vorsorge­vollmachten, Patientenverfügungen, den zugrundeliegenden Rechtsverhältnissen, deren Auswirkungen und dem Betreuungsrecht im Zusammenhang stehen, sowie weitere, damit zusammenhängende Themen des Pflege-, Patienten- und Heimrechts. Der Begriff des „Vor­sorgeanwalts" sei nur eine Verkürzung der zulässigen Spezialisierungs- und Tätigkeitsbe­schreibung als „Vorsorgerechtsanwalt" bzw. „Vorsorgevollmachtsanwalt". Zu einer recht­lich relevanten Irreführung führe auch nicht, dass der Begriff „Vorsorgeanwalt" unscharf sei. Denn es sei zu berücksichtigen, dass auch die Tätigkeitsbezeichnung „Verwaltungsrecht" sehr weit, aber zulässig sei. Der Kläger räumt zwar ein, dass der Begriff der Vorsorge auch in anderen Bereichen auftrete. Das rechtfertige jedoch nicht die Untersagung der Führung dieser Schwerpunktbezeichnung für anwaltliche Tätigkeit. Auch sei bekannt, dass bestimmte Begriffe auf verschiedenen Gebieten unterschiedliche Bedeutungen haben könnten. So be­deute beispielsweise der von Rechtsschutzversicherern verwendete Begriff „Familienrechts­schutz" nicht, dass sie Kosten von familienrechtlichen Verfahren übernähmen. Insgesamt sei festzustellen, dass durch die Entwicklung in den letzten zehn Jahren die Allgemeinheit den Begriff der Vorsorge im Rechtsbereich erkannt und verstanden habe.

Der Kläger beantragt,

den belehrenden Hinweis der Beklagten vom 27.10.2011 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer, in den belehrenden Hinweisen zum Ausdruck gebrachten Rechtsauffassung fest und nimmt vorbehaltlich ergänzender Begründung darauf Bezug.

In der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2012 hat der Kläger weiter Bezug genommen auf die neue Entscheidung des BGH vom 12.07.2012 (Az.: AnwZ (Brfg) 37/11). Er macht sich die dortigen Ausführungen zum Einfluss der verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grund­rechtes der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auf die Tätigkeit und die Werbung von Rechtsanwälten zu Eigen.

Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung deutlich gemacht, dass sich ihre Beanstan­dung auf den Briefkopf des Klägers ohne nähere Erläuterungen des Begriffes „Vorsorgean­walt" beziehe; gegen eine Verwendung des Begriffes „Vorsorgeanwalt" im Zusammenhang mit erläuternden Worten habe sie keine berufsrechtlichen Einwendungen.

B. Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der erteilte Hinweis der beklagten Rechtsanwaltskammer ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Die Verwendung der Bezeich­nung „VorsorgeAnwalt" auf dem Briefkopf des Klägers verstößt nicht gegen berufsrechtli­che Vorschriften.

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht eingelegt. Der belehrende Hin­weis vom 27.10.2011 ist dem Kläger am 07.11.2011 zugestellt worden. Die Klage vom 02.12.2011 ist am 05.12.2011, mithin rechtzeitig, beim AGH eingegangen.

Es bestehen keine Zweifel, dass der Kläger mit der Anfechtungsklage gegen den belehren­den Hinweis der Beklagten vorgehen kann. Es handelt sich um eine mit Rechtsmittelbeleh­rung versehene hoheitliche Maßnahme der Beklagten, welche das berufliche Verhalten des Klägers missbilligt.

II.

Die Klage ist auch begründet. Der belehrende Hinweis verstößt gegen materielles Recht und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Vor dem Hintergrund des Grundrechts auf Berufsfrei­heit in Art. 12 Abs. 1 GG darf die Rechtsanwaltskammer bei der Gestaltung des Briefkopfes eines Rechtsanwalts die Bezeichnung „Vorsorgeanwalt" nicht beanstanden.

1. Nach § 43 BRAO hat der Rechtsanwalt die Verpflichtung, seinen Beruf gewis­senhaft auszuüben und sich innerhalb und außerhalb des Berufes der Achtung und des Vertrauens, welche die Stellung eines Rechtsanwaltes erfordert, würdig zu erweisen. § 43b BRAO setzt der Werbetätigkeit eines Rechtsanwaltes gewisse Schranken. Werbung ist ihm nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auf­trags im Einzelfall gerichtet ist.

Gemäß § 43b BRAO i.V.m. § 6 Abs. 1 BORA darf der Rechtsanwalt über seine Dienstleistung und seine Person informieren, soweit die Angaben sachlich unter­richten und berufsbezogen sind. Unabhängig von Fachanwaltsbezeichnungen darf der Rechtsanwalt Teilbereiche der Berufstätigkeit unter bestimmten Umständen benennen (§ 7 Abs. 1 BORA); Benennungen sind jedoch unzulässig, soweit sie die Gefahr einer Verwechslung mit Fachanwaltschaften begründen oder sonst ir­reführend sind (§ 7 Abs. 2 BORA).

Die Auslegung der Vorschriften der Bundesrechtsanwaltsordnung und der Be­rufsordnung hat sich an dem - die anwaltliche Berufsausübung prägenden - Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) auszurichten. Die Gestaltung und Verwendung des Briefkopfes stellt ein werbendes Verhalten dar, was darauf zielt, den Verkehr für die Inanspruchnahme von Leistungen des Klägers zu ge­winnen. Dies ist Bestandteil der von Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Berufsaus­übungsfreiheit. Dieser Umstand ist bei der Anwendung und Auslegung von Best­immungen, die die anwallliche Tätigkeit einschränken, so auch bei der Anwen­dung und Auslegung der die anwaltlichen Werbemaßnahmen beschränkenden Bestimmungen sowie bei Bestimmungen für Werbung und Außenauftritt und Darstellung von Anwälten mit der Maßgabe zu berücksichtigen, dass in jedem Einzelfall nicht die Gestaltung der Anwaltswerbung, sondern deren Einschrän­kung einer besonderen Rechtfertigung bedarf. Diese Grundsätze hat der BGH in der Entscheidung vom 12.07.2012 (Az.: AnwZ (Brfg) 37/11) noch einmal aus­drücklich betont.

2. Nach diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben, denen sich der Senat anschließt, bedarf es hinreichender Gründe des Gemeinwohls, die eine bestimmte Vorgabe des Briefkopfes bzw. das Verbot bestimmter Briefkopfgestaltungen eines Rechts­anwalts rechtfertigen könnten. Solche Gründe liegen nicht in der Unklarheit oder fehlenden Aussagekraft der vom Kläger im Briefkopf genutzten Bezeichnung „VorsorgeAnwalt".

Es kann dabei dahinstehen, ob den Bestimmungen der §§ 6,7 BORA i.V.m. § 43b BRAO vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit keinerlei Bedeutung mehr zu­kommt, wie der Kläger geltend macht. Weiter kann dahinstehen, ob es - wie ebenfalls vom Kläger geltend gemacht - ausschließlich darauf ankommt, dass mit der Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" eine Irreführung des rechtssuchenden Publi­kums i.S.v. § 5 UWG vorliegen müsse.

Vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit kommt es auch nicht darauf an, wie die Beklagte geltend macht, ob vom rechtssuchenden Publikum oder vom „norma­len" Bürger aufgrund der bloßen Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" auf dem Brief­kopf die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten im Bereich von Erbrecht und Vor­sorgeberatung erkannt werden können oder ob die rechtssuchenden Bürger mit dem Begriff „VorsorgeAnwalt" überhaupt etwas anfangen können. Der Senat misst auch der Schreibweise „VorsorgeAnwalt" (wie sie der Kläger verwendet) oder „Vorsorgeanwalt" keine besondere Bedeutung zu.

Vielmehr ist nach Auffassung des Senats entscheidend, dass die Verwendung des Begriffes „VorsorgeAnwalt" auf dem Briefkopf auch ohne erläuternde Begriffe keine Gefährdung des rechtssuchenden Publikums darstellt. Vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Vorgaben der Berufsfreiheit, so wie diese der BGH in der neuen Entscheidung vom 12.07.2012 (a.a.O.) noch einmal explizit betont hat, kommt es allein darauf an, ob das Gemeinwohl ein Verbot der Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" erfordert. Das ist nach nunmehr gewonnener Überzeugung des Senats nicht der Fall. Denn vor dem Hintergrund der Berufsfreiheit bedarf ei­ne Werbung oder eine Darstellung der Tätigkeit eines Rechtsanwaltes nicht einer sachlichen Zulässigkeit; vielmehr muss es umgekehrt Gründe geben, die im Hin­blick auf das Gemeinwohl ausreichend begründen, warum eine - im Übrigen sachbezogene - Angabe auf dem Briefkopf eines Rechtsanwaltes unzulässig und damit verboten sein soll. Insoweit führt die verfassungsrechtliche Bedeutung des Grundrechts der Berufsfreiheit, wie sie der BGH in der Entscheidung vom 12.7.2012 noch einmal betont, zu einer Art Umkehr in der Betrachtung: Nicht der Rechtsanwalt muss darlegen und beweisen, dass eine von ihm verwendete Be­zeichnung oder Tätigkeitsangabe sachlich und für den Bürger verständlich und nachvollziehbar ist. Vielmehr muss nachgewiesen werden, dass die Einschrän­kung, also das Verbot einer solchen Bezeichnung sachlich notwendig ist, das es mithin durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist.

3. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben lässt sich - auch im Hinblick auf den Wandel anwaltlicher Tätigkeiten und der gesellschaftlichen Entwicklung - ein Verbot der Bezeichnung „Vorsorgeanwalt" auf dem Briefkopf, so wie es der Se­nat in der Entscheidung vom 07.01.2011 noch angenommen hatte, nicht mehr halten.

Der Senat geht zwar nach wie vor davon aus, dass die Bezeichnung „Vorsor­geanwalt" aus der Sicht der rechtssuchenden Bürger nicht ohne Weiteres erken­nen lässt, welche speziellen Dienstleistungen und Kenntnisse der Kläger anbietet. Auch kommt der Begriff der „Vorsorge" in vielen unterschiedlichen Lebensbe­reichen vor, wie die Beklagte zutreffend dargestellt hat. Es bleiben deutliche Zweifel, ob der Rechtssuchende die vom Kläger ausgeübten Tätigkeiten aus dem Begriff „VorsorgeAnwalt" auf dem Briefkopf des Klägers ableiten kann, ob er al­so allein aus der Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" verwertbare, konkrete Schlüsse auf den Tätigkeitsbereich des Rechtsanwaltes ziehen kann. So sind Teil des Vor­sorgerechtes unter anderem Vorsorgevollmachten, Patientenverfügungen, die zu­grundeliegenden Rechtsverhältnisse, deren Auswirkungen und das Betreuungs­recht, sowie damit im Zusammenhang stehende Themen des Pflege-, Patienten- und Heimrechts. Es bleiben deutliche Zweifel, ob der rechtssuchende Bürger die­se Tätigkeitsbereiche allein aufgrund der Bezeichnung „Vorsorgeanwalt" erken­nen kann.

Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Bezeichnung „VorsorgeAnwalt" als nicht sachliche Information zu verbieten und die Werbung mit der Bezeichnung „Vor­sorgeAnwalt" vor diesem Hintergrund berufswidrig ist. Denn auch eine -nach Art und Ton sachlich gehaltene- Bezeichnung ohne ausreichenden eigenen Informati­onswert ist nicht berufswidrig, solange sie nicht den rechtssuchenden Bürger ge­fährdet, täuscht oder etwas vorspiegelt, was der betreffende Rechtsanwalt tatsäch­lich nicht bietet.

Von einer solchen Irreführung ist vorliegend nicht auszugehen. Zum einen wird ein Teil der angesprochenen Rechtssuchenden eine gewisse Vorstellung haben, was mit „Vorsorge" im Zusammenhang mit anwaltlicher Beratung und Tätigkeit gemeint sein könnte, selbst wenn er keine konkrete Vorstellung über den Umfang und das gesamte Gebiet hätte. Das ist aber auch nicht erforderlich; auch in ande­ren Gebieten, wie z.B. dem Verwaltungsrecht, wird kein Bürger erkennen kön­nen, wie umfassend dieses Rechtsgebiet ist. Zum anderen wird auch ein rechtssu­chender Bürger nicht getäuscht; er weiß möglicherweise nicht, was unter „Vor­sorge" im Zusammenhang mit anwaltlicher Tätigkeit zu verstehen ist und welche Leistungen hierunter fallen können. Insofern ist die Bezeichnung „Vorsorgean­walt" allein nicht klar und aussagekräftig. Das rechtfertigt für sich genommen aber noch nicht das Verbot dieser Bezeichnung. Jedenfalls liegt aber keine Täu­schung, Irreführung oder Gefährdung vor. Denn der Begriff „VorsorgeAnwalt" beschreibt richtig und ausreichend präzise die Tätigkeiten, auch wenn man hie­rauf aus dem alleinigen Begriff ohne weitere Erläuterungen vielleicht nicht käme. Spätestens mit Erläuterung, wie sie sich z.B. aus der Werbung (Bl. 5 der GA) er­geben, wird dies dann hinreichend deutlich. Auch wenn die Bedeutung der Be­zeichnung „VorsorgeAnwalt" also nicht vollkommen selbsterklärend ist, stellt dieser Begriff vor dem, durch die Entscheidung des BGH betonten, verfassungs­rechtlichen Hintergrund keine Gefährdung des rechtssuchenden Publikums dar.

4. Vor diesem Hintergrund hält der Senat nicht mehr an der in seiner

Entscheidung vom 07.01.2011 dargestellten Rechtsauffassung fest. Auch wenn nach Auffassung des Senates nach wie vor davon auszugehen ist, dass der juristische Laie aus dem Begriff „Vorsorgerecht" ebenso wie aus dem Begriff „Vorsorgeanwalt" nicht in der Lage ist zu ersehen, welche Tätigkeit der Rechtsanwalt schwerpunktmäßig betreibt, so ist doch dem Kläger zuzugeben, dass der rechtssuchende Bürger nicht getäuscht wird. Das führt dazu, dass die aus Art. 12 GG hergeleitete Freiheit zur Berufsausübung über das Interesse der Beklagten und letztlich der Allgemeinheit gestellt werden kann und muss, nur Anwälte mit klaren Tätigkeitsbezeichnungen tätig sein zu lassen.

Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die vom BGH betonte Ausstrahlung des Grundrechts der Berufsfreiheit so stark ist, dass eine bloße Unklarheit nicht zwingend zur Unzulässigkeit einer Bezeichnung auf dem Briefkopf eines Rechtsanwaltes führt.

5. Der Senat geht davon aus, dass in Zukunft eine Bezeichnung, wie

„Vorsorgean­walt" in der Öffentlichkeit stärker bekannt werden wird, weil aufgrund der demo­graphischen Entwicklung der Beratungsbedarf zu Erbrecht, Vorsorgerecht, Be­treuungsverfügungen etc. zunehmen wird; diese Entwicklung wird erfahrungs­gemäß auch dazu führen, dass die Medienpräsenz eines solchen Begriffes stark zunimmt, so dass der Begriff selbst für die rechtssuchende Bevölkerung immer stärker bekannt werden wird. Auch damit verringert sich die Gefahr, dass der Be­griff selbst nicht aussagekräftig ist und als solcher auch in Zukunft nicht von rechtssuchenden Bürgern verstanden wird.

6. Im Anschluss an die Entscheidung des BGH vom 12.07.2012 war daher zu er­kennen, dass der Begriff „VorsorgeAnwalt" - trotz der nach Auffassung des Se­nats fehlenden Klarheit der Wortbedeutung mindestens bei einem Teil des rechts­suchenden Publikums - jedenfalls nicht untersagt oder beanstandet werden kann, wenn dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 GG in ausreichendem Maße Rechnung getragen wird.

Damit stellt sich der angegriffene Bescheid der Beklagten als materiell unrichtig heraus. Er kann nicht bestehen bleiben.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 112c Abs. 1 BRAO, § 154 VwGO.

8. Die Berufung ist gemäß §§112 e BRAO i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO

zuzulas­sen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.

Rechtsmittelbelehrunq.

Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an den Bundesgerichtshof zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Anwaltsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen, Heßlerstraße 53 in 59065 Hamm, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil be­zeichnen.

Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Ur­teils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Bundesgerichtshof, Herrenstraße 45a, 76133 Karlsruhe, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt. Die Berufungsbegründung muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.

Vor dem Bundesgerichtshof und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesgerichtshof eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Pro­zessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsan­wälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Be­fähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristische Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der VwGO im Übrigen bezeich­neten, ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen. Ein nach dem Vorstehenden Vertretungsberechtigter kann sich selbst vertreten, es sei denn, dass die sofortige Vollziehung einer Widerrufsverfügung angeordnet und die aufschiebende Wirkung weder ganz noch teilweise wiederhergestellt worden ist.

Die Berufungsschrift sollte dreifach eingereicht werden.

Die Festsetzung des Streitwertes ist unanfechtbar.






OLG Hamm:
Urteil v. 07.09.2012
Az: 2 AGH 29/11


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