Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg:
Beschluss vom 23. Juli 2010
Aktenzeichen: 1 S 501/10
(VGH Baden-Württemberg: Beschluss v. 23.07.2010, Az.: 1 S 501/10)
1. Die Veröffentlichung einer Gerichtsentscheidung kann, auch wenn eine Prozesspartei ohne großen Aufwand bestimmbar und die Entscheidung damit nicht im datenschutzrechtlichen Sinne anonymisiert ist, bei einem überwiegenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit gerechtfertigt sein.
2. Als Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung einer solchen Entscheidung kommt in Baden-Württemberg, da das Landesdatenschutzgesetz auf die Gerichte anwendbar ist, § 18 Abs. 1 Nr. 2 LDSG in Betracht.
3. Das Schutzinteresse des Betroffenen am Ausschluss der Veröffentlichung kann überwiegen, soweit es um besonders sensible Daten (hier: ärztliche Untersuchungsbefunde) geht.
4. Sind zur Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung einer Gerichtsentscheidung inhaltliche Kürzungen geboten, so können diese nur von dem Richter bzw. von dem Spruchkörper vorgenommen werden, der die Entscheidung gefällt hat.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts ... vom 4. März 2010 - 2 K 526/10 - geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 05.11.2009 - 4 Sa 38/09 - in der derzeitigen Fassung vorläufig aus der Entscheidungsdokumentation der Arbeitsgerichte des Landes Baden-Württemberg zu löschen und die Löschung dieses Beschlusses aus den Datenbanken, an die er übermittelt wurde (juris, Beck online und Haufe), zu veranlassen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert für das Verfahren in beiden Rechtszügen wird - unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen - auf jeweils 5.000,-- EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller wendet sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Veröffentlichung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 05.11.2009 - 4 Sa 38/09 - im Internet.
Mit diesem Beschluss hatte das Landesarbeitsgericht den Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Berufungsverfahrens gegen ein erstinstanzliches Urteil mit der Begründung als unzulässig verworfen, der Antragsteller sei gegenständlich beschränkt auf die von ihm in großer Zahl geführten Bewerberschutzverfahren als prozessunfähig anzusehen. Der Beschluss wurde am 14.11.2009 in die Entscheidungsdokumentation der Arbeitsgerichte des Landes Baden-Württemberg eingestellt, die über die Homepage des Landesarbeitsgerichts zugänglich ist. Aufgrund bestehender Rahmenverträge wurde der Beschluss auch in den Datenbanken von juris, Beck online und Haufe veröffentlicht. Er war zuvor in der Weise anonymisiert worden, dass im Rubrum die Angaben über die Parteien und ihre Vertreter vollständig gelöscht wurden. Im Sachverhalt und in den Entscheidungsgründen wurden die Namen aller Personen bis auf den Anfangsbuchstaben entfernt. In gleicher Weise wurde bei den Ortsbezeichnungen verfahren, wobei in zwei Absätzen die Ortsbezeichnung ... versehentlich nicht gekürzt wurde. Dieses Versehen wurde, als es bei erneuter Durchsicht bemerkt wurde, unverzüglich behoben.
Mit Bescheid vom 24.11.2009 lehnte der Präsident des Landesarbeitsgerichts den Antrag auf Entfernung des Beschlusses aus dem Internet mit der Begründung ab, dieser sei zu Recht als veröffentlichungswürdig in die genannten Datenbanken eingestellt worden. An der Veröffentlichung des Beschlusses bestehe ein erhebliches Informationsinteresse der anderen Arbeitsgerichte und der Öffentlichkeit, vor allem der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes. Für die an Rechtsstreitigkeiten mit dem Antragsteller beteiligten Arbeitgeber stelle sich die Frage, ob sie - ohne inhaltliche Auseinandersetzung mit dessen Begehren und möglicherweise ohne Beauftragung eines Rechtsanwalts - unter Berufung auf seine Prozessunfähigkeit die Klageabweisung beantragen könnten. Dem Persönlichkeitsrecht des Antragstellers sei durch die vorgenommene Anonymisierung Rechnung getragen worden. Für die breite Öffentlichkeit sei es nicht möglich, aus der Schilderung des Sachverhalts Rückschlüsse auf die Person des Antragstellers zu ziehen. Dies sei nur solchen Personen möglich, denen der Antragsteller seine persönlichen Verhältnisse bereits offenbart habe oder künftig offenbaren werde.
Dem Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde abgeholfen, soweit der Antragsteller sich gegen die Veröffentlichung seiner Einkünfte und Geldquellen gewandt hatte. Im Übrigen wies der Präsident des Landesarbeitsgerichts den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11.01.2010 zurück. Soweit der Antragsteller die Angabe von Krankheitsdiagnosen rüge, komme eine Löschung nicht in Betracht, weil diese Angaben für das Verständnis des Beschlusses von erheblicher Bedeutung seien. Sie stünden im Kontext mit den weiteren Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, aus denen sich Anhaltspunkte für eine partielle Prozessunfähigkeit des Antragstellers ergäben.
Am 12.02.2010 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht ... erhoben und zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Mit Beschluss vom 04.03.2010 hat das Verwaltungsgericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Der allein sachdienliche Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Entfernung des Beschlusses aus dem Internet habe keinen Erfolg, weil kein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht sei. Die vom Landesarbeitsgericht getroffene Abwägungsentscheidung zu Gunsten des - auch der Kontrolle der Gerichte dienenden - Informationsbedürfnisses der Allgemeinheit und damit zu Lasten des Geheimhaltungsinteresses des Antragstellers sei nicht zu beanstanden.
Mit Beschluss vom 14.04.2010 - dem Antragsteller zugestellt am 29.04.2010 - hat der Senat dem Antragsteller Prozesskostenhilfe für eine noch zu erhebende Beschwerde bewilligt und ihm mit weiterem Beschluss vom 18.05.2010 den von ihm benannten Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigen beigeordnet.
Am 14.05.2010 (Freitag nach Christi Himmelfahrt) hat der Antragsteller durch seinen Prozessbevollmächtigten Beschwerde eingelegt, mit der er sein Begehren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes weiter verfolgt. Zur Begründung wird ausgeführt, der Antragsteller wende sich dagegen, dass im Widerspruch zu datenschutzrechtlichen Bestimmungen personenbezogene Daten über ihn im Internet veröffentlicht würden. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gehe nicht so weit, dass Einzelheiten ärztlicher Diagnosen veröffentlicht werden dürften. Eine Befugnis zur Veröffentlichung ergebe sich auch nicht daraus, dass der Antragsteller selbst die ärztlichen Befunde dem Gericht vorgelegt habe. Hiermit habe er keine Zustimmung zur Veröffentlichung gegeben. Insbesondere die Veröffentlichung großer Teile seiner Vita ermögliche potentiellen Arbeitgebern oder Dienstherren im Raum ... seine Identifizierung. Damit würden seine Bewerbungschancen enorm beeinträchtigt.
Der Antragsgegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und vertieft sein bisheriges Vorbringen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze und auf die dem Senat vorliegenden Akten des Verwaltungsgerichts ... (2 K 526/10 und 2 K 527/10 ) Bezug genommen.
II.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Zwar wurde die Beschwerde nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 147 Abs. 1 VwGO eingelegt. Hiergegen ist dem Antragsteller jedoch auf seinen innerhalb der Antragsfrist des § 60 Abs. 2 VwGO gestellten Antrag gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, da er ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten. Er hatte innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die noch einzulegende Beschwerde beantragt. Es war ihm nicht zumutbar, die Beschwerde vor der Bewilligung von Prozesskostenhilfe einzulegen. Das Hindernis ist erst mit der Zustellung des Beschlusses über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe am 29.04.2010 entfallen.
b) Die Beschwerde genügt auch (noch) den Erfordernissen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO. Das Ziel der Beschwerde lässt sich trotz unzureichender Antragstellung hinreichend bestimmt aus der Beschwerdebegründung in einer Gesamtschau mit dem in Bezug genommenen Beschluss des Senats vom 14.04.2010 ermitteln. Danach begehrt der Antragsteller die Verpflichtung des Antragsgegners im Wege der einstweiligen Anordnung, den Beschluss des Landesarbeitsgerichts vom 05.11.2009 - 4 Sa 38/09 - aus dessen Entscheidungsdatenbank zu löschen und die Löschung in den juristischen Datenbanken, an die er übermittelt wurde, zu veranlassen. Hilfsweise verfolgt er das Ziel, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, in der veröffentlichten Fassung des Beschlusses des Landesarbeitsgerichts vom 05.11.2009 - 4 Sa 38/09 - die Angaben zu psychiatrischen Untersuchungen des Antragstellers und deren Ergebnissen sowie die Würdigung dieser Befunde (juris Rn. 41 - 43, Rn. 66) zu entfernen.
c) Der Einwand fehlender Prozessfähigkeit kann dem Antragsteller im vorliegenden Verfahren nicht entgegengehalten werden. Es spricht zwar viel dafür, dass er - wie in der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ausgeführt - für sogenannte Bewerberschutzverfahren partiell prozessunfähig ist. Bereits angesichts der Menge der anhängig gemachten Verfahren deutet alles darauf hin, dass der Antragsteller zu einer vernünftigen und sinnvollen Einschätzung seiner Bewerbungschancen vor dem Hintergrund seiner fachlichen und persönlichen Qualifikationen nicht mehr in der Lage ist (§ 62 Abs. 1 Nr. 1 VwGO, § 104 Abs. 1 Nr. 2 BGB). Eine Erstreckung der partiellen Prozessunfähigkeit auch auf das vorliegende Verfahren kommt aber nicht in Betracht. Der vorliegende Rechtsstreit ist mit einem Bewerberschutzverfahren zwar eng verknüpft; auch dürfte der Antragsteller mit seinem Beseitigungsbegehren nicht zuletzt darauf abzielen, prozessuale Hindernisse, die schon anhängigen oder zukünftigen Bewerberschutzverfahren entgegenstehen könnten, aus dem Wege zu räumen. Gleichwohl macht er hier in erster Linie eine spezifische Grundrechtsverletzung geltend, zu deren Erfassung und Bewertung er in der Lage sein dürfte.
2. Die Beschwerde ist mit dem Hauptantrag begründet.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes ergehen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Da der vorläufige Rechtsschutz seiner Zweckbestimmung nach die Hauptsacheentscheidung lediglich offen halten soll, kann er grundsätzlich dem Antragsteller nicht bereits das gewähren, was er in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Wenn allerdings die zeitliche Verzögerung durch die Dauer des Klageverfahrens die Entscheidung in der Hauptsache ganz oder teilweise gegenstandslos oder unmöglich macht oder eine Grundrechtsverletzung im Raume steht, kann das in Art. 19 Abs. 4 GG verankerte Gebot der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ausnahmsweise auch eine Vorwegnahme der Hauptsache gebieten. Wird durch die begehrte Maßnahme die Entscheidung in der Hauptsache insgesamt endgültig und irreversibel vorweggenommen, kann die einstweilige Anordnung nur erlassen werden, wenn ein Anordnungsanspruch mit ganz überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegt und für den Fall, dass eine einstweilige Anordnung nicht ergeht, dem Antragsteller schwere und unzumutbare Nachteile entstünden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.08.1999 - 2 VR 1.99 - BVerwGE 109, 258 ). Diese besonders strengen Maßstäbe sind hingegen dann abzumildern, wenn - wie hier - die begehrte Rechtsposition nur für den Zeitraum bis zur Hauptsacheentscheidung endgültig, weil faktisch nicht mehr rückgängig zu machen, eingeräumt werden soll, während über diesen Zeitpunkt hinaus keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden und die Rechtsstellung insoweit nur vorläufig gewährt wird. In dieser Situation können schon überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache genügen, und die zu befürchtenden Nachteile müssen nicht als schlechterdings unzumutbar eingestuft werden (Senatsbeschl. v. 12.10.2007 - 1 S 2132/07 - NVwZ-RR 2008, 179 m.w.N.; vgl. auch Kopp/Schenke, VwGO, 16. Aufl., § 123 Rn. 14 m.w.N.; Puttler in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 123 Rn. 102 ff. m.w.N.). In diesem Sinne hat der Antragsteller das Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrunds glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO, §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO).
a) Dem Antragsteller steht ein Anordnungsanspruch zu. Grundlage des geltend gemachten Anspruchs ist, nachdem ein solcher weder im Landesdatenschutzgesetz noch sonst spezialgesetzlich geregelt ist, die hier konkret betroffene Grundrechtsposition des Antragstellers aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.05.2008 - 6 C 13.07 - BVerwGE 131, 171 ). Die Veröffentlichung des Beschlusses vom 05.11.2009 in der derzeitigen Form durch den Antragsgegner stellt sich als ein Eingriff in das Grundrecht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung dar.
aa) Das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleistet unter anderem die aus dem Gedanken der Selbstbestimmung folgende Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, d.h. über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten selbst zu bestimmen (Recht auf informationelle Selbstbestimmung). In dieses Recht wird nicht nur eingegriffen, wenn der Staat von Einzelnen die Bekanntgabe persönlicher Daten verlangt oder diese der automatisierten Datenverarbeitung zuführt. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schützt vielmehr generell vor staatlicher Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich staatlicher Datenübermittlung (vgl. grundlegend BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - BVerfGE 65, 1 ; Urt. v. 27.06.1991 - 2 BvR 1493/89 - BVerfGE 84, 239 ; Kammerbeschl. v. 14.12.2000 - 2 BvR 1741/99 u.a. - BVerfGE 103, 21 ; BVerwG, Urt. v. 09.03.2005 - 6 C 3.04 - NJW 2005, 2330 m.w.N.). Dabei sind unter personenbezogenen Daten Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer bestimmten oder bestimmbaren Person zu verstehen (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - a.a.O. S. 42 unter Verweis auf § 2 Abs. 1 BDSG a.F.), also alle Informationen über eine natürliche Person, unabhängig davon, welcher Aspekt der Person angesprochen wird.
bb) Der Antragsgegner hat mit der Veröffentlichung des Beschlusses vom 05.11.2009 durch die darin erfolgte Wiedergabe personenbezogener Daten in das Grundrecht des Antragstellers auf informationelle Selbstbestimmung eingegriffen.
Die Schutzwirkung dieses Grundrechts erstreckt sich auch auf den Informations- und Datengebrauch, der sich an die Datenerhebung anschließt. Der Einzelne soll nicht nur vor einer nicht gerechtfertigten Datenerhebung geschützt werden, sondern ebenso davor, dass ihn betreffende personenbezogene Daten einem anderen Verwendungszweck zugeführt werden, ohne dass die Zweckänderung (Zweckentfremdung) auf einer zulässigen Beschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung beruht (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - a.a.O. S. 46 ff.; Urt. v. 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, 1 BvR 1084/99 - BVerfGE 109, 279 ; BVerwG, Urt. v. 09.03.2005 - 6 C 3.04 - a.a.O.). Die Eingriffsqualität hängt nicht von der Rechtsform des hoheitlichen Handelns ab; schlicht-hoheitliches Handeln reicht dafür aus (BVerwG, Urt. v. 27.03.1992 - 7 C 21.90 - BVerwGE 90, 112 ). Hiernach erfüllt die Bereithaltung der fraglichen Entscheidung mit den in ihr enthaltenen personenbezogenen Angaben zum Alter, zum beruflichen Werdegang und zum Gesundheitszustand des Antragstellers zum automatisierten Abruf durch jedermann die Merkmale eines Grundrechtseingriffs.
Der Eingriffscharakter entfällt nicht mit Blick auf die vorgenommene Anonymisierung der Entscheidung. Ein Eingriff läge allerdings dann nicht vor, wenn die Entscheidung in einer Weise anonymisiert worden wäre, dass für den Nutzer, der sie abruft, die Person des Antragstellers nicht oder nur mit großem Aufwand bestimmbar wäre. Dies ist indes nicht der Fall. Unter Anonymisierung im Sinne des Datenschutzrechts versteht man das Verändern personenbezogener Daten in der Weise, dass Einzelangaben über persönliche und sachliche Verhältnisse nicht mehr oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand an Zeit, Kosten und Arbeitskraft einer bestimmten oder bestimmbaren natürlichen Person zugeordnet werden können (vgl. § 3 Abs. 6 LDSG, § 3 Abs. 6 BDSG). Bestimmbar ist eine Person, wenn sie mit vertretbarem Aufwand ggf. unter Heranziehung von Zusatzwissen aus allgemein zugänglichen Quellen ermittelt werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 30.07.1990 - NotZ 19/89 - BGHZ 112, 178).
Den datenschutzrechtlichen Anonymisierungsanforderungen wird bei zur Veröffentlichung vorgesehenen Gerichtsentscheidungen im Regelfall dadurch genügt, dass - wie hier geschehen - im Rubrum die Angaben über die Parteien und ihre Vertreter vollständig gelöscht und im Sachverhalt sowie in den Entscheidungsgründen die Namen aller Personen und Orte bis auf den Anfangsbuchstaben entfernt werden. In Einzelfällen - so auch hier - führen diese im Regelfall ausreichenden Maßnahmen indes nicht zu einer hinreichenden Anonymisierung. Vorliegend bringt es der Streitgegenstand der Entscheidung, die partielle Prozessunfähigkeit für Bewerberschutzverfahren, nahezu zwangsläufig mit sich, dass die Vita des Antragstellers sehr detailliert geschildert wird. Es ist auch nicht gelungen, jeglichen örtlichen Bezug aus der Entscheidung zu tilgen. Bereits aus dem Umstand, dass die vom Antragsteller in großer Zahl betriebenen Verfahren überwiegend bei einem bestimmten, namentlich bezeichneten Arbeitsgericht anhängig waren, lässt sich in einer Zusammenschau mit weiteren Angaben, etwa der besuchten Hochschule, ohne großen Aufwand ein örtlicher Bezug herstellen. In einem weiteren Schritt ermöglicht es bereits eine einfache Google-Recherche unter Eingabe einer Berufsbezeichnung und einer Ortsbezeichnung, die Entscheidung der Person des Antragstellers zuzuordnen. Der Antragsteller ist somit nicht nur für die mit seinen Verfahren befassten Arbeitsrichter und für die in den Personalabteilungen verschiedener Arbeitgeber insbesondere im Raum ... tätigen Mitarbeiter, sondern auch für einen über diese Personengruppen hinausreichenden Benutzerkreis bei Abruf der Entscheidung ohne großen Aufwand zu identifizieren.
Schließlich entfällt der Eingriffscharakter nicht infolge einer etwaigen Einwilligung des Antragstellers in die Veröffentlichung personenbezogener Daten. Zwar fehlt es an einem Eingriff, wenn der Betroffene aufgrund freier Entscheidung durch eine hinreichend konkrete und eindeutige Erklärung und in Kenntnis von deren Tragweite einwilligt. Bei nicht einwilligungsfeindlichen Grundrechten, insbesondere bei solchen, deren Ausübung gerade auf der freien Entscheidung des Einzelnen beruht, wird durch die Einwilligung ein auf einzelne Befugnisse begrenzter und befristeter Grundrechtsverzicht (Ausübungsverzicht) im Einzelfall statuiert (Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 9. Aufl., Vor Art. 1 Rn. 36 und Art. 2 Rn. 54). Dies wird im Anwendungsbereich des Landesdatenschutzgesetzes durch dessen § 4 Abs. 1 Nr. 2 einfachgesetzlich konkretisiert. Hier fehlt es an einer hinreichend konkreten und eindeutigen Einwilligungserklärung. In dem Umstand, dass der Antragsteller - auf Bitte des Vorsitzenden - mehrere ärztliche Bescheinigungen und Gutachten vorgelegt hat, kann zwar eine Einwilligung in die Verwertung dieser Unterlagen in dem betreffenden Verfahren, nicht aber eine Einwilligung in deren Veröffentlichung erblickt werden.
cc) Der Antragsgegner war zur Veröffentlichung des Beschlusses in der derzeitigen Form nicht berechtigt.
(1) Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer verfassungsmäßigen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht (vgl. BVerfG, Urt. v. 15.12.1983 - 1 BvR 209/83 u.a. - a.a.O. S. 44, 54).
Eine Berechtigung zur Veröffentlichung des Beschlusses im Internet in der derzeitigen Form folgt daher nicht etwa daraus, dass die Veröffentlichung von gerichtlichen Entscheidungen eine verfassungsunmittelbare Aufgabe der Gerichte ist, die sich aus dem Rechtsstaatsgebot einschließlich der Justizgewährungspflicht, dem Demokratiegebot und auch aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung ableitet. Denn dabei wird grundsätzlich die Anonymisierung der in der Entscheidung enthaltenen personenbezogenen Daten vorausgesetzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.02.1997 - 6 C 3.96 - BVerwGE 104, 105 ).
(2) Da es hier an einer Anonymisierung im Sinne des § 3 Abs. 6 LDSG (ebenso § 3 Abs. 6 BDSG) fehlt, ist nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 BDSG, § 2 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 LDSG der Anwendungsbereich des Landesdatenschutzgesetzes eröffnet. Das Bundesdatenschutzgesetz kommt nach seinem § 1 Abs. 2 Nr. 2 lediglich subsidiär gegenüber den Landesdatenschutzgesetzen zur Anwendung. Nach § 2 Abs. 1 LDSG ist das Landesdatenschutzgesetz - mit den sich aus § 2 Abs. 3 Satz 2 ergebenden, hier nicht einschlägigen Einschränkungen, die im Wesentlichen die Kontrollbefugnis des Landesbeauftragten für den Datenschutz betreffen - auch auf die Gerichte anwendbar.
(3) Das Landesdatenschutzgesetz enthält keine Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung des Beschlusses vom 05.11.2009 in der derzeitigen Form.
Die Sondervorschrift des § 8 LDSG für automatisierte Abrufverfahren kommt nach ihrem Abs. 5 vorliegend nicht zur Anwendung, weil sie nicht für den Abruf aus Datenbeständen gilt, die jedermann ohne oder nach Zulassung zur Benutzung offen stehen. Hierzu zählen auch juristische Datenbanken unabhängig davon, ob ihre Nutzung kostenpflichtig ist (vgl. Ehmann in Simitis, BDSG, 6. Aufl., § 10 Rn. 124).
Die Veröffentlichung ist vielmehr, da auch Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs als Adressaten in Betracht kommen, an § 18 LDSG zu messen. Die Voraussetzungen des einschlägigen § 18 Abs. 1 Nr. 2 LDSG sind indes nicht hinsichtlich aller der in der Entscheidung enthaltenen personenbezogenen Daten des Antragstellers erfüllt.
Im Rahmen des § 18 Abs. 1 Nr. 2 LDSG ist abzuwägen zwischen dem berechtigten Informationsinteresse der Öffentlichkeit und dem Schutzinteresse des Antragstellers. Es ist eine Einzelfallabwägung unter Heranziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und unter Berücksichtigung des Verwendungszusammenhangs der Daten erforderlich. Je näher die Daten zum unantastbaren Persönlichkeitskern stehen und je geringer daher ihr Sozialbezug ist, desto intensiver ist ihr Schutz gegenüber staatlichen Eingriffen (vgl. Jarass, a.a.O. Art. 2 Rn. 60 ff.). Weder das Geheimhaltungsinteresse des Einzelnen noch das Informationsbedürfnis der Allgemeinheit genießt generellen Vorrang. Denn beiden Belangen misst die Verfassung wesentliche Bedeutung zu, ohne abstrakt-generell ein Rangverhältnis zu begründen. Vielmehr ist regelmäßig ein praktischer Ausgleich herbeizuführen, der unzumutbare Eingriffe in das Persönlichkeitsrecht des Einzelnen vermeidet, zugleich aber sicherstellt, das eine ausreichende Informierung der Öffentlichkeit über eine getroffene Entscheidung erfolgen kann.
Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss nicht bereits deshalb zwingend zurückstehen, weil die Entscheidung - wie ausgeführt - nicht hinreichend anonymisiert ist und eine datenschutzrechtlichen Anforderungen genügende Anonymisierung angesichts des Streitgegenstandes und der Umstände des Falles auch kaum möglich erscheint. Würde dies bereits zur Unzulässigkeit der Veröffentlichung führen, könnte den Informationsansprüchen der Bürger, die ihre Grundlage ebenfalls im Verfassungsrecht finden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auf bestimmten Rechtsgebieten - etwa Konkurrentenschutzverfahren, Disziplinarverfahren - kaum noch Rechnung getragen werden.
Das Interesse an einer Veröffentlichung ist hier von hohem Gewicht, weil es um eine obergerichtliche Leitsatzentscheidung geht, die der Rechtsfortbildung dient. Jeder Nutzer einer juristischen Datenbank, der nach Entscheidungen zur partiellen Prozessunfähigkeit sucht, stößt auf den streitgegenständlichen Beschluss. Als berechtigt ist auch das Interesse der Arbeitsgerichte, die Verfahren des Antragstellers bearbeiten, anzuerkennen, durch die Veröffentlichung des Beschlusses über dessen partielle Prozessfähigkeit unterrichtet zu werden. Das Schutzinteresse des Antragstellers am Ausschluss der Übermittlung bestimmter Angaben ist demgegenüber eher gering zu veranschlagen, soweit es um die Darstellung seines beruflichen Werdegangs, die Erwähnung der Vielzahl der von ihm geführten Bewerberschutzverfahren sowie die beschreibende Bewertung seiner Prozessführung geht. Denn die diesbezüglichen Daten betreffen ausschließlich das sozialbezogene Verhalten des Antragstellers und nicht etwa seine Privat- oder Intimsphäre.
Anders fällt die Interessenbewertung und -abwägung in Bezug auf die in dem Beschluss wiedergegebenen Angaben zu psychiatrischen Untersuchungen und deren Ergebnissen und die Würdigung dieser Befunde (siehe bei juris Rn. 41 - 43, 66) aus. Die vom Antragsteller vorgelegten Gutachten äußern sich nicht speziell zur Frage der Prozessfähigkeit; nur eines hat dazu einen gewissen entfernten Bezug. Insoweit geht es um besonders sensible Gesundheitsdaten, deren Kenntnis für das Verständnis der fraglichen Entscheidung nicht zwingend erforderlich erscheint. Daher überwiegt insoweit das Geheimhaltungsinteresse des Antragstellers. Die Veröffentlichung dieser Angaben ist nicht durch § 18 Abs. 1 Nr. 2 LDSG gerechtfertigt.
b) Dem Antragsteller steht schließlich auch ein Anordnungsgrund zur Seite. Mit Blick auf die Verletzung in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, die sich mit jedem Abruf der veröffentlichten Entscheidung aus den bezeichneten Datenbanken vertieft, ist ihm ein Zuwarten auf eine Hauptsacheentscheidung nicht zumutbar.
c) Der aufgezeigte Verstoß führt zu einem vollen Erfolg des Antragstellers mit seinem Hauptantrag, obwohl der Verletzung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung auch dadurch begegnet werden könnte, dass dem Antragsgegner im Sinne des Hilfsantrags lediglich die teilweise Streichung der Entscheidungspassagen mit den Angaben zu psychiatrischen Untersuchungen des Antragstellers und deren Ergebnissen sowie der Würdigung dieser Befunde (siehe bei juris Rn. 41 - 43, 66) aufgegeben würde. Den schutzwürdigen Interessen des Antragstellers könnte etwa dadurch Rechnung getragen werden, dass die fraglichen Passagen zum Zweck der Veröffentlichung wie folgt gefasst würden:
Rn. 41:- Ärztliches Attest von Frau Dr. med. E., Ärztin für Psychiatrie, Psychotherapie vom 12.08.2002: [&] Rn. 42:- Psychiatrisches Gutachten von Herrn Dr. Dr. med. R., Arzt für Neurologie und Psychiatrie vom 26.03.2003 (auszugsweise die Seiten 1, 20-26): [&] Rn. 43:- Fachärztliches Attest von Dr. med. E. vom 18.12.2006 betreffend einen Antrag auf Krankenhaustagegeld: [&] Rn. 66:d) Die vom Antragsteller im Anschluss an die Erörterung vom 26.10.2009 vorgelegten Atteste und Gutachten widersprechen dieser Bewertung nicht. [wird ausgeführt]
Ein Entscheidungsausspruch, der den Antragsgegner zur Bearbeitung der Entscheidung in dieser Weise verpflichtete, kommt indes nicht in Betracht, weil er in unzulässiger Weise in die richterliche Unabhängigkeit des Spruchkörpers, der den streitgegenständlichen Beschluss gefasst hat, eingreifen würde. Jede Kürzung einer Entscheidung kann ihren Sinn verfälschen und hat deshalb wesentliche Auswirkungen darauf, in welcher Weise die Entscheidung einen Beitrag zur Fortentwicklung der Rechtsordnung liefert. Sind im Einzelfall - wie hier - zur Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung der Entscheidung inhaltliche Kürzungen geboten, so können diese nur von dem Spruchkörper, der die Entscheidung gefällt hat, vorgenommen werden (vgl. Tiedemann, NVwZ 1997, 1187 ). Die Herstellung einer veröffentlichungsfähigen Fassung ist in diesem Fall nur im Einvernehmen mit dem Spruchkörper möglich.
Nach alledem ist der Antragsgegner durch die vorliegende Entscheidung, die sich allein auf die derzeit veröffentlichte Fassung des Beschlusses vom 05.11.2009 bezieht, nicht gehindert, im Einvernehmen mit dem Spruchkörper eine veröffentlichungsfähige, dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Antragstellers Rechnung tragende Fassung zu erstellen und diese erneut in die juristischen Datenbanken einzustellen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung und -änderung beruht auf §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3, 47 Abs. 1, 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Vorliegend ist der volle Auffangstreitwert festzusetzen, da das Begehren des Antragstellers auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
VGH Baden-Württemberg:
Beschluss v. 23.07.2010
Az: 1 S 501/10
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