Bundespatentgericht:
Beschluss vom 4. August 2009
Aktenzeichen: 6 W (pat) 319/06
(BPatG: Beschluss v. 04.08.2009, Az.: 6 W (pat) 319/06)
Tenor
Das Patent 101 30 758 wird in vollem Umfang aufrecht erhalten.
Gründe
I.
Gegen das am 3. November 2005 veröffentlichte Patent 101 30 758 mit der Bezeichnung "Kugelgelenk" ist mit Schriftsatz der Einsprechenden vom 31. Januar 2006 Einspruch erhoben worden.
Die Einsprechende stützt ihren Einspruch auf im Prüfungsverfahren noch nicht berücksichtigte Entgegenhaltungen und bringt schriftlich vor, die Gegenstände nach den nebengeordneten Ansprüchen 1, 7 und 8 seien nicht patentfähig, da ihnen die Neuheit fehle und sie auch kein Resultat einer erfinderischen Tätigkeit darstellten.
Bisher wurden folgende Entgegenhaltungen angezogen:
Im Prüfungsverfahren:
D2 DE19938770A1 D3 DE4419954C2.
Im Einspruchsverfahren:
D1 DE19638466C1 D2 DE19938770A1 D3 DE4419954C2 D4 DE1036586A D5 DE 196 41 795 A1.
Die Einsprechende bringt vor, die Gegenstände der jeweils nebengeordneten Ansprüche 1, 7 und 8 seien durch die in der D1 beschriebenen Einrichtungen jeweils neuheitsschädlich vorweggenommen. Gegenüber einer Zusammenschau der Einrichtungen nach D2 mit der D1 bzw. der D3 mit der D1 beruhten sie jeweils auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Einsprechende hat mit Schriftsatz vom 28. Juli 2009 Entscheidung nach Aktenlage beantragt und -wie im Schreiben angekündigt -an der mündlichen Verhandlung auch nicht teilgenommen.
Die Einsprechende beantragt schriftsätzlich, das angegriffene Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt, das angegriffene Patent aufrecht zu erhalten.
Die Patentinhaberin argumentiert, beim Gegenstand nach der D1 sei das sowohl im Anspruch 1 als auch in den nebengeordneten Ansprüchen 7 und 8 enthaltene Merkmal, wonach "der Lagerring so ausgebildet ist, dass dieser den kugelförmigen Körper im Bereich eines Äquators vollständig umschließt", nicht verwirklicht. Die Lagerringe nach der D2 und der D3 müssten elastisch verformbar sein und seien daher aus Kunststoff. Außerdem müssten sie unter Vorspannung in das Lagergehäuse eingepasst werden, so dass sie mit dem erfindungsgemäßen Lagerring nicht vergleichbar seien. Insofern liege es nicht nahe, diesen jeweils unterschiedlichen Stand der Technik miteinander zu kombinieren.
Die erteilten nebengeordneten Ansprüche 1, 7 und 8 haben folgenden Wortlaut:
1. Kugelgelenk mit einem Lagerring (28), in dem ein kugelförmiger Körper geführt ist, und mit einem Gehäuse (14), das den Lagerring (28) umgibt, wobei der Lagerring (28) so ausgebildet ist, dass dieser den kugelförmigen Körper im Bereich eines Äquators (29, 66) vollständig umschließt und einen ersten inneren Rand (52) und einen zweiten inneren Rand (54) aufweist, die jeweils eine Fläche umschließen, die unterschiedlich dimensioniert sind, wobei der Lagerring (28) nicht aus Kunststoff gefertigt ist.
7.
Gelenklager mit einem Lagerring (28), in dem ein kugelförmiger Körper geführt ist, wobei der Lagerring (28) so ausgebildet ist, dass dieser den kugelförmigen Körper im Bereich eines Äquators (29, 66) vollständig umschließt und einen ersten inneren Rand (52) und einen zweiten inneren Rand (54) aufweist, die jeweils eine Fläche umschließen, die unterschiedlich dimensioniert sind, wobei der Lagerring (28) nicht aus Kunststoff gefertigt ist.
8.
Lagerring zur Aufnahme eines kugelförmigen Körpers, wobei der Lagerring (28) so ausgebildet ist, dass dieser einen kugelförmigen Körper im Bereich eines Äquators (29, 66) vollständig umschließt und einen ersten inneren Rand (52) und einen zweiten inneren Rand (54) aufweist, die jeweils eine Fläche umschließen, die unterschiedlich dimensioniert sind, wobei der Lagerring (28) nicht aus Kunststoff gefertigt ist.
An diese nebengeordneten Ansprüche schließen sich die darauf rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 bzw. 9 an. Bezüglich deren Wortlauts sowie wegen der weiteren Äußerungen der Beteiligten wird auf die Akten verwiesen.
II.
1.
Das Bundespatentgericht ist für die Entscheidung über den vorliegenden Einspruch nach § 147 Abs. 3 PatG in der bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassung zuständig geworden und auch nach der ab 1. Juli 2006 in Kraft getretenen Fassung des § 147 Abs. 3 PatG gemäß dem Grundsatz der perpetuatio fori zuständig geblieben (vgl. hierzu BGH GRUR 2007, 859, 861 f. -Informationsübermittlungsverfahren I; BGH GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II; BGH GRUR 2009, 184 f. -Ventilsteuerung).
2.
Der Einspruch wurde fristgerecht erhoben und ist mit Gründen versehen. Er ist damit zulässig, was von der Patentinhaberin auch nicht bestritten worden ist.
3.
Die erteilten Ansprüche 1 bis 9 sind zulässig, ihre Merkmale entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen. Zusätzlich enthalten sie jeweils das einschränkende Merkmal, wonach der Lagerring nicht aus Kunststoff bestehen soll. Die ursprüngliche Offenbarung hierfür findet sich auf Seite 4, letzter Absatz. Die rückbezogenen Ansprüche sind unverändert gegenüber ihrer ursprünglich eingereichten Form.
4.
Das Kugelgelenk nach Anspruch 1 ist neu, da keine der entgegengehaltenen Druckschriften etwas Vergleichbares mit sämtlichen Merkmalen des Patentanspruchs 1 offenbart. Fehlende Neuheit wurde von der Einsprechenden nur hinsichtlich der DE 196 38 466 C1 (D1) geltend gemacht. Aus der D1 ist zwar bekannt ein (vgl. Fig. 3) Kugelgelenk mit einem Lagerring 4, in dem ein kugelförmiger Körper 2c geführt ist, und mit einem Gehäuse 1, das den Lagerring 4 umgibt, und einen ersten inneren Rand (oberer Rand des Lagerrings 4) und einen zweiten inneren Rand (unterer Rand des Lagerrings 4) aufweist, die jeweils eine Fläche umschließen, die unterschiedlich dimensioniert sind, wobei der Lagerring 4 nicht aus Kunststoff gefertigt ist.
Das Merkmal der Umschließung des kugelförmigen Körpers im Bereich seines Äquators ist der D1 dagegen nicht entnehmbar. Wie Spalte 4, Z. 12 ff. der D1 angibt, wird diese Ausführung folgendermaßen beschrieben:
Diese Lagerkugel 2c liegt unterhalb ihres größten Durchmessers an der kugelringförmigen Lagerfläche 1b des Gelenkgehäuses 1 an.
Das bedeutet, dass der kugelförmige Körper 2c im Bereich des Äquators nicht vollständig umschlossen ist, so wie das in der Figur 3 auch zeichnerisch dargestellt ist und der kugelförmige Bereich 2c vorspannungsfrei in den, oben offenen Lagerring 4 eingesetzt werden kann. In den jeweiligen Schriftsätzen der Beteiligten wird diese Angabe "im Bereich" des Äquators unterschiedlich interpretiert. Das Streitpatent (vgl. auch Fig. 4 bzw. Fig. 9) führt hierzu aus:
1.
Der erfindungsgemäße Lagerring kann als ein einteiliges Bauteil, das an einer Stelle gesprengt bzw. getrennt ist, ausgeführt sein. Der kugelförmige Körper wird auf der Seite des Lagerrings mit dem größeren Durchmesser durch Aufweiten desselben montiert, Absatz [0018].
2.
Der Kugelteil 26 ist in einem Lagerring 28 geführt. Dabei ist der Kugelteil im Bereich des größten Umfangs, nämlich im Bereich des Äquators 29, vollständig vom Lagerring 28 umschlossen, Absatz [0039].
3.
Das erfindungsgemäße Kugelgelenk 64 ist in Fig. 9 in einer Schnittdarstellung gezeigt. Zu erkennen ist, wie der Kugelteil 26 in dem Lagerring 28 geführt ist. Dabei ist der Kugelteil im Bereich des Äquators 66, d. h. im Bereich des größten Umfangs des Kugelteils 26, vollständig vom Lagerring 28 umschlossen, Absatz [0053].
Aus diesen Textpassagen wird die Bedeutung des Merkmals "im Bereich eines Äquators vollständig umschließt" hinreichend klar, dahingehend, dass der Lagerring den Äquator sowohl radial umschließt als auch oberund unterhalb dieser Umfangslinie so, wie dies auch in den Figuren 3, 4, 6 und 9 des Streitpatents dargestellt ist.
Eine vergleichbare Ausbildung fehlt dem Lagerring nach der D1.
Die Gegenstände der nebengeordneten Ansprüche 7 und 8 beziehen sich auf ein "Gelenklager" bzw. auf einen "Lagerring". Unabhängig davon sind die einzelnen Merkmale darin wortgleich enthalten. Sowohl das Gelenklager nach Anspruch 7 als auch der Lagerring nach Anspruch 8 sind damit ebenfalls neu gegenüber diesem Stand der Technik.
In den Entgegenhaltungen 2 bis 4 werden u. a. Lagerringe aus Kunststoff beschrieben, so dass die Ausbildung nach Streitpatent auch diesen gegenüber neu ist, wie unten noch beschrieben wird.
5. Ein Kugelgelenk mit den Merkmalen des Anspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit zweifelsfrei ist, stellt auch das Resultat einer erfinderischen Tätigkeit dar.
Die DE 199 38 770 A1 (D2) offenbart ein Kugelgelenk mit einem Lagerring 4, in dem ein kugelförmiger Körper 2 geführt ist, und mit einem Gehäuse 1, das den Lagerring 4 umgibt, wobei der Lagerring 4 so ausgebildet ist, dass dieser den kugelförmigen Körper 2 im Bereich eines Äquators 8 vollständig umschließt und einen ersten inneren Rand (Fig. 1, oben) und einen zweiten inneren Rand (Fig. 1, unten) aufweist, die jeweils eine Fläche umschließen, die unterschiedlich dimensioniert sind.
Die Lagerschale nach der D2 soll die Nachteile beheben, dass bei zunehmendem Verschleiß der Lagerschale sich in unerwünschter Weise ein stetig größer werdendes Lagerspiel zwischen Kugelkopf und Lagerschale ausbildet. Bezogen auf die Betriebsdauer des Kugelgelenks hat dies zum einen die Änderung der Bewegungsmomente des Lagerzapfens zur Folge als auch die stetige Veränderung der Elastizitätseigenschaften der Lagerschale. Diese Lagerschale soll "zweckmäßigerweise" aus elastischem Kunststoff bestehen "der sich infolge der auf das Kugelgelenk einwirkenden Kräfte elastisch verformen kann". Dadurch können sowohl durch Fertigungstoleranzen der Gelenkpartner bedingte Ungenauigkeiten ausgeglichen als auch verschleißbedingte Abnutzungen der Lagerschale kompensiert werden. Wie speziell in Figur 3 dargestellt, kann die Lagerschale zylinderförmig ausgebildet sein und sich beim Einpressen in das Gelenkgehäuse verformen. Diese Verformung kann auch plastisch sein (vgl. Sp. 5, Z. 15) woraus die Einsprechende herleitet, dass sie deswegen auch aus "Nicht-Kunststoff" sein kann.
Eine solche Lösung ist nach dem Wortlaut der in der D2 insgesamt gegebenen Lehre zwar nicht dezidiert ausgeschlossen, sie wird allerdings durch keinerlei Hinweise in der D2 gestützt. Wie oben ausgeführt, erfährt der Fachmann aus der D2 (Sp. 1, Z. 18 bis 20), dass die Lagerschale zweckmäßigerweise aus elastischem Kunststoff bestehen soll, auch die Schraffur in sämtlichen Figuren stützt diese Angabe. Hingegen ist die Ansicht der Einsprechenden, die Lagerschale könne auch aus "Nicht-Kunststoff" bestehen, eine Vermutung, aus rückschauender Betrachtung in Kenntnis der Erfindung.
Vergleichbar mit der Ausbildung nach der D2 soll auch der Lagerring nach der DE 44 19 954 C2 (D3) "im Allgemeinen aus Kunststoff" bestehen (Sp. 3, Z. 64 bis 67), was auch in der Figurenschraffierung zum Ausdruck kommt. Mithilfe dieser Lagerschale soll ebenfalls eine Verspannung des Gelenks im Gehäuse erreicht werden, um so eine weitgehende Spielfreiheit zu gewährleisten. Insoweit ist auch der D3 kein Hinweis zu entnehmen, die Lagerschale aus einem anderen Werkstoff zu fertigen.
Eine Zusammensicht mit einer Lösung, wie sie aus der D1 bekannt ist, liegt nicht nahe, weil gemäß der D1 ein Lagerring ausgebildet wird, bei dem ersichtlich die Materialauswahl nebensächlich ist. Die gewünschte Spielfreiheit des kugelförmigen Körpers in der nach oben offenen Lagerschale wird durch die permanent wirkende Axialkraft auf den Gelenkkopf erreicht. Bei den Ausbildungen nach der D2 und der D3 hingegen sorgt die Materialauswahl der Lagerschale zusammen mit dem Kugelgehäuse, das für die notwendige Verformung der Lagerschale sorgt, für einen ausreichenden Formschluss. Eine Verformung der Lagerschale durch das Kugelgehäuse ist aufgrund der Materialwahl nicht möglich, das Kugelteil wird durch die o. a. Umschließung des Äquators spielfrei auch ohne Kugelgehäuse geführt. Für eine Zusammenschau dieser unterschiedlichen Lösungen bestand demnach keinerlei Veranlassung.
Sowohl der Gegenstand der D4 als auch derjenige nach der D5 liegen deutlich weiter ab und kann weder für sich noch in der Zusammenschau mit einem oder mehreren der anderen Gelenke eine Lösung entsprechend Anspruch 1 nahelegen.
Anspruch 1 ist daher bestandsfähig.
Dementsprechend sind auch die Ansprüche 7 und 8 bestandsfähig, da diese sämtliche Merkmale des Anspruchs 1 enthalten.
Damit sind auch die rückbezogenen Ansprüche 2 bis 6 und 9, die zweckmäßige Ausgestaltungen des Kugelgelenks bzw. des Lagerrings zum Inhalt haben, bestandsfähig.
Nach alledem war das Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.
Lischke Guth Hildebrandt Ganzenmüller Cl
BPatG:
Beschluss v. 04.08.2009
Az: 6 W (pat) 319/06
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