Landgericht Siegen:
Beschluss vom 7. Juni 2002
Aktenzeichen: 5 Qs 03/02

(LG Siegen: Beschluss v. 07.06.2002, Az.: 5 Qs 03/02)

Tenor

Es wird eine weitere Pflichtverteidigervergütung in Höhe von 296,55 EUR festgesetzt.

Die weitergehende Beschwerde wird verworfen.

Gründe

I.

In dem Verfahren 111 Js 831/01 StA Siegen (zuvor: 23 Js 1171/01 StA Bochum) ist dem früheren Angeklagten mit Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 27.08.2001 Rechtsanwalt aus als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Die Anklageschrift in diesem Verfahren datiert vom 12.09.2001. Der Eröffungsbeschluss des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Olpe datiert vom 04.10.2001. An diesem Tag war Termin zur Hauptverhandlung auf den 30.10.2001 anberaumt worden.

In dem Verfahren 111 Js 905/01 StA Siegen (früher: 23 Js 1085/01 StA Bochum) datiert die Anklageschrift vom 11.10.2001. Mit Beschluss vom 15.10.2001 ist Rechtsanwalt , der sich schon vor Anklageerhebung für den Angeklagten als Verteidiger gemeldet hatte, als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Mit Schreiben vom 19.10.2001 hatte der Pflichtverteidiger angeregt, dieses Verfahren in der Hauptverhandlung mit dem Verfahren 111 Js 831/01 zu verbinden. Der Eröffnungsbeschluss datiert vom 30.10.2001.

In dem Verfahren 111 Js 963/01 StA Siegen (früher: 613 Js 523/01 StA Hagen) hatte der Rechtsanwalt unter dem 24.09.2001 die Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Die Anklageschrift datiert vom 18.10.2001, der Beschluss zur Beiordnung als Pflichtverteidiger vom 19.10.2001. Der Pflichtverteidiger hatte mit Schreiben vom 24.10.2001 mitgeteilt, dass einer Verhandlung dieser Anklage am 30.10.2001 nichts entgegenstehe. Der Eröffnungsbeschluss datiert vom 30.10.2001.

In dem Hauptverhandlungstermin am 30.10.2001 ist in dem unter Aktenzeichen 111 Js 831/01 geführten Protokoll nach dem Aufruf der Sache und der Vernehmung des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen folgendes vermerkt:

Es wurde festgestellt, daß gegen den Angeklagten unter den Aktenzeichen 111 Js 905/01 und 111 Js 963/01 zwei weitere Anklagen beim Jugendschöffengericht Olpe eingegangen sind und die Anklagen inzwischen zugestellt worden sind.

Der Angeklagte und sein Pflichtverteidiger erklärten sich damit einverstanden, daß die beiden Verfahren heute mitverhandelt werden verzichteten insoweit auf die Einhaltung von jeglichen Fristen.

Die Eröffnungsbeschlüsse vom heutigen Tage wurden bekannt gegeben.

Sodann erging ein Beschluss, in dem die drei Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung miteinander verbunden wurden. Die Verhandlung endete am 30.10.2001 mit einem rechtskräftigen Urteil.

II.

Mit Schreiben vom 12.11.2001 hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung der Pflichtverteidigergebühren beantragt und zwar für das Verfahren 111 Js 831/01 in Höhe von 1.233,95 DM (= 630,91 EUR), für das Verfahren 111 Js 905/01 in Höhe von 925,68 DM und für das Verfahren 111 Js 963/01 in Höhe von 965,71 DM.

Mit Beschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Olpe vom 19.12.2001 sind die Pflichtverteidigergebühren für das Verfahren 111 Js 831/01 antragsgemäß, für das Verfahren 111 Js 905/01 in Höhe von 635,68 DM (= 325,02 EUR) und für das Verfahren 111 Js 963/01 in Höhe von 675,58 DM (= 345,42 EUR) festgesetzt worden. Begründet hat die Urkundsbeamtin die Absetzungen für die Verfahren 111 Js 905/01 und 963/01 jeweils damit, dass nicht die geltend gemachten Gebühren gem. §§ 97, 83 Abs. 1 BRAGO (in Höhe von 500,00 DM [zuzüglich MWSt.]) festzusetzen seien, sondern für diese Verfahren "nur" die Gebühr nach den §§ 97, 84 Abs. 1 2. Alt. BRAGO, so dass jeweils "nur" 250,00 DM zuzüglich MWSt. festzusetzen seien.

III.

Gegen diesen Beschluss hat der Pflichtverteidiger die Erinnerung und für den Fall der Nichtabhilfe die Beschwerde eingelegt. Nach Nichtabhilfe durch die Urkundsbeamtin und der Anhörung des Bezirksrevisors des Landgerichts Siegen hat der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts mit Beschluss vom 22.02.2002 die Erinnerung als unbegründet zurückgewiesen. Er hat die Akte der Kammer zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.

Zwar ist insoweit nicht das Verfahren nach § 98 Abs. 2 und 3 BRAGO eingehalten worden, weil erst gegen den Beschluss des Vorsitzenden die Beschwerde zulässig ist. Eine bedingte Beschwerde für den Fall der Nichtabhilfe ist unzulässig. Die Kammer entscheidet gleichwohl, weil der Pflichtverteidiger nunmehr sachlich Stellung genommen hat und dadurch deutlich zu verstehen gegeben hat, dass er eine Entscheidung der Kammer wünscht. Dies kann als nachträglich Beschwerdeeinlegung gewertet werden. Da der Vorsitzende die Akte der Kammer vorgelegt hat, ist auch von einer Nichtabhilfeentscheidung im Sinne des § 306 Abs. 2 StPO auszugehen.

IV.

Die Beschwerde ist zum weit überwiegenden Teil begründet. Auch für die beiden Verfahren 111 Js 905/01 und 111 Js 963/01 steht dem Pflichtverteidiger die Hauptverhandlungsgebühr gem. den §§ 97, 83 BRAGO in Höhe von jeweils 500,00 DM zu, so dass weitere 500,00 DM zuzüglich MWSt., also 580,00 DM (= 296, 55 EUR) festzusetzen sind.

Die Gebühr gem. § 83 BRAGO setzt eine Tätigkeit des Verteidigers in der Hauptverhandlung voraus; sie entsteht nach einhelliger Auffassung mit dem Aufruf der Sache nach § 243 Abs. 1 StPO (vgl.: Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO 15. Aufl., § 83 Rdnr. 6 f; Hartmann, KostG 31. Aufl., § 83 BRAGO Rdnr. 7). Hier besteht allerdings die Besonderheit, dass die Verfahren 111 Js 905/01 und 111 Js 963/01 nicht förmlich aufgerufen worden sind. Sie sind vielmehr der isoliert aufgerufenen Sache 111 Js 831/01 in der Hauptverhandlung hinzuverbunden worden. In einem vergleichbaren Fall hat das OLG Saarbrücken (NStZ-RR 1999, 288) die Auffassung vertreten, dass in den hinzuverbundenen Verfahren keine Hauptverhandlung stattgefunden habe und deshalb auch die Gebühr nach § 83 BRAGO nicht verdient sei. Anders hat das OLG Naumburg (Beschluss v. 20.03.2002 - 1 ARs (KostR) 18/00 - veröffentlicht in: Juris) entschieden. Die Kammer folgt im Ergebnis dem OLG Naumburg.

Denn eine Hauptverhandlung beginnt auch ohne förmlichen Aufruf bereits mit derjenigen Handlung des Gerichts, die den Beteiligten als erstes erkennbar macht, dass diese Sache nunmehr verhandelt werden soll (Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert, BRAGO 15. Aufl., § 83 Rdnr. 7). Hier ist vor dem Verbindungsbeschluss erörtert worden, dass eine Hauptverhandlung in den beiden noch terminierten Verfahren auch ohne förmliche Ladung stattfinden solle; der Verteidiger und der Angeklagte hatten insoweit auf ihre prozessualen Rechte verzichtet. Mit dieser Erörterung und der Entgegennahme der Erklärungen des Angeklagten und seines Verteidigers hatte die Hauptverhandlung in den beiden Verfahren 111 Js 905/01 und 111 Js 963/01 bereits begonnen. Diese Erörterungen und Erklärungen bezogen sich nicht auf das bereits aufgerufene Verfahren und können deshalb nicht als Teil dieser Hauptverhandlung begriffen werden. Angesichts dessen steht dem Pflichtverteidiger für die beiden unmittelbar danach hinzuverbundenen Verfahren für diesen (ersten) Hauptverhandlungstag die Gebühr nach § 83 BRAGO zu.

V.

Soweit der Pflichtverteidiger die Zahlung weiterer 0,13 DM (= 0,07 EUR) verlangt, ist die Beschwerde unbegründet. Insoweit ist ihm bei dem Kostenfestsetzungsantrag ein Rechenfehler unterlaufen, weil die MWSt. aus 832,40 DM "nur" 133,18 DM (und nicht 133,31 DM) beträgt.

VI.

Gem. § 98 Abs. 4 BRAGO ist das Verfahren über die Erinnerung und die Beschwerde gebührenfrei. Kosten werden nach dieser Vorschrift nicht erstattet.






LG Siegen:
Beschluss v. 07.06.2002
Az: 5 Qs 03/02


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