Hessisches Landessozialgericht:
Beschluss vom 10. Januar 2013
Aktenzeichen: L 6 AS 300/12 B

(Hessisches LSG: Beschluss v. 10.01.2013, Az.: L 6 AS 300/12 B)

1. €Rechtsanwalt€ im Sinne des § 73a SGG und § 121 Abs. 2 ZPO ist u.a. auch die personengesellschaftlich verfasste Rechtsanwaltskanzlei.

2. Ist eine Beiordnung nach allgemeinen Grundsätzen rechtzeitig, aber fehlerhaft erfolgt (hier: Beiordnung einer nicht mehr bei der mandatierten Rechtsanwaltsgesellschaft beschäftigten Rechtsanwältin an Stelle der ausdrücklich beantragten Beiordnung der Rechtsanwaltsgesellschaft), so haben Beteiligte auch nach Verfahrensabschluss im Falle der Erforderlichkeit Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts, wenn der Staatskasse dadurch keine höheren Ausgaben entstehen.

Tenor

I. Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. April 2012 wie folgt gefasst:

€Der Beschluss des Sozialgerichts Kassel vom 23. Juli 2010wird dahingehend abgeändert, dass mit Wirkung vom 23. Juli 2010 an Stelle von Rechtsanwältin X. die Rechtsanwaltsgesellschaft B.,B-Straße, B-Stadt, beigeordnet wird.€

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

II. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Mit der Beschwerde wenden sich die Antragstellerinnen und Klägerinnen des Ausgangsverfahrens sinngemäß einerseits gegen die Aufhebung der Beiordnung von Rechtsanwältin X. und beantragen andererseits die Beiordnung der Kanzlei B. & Kollegen,B-Stadt.

Am 15. April 2010 beantragten die Antragstellerinnen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung €ihrer Bevollmächtigten€ bezüglich ihrer vom Sozialgericht Kassel unter dem Aktenzeichen S 9 AS 427/10 geführten Klage. Unterzeichnet war der Antrag von Rechtsanwältin X., die ausweislich des Briefkopfs nicht Partnerin der Kanzlei B. & Kollegen war. Die beigefügte Vollmacht wurde den €Fachanwälten B., C-Straße,B-Stadt€ erteilt.

Mit Beschluss vom 23. Juli 2010 bewilligte das Sozialgericht ratenfrei Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin X.ohne den Antrag im Übrigen zurückzuweisen.

Nach außergerichtlichem Vergleich und übereinstimmender Erledigung der Hauptsache sowie Kostenentscheidung mit Beschluss vom 11. Oktober 2011 beantragte am 11. April 2011 Rechtsanwältin Y.für die Kanzlei B. & Kollegen, B-Stadt, die Vergütungsfestsetzung nach § 49 RVG. Beigefügt war ein Schreiben von Rechtsanwältin X. vom 27. März 2012 folgenden Inhalts:

€In dem Sozialgerichtsverfahren (€) erhielt die Unterzeichnerin mit Schriftsatz vom 13. März 2012 durch die Kanzlei B. & Kollegen erstmals Kenntnis von der Beiordnung im oben genannten Verfahren. Diesbezüglich wird die Entlassung aus der Beiordnung beantragt, da sie bereits seit 15. Mai 2010 nicht mehr für die Kanzlei B. & Kollegen tätig ist. Eine Bearbeitung des Verfahrens ist nicht möglich, da auf die Verfahrensakten seither keinen Zugriff mehr besteht. Die Unterzeichnerin macht keine Kosten in diesem Verfahren gegenüber der Staatskasse geltend.€

Der Vergütungsfestsetzungsantrag wurde von der Urkundsbeamtin mit Schreiben vom 30. November 2011 zurückgewiesen. Mit Schreiben vom 16. April 2012 wies die Urkundsbeamtin ergänzend darauf hin,dass eine Vergütungsfestsetzung in Betracht käme, wenn ein anderer Rechtsanwalt wirksam durch Beschluss beigeordnet würde; dies erscheine jedoch nach Verfahrenserledigung als bedenklich; der Entlassungsantrag von Frau Rechtsanwältin X. werde dem Kammervorsitzenden vorgelegt.

Daraufhin beantragten die Antragstellerinnen mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 23. April 2012 eine gerichtliche Entscheidung.

Mit Beschluss vom 23. April 2012 hob das Sozialgericht unter Abänderung des Beschlusses vom 23. Juli 2010 die Beiordnung von Rechtsanwältin X. auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Beiordnung der Rechtsanwältin aufzuheben sei, da diese nicht mehr von den Klägerinnen bevollmächtigt sei.

Die hiergegen gerichtete Beschwerde zum Hessischen Landessozialgericht ist am 7. Mai 2012 bei dem Sozialgericht Kassel eingegangen.

Die Antragstellerinnen tragen vor, dass beantragt worden sei,die Kanzlei B. & Kollegen beizuordnen und nicht Rechtsanwältin X. Beizuordnen sei allein die Kanzlei. Eine Abtretungserklärung von Rechtsanwältin X. sei beigebracht worden. Die Aufhebung der Beiordnung ohne Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts sei nicht rechtmäßig.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist als eigene Beschwerde der Antragstellerinnen in nach wie vor wirksamer Vertretung der Antragstellerinnen durch die Kanzlei B. & Kollegen erhoben worden.

Die Antragstellerinnen sind auch beschwert; durch die ursprüngliche Beiordnung und die Ablehnung der Änderung der Beiordnung sowie die nachträgliche Aufhebung der ursprünglichen Beiordnung erscheint es möglich, dass die Sperrwirkung des § 122Abs. 1 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO), wonach die beigeordneten Rechtsanwälte Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei nicht geltend machen können (vgl. zur Problematik auch BGH, Beschluss vom 17. September 2008 € IV ZR 343/07 € juris Rn. 6),hinsichtlich der Tätigkeit der Kanzlei B. & Kollegen greift. Im Übrigen folgt die Beschwer aus dem Umstand, dass auch der Änderungsbeschluss nicht der beantragten Beiordnung entspricht.

Es besteht auch ein Rechtsschutzbedürfnis. Bereits im Vergütungsfestsetzungsverfahren wurde die Notwendigkeit der Änderung der Prozesskostenhilfeentscheidung thematisiert. Als Antwort auf das Schreiben der Urkundsbeamtin vom 16. April 2012, in dem die Änderung der Beiordnung im Sinne einer Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts thematisiert wurde, ist der Antrag €auf gerichtliche Entscheidung€ u.a. auch als Antrag auf Änderung der Beiordnung im Sinne der Beiordnung der Kanzlei B. &Kollegen auszulegen.

Die Beschwerde ist im überwiegenden Umfange auch begründet.

Nach § 121 Abs. 2 ZPO, der über § 73a Abs. 1 Satz 1Sozialgerichtsgesetz (SGG) entsprechende Anwendung findet, wird in Fällen, in denen eine Vertretung durch Rechtsanwälte nicht vorgeschrieben ist, der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist. Das Ungleichgewicht zwischen unvertretenem Beteiligten und prozesserfahrenem Vertreter eines Sozialleistungsträgers spricht im sozialgerichtlichen Verfahren im Regelfall für die Erforderlichkeit (Leitherer in:Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 73a Rn. 9a;Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, § 73a Rn. 2, beide m.w.N.).€Rechtsanwalt€ im Sinne der Vorschrift ist u.a. auch die personengesellschaftlich verfasste Rechtsanwaltskanzlei (BGHa.a.O.; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10.Aufl., § 73a Rn. 9a; Schafhausen, ASR 2010, 59; a.A. LSGBaden-Württemberg, Beschluss vom 2. September 2009 - L 8 U 5402/08u.a. € juris). Im Hinblick auf die Rechtsfähigkeit der Rechtsanwaltssozietät in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, der Möglichkeit der Zulassung und Mandatierung von Rechtsanwaltsgesellschaften (§§ 59c, 59l BRAO) ist bei der Auslegung des § 121 ZPO größtmögliche Deckungsgleichheit von zivilrechtlichem Mandatsverhältnis und öffentlich-rechtlicher Beiordnung anzustreben (ausf. dazu BGH a.a.O.). Speziell im sozialgerichtlichen Verfahren kann es insbesondere für Grundsicherungsleistungen beziehende Klägerinnen und Kläger eine erhebliche Belastung darstellen, wenn aufgrund einer mit dem Mandatsverhältnis nicht deckungsgleichen Beiordnung eine Rechtsunsicherheit im Rahmen der Reichweite von § 122 Abs. 1 Nr. 3ZPO und damit ein Kostenrisiko besteht. Die Gegenauffassung vermag u.a. auch nicht mit dem Argument zu überzeugen, dass die fehlende Kongruenz zwischen Beiordnung und Mandat mit einer angenommenen (stillschweigenden) Untervollmacht zwischen beigeordnetem Rechtsanwalt und vor Gericht handelndem Sozius oder einem angestellten Rechtsanwalt korrigiert werden könne (so LSGBaden-Württemberg a.a.O.); von einer solchen Untervollmacht kann im vorliegenden Fall gerade nicht ausgegangen werden, da die Vollmacht auf die Rechtsanwaltsgesellschaft lautet und Rechtsanwältin X. zum Zeitpunkt der Beiordnung weder Angestellte noch Partnerin der bevollmächtigten Gesellschaft war.

Hiernach erweist sich die ursprüngliche Beiordnung unter mehreren Gesichtspunkten als objektiv fehlerhaft und die Korrektur durch den angefochtenen Beschluss als unzureichend.

Zum einen wurde entgegen dem eindeutigen Wortlaut des ursprünglichen Antrages nicht die Kanzlei (d.h. die Gesellschaft)beigeordnet, sondern die unterzeichnende Rechtsanwältin, obwohl aus der beigefügten Vollmacht ersichtlich war, dass diese auf die Kanzlei (d.h. die Gesellschaft) lautete. Zum anderen war Rechtsanwältin X. zum Zeitpunkt der Beiordnung € was das Sozialgericht nicht wissen konnte € von dieser Vollmacht nicht mehr erfasst, weshalb € wie spätestens durch das Schreiben vom 27. März 2012 deutlich wurde € bereits vom Zeitpunkt des Beschlusses an keine Vertretungsbereitschaft i.S.d. §121 Abs. 2 ZPO bestand.

Dieser Fehler wird am Maßstab des § 121 ZPO nicht hinreichend dadurch behoben, dass nur die Beiordnung von Rechtsanwältin X.aufgehoben wird; denn entgegen der Auffassung des Sozialgerichts lag hier kein Fall des Wegfalls der Vollmacht nach Beiordnung vor,sondern die im Zeitpunkt der Beiordnung vertretungsbereiten Rechtsanwälte wurden vielmehr gar nicht beigeordnet.

In einem derartigen Fall bestehen keine rechtlichen Hinderungsgründe, rückwirkend die Beiladung zu korrigieren, wenn sichergestellt ist, dass durch den Wechsel in der Beiordnung keine Mehrkosten entstehen. Insoweit gilt nichts anderes bei einem Wechsel in der Beiordnung aus anderem Grunde. Nach allgemeinen Grundsätzen haben Beteiligte auch nach Verfahrensabschluss im Falle der Erforderlichkeit Anspruch auf Beiordnung eines anderen Rechtsanwalts, wenn der Staatskasse dadurch keine höheren Ausgaben entstehen (Reichhold in: Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 121 Rn. 3,5 m.w.N.). Die im Festsetzungsverfahren geäußerten Bedenken gegen eine Beiordnung nach Verfahrensabschluss greifen nach Auffassung des Senats nicht durch, da eine rechtzeitige Bewilligung und Beiordnung erfolgt ist, diese aber fehlerhaft gewesen ist.

Da sich die Antragstellerinnen sowohl gegen die Entpflichtung von Rechtsanwältin X. gewandt haben als auch eine Beiordnung der Kanzlei B. & Kollegen beantragt haben, war die Beschwerde teilweise zurückzuweisen.

Nunmehr wird nach bereits erfolgtem Wiedereintritt in das Vergütungsfestsetzungsverfahren mit Schreiben der Urkundsbeamtin vom 16. April 2012 erneut von dieser über den Vergütungsfestsetzungsantrag zu entscheiden sein.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.






Hessisches LSG:
Beschluss v. 10.01.2013
Az: L 6 AS 300/12 B


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