Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 16. Juni 2004
Aktenzeichen: 1 BvR 514/99
(BVerfG: Beschluss v. 16.06.2004, Az.: 1 BvR 514/99)
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das frühere Rechtsanwaltsgebührenrecht in Sozialgerichtsverfahren.
I.
1. Die Beschwerdeführerin wird als Verlag zur Künstlersozialabgabe nach § 24 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die Sozialversicherung der selbstständigen Künstler und Publizisten (im Folgenden: KSVG) vom 27. Juli 1981 (BGBl I S. 705) herangezogen. In einem Rechtsstreit obsiegte sie, weil die Künstlersozialkasse ihre Revision zurücknahm. Die Beschwerdeführerin beantragte die Festsetzung des Gegenstandswertes für die Revisionsinstanz. Das Bundessozialgericht lehnte diesen Antrag mit dem hier angegriffenen Beschluss (SozR 3-1930 § 116 Nr. 10) ab. Der Anwalt der Beschwerdeführerin könne nur die Pauschrahmengebühren nach § 116 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung in der damals geltenden Fassung des Gesetzes zur Änderung von Kostengesetzen und anderen Gesetzen vom 24. Juni 1994 (BGBl I S. 1325 - im Folgenden: BRAGO a.F.) verlangen. Die Beschwerdeführerin gehöre nicht zu den Arbeitgebern, für die ein Rechtsanwalt nach § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BRAGO a.F. nach dem Gegenstandswert und damit nach § 31 Abs. 1 BRAGO abrechnen könne. Die Tatbestände in § 116 Abs. 2 BRAGO a.F. seien als Ausnahmen eng auszulegen. Zwar seien auch der Konkursverwalter und der Reeder, soweit er für die Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung mithafte, Arbeitgeber. Ein Unternehmen müsse jedoch in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber und nicht ohne Bezug auf konkrete Beschäftigungsverhältnisse betroffen sein. Die Beschwerdeführerin habe den Rechtsstreit als Unternehmen der Kunstvermarktung geführt. Zwar erfülle die Künstlersozialabgabe eine dem Arbeitgeberanteil der Sozialversicherungsbeiträge bei abhängig Beschäftigten vergleichbare Funktion. Sie diene aber nicht dem Schutz eines bestimmten Künstlers. Sie werde unabhängig von der Beschäftigung von Arbeitnehmern geschuldet. Die bisherigen Änderungen des § 116 Abs. 2 BRAGO a.F. zeigten, dass der Gesetzgeber Arbeitgeber und Unternehmer nicht habe gleichsetzen wollen. Anderenfalls wäre auch die spezielle Regelung in § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 BRAGO a.F. für die Klagen bestimmter Unternehmen überflüssig. Änderungen müssten dem Gesetzgeber überlassen bleiben.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und des Willkürverbots. Sie trägt vor, sie habe eine Honorarvereinbarung schließen müssen, um einen kompetenten Anwalt zu engagieren. Nach § 116 Abs. 1 BRAGO a.F. würden ihr für alle Instanzen nur ca. 6.300 DM ihrer Anwaltskosten erstattet. Bei einer Abrechnung nach dem Wert dagegen könne sie, lege man für jede Instanz zwei Gebühren zu Grunde, ca. 15.000 DM verlangen. Die Pauschrahmengebühren deckten den erheblichen Arbeitsaufwand des Anwalts nicht ab. Die Beschwerdeführerin meint, der sozialpolitische Grund für die Gebührenbegrenzung in § 116 Abs. 1 BRAGO a.F., nämlich der Schutz sozial schwacher natürlicher Personen, die als Kläger oder Beklagter an Sozialgerichtsverfahren beteiligt seien, treffe auf sie nicht zu. Ihre Finanzkraft entspreche der eines Arbeitgebers. Das Bundessozialgericht habe in anderen Fällen den Begriff des Arbeitgebers erweiternd ausgelegt. Der angegriffene Beschluss verliere kein Wort zu Art. 3 Abs. 1 GG.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen.
1. Es fehlt an einer grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedeutung (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG).
a) Eine Verfassungsbeschwerde verliert eine an sich vorhandene derartige Bedeutung, wenn sich die Rechtslage zwischen ihrer Anhängigkeit und dem Zeitpunkt der Entscheidung geändert hat (vgl. BVerfGE 91, 186 <200>; BVerfG, 3. Kammer des Zweiten Senats, NJW 2000, S. 797 <798>; BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, FamRZ 1997, S. 477). Eine Annahme kommt dann nur in Betracht, wenn an der Klärung der aufgeworfenen Frage ein über den Einzelfall hinaus gehendes Interesse besteht (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>; 81, 138 <140>). Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn die Regelung noch für viele Verfahren bedeutsam ist, wenn eine Wiederholung der Maßnahme zu besorgen ist oder wenn die geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken auch gegen die neue Regelung bestehen.
b) Die von der Beschwerdeführerin unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 GG mittelbar angegriffene Regelung des § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BRAGO a.F. mit der darin enthaltenen Beschränkung auf Arbeitgeber ist durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG ÄndG) vom 17. August 2001 (BGBl I S. 2144) aufgehoben worden. Nach der Neuregelung ist auch das Sozialgerichtsverfahren grundsätzlich gerichtskostenpflichtig (§ 13 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 197 a Abs. 1 SGG n.F.). Das Verhältnis von Regel und Ausnahme in § 116 BRAGO wurde umgekehrt. Für die Anwaltsgebühren gelten jetzt grundsätzlich die allgemeinen Vorschriften (§ 116 Abs. 2 BRAGO n.F.). Nur wenn eine der am Prozess beteiligten Parteien zu den in § 183 Satz 1 SGG n.F. einzeln aufgezählten, besonders schutzbedürftigen Personen gehört, gelten für die Gerichtskosten die besonderen Vorschriften der §§ 184 ff. SGG und für die Rechtsanwälte auf beiden Seiten - die Pauschrahmengebühren aus § 116 Abs. 1 BRAGO n.F. (vgl. auch BVerfGE 83, 1).
c) Ein trotz der Gesetzesänderung weiter bestehendes Interesse an der Klärung der verfassungsrechtlichen Einwände der Beschwerdeführerin besteht nicht.
Nach der Regelungssystematik des § 116 Abs. 1 und 2 BRAGO n.F. sind nunmehr für alle Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen in einem weiten Sinn und den Sozialversicherungsträgern die allgemeinen Vorschriften maßgeblich. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachten Bedenken aus Art. 3 Abs. 1 GG treffen die Neuregelung daher nicht.
Es ist auch wenig wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber erneut auf die frühere Regelung zurückgreifen wird; sein Wille geht eher dahin, das Kostenrecht der Sozialgerichtsbarkeit dem der anderen Gerichtszweige weiter anzugleichen (BTDrucks 10/6400, S. 41).
Eine Entscheidung über § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BRAGO a.F. hätte letztlich auch keine weiter gehende Bedeutung. Eine Differenzierung zwischen Arbeitgebern und anderen Unternehmen, wie sie sich aus dem Wortlaut der Norm ergab, findet sich in keiner anderen Kostenregelung. In allen anderen Gerichtsverfahren gelten generell das Gerichtskostengesetz und für die Anwaltsgebühren mit Abweichungen im Einzelfall die allgemeinen Vorschriften (§§ 31 ff., 114 BRAGO). Nur in Strafsachen und ähnlichen Verfahren gibt es ebenfalls Pauschrahmengebühren (§§ 83 ff. BRAGO). Sie differenzieren aber nicht nach der Person des Angeklagten. Außerdem fällt hier die Gebühr wegen der besonderen Bedeutung der Hauptverhandlung für jeden Verhandlungstag erneut an (§ 83 Abs. 2 Satz 1 BRAGO).
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).
a) Dabei kann offen bleiben, ob das Bundessozialgericht nicht aufgrund des Art. 3 Abs. 1 GG eine verfassungskonforme Auslegung des § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BRAGO hätte vornehmen müssen. Der Beschwerdeführerin ist zuzugestehen, dass der hauptsächliche Grund für die Pauschrahmengebühren, die Rücksichtnahme auf schutzwürdige natürliche Personen, auf sie ebenso wenig wie auf einen Arbeitgeber zutrifft. An einem Gerichtsverfahren zwischen einem Kunstvermarkter und der Künstlersozialkasse können typischerweise auch keine schutzbedürftigen Personen als Beigeladene beteiligt sein. Der Gesetzgeber war davon ausgegangen, dass § 116 Abs. 2 BRAGO a.F. alle Prozesse ohne schutzbedürftige Beteiligte erfasse (vgl. BTDrucks 7/3243, S. 11; BTDrucks 11/6715, S. 4; vgl. auch BVerfGE 83, 1 <15>). Das Künstlersozialversicherungsgesetz verabschiedete er erst nach der erstmaligen Aufnahme des Arbeitgeberbegriffs in § 116 Abs. 2 BRAGO. Dabei hat er anscheinend die notwendige Anpassung des Gebührenrechts übersehen. Unter diesen Umständen hätte es nahe gelegen, die Lücke in § 116 Abs. 2 BRAGO a.F. durch eine analoge Anwendung von Satz 1 Nummer 3 auf die Beschwerdeführerin zu schließen.
b) Die Beschwerdeführerin ist jedoch nicht existenziell betroffen. Der ihr entstandene Schaden kann mangels Kenntnis der Honorarvereinbarung nicht beziffert werden. Nach ihrem Vortrag könnte sie bei einer Abrechnung nach § 116 Abs. 2 BRAGO a.F. etwas mehr als das Doppelte der einschlägigen Pauschrahmengebühren, absolut etwa 8.700 DM, verlangen. Dies ist zwar ein nicht unerheblicher Betrag. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Beschwerdeführerin diese Kosten, die sie nicht auf die unterlegene Künstlersozialkasse abwälzen kann, selbst veranlasst hat. Ohne eine Honorarvereinbarung mit ihrem Anwalt hätte dieser auch ihr gegenüber nur die Pauschrahmengebühren nach § 116 Abs. 1 BRAGO a.F., aber nicht nach Gegenstandswerten abrechnen dürfen (§ 3 Abs. 1 Satz 1, § 7 Abs. 1 BRAGO). Der Beschwerdeführerin musste bei Abschluss der Vereinbarung bewusst sein, dass sie diese zusätzlichen Kosten jedenfalls nach dem Wortlaut des § 116 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BRAGO auch im Obsiegensfalle nicht würde erstattet bekommen. Zumindest hätte sie ihr Anwalt darauf hinweisen müssen.
3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
BVerfG:
Beschluss v. 16.06.2004
Az: 1 BvR 514/99
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