Bundespatentgericht:
Beschluss vom 16. Juni 2004
Aktenzeichen: 29 W (pat) 246/03
(BPatG: Beschluss v. 16.06.2004, Az.: 29 W (pat) 246/03)
Tenor
1. Die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. Januar 1999 und vom 10. September 1997 werden aufgehoben, soweit der Widerspruch für die Waren "Radios, Kassettenrekorder, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten und Rechenmaschinen" zurückgewiesen worden ist.
2. Insoweit wird die Löschung der Marke 2 902 502 angeordnet.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
I.
Gegen die am 15. April 1994 veröffentlichte Eintragung der Wortmarke 2 902 502 ATOM BOY für "Aschenbecher, Feuerzeuge, Zigarettenetuis; Becher und Tassen, Kämme, Glaswaren, Porzellan, Steingut, Keramikwaren (soweit in Klasse 21 enthalten), Tafelgeschirr, Bekleidungsstücke, Parka, Anoraks, Jogginganzüge, Sporttrikots, Jacken und Jacketts, Sweatshirts, T-Shirts, Poloshirts; Bett- und Tischdecken, Textilwaren (soweit in Klasse 24 enthalten), Handtücher, Taschentücher, Tischsets aus Stoff und Vinyl, Servietten aus Stoff und Vinyl; Bier, alkoholfreie Getränke, Mineralwasser und kohlensäurehaltiges Wasser, Fruchtgetränke, Fruchtsäfte, Präparate für die Zubereitung von Getränken; feine Gewebe; Filmproduktion, Produktion von Videofilmen, Filmvermietung, Videofilmvermietung, Produktion von Fernsehprogrammen; Kaffee, Tee, Kakao, Zucker, Brot, Kekse, Kuchen, feine Backwaren, Konditorwaren, Speiseeis, Schokolade, Kaugummis, Getränke mit Tee, Kaffee, Kakao oder Schokolade; Leder und Lederimitationen sowie Waren daraus (soweit in Klasse 18 enthalten), Brieftaschen, Taschen, Einkaufstaschen, Handkoffer, Geldbeutel, Halter und Hüllen für Monats-, Wochen- und Zeitkarten, Gürtel, Regenschirme, Sonnenschirme; Manschettenknöpfe, Anstecker und Abzeichen, Anstecknadeln; Radios, Kassettenrekorder, Trockenbatterien, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten, Brillen, Sonnenbrillen, Rechenmaschinen; (ärmellose) Pullover, Trägerkleider und Trägerröcke, (Kinder)spielhosen; Schlüsselbehälter, Schlüsselringe; Schreibwaren, Kugelschreiber, Füllfederhalter, Blei- und Buntstifte, Notizbücher, Notizblöcke, Radierer, Verpackungsmaterial aus Kunststoff, nämlich Hüllen, Beutel und Folien und Kunststofftafeln, Kartons und Pappen, Bleistiftspitzer, Kärtchenhalter, Dokumentenmappen, Büroartikel (ausgenommen Möbel), Spielkarten, Siegel, Aufklebe-', Anhängeschildchen aus Papier/Pappe, Aufkleber, Seidenpapier, Druckereierzeugnisse, Bücher, Druckschriften, Telefonkarten (soweit in Klasse 16 enthalten), Postkarten, Ansichtskarten, Poster, Papiertüten, Künstlerbedarfsartikel, Papiermesser, und Brieföffner Säcke (soweit in Klasse 22 enthalten); Seifen, Haarwaschmittel, Haarwässer, Mittel zur Körper- und Schönheitspflege, Zahnputzmittel; Spiele, Spielzeug, Spielwaren, Turn- und Sportartikel! (soweit in Klasse 28 enthalten), Schmuck, Puppen, ausgestopftes Spielzeug, Modelle; Stiefel, Schuhe, Pantoffel, Unterwäsche, Socken, Hüte, Mützen und Kappen, Hals-, Kopf- und Schultertücher und Schals, Krawatten und Schlipse, Gürtel, Schürzen; Taschen- und Armbanduhren, Wand-, Turm-, und Standuhren; Zigarettenetuis, Aschenbecher und (Trink)becher aus Edelmetall"
ist Widerspruch eingelegt worden aus der älteren Wortmarke 671 672 Boydie für "tragbare Rundfunkempfänger" eingetragen ist. Der Widerspruch richtet sich gegen alle identischen und ähnlichen Waren und Dienstleistungen.
Die Markenstelle für Klasse 16 hat den Widerspruch mit zwei Beschlüssen, von denen einer im Erinnerungsverfahren ergangen ist, mangels Verwechslungsgefahr der einander gegenüberstehenden Marken zurückgewiesen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, dass der Abstand, der wegen der Warenidentität bei "Rundfunkempfängern" und einer teilweise hochgradigen Ähnlichkeit mit weiteren Waren der angegriffenen Marke deutlich sein müsse, von der jüngeren Marke eingehalten werde. Die angegriffene Marke "ATOM BOY" stimme lediglich in ihrem zweiten Zeichenwort mit der Widerspruchsmarke "BOY" überein. Zur Bejahung der Verwechslungsgefahr müsse "BOY" der prägende Bestandteil der angegriffenen Marke sein. Dies sei aber nicht der Fall, weshalb die Marke in ihrer Gesamtheit der Widerspruchsmarke gegenüber zu stellen sei. Eine klangliche Verwechslungsgefahr komme danach nicht in Betracht. Aber auch eine assoziative Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens könne nicht festgestellt werden. Zwar habe die Widersprechende behauptet, dass sie die Bezeichnung "BOY" nicht nur als solche, sondern auch in Verbindung mit weiteren Bestandteilen verwendet habe. Dies sei auf den eingereichten Kopien nur teilweise erkennbar. Bei dieser Sachlage könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Verkehr noch an eine Serie der Widersprechenden mit dem Bestandteil "Boy" gewöhnt sei.
Gegen diese Beurteilung hat die Widersprechende Beschwerde eingelegt. Sie trägt im Wesentlichen vor, die Widerspruchsmarke werde seit vielen Jahren sowohl in Alleinstellung als auch als gleichbleibender Stammbestandteil einer Markenserie in großem Umfang insbesondere für tragbare Rundfunkempfänger verwendet. Vor diesem Hintergrund erscheine die angegriffene Marke als ein weiteres "Boy"-Zeichen der Widersprechenden, so dass jedenfalls eine mittelbare Verwechslungsgefahr gegeben sei. Warenähnlichkeit bestehe zumindest im Hinblick auf die von der angegriffenen Marke erfassten Waren der Klasse 9, hinsichtlich der Druckereierzeugnisse, Bücher und Druckschriften, bezüglich Leder und Lederimitationen, Spielen, Spielzeug und Spielwaren sowie im Verhältnis zu den Dienstleistungen der angegriffenen Marke.
Die Widersprechende beantragt sinngemäß, die Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 16 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 18. Januar 1999 und vom 10. September 1997 aufzuheben und die teilweise Löschung der Marke 2 902 502 anzuordnen.
Die Markeninhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen und der Beschwerdeführerin die Kosten aufzuerlegen.
Sie hat mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2003 die rechterhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten und ist im Übrigen der Auffassung, dass zwischen den einander gegenüber stehenden Zeichen keine Ähnlichkeit bestehe, da sie sich weder klanglich noch schriftbildlich verwechselbar nahe kämen. Auch eine mittelbare Verwechslungsgefahr sei auszuschließen, da eine Prägung der jüngeren Marke durch deren Bestandteil "Boy" nicht vorliege. Den Kostenantrag stützt die Markeninhaberin darauf, dass die Widersprechende ihre Beschwerde nicht begründet habe.
Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg - Insolvenzgericht - vom 1. Juli 2003, Az. 8111 IN 435/03 ist über das Vermögen der Widersprechenden das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Zum Insolvenzverwalter wurde Rechtsanwalt S... bestellt, der das Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2003 aufgenommen hat. In der mündlichen Verhandlung vom 7. Januar 2004 ist seitens der Markeninhaberin niemand erschienen. Sie hat sich auch zu der ihr im anschließend schriftlich fortgesetzten Verfahren nachträglich übermittelten Beschwerdebegründung, zu den ihr übersandten Benutzungsunterlagen sowie zu den Ausführungen des Insolvenzverwalters nicht geäußert.
Zur Benutzung hat die Widersprechende vorgetragen, dass die Widerspruchsmarke eine seit 1950 für tragbare Rundfunkempfänger intensiv und durchgehend benutzte Traditionsmarke der Widersprechenden sei und "Boy" in weiteren Kombinationszeichen enthalten sei. Sie hat Kopien aus der GRUNDIG revue, Jahrgänge 1992 und 1994, den Katalogen mit dem Gesamtprogramm der Jahre 1995 bis 1999 und aus dem Hauptkatalog 1999/2000 vorgelegt und beruft sich auf die eidesstattliche Erklärung des Leiters der Marketingabteilung der Fa. G... in In- solvenz vom 22. Januar 2004 und die dazu vorgelegten Anlagen. Sie hat des weiteren auf das zwischen denselben Beteiligten durchgeführte und mittlerweile abgeschlossene Verfahren 24 W (pat) 153/99 (GRUR 2002, 345 ff) Bezug genommen. Sie ist der Auffassung, auf Grund der aus diesem Verfahren resultierenden positiven Kenntnis der Benutzungslagen sei die vorliegende Einrede wider besseres Wissen erhoben.
II.
Die zulässige Beschwerde ist teilweise begründet. Hinsichtlich der Waren "Radios, Kassettenrekorder, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten und Rechenmaschinen" besteht entgegen der Auffassung der Markenstelle für die angesprochenen Verkehrskreise die Gefahr von Verwechslungen unter dem Gesichtspunkt des gedanklichen Inverbindungbringens, so dass insoweit die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen war (§ 43 Abs. 2 S. 1 MarkenG iVm §§ 42 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 2 MarkenG). Die weitergehende Beschwerde bleibt ohne Erfolg, da insoweit wegen fehlender oder nicht hinreichender Warenähnlichkeit eine Verwechslungsgefahr ausscheidet.
1. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Widersprechenden ist gemäß § 240 ZPO am 1. Juli 2003 das Beschwerdeverfahren von Gesetzes wegen unterbrochen worden. Der Insolvenzverwalter hat das Verfahren mit Schriftsatz vom 30. Dezember 2003 gemäß § 85 Abs. 1 S. 1 InsO § 250 ZPO ordnungsgemäß aufgenommen, so dass es mit ihm als Partei kraft Amtes fortzusetzen war.
2. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH GRUR Int. 1998, 56 ff - Sabèl/Puma; MarkenR 1999, 236 ff - Lloyd/Loints) und des Bundesgerichtshofs (vgl. zuletzt GRUR 2003, 332 - Abschlussstück) ist die Frage der Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei besteht eine Wechselwirkung zwischen den in Betracht zu ziehenden Faktoren, insbesondere der Identität oder Ähnlichkeit der Marken und der Identität oder Ähnlichkeit der mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen sowie der Kennzeichnungskraft der älteren Marke, so dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken ausgeglichen werden kann und umgekehrt (vgl. EuGH GRUR Int. 1998, 875, 876 f - Canon; BGH GRUR 1999, 731 - Canon II; MarkenR 2001, 311 ff - Dorf MÜNSTERLAND; GRUR 2001, 544, 545 = WRP 2002, 537 - BANK 24; GRUR 2002, 1067 - DKV/OKV). Bei der umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der Marken auf den Gesamteindruck abzustellen, den diese hervorrufen, wobei insbesondere die dominierenden und die sie unterscheidenden Elemente zu berücksichtigen sind. Hierbei kommt es entscheidend darauf an, wie die Marke auf den Abnehmerkreis der jeweils in Frage stehenden Waren und Dienstleistungen wirkt (vgl. BGH 1996, 198 - Springende Raubkatze; BGHZ 131, 122, 124 f - Innovadiclophont).
a) Von der rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke "Boy" für "tragbare Rundfunkgeräte" ist auszugehen.
Die Markeninhaberin hat die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2003 undifferenziert und somit nach beiden Alternativen des § 43 Abs. 1 Satz 1 und 2 MarkenG bestritten. Zu diesem Zeitpunkt war das Beschwerdeverfahren durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens aber noch unterbrochen und die Einrede daher gemäß § 249 Abs. 2 ZPO gegenüber der Widersprechenden ohne rechtliche Wirkung. Der Insolvenzverwalter hat jedoch mit Schriftsatz vom 23. Januar 2004 im schriftlichen Verfahren zur Nichtbenutzungseinrede in der Sache Stellung genommen, ohne die Unwirksamkeit geltend zu machen, so dass dieser Mangel gemäß § 295 Abs. 1 ZPO geheilt worden ist (Thomas/Putzo ZPO 24. Aufl. 2002, Rn 6a zu § 249, Rn 6 zu § 295).
Die Widerspruchsmarke war zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der angegriffenen Marke seit mehr als fünf Jahren im Register eingetragen (§ 43 Abs 1 Satz 1 MarkenG). Damit sind zugleich die Voraussetzungen der Nichtbenutzungseinrede nach § 43 Abs. 1 Satz 2 MarkenG erfüllt. Da die Vorschriften des § 43 Abs 1 Satz 1 und 2 MarkenG bei einer - wie hier - unbeschränkt erhobenen Nichtbenutzungseinrede nebeneinander zur Anwendung kommen (vgl. BGH GRUR 1998, 938, 939 f. "DRAGON"), ergeben sich als relevante Benutzungszeiträume die Zeit vom 15. April 1990 bis zum 15. April 1995 sowie vom 16. Juni 1999 bis zum 16. Juni 2004 (Zeitpunkt der Entscheidung über den Widerspruch).
Zum ersten Benutzungszeitraum ist in der eidesstattlichen Versicherung des Herrn G... vom 22. Januar 2004 ausgeführt, dass aus die- ser Zeit wegen eines seinerzeitigen EDV-Systemwechsels keine detaillierten Daten mehr vorlägen. Der Beschwerdeführer hat insoweit aber in zulässiger Weise auf die Benutzungsunterlagen in dem Verfahren 24 W (pat) 153/99 Bezug genommen: Dieses Verfahren war zwischen denselben Beteiligten anhängig, die Benutzungsunterlagen bezogen sich auf die Benutzung der Marke 671 672 "Boy", die auch im vorliegenden Fall die Widerspruchsmarke ist und betreffen den weitgehend identischen Benutzungszeitraum (vgl. Ströbele/Hacker MarkenG 7. Aufl Rn 79 zu § 43). Aus der dort abgegebenen eidesstattlichen Versicherung des Herrn W... vom 5. Oktober 2001 geht hervor, dass die Wider- sprechende in den Geschäftsjahren 1991/1992 und vom 1. April 1991 bis 31. März 1993 ... tragbare Rundfunkgeräte mit einem Gesamtum- satz von rund ... DM unter der Widerspruchsmarke in Deutsch- land verkauft hat. Die Widerspruchsmarke war auf der Vorderseite der Geräte angebracht, wie dies beispielsweise in den Prospekten "GRUNDIG REVUE«91", S 111, oder "GRUNDIG REVUE«92", S 111, erkennbar ist.
Der im Verfahren 24 W (pat) 153/99 vorgelegten eidesstattlichen Versicherung des Herrn G... vom 9. Oktober 2001 ist zu ent- nehmen, dass im Zeitraum von Januar 1998 bis Dezember 1999 insgesamt ... tragbare Rundfunkempfänger mit einem Nettoumsatz von ... DM unter der Widerspruchsmarke in Deutschland verkauft wurden. Auch insoweit war die Widerspruchsmarke auf der Vorderseite der Geräte angebracht (vgl. "GRUNDIG Gesamtprogramm 1998", letzte Seite; "Hauptkatalog 1999/2000", S 116/117).
Diese Glaubhaftmachung erstreckt sich damit auf beide nach § 43 Abs. 1 MarkenG relevanten Zeiträume, da es nicht erforderlich ist, für die gesamte Zeit lückenlos Nachweise zu erbringen (BGH GRUR 1999, 995 ff - HONKA). Gegen die Annahme einer rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke bestehen demnach keine Bedenken. Die Markeninhaberin hat sich zu den insoweit vorgetragenen Tatsachen, die ihr bereits aus dem Widerspruchsverfahren gegen ihre Marke "ASTRO BOY" bekannt waren, nicht mehr geäußert. Diese Tatsachen sind demnach gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden anzusehen.
b) Zwischen "tragbaren Rundfunkgeräten" und der für die jüngere Marke in der Klasse 9 eingetragenen Ware "Radios" besteht Identität, hinsichtlich der Waren "Kassettenrekorder, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten und Rechenmaschinen" liegt eine enge Warenähnlichkeit vor.
Bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesgerichtshofs alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen den Waren kennzeichnen. Zu diesen Faktoren gehören insbesondere deren Art, Verwendungszweck und Nutzung sowie ihre Eigenart als miteinander konkurrierende oder einander ergänzende Waren oder Dienstleistungen (GRUR Int. 1998, 875, 876 f. - Canon; EuGH GRUR Int. 1999, 734 - Lloyds/Loint's; BGH a.a.O. - Canon II; BlPMZ 1998, 226 f - GARIBALDI; vgl. auch BGH WRP 2000, 1152, 1153 - PAPPAGALLO; BGH WRP 2001, 694, 695 - EVIAN/REVIAN). Auch die maßgeblichen wirtschaftlichen Zusammenhänge, nämlich Herstellungsstätte und Vertriebswege der Waren und Dienstleistungen, deren Stoffbeschaffenheit und Zweckbestimmung oder Verwendungsweise sowie, wenn auch weniger, die Verkaufs- und Angebotsstätten sind relevante Gesichtspunkte.
Danach besteht bezüglich der genannten Waren "Kassettenrekorder, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten" unter dem Gesichtspunkt der sich ergänzenden Waren und unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Herstellungsstätten mit den für die Widerspruchsmarke geschützten "tragbaren Rundfunkgeräten" eine im engsten Bereich liegende Ähnlichkeit. Dies trifft nach Auffassung des Senats auch bezüglich der "Rechenmaschinen" zu. Hier ist der Verkehr mittlerweile nicht nur in hohem Maße - beispielsweise auch durch japanische Hersteller - daran gewöhnt, dass Unterhaltungs- und Büroelektronik aus demselben Betrieb stammen. Darüber hinaus besteht auf dem Gebiet der Elektronik prinzipiell keine Trennung mehr zwischen den Funktionen der einzelnen Geräte, wie neben den von der Widersprechenden angeführten Radiorecordern z.B. Digitaluhren zeigen, die sowohl Radio- als auch Taschenrechnerfunktionen haben, ebenso entsprechende Tischrechner (vgl. auch Richter/Stoppel, Die Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen, 12. Aufl. 2002, S. 276 mwN).
c) Die Widerspruchsmarke ist für die beanspruchten Waren "tragbare Rundfunkgeräte" uneingeschränkt zur Unterscheidung geeignet. Hinsichtlich ihrer Kennzeichnungskraft gilt, dass sie seit Jahrzehnten für tragbare Rundfunkempfänger eingesetzt wird. Dieser Vortrag ist vom Insolvenzverwalter aufgenommen und auch in der eidesstattlichen Versicherung vom 22. Januar 2004 bekundet worden. Wenn danach auch mangels entsprechender Umsatzzahlen nicht von einer überdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft ausgegangen werden kann, handelt es sich bei "Boy" gleichwohl um eine fest im Markt verankerten Marke, deren Kennzeichnungskraft sich im oberen durchschnittlichen Bereich bewegt (vgl BPatG GRUR 2002, 345 ff - ASTRO BOY).
d) Den danach in Bezug auf die Waren "Radios, Kassettenrekorder, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten und Rechenmaschinen" erforderlichen deutlichen Abstand zur Widerspruchsmarke hält die jüngere Marke nicht ein.
Allerdings liegt - wie die Markenstelle zutreffend festgestellt hat - zwischen den Vergleichsmarken keine unmittelbare Verwechslungsgefahr vor. Der Gesamteindruck der angegriffenen Marke wird durch ihre beiden Wortbestandteile "ATOM" und "BOY" gleichermaßen geprägt. Der Auffassung der Widersprechenden, der Begriff "ATOM" weise einen beschreibenden Sinngehalt auf, kann in Bezug auf die o.g. Waren nicht gefolgt werden. Dieser Bestandteil tritt dementsprechend nicht zurück. Die einander gegenüberstehenden Marken unterscheiden sich daher sowohl in schriftbildlicher als auch in klanglicher Hinsicht sowie begrifflich deutlich.
Allerdings besteht die Gefahr, dass die Vergleichsmarken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden können (§ 9 Abs 1 Nr 2, 2. Halbsatz MarkenG). Der Tatbestand des gedanklichen Inverbindungbringens stellt eine besondere Fallgruppe der Verwechslungsgefahr dar, bei der die beteiligten Verkehrskreise zwar die Unterschiede zweier Marken erkennen und insoweit keinen unmittelbaren Verwechslungen unterliegen, aber auf Grund von Gemeinsamkeiten annehmen, dass es sich bei der angegriffenen Marke um ein Zeichen des Inhabers der älteren Marke handle. Damit sind nicht nur, aber doch im Wesentlichen die Fälle der mittelbaren Verwechslungsgefahr unter dem Gesichtspunkt des Serienzeichens erfasst (vgl. BGH GRUR 2000, 886, 887 - Bayer/BeiChem; GRUR 1999, 587, 589 - Cefallone). Voraussetzung für die Annahme einer Verwechslungsgefahr ist insoweit, dass die Vergleichsmarken einen identischen (oder zumindest wesensgleichen) Bestandteil aufweisen, der bei einer Zusammenschau der beiden Marken als gemeinsamer Stammbestandteil erscheint, während die Abweichungen lediglich den Eindruck einer besonderen Einzelproduktkennzeichnung erwecken. Dieser Eindruck wird häufig dadurch gefördert, dass die abweichenden Bestandteile einen mehr oder weniger stark hervortretenden warenbeschreibenden Sinngehalt aufweisen (vgl. Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl 2003, § 9 Rdn 446). Dies ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Annahme einer mittelbaren Verwechslungsgefahr. Es kommt vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles an. Dabei nimmt die Gefahr mittelbarer Verwechslungen regelmäßig zu, wenn der Inhaber der Widerspruchsmarke bereits eine Markenserie benutzt, in die sich die angegriffene Marke einreiht (BGH aaO - Cefallone; GRUR 1975, 312, 313 - BiBA). Das ist hier aus denselben Gründen wie in dem vom 24. Senat entschiedenen Verfahren der Fall (GRUR 2002, 345 ff - ASTRO BOY).
Die Widersprechende hat im Einzelnen dargelegt und durch die Vorlage entsprechender Katalogauszüge belegt, dass sie seit langem tragbare Rundfunkempfänger nicht nur unter der Widerspruchsmarke, sondern daneben verschiedene andere Typen solcher Geräte unter den Bezeichnungen "Concert-Boy", "Music-Boy", "City-Boy", "Ocean-Boy", "Prima-Boy" und "Yacht-Boy" herstelle und vertreibt. Die Zusätze zu dem gleichbleibenden Stammbestandteil "Boy" sind dabei teilweise beschreibender Natur (z.B. "Concert" oder "Music"), teils kann ein unmittelbar beschreibender Sinngehalt nicht ohne weiteres festgestellt werden, so etwa bei den Zusätzen "City" oder "Ocean". Bei dieser Sachlage erscheint es naheliegend, dass die angegriffene Marke "ATOM BOY" vom Verkehr auf dem vorliegend identischen bzw. sehr nahen Warengebiet für eine weitere "Boy"-Marke der Widersprechenden gehalten wird. Dementsprechend war der Beschluss der Markenstelle aufzuheben, soweit der Widerspruch für die Waren "Radios, Kassettenrekorder, Magnettonbänder, Videobänder, Bildplatten, CDs, Schallplatten und Rechenmaschinen" zurückgewiesen worden ist und die Löschung der jüngeren Wortmarke 2 902 502 "ATOM BOY" insoweit anzuordnen.
3. Im Übrigen bleibt der Beschwerde der Erfolg versagt. Nach den oben ausgeführten Grundsätzen besteht zwischen den "tragbaren Rundfunkempfängern" der Widerspruchsmarke einerseits und den übrigen von der angegriffenen Marke erfassten Waren andererseits keine Ähnlichkeit. Dies gilt insbesondere auch für die von der angegriffenen Marke erfassten Waren "Druckereierzeugnisse, Bücher, Druckschriften". Als Waren betrachtet, lassen sich diese unter keinem Gesichtspunkt in Verbindung mit einem Unternehmen bringen, das sich mit der Herstellung von Rundfunkgeräten befasst (BPatG GRUR 2002, 345 ff - ASTRO BOY). Ebenso liegt es im Hinblick auf die Waren "Leder und Lederimitationen einschließlich daraus gefertigter Waren". Der von der Widersprechenden hervorgehobene Umstand, dass es sich dabei u.a. um Umhüllungen für tragbare Rundfunkempfänger handeln kann, führt zu keiner anderen Beurteilung. Zwar können sich die Waren insoweit ergänzen. Das alleine kann aber eine Warenähnlichkeit nicht begründen. Es kommt insoweit vielmehr auf eine gegenseitige Ergänzung in dem Sinne an, dass dadurch die Annahme gemeinsamer oder doch miteinander verbundener Herstellungsstätten nahegelegt wird. Das kann hier ausgeschlossen werden. Dasselbe gilt für die von der angegriffenen Marke erfassten Trockenbatterien (vgl. Richter/Stoppel, aaO S 283; BPatG GRUR 2002 a.a.O.). Soweit die Widersprechende bezüglich der Waren "Spiele, Spielzeug, Spielwaren" der angegriffenen Marke darauf hinweist, dass Spielesektor und Unterhaltungselektronik in den letzten Jahren mehr und mehr zusammengewachsen ist, lässt sich daraus keine Warenähnlichkeit herleiten. Denn die Widerspruchsmarke genießt Schutz nur für das eng begrenzte Gebiet der tragbaren Rundfunkempfänger und funktionell vergleichbare Geräte sowie ergänzende Waren, nicht jedoch für den gesamten Bereich der Unterhaltungselektronik. Bezüglich der "Spiele, Spielzeug, Spielwaren" erscheint die Überlegung fernliegend, dass der Verkehr die angegriffene Marke, auch wenn sie für ein (auch elektronisches) Spiel verwendet wird, in die für tragbare Rundfunkgeräte gebildete Markenserie der Widersprechenden einordnet (vgl. auch BPatG a.a.O. - ASTRO BOY).
Unähnlichkeit besteht auch hinsichtlich der Dienstleistungen der angegriffenen Marke. Zwar gehen sowohl die Markenrechtsrichtlinie als auch das Markengesetz davon aus, dass grundsätzliche eine Ähnlichkeit von Waren und Dienstleistungen gegeben sein kann. Für eine Feststellung einer insoweit anzunehmenden Ähnlichkeit müssen aber besondere Umstände vorliegen (BGH MarkenR 2000, 321 ff - Papagallo m.w.N.). Danach stellt sich im Streitfall die Frage, ob der Verkehr der Fehlvorstellung unterliegt, der Hersteller der Waren "tragbare Rundfunkempfänger", trete (auch) mit den Dienstleistungen "Filmproduktion, Produktion von Videofilmen, Filmvermietung, Videofilmvermietung, Produktion von Fernsehprogrammen;" im geschäftlichen Verkehr auf. Hierfür bestehen aber keinerlei konkrete Anhaltspunkte (vgl. auch BPatG a.a.O. - ASTRO BOY).
4. Zu einer Auferlegung der Kosten des Verfahrens bestand kein Anlass (§ 71 Abs 1 MarkenG). Im markenrechtlichen Widerspruchsverfahren trägt jeder Beteiligte unabhängig von Obsiegen oder Unterliegen seine Kosten grundsätzlich selbst. Es bedarf besonderer in der Person eines Verfahrensbeteiligten liegenden Umstände, die eine Kostenauferlegung aus Gründen der Billigkeit geboten erscheinen lassen. Derartige Umstände liegen hier nicht vor. Soweit die Markeninhaberin ihren Antrag darauf gestützt hat, dass die Widersprechende keine Beschwerdebegründung eingereicht hat, stellt dies zum einen schon keine Verletzung prozessualer Sorgfaltspflichten dar, da ein Begründungszwang nicht besteht (Ströbele/Hacker a.a.O. § 71 Rn 36). Zum anderen lag seit dem 17. März 2000 eine Beschwerdebegründung vor, die der Markeninhaberin offenbar auf Grund eines Versehens des Gerichts nicht zugestellt worden ist.
Grabrucker Baumgärtner Fink Ko
BPatG:
Beschluss v. 16.06.2004
Az: 29 W (pat) 246/03
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