Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 8. Dezember 2006
Aktenzeichen: 6 U 145/06
(OLG Köln: Urteil v. 08.12.2006, Az.: 6 U 145/06)
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 08.06.2006 verkündete Urteil der 31. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 31 O 58/06 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung des Unterlassungsanspruches durch Sicherheitsleistung abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in der gleichen Höhe leistet. Die Sicherheitsleistung beträgt 100.000,00 Euro.
Die Vollstreckung des Kostenerstattungsanspruchs kann die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Begründung
I.
Der Kläger ist ein gerichtsbekannter Verband im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 UWG. Außerdem zählt er zu den gem. § 1 UKlaG registrierten Verbänden.
Die Beklagte stellt her und vertreibt Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und ähnliche Produkte. Zu ihren Produkten gehört u.a. das Nahrungsergänzungsmittel N. J.. Das Produkt enthält u.a. zahlreiche Aminosäuren.
Eine Zulassung nach § 68 LFGB ist für dieses Produkt nicht beantragt worden.
Der Kläger hat die Beklagte erfolgreich auf Unterlassung in Anspruch genommen. Das Landgericht hat in dem Vertrieb des Produktes ohne Zulassung einen Verstoß gegen §§ 6 LFGB, 4 Nr. 11, §§ 3, 8 UWG, 2 UKlaG gesehen.
Im Berufungsverfahren, in dem die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter verfolgt, verteidigt sie sich insbesondere damit, dass ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt europarechtswidrig sei, weil sich die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Aminosäuren schon aus den Regelungen der Verordnung über diätetische Lebensmittel ergebe. Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Landgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass das Verhalten der Beklagten nach §§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG i.V.m. § 6 LFGB unlauter ist. Indem die Beklagte das streitbefangene Produkt ohne die erforderliche Zulassung unter Zusetzung von Aminosäuren in den Verkehr bringt, verstößt sie gegen das Zusatzstoffverbot in § 6 Abs. 1 Nr. 1 a LFGB. Hierbei handelt es sich um eine Marktverhaltensregelung i.S. von § 4 Nr. 11 UWG.
Zwar handelt es sich bei Aminosäuren nicht, wie in § 6 Abs. 1 Nr. 1 a LFGB vorausgesetzt, um einen Nahrungsmittelzusatzstoff, doch werden Aminosäuren in § 2 Abs. 3 Nr. 3 LFGB den Nahrungsmittelzusatzstoffen gleichgestellt. Die von der Beklagten vertretene Ansicht, diese Gleichstellung verstoße gegen höherrangiges europäisches Recht, vermag nicht zu überzeugen. Es ist weder ein Verstoß gegen primäres noch gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht erkennbar.
1.
Unzutreffend ist zunächst das Vorbringen der Beklagten, das Landgericht habe angenommen, das europäische Recht sei hinsichtlich der Zutaten zu Nahrungsergänzungsmitteln nicht harmonisiert. Das Landgericht spricht ausdrücklich von einer Teilharmonisierung, die jedoch den Lebensmittelbereich im Hinblick auf Aminosäuren noch nicht erfasst habe. Zu Recht zieht das Landgericht hieraus die Folgerung, dass dem nationalen Gesetzgeber insoweit eine Regelungskompetenz zusteht. Diese Kompetenz ergibt sich insbesondere aus dem Erwägungsgrund 8 der Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel vom 10. Juni 2002 (RL 2002/46/EG), in dem es heißt: "Spezifische Vorschriften über andere Nährstoffe als Vitamine und Mineralstoffe oder über andere Stoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung..., sollten zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden, sofern ausreichende und sachgerechte wissenschaftliche Daten über diese Stoffe vorliegen. Bis zum Erlass derartiger spezieller Gemeinschaftsvorschriften .... können die nationalen Bestimmungen über Nährstoffe oder andere Nährstoffe mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung angewandt werden." Wie sich aus dem Erwägungsgrund 6 ergibt, fallen unter "andere Nährstoffe als Vitamine und Mineralstoffe" auch Aminosäuren.
2.
Nicht verfangen kann der Einwand der Beklagten, § 2 Abs. 3 S. 2 LFGB und das daran anknüpfende Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verstießen gegen die vom Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 5 ff BasisVO niedergelegten allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts, insbesondere gegen die Risikoanalyse (Art. 5), das Vorsorgeprinzip (Art. 6) und die Regelung in Art. 14. Die Beklagte ist der Ansicht, die Risikoanalyse ermögliche eine einzellfallbezogene Einschätzung von Lebensmitteln bzw. den in ihnen enthaltenen Zusatzstoffen und führe so zu einer wissenschaftlich fundierten Betrachtungsweise, die über das hinausgehe, was ein abstrakt generelles Verbot mit Erlaubnisvorbehalt leisten könne. Das Vorsorgeprinzip gewährleiste darüber hinaus verhältnismäßige Maßnahmen im Einzelfall, die beim Bestehen einer tatsächlich feststehenden Gefahr ergriffen werden können. Ein absolutes Verbot einer ganzen Stoffgruppe sei aber keine Regelung eines Einzelfalles. Schließlich folge auch aus Art. 14 BasisVO, dass ein Verbot nur ausgesprochen werden dürfe, wenn davon auszugehen sei, dass das Lebensmittel gesundheitsschädlich sei. Dafür sei hier aber im Hinblick auf Aminosäuren nichts vorgetragen. Alle drei Anknüpfungspunkte laufen letztlich auf den gleichen Einwand hinaus. Die Beklagte ist der Ansicht, erst beim Vorliegen konkreter - hier angeblich fehlender - Gefahrenverdachtsmomente sei ein generelles Verbot der Aminosäuren gerechtfertigt.
Folgte man dieser Argumentation, so wären - wie das Landgericht überzeugend ausgeführt hat - alle Stoffe als sicher im Sinne der Basisverordnung anzusehen, die sich nicht aufgrund einer Einzelfallprüfung als (potentiell) schädlich erweisen. Es wären mithin alle ernährungsphysiologischen Zusatzstoffe zunächst verkehrsfähig bis konkrete Gefahren festgestellt werden. Eine solche Regelung würde das Vorsorgeprinzip geradezu konterkarieren. In den Fällen, in denen noch keine oder keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen, erfordert das Vorsorgeprinzip ein Verbot - eventuell mit Erlaubnisvorbehalt - und verträgt keine - vorläufige - Erlaubnis, die erstentzogen werden kann, wenn die Gesundheitsgefährdung nachgewiesen ist und zwischenzeitlich bereits konkrete Gesundheitsbeschädigungen aufgetreten sein können.
Bestätigt wird dies durch den Erwägungsgrund 14 der Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel (RL 2002/46/EG). Auch hier geht der europäische Gesetzgeber davon aus, dass Vitamine und Mineralstoffe erst dann verwendet werden dürfen, wenn wissenschaftliche Daten ermittelt wurden. Für Aminosäuren kann nichts anderes gelten. Auch diese dürfen Nahrungsergänzungsmitteln erst zugeführt werden, wenn ausreichend wissenschaftliche Daten vorliegen. Dass dies nicht der Fall ist, ergibt sich wiederum aus den schon genannten Erwägungsgründen 6 und 8 der Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel (RL 2002/46/EG), in denen der Gesetzgeber gerade für Aminosäuren auf die Zukunft verweist.
3.
Die generelle gesundheitliche Unbedenklichkeit von Aminosäuren lässt sich entgegen der von der Beklagten insbesondere in der mündlichen Verhandlung wiederholten Ansicht nicht daraus herleiten, dass die Zugabe von Aminosäuren in der Anlage 2 der Verordnung für diätetische Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke (RL 1999/21/EG) ohne Verwendungsbeschränkungen und Höchstgrenzen freigegeben ist. Diese Freigabe ist vom Verordnungsgeber nur im Zusammenhang mit weiteren Bestimmungen der DiätVO erfolgt und kann daher nicht isoliert gesehen werden. So dürfen nach der Regelung des § 7 b I DiätVO - die straf- bzw. bußgeldbewährt ist - die in Anlage 2 aufgeführten Stoffe diätetischen Lebensmitteln in Art und Menge nur so zugeführt werden, dass sie den besonderen Ernährungserfordernissen der Personengruppe entsprechen, für die sie bestimmt sind. Außerdem hat der Hersteller der diätetischen Lebensmittel auf Verlangen der zuständigen Behörde die Daten vorzulegen, die nach dem Stand der Wissenschaft die Eignung der zu diätetischen Zwecken zugesetzten Stoffe für die entsprechende Personengruppe belegen. Schließlich bestimmt § 7 b II DiätVO, dass die in Anlage 2 genannten Stoffe dem in der Zusatzstoff-Verkehrsverordnung festgelegten Reinheitsgebot entsprechen müssen. Aus diesen Regelungen folgt, dass die Freigabe der Aminosäuren auf einem abgestimmten System der Kontrolle beruht und daher nicht auf Lebensmittel, die für den allgemeinen Verkehr bestimmt sind und die dieser Kontrolle nicht unterliegen, übertragen werden kann.
Eine Zurückhaltung des Verordnungsgebers gegenüber Aminosäuren kommt des Weiteren darin zum Ausdruck, dass diätetische Lebensmittel, die den besonderen Ernährungsanforderungen von bestimmten Personenkreisen entsprechen sollen, zwar grundsätzlich auch für Säuglinge und gesunde Kleinkinder bestimmt sein können, dass aber die Zulassung der in Anlage 2 genannten Stoffe nach § 7 DiätVO gerade nicht für Säuglingsanfangsnahrung und Folgenahrung gilt.
Gegen die Annahme, die gesundheitliche Unbedenklichkeit von Aminosäuren sei auf europäischer Ebene festgestellt, spricht letztlich auch der Umstand, dass die Richtlinie, die der Diätverordnung zugrunde liegt, und die die Freigabe der fraglichen Aminosäuren enthält (RL 2001/15/EG der Kommission über Stoffe, die Lebensmitteln, die für eine besondere Ernährung bestimmt sind, zu besonderen Ernährungszwecken zugefügt werden dürfen), vom 15. Februar 2001 stammt. Wenn der europäische Gesetzgeber daraufhin im Sommer 2002 die Richtlinie über Nahrungsergänzungsmittel erlässt und in dieser nicht auf die vorherige Freigabe der Aminosäuren Bezug nimmt, sondern im Gegenteil in Erwägungsgrund 8 - wie oben ausgeführt - äußert, dass Vorschriften über Aminosäuren zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden sollen, sofern ausreichende und sachgerechte wissenschaftliche Daten über diese Stoffe vorliegen, dann lässt sich daraus schließen, dass der europäische Gesetzgeber selbst nicht davon ausgegangen ist, Aminosäuren seien generell unbedenklich.
4.
Die Beklagte wendet ohne Erfolg ein, das in § 6 Abs. 1 Nr. 1 a i.V.m. § 2 Abs. 3 S. 2 LFGB verankerte Verbot mit Erlaubnisvorbehalt verstoße gegen Art. 28, 30 EG. Selbst wenn man davon ausginge, dass die nationale Regelung eine "Maßnahme gleicher Wirkung" nach Art. 28 EG ist, weil sie geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel zu behindern (vgl. EuGH GRUR Int. 1974, 467 - Dassonville), so muss eine solche Maßnahme hingenommen werden, soweit sie notwendig ist, um den in Art. 30 genannten Gründen gerecht zu werden.
Von der Notwendigkeit des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt ist hier zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung auszugehen. Die Geeignetheit und die Erforderlichkeit des Verbotes mit Erlaubnisvorbehalt stehen außer Frage. Insbesondere ist es dem Gesetzgeber nicht möglich gewesen - wie die Beklagte geltend macht - eine mildere Maßnahme, wie bspw. die Festlegung von Mengenhöchstgrenzen, zu ergreifen. Solche Höchstgrenzen setzen nämlich voraus, dass einschlägige wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen. Daran fehlt es hier.
Anders als die Beklagte meint, ist auch die Angemessenheit im engeren Sinne gegeben. Solange gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse fehlen, entspricht allein ein vorbeugendes Verbot mit Erlaubnisvorbehalt dem Vorsorgeprinzip. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des EuGH steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Vielmehr hat der EuGH in dem Verfahren Kommission/Königreich Dänemark (Urteil v. 23-9-2003, Rs. C-192/01) ausdrücklich klar gestellt, dass es den Mitgliedstaaten grundsätzlich möglich ist, ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu erlassen, wenn beim gegenwärtigen Stand der Forschung noch Unsicherheiten bestehen. Wenn der EuGH in den zitierten Entscheidungen (Grenham und Abel, Urteil v. 5.2.2004, Az. C-95/01; Kommission/Österreich, Urteil v. 29.4.2004, Az. C-150/00) den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als verletzt angesehen hat, so lassen sich die Erwägungen nicht auf den Streitfall übertragen, da in den genannten Entscheidungen die Europarechtskonformität einer Verwaltungspraxis und nicht - wie hier - einer gesetzgeberischen Maßnahme in Rede stand. Die bestehende Verwaltungspraxis ist hier aber gerade nicht Gegenstand des Verfahrens, da die Beklagte die erforderliche verwaltungsrechtliche Erlaubnis nicht beantragt hat.
In seinem Urteil vom 05.02.2004 in der Sache Kommission/Italien, Az. C-150/00 hat der EuGH allerdings festgestellt, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 28, 30 EG mit einer gesetzlichen Regelung verstoßen hat, die das Inverkehrbringen von in anderen Mitgliedsstaaten rechtmäßig hergestellten und vertriebenen Nahrungsmitteln für Sportler der Verpflichtung zur Einholung einer vorherigen Genehmigung und der Einleitung eines entsprechenden Verfahrens unterworfen hatte. In dem dortigen Verfahren hatte die Italienische Republik indessen in keiner Weise erläutern können, welchen gesundheitlichen Gefahren mit dem obligatorischen Genehmigungserfordernis denn begegnet werden sollten, und sich in ihrer Klagebeantwortung auf die Bemerkung beschränkt, sie beabsichtige, das Genehmigungsverfahren zugunsten eines Anmeldeverfahrens abzuschaffen (Rz. 16). Daher sind die Dinge mit dem Streitfall, wo der Europäische Richtlinien- und Verordnungsgeber selbst, wie oben dargestellt, die von Aminosäuren ausgehenden potentiellen Gefährdungen als ungeklärt angesehen hat, nicht vergleichbar.
Schließlich lassen sich weder aus dem Urteil des OVG Münster vom (AZ. 13 A 2095/02 - OPC) noch aus der noch nicht in Kraft getretenen Anreicherungsverordnung Argumente herleiten, die die Ansicht der Beklagten stützen.
5.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen. Es fehlt an einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie an dem Erfordernis der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 S.1 Nrn. 2, 3 ZPO). Die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die angeführte europäische Rechtsprechung hinreichend geklärt oder nicht von grundsätzlicher Bedeutung.
OLG Köln:
Urteil v. 08.12.2006
Az: 6 U 145/06
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