Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 23. Dezember 2009
Aktenzeichen: 6 U 101/09

(OLG Köln: Urteil v. 23.12.2009, Az.: 6 U 101/09)

Tenor

1.) Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.5.2009 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln -28 O 889/09- teilweise abgeändert und im Hauptausspruch wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerinnen zu 1) - 4) zu gleichen Teilen 2.380,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.1.2009 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2.) Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3.) Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen haben die Klägerinnen je 14,75 % und die Beklagte 41 % zu tragen.

4.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

5.) Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Wegen des Sachverhaltes wird gem. § 540 Abs.1 S.1 Ziff.1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Zur Begründung ihrer Berufung, mit der sie weiter die Abweisung der Klage begehrt, rügt die Beklagte erneut die Unzuständigkeit des Landgerichts und beruft sich auf Rechtsprechung verschiedener Gerichte, wonach der Umfang der Überwachungspflichten von Eltern vom Einzelfall abhängig sei. Im Übrigen äußert sie unter Hinweis u.a. auf die aus Bl. 293 ersichtliche Verlautbarung im Internet über Abrechungspraktiken der die Klägerinnen vertretenden Rechtsanwälte der Kanzlei S "begründete Zweifel" daran, dass die Klägerinnen sich verpflichtet haben, die Tätigkeit ihrer Anwälte mit den von ihnen geltend gemachten gesetzlichen Gebühren zu honorieren.

Die Klägerinnen zeigen die aus dem obigen Rubrum ersichtliche Umfirmierung der Klägerin zu 2) an, behaupten, die gesetzlichen Gebühren an ihre Bevollmächtigten gezahlt zu haben, und verteidigen das Urteil.

II.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache auch überwiegend Erfolg. Die Abmahnung, deren Kosten die Klägerinnen geltend machen, war zwar im Sinne des § 12 Abs. 1 S. 2 UWG berechtigt, den Klägerinnen steht ein Aufwendungsersatz aber nur in Höhe von 2.380,00 € nebst Zinsen zu.

1.) Ohne Erfolg rügt die Beklagte die angebliche Unzuständigkeit des Landgerichts Köln. Die Frage, ob das Landgericht seine Zuständigkeit mit Recht angenomnen hat, ist einer Überprüfung im Berufungsverfahren gem. § 513 Abs. 2 ZPO entzogen.

2.) Die geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz der Abmahnkosten können nicht auf § 97 a UrhG gestützt werden, weil diese Bestimmung im Zeitpunkt der Verletzungshandlung Jahre 2005 noch nicht in Kraft war. Den Klägerinnen stehen die Aufwendungsersatzansprüche in der vom Senat zuerkannten Höhe aber aus §§ 670, 677, 683 BGB zu.

Am 09.08.2005 sind von dem Internetanschluss der Beklagten aus 964 Musikdateien im MP3-Format zum Download angeboten worden. Das stellte eine öffentliche Zugänglichmachung der Tonträger im Sinne des § 19 a UrhG dar, zu der die Beklagte zumindest im Hinblick auf die 131 in der Klageschrift ab Seite 5 im einzelnen aufgelisteten Titel, an denen jeweils eine der Klägerinnen die Rechte innehatte, mangels Einräumung der Verwertungsrechte aus § 85 UrhG nicht berechtigt war. Zu Recht haben u.a. die Klägerinnen des vorliegenden Verfahrens mit der Abmahnung vom 9.12.2005 die Beklagte deswegen auf Unterlassung in Anspruch genommen und verlangen sie nunmehr den Ersatz der hierfür entstanden Auslagen unter dem Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag.

Die Beklagte hat nach ihrem Vortrag nicht selbst den Download angeboten. Inwieweit der Inhaber eines Internetanschlusses dafür Sorge zu tragen hat, dass Dritte, die Zugang zu dem Internetanschluss haben, bei der Nutzung dieses Internetanschlusses nicht urheberrechtliche Nutzungsrechte verletzen, wird in der Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt, (vgl. LG Hamburg, MMR 2006, 700; CR 2007, 121 f; OLG Hamburg [Streitwertentscheidung] GRUR-RR 2007, 661 Rz 10; OLG Frankfurt GRUR-RR 2008, 73 f). Während das LG Hamburg (CR 2007, 121 f) es für notwendig hält, Benutzerkonten einzurichten oder eine Firewall zu installieren, hat das OLG Frankfurt (a.a.O.) eine Überwachungspflicht verneint, solange nicht konkrete Anhaltspunkte für Rechtsverletzungen gerade durch eines der Familienmitglieder vorliegen. Welcher dieser Meinungen zu folgen ist, kann im vorliegenden Verfahren offenbleiben. Den in Anspruch genommenen Anschlussinhaber trifft nämlich eine sekundäre Darlegungslast zur Angabe der Person, die nach seiner Kenntnis den Verstoß über den betreffenden Anschluss begangen haben kann (vgl. OLG Frankfurt a.a.O. S. 74). Dem ist die Beklagte im vorliegenden Verfahren nicht nachgekommen.

a) Sie hat zunächst € was die eigene Person betrifft € vorgetragen, Schutzkriterien wie Firewall oder Benutzerkonten seien ihr bis heute unbekannt (Klageerwiderung S. 3 = GA 211). Nach der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat sie behauptet, Firewall und Benutzerkonten seien von ihrem Schwager € der nach einem Schlaganfall nicht mehr vernehmungsfähig sei € eingerichtet worden (GA 231). Darauf ist sie im Berufungsverfahren nicht mehr zurückgekommen.

b) Zu der Frage, ob ihr Ehemann den Anschluss benutzt hat, hat sie sich in beiden Instanzen vollständig ausgeschwiegen; darauf hat der Senat schon in der Berufungsverhandlung hingewiesen. Es bleibt daher offen, ob sie € was bei der großen Zahl der zum Download angebotenen 984 Musik-Dateien mit vielfach älteren Titeln nicht völlig fern liegt € in rechtlich eine Eigenhaftung begründeter Weise die Augen davor geschlossen hat, dass ihr Ehemann Urheberrechtsverstöße über ihren Anschluss beging.

c) Die Beklagte hat angegeben, dass in ihrem Haushalt neben ihrem Ehemann noch fünf Kinder leben, die zum Tatzeitpunkt 13, 10, 7, 4 und 1 ½ Jahre alt gewesen seien. Welche Kinder den Anschluss genutzt haben, hat sie nicht gesagt. In der anwaltlich formulierten Antwort vom 18.01.2006 auf die Abmahnung ist von den "älteren Kindern" die Rede. Damit bleibt unklar, ob das mittlere Kind zu den Benutzern gezählt hat oder nicht.

Angesichts dieses insgesamt unzureichenden Vortrags ist von der Verantwortlichkeit der Beklagten für die beanstandeten Rechtsverletzungen auszugehen.

Nur hilfsweise merkt der Senat an, dass ihr Vortrag auch nicht erkennen lässt, dass sie gegenüber ihren Kindern den gebotenen Kontrollpflichten entsprochen hat. Danach hat sie "im Rahmen ihrer Erziehung gemeinsam mit ihrem Mann ihre Kinder immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass keine Inhalte aus dem Internet downgeloaded werden dürfen" und dass keine "Tauschbörsen benutzt" werden dürfen. Zwei der Kinder der Beklagten waren damals 10 und 13 Jahre alt, zumindest bei diesen ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, dass sie € wie es schon im Jahre 2005 in dieser Altersgruppe üblich war - in der Lage waren, mit dem Computer umzugehen und im Internet zu surfen, sowie dessen Angebote zu nutzen. Das bloße gegenüber zwei Jungen im Alter von 10 und 13 Jahren ausgesprochene Verbot, an Tauschbörsen teilzunehmen, genügte zur Vermeidung von Rechtsverletzungen durch die Kinder nicht. Die Beklagte hatte nach ihrem Vortrag selbst von Computern wenig Kenntnisse und benutzte den PC, der gegen ihren anfänglichen Widerstand auf Betreiben der Schule der Kinder angeschafft worden war, kaum. Die beiden ältesten Kinder konnten danach davon ausgehen, dass von Seiten der Beklagten nicht die Gefahr von Kontrollen drohte, weil sie die hierfür erforderlichen Kenntnisse nicht hatte. Die Kinder mussten deswegen auch die Entdeckung ihrer Teilnahme an Tauschbörsen nicht befürchten. Damit stellte sich das elterliche Verbot als nicht von Sanktionen bedroht dar und die Kinder konnten unbeschränkt über den PC und den Internetzugang verfügen.

Für eine derartige Sanktion ist der Senat nicht der Ansicht, dass Belehrungs- und Kontrollpflichten der Eltern erst einsetzen, wenn sie zuvor konkret über von ihren Kindern begangenen Rechtsverletzungen unterrichtet worden sind.

Bestand damit ein Unterlassungsanspruch aus § 97 Abs. 1 UrhG, so war die Abmahnung berechtigt und steht den Klägerinnen dem Grunde nach ein Anspruch aus §§ 670, 677, 683 BGB zu.

3.) Die Klägerinnen können den Ersatz der gesetzlichen Gebühren in der angefallenen Höhe beanspruchen. Der Behauptung der Beklagten, tatsächlich hätten die Klägerinnen mit den von ihnen beauftragten Rechtsanwälten eine Vereinbarung getroffen, wonach nur geringere Gebühren geschuldet seien, ist im vorliegenden Verfahren nicht nachzugehen.

Die Beklagte hat in erster Instanz auf die in der Klageschrift immanent zum Ausdruck gebrachte Behauptung der Klägerinnen, sie rechneten mit ihren Anwälten die gesetzlichen Gebühren ab, dies mit Nichtwissen bestritten. Zu Recht hat das Landgericht auch angesichts dieses Vortrags seiner Entscheidung die gesetzlichen Gebühren zu Grunde gelegt. Es hätte der Beklagten als für die angebliche Vereinbarung darlegungs- und beweisbelasteter Partei zumindest oblegen, Indiztatsachen vorzutragen, die auf eine derartige Vereinbarung schließen lassen. Daran fehlte es. Im Berufungsverfahren hat die Beklagte zwar nunmehr derartige Indiztatsachen vorgebracht, dieser Vortrag kann aber gem. § 531 Abs. 2 ZPO als neues Verteidigungsmittel nicht zugelassen werden.

Während die Klägerinnen behaupten, ihren Anwälten für die streitgegenständliche Abmahnung die gesetzlichen Gebühren gezahlt zu haben, wiederholt die Beklagte ihre Behauptung der Existenz einer Vereinbarung, wonach die Klägerinnen lediglich geringere als die gesetzlichen Gebühren schulden, und beruft sich auf Medienberichte aus den Jahren 2007 und 2008 über die angebliche Abrechnungspraxis der von den Klägerinnen auch im vorliegenden Verfahren beauftragten Anwaltskanzlei. Gründe, warum die Interviews und TV-Berichte nicht schon in erster Instanz vorgebracht worden sind, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Dass die Beklagte € wie sie mit Schriftsatz vom 29.10.2009 vorgetragen hat € (nunmehr) weiter recherchiert hat, entlastet sie von dem Vorwurf der Nachlässigkeit (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO) nicht, weil die Recherche auch schon in erster Instanz hätte durchgeführt werden können und dieselben Ergebnisse erbracht hätte.

4.) Der Höhe nach steht den Klägerinnen neben der Portopauschale von 20 € nur eine 1,3 Gebühr nach VV 2300 zum RVG in Höhe von 2.360,00 € zu.

Der Berechnung ist ein Gegenstandswert von 50.000 € für jede der vier Klägerinnen, in der Summe mithin ein Wert von 200.000 € zugrunde zu legen. Die Abmahnung diente dem Ziel, ein weiteres Anbieten von zu Gunsten der jeweiligen Klägerin geschützten Musiktiteln im Internet zum Download zu verhindern. Dieses Interesse ist nicht in mathematischer Abhängigkeit von der Anzahl der in das Netz gestellten Titel zu bemessen, vielmehr sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Jede der vier Klägerinnen hatte im Ausgangspunkt schon wegen der unberechtigten Nutzung eines der zu ihren Gunsten geschützten Titel ein erhebliches Interesse an der Durchsetzung ihrer Ansprüche, weil bei einer Fortsetzung der Teilnahme an der Tauschbörse ein erneutes Einstellen von Titeln in nicht vorherzusehender Anzahl drohte. Dieses Interesse war noch dadurch gesteigert, weil von dem Internetanschluss der Beklagten bereits in ganz erheblichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen worden waren. Es sind am 9.8.2005 insgesamt 964 Musikdateien im MP-3 Format von dem Computer der Beklagten aus zum Download angeboten worden. Die Klägerinnen mussten danach befürchten, dass ohne ein erfolgreiches Einschreiten zukünftig in ähnlichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen werden würden. Dabei ist es von untergeordneter Bedeutung, dass nur für 131 Titel die Rechtsinhaberschaft einer der Klägerinnen konkret dargelegt worden ist. Für den aus der hohen Zahl von nahezu 1000 Titeln folgenden Gefährdungsgrad ist es unerheblich, dass die Titel nicht alle zu Gunsten der jeweiligen einzelnen Klägerin geschützt waren. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass es sich zumindest bei einer Anzahl von Musikstücken € wie etwa denjenigen von "The Who€ - nicht um aktuelle Neuerscheinungen gehandelt hat. Es kann danach nicht von einer besonders hohen Zugriffswahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Nicht zuletzt angesichts der von den Klägerinnen selbst in deren als Anlage K 8 vorgelegtem Schreiben vom 11.1.2006 vorgenommenen Berechnung, wonach für den legalen Erwerb der in Rede stehenden 964 Titel ein Betrag von ca. 1.339 € aufzubringen gewesen wäre, schätzt der Senat unter Berücksichtigung dieser Umstände das Interesse der vier Klägerinnen einheitlich auf je 50.000 €, woraus sich der Gesamtwert von (4 x 50.000 € =) 200.000 € ergibt.

Entsprechend den Ausführungen der Klägerinnen auf S. 15 der Klageschrift ist eine 1,3 Gebühr aus VV 2300 der Anlage 1 zum RVG entstanden. Diese Gebühr ist nicht gem. VV 1800 der Anlage 1 zum RVG um insgesamt 0,9 Gebühren auf 2,2 Gebühren zu erhöhen, weil es sich für die Bevollmächtigten der Klägerinnen nicht um dieselbe Angelegenheit im Sinne der §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG gehandelt hat. Die vier Klägerinnen machen nicht denselben, sondern jede eigene Ansprüche geltend, indem sie sich - wie es die Aufstellung auf S. 5 ff der Klageschrift ausweist - auf die Verletzung von speziellen, jeweils nur einer von ihnen zustehenden Rechten an unterschiedlichen Musiktiteln berufen. Entgegen der im Berufungsverfahren von den Beklagten im Schriftsatz vom 27.11.2009 geäußerten Auffassung steht ihnen die Gebühr auch nicht in einer den Satz von 1,3 übersteigenden Höhe zu, weil ihre

Tätigkeit im Abmahnverfahren weder schwierig noch umfangreich war. Den Klägerinnen mag einzuräumen sein, dass die Materie nicht jedem Rechtsanwalt vertraut sein wird. Es ist aber davon auszugehen, dass die Erarbeitung der Abmahnung für ihre auf die Materie spezialisierten Rechtsanwälte keinen überdurchschnittlichen Aufwand erfordert hat und sogar weitgehend der Einsatz von Textbausteinen möglich war. Anhaltspunkte für besondere Schwierigkeiten des Einzelfalles sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Insbesondere brachte es auch keinen Mehraufwand mit sich, die

Abmahnung statt nur für einen Mandanten für die vier Klägerinnen auszusprechen.

Zusätzlich zu der 1,3 Gebühr gem. VV 2300 in Höhe von 2.360 € hat die Beklagte auch die Portopauschale in Höhe von 20 € aus VV 7002 zum RVG zu zahlen, woraus sich der tenorierte Gesamtbetrag von 2.380 € ergibt.

Aus den zutreffend auf Seite 11 des angefochtenen Urteils formulierten Gründen kommt es für die Entscheidung nicht darauf an, ob die Klägerinnen den streitigen Betrag an ihre Anwälte bereits bezahlt haben.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs.1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Entscheidung zur Haftung der Beklagten beruht auf ihrem unzureichenden Vortrag, ohne dass auf die oben angesprochenen rechtlichen Kontroversen abgestellt werden mußte.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 5.832,40 €.






OLG Köln:
Urteil v. 23.12.2009
Az: 6 U 101/09


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