Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 17. März 2009
Aktenzeichen: 4a O 121/08
(LG Düsseldorf: Urteil v. 17.03.2009, Az.: 4a O 121/08)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Die Sicherheit kann auch durch eine unwiderrufliche, unbedingte, unbefristete und selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürgin anerkannten Bank oder Sparkasse erbracht werden.
Gründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Die Klage ist zulässig. Die Klägerin ist zur Geltendmachung der Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft und Rechnungslegung, Vernichtung und Schadensersatz prozessführungsbefugt, weil sie im Patentregister als Inhaberin des Klagepatents eingetragen ist. Gemäß § 30 Abs. 2 PatG entscheidet der Rollenstand des Patentregisters darüber, wer nach Maßgabe des Patentgesetzes berechtigt und verpflichtet ist. Im Fall der Übertragung eines Patents können, solange die Umschreibung auf den neuen Inhaber nicht erfolgt ist, Ansprüche wegen Patentbenutzung nur von dem noch eingetragenen Altinhaber geltend gemacht werden, selbst wenn dieser wegen der Wirksamkeit der Patentübertragung materiellrechtlich nicht mehr Inhaber des Klageschutzrechts ist. Ist andererseits die Umschreibung erfolgt, so ist allein der neu eingetragene Erwerber prozessführungsbefugt, unabhängig davon, ob er tatsächlich materiellrechtlich Inhaber des Patents geworden ist oder nicht (vgl. OLG Düsseldorf Urt. v. 28.09.2006 - I-2 U 93/04; Benkard/Rogge/Grabinski, PatG 10. Aufl.: § 139 PatG Rn 17; Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 3. Auflage, Rz. 334). Da die Klägerin im vorliegenden Fall als Inhaberin im Patentregister eingetragen ist, ergibt sich daraus unmittelbar die Prozessführungsbefugnis. Abgesehen davon haben die Beklagten die Übertragung des Klagepatents auf die Klägerin nach Vorlage der Übertragungsverträge vom 10.10.2003 und 24.10.2003 (Anlagen rop 1 und 2) nicht weiter bestritten.
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat gegen die Beklagte keine Ansprüche auf Unterlassung, Auskunft, Rechnungslegung und Schadensersatz dem Grunde nach aus Art. 64 Abs. 1 EPÜ i.V.m. §§ 139 Abs. 1 und 2, 140b Abs. 1 und 3 PatG, §§ 242, 259 BGB. Das durch den Klagepatentanspruch geschützte Verfahren wird durch die angegriffene Ausführungsform weder wortsinngemäß, noch mit äquivalenten Mitteln verwirklicht.
I.
Das Klagepatent schützt mit seinem Patentanspruch ein Verfahren zur Kompensation des Erdmagnetfeldes in einer Bildröhre.
Die Beschreibung des Klagepatents führt dazu aus, dass durch den Einfluss des Erdmagnetfeldes auf eine Bildröhre erhebliche Qualitätseinbußen in Form von Farbreinheitsfehlern auftreten können. Bei Bildröhren mit großem Format ist eine Abschirmung des Ablenkmagnetfeldes innerhalb der Bildröhre wegen der erforderlichen Größe sehr kostspielig. Billiger sind Schaltungsanordnungen, die das Erdmagnetfeld auf elektrischem Wege kompensieren.
Es ist im Stand der Technik laut Klagepatentschrift bekannt, das Erdmagnetfeld mit Hilfe einer an der Bildröhre angebrachten Spule zu kompensieren. Zu diesem Zweck besitzt das Bildwiedergabegerät an seiner Rückseite einen oder mehrere Schalter zur Einstellung von Strömen unterschiedlicher Größe und Richtung in der Kompensationsspule. Die Spule selbst ist zwischen eine Betriebsspannung und Erdpotential geschaltet. In Serie zur Kompensationsspule liegt ein Strombegrenzungswiderstand. Ein Teil dieses Widerstandes ist mit Hilfe eines ersten Schalters überbrückbar, so dass zwei unterschiedlich große Stromstärken durch die Kompensationsspule eingestellt werden können. Ein zweiter, beispielsweise dreistufiger Schalter mit zwei Kontaktebenen dient dazu, die beiden Enden der Kompensationsspule wechselweise an den Vorwiderstand und an Erdpotential zu schalten, um die Stromrichtung durch die Kompensationsspule umzukehren oder ganz abzuschalten.
In der Klagepatentschrift wird als Nachteil dieser Anordnung angesehen, dass zum einen der Kompensationsstrom nur zwischen zwei festen Werten umgeschaltet werden kann und zum anderen die Bedienung durch eine rückwärtige Anordnung der Schalter umständlich und oft nicht möglich ist, wenn das Bildwiedergabegerät in einer Schrankwand eingebaut ist.
Dem Klagepatent liegt demnach die Aufgabe zugrunde, die zuvor beschriebenen Nachteile zu beseitigen. Dies soll durch den Klagepatentanspruch 1 erreicht werden, dessen Merkmale wie folgt gegliedert werden können:
1. Verfahren zur Kompensation des Erdmagnetfeldes in einer Bildröhre eines fernsteuerbaren Fernsehempfängers
1.1 mit Hilfe einer Kompensationsspule;
2. im Fernsehempfänger ist für die Erzeugung einer Gleichspannung (US) ein Fernsteuerkanal des Fernsehempfängers vorgesehen;
3. die Gleichspannung ist an die Kompensationsspule (5) gelegt;
4. das anderes Ende ist an eine stabile Spannung (UB/2) gelegt,
5. die Spannung (US) ist zwischen dem Wert 0 und UB veränderbar.
Das Klagepatent beschreibt als Vorteil der Erfindung, dass die Einstellung des Stromes durch die Kompensationsspule kontinuierlich und ohne umständliche Handhabung infolge einer rückwärtigen Bedienung des Gerätes vorgenommen werden könne.
II.
Es kann für die vorliegende Entscheidung dahinstehen, was unter einem für die Erzeugung einer Gleichspannung vorgesehenen Fernsteuerkanal (Merkmal 2) zu verstehen ist. Denn die Auslegung des Klagepatentanspruchs hinsichtlich der an dem einen Ende der Kompensationsspule anliegenden Spannung (US) (Merkmal 5) und der am anderen Ende anliegenden Spannung (UB/2) (Merkmal 4) führt jedenfalls zu dem Ergebnis, dass die angegriffene Ausführungsform die Lehre des Klagepatentanspruchs 1 nicht wortsinngemäß verwirklicht.
1. Die Merkmale 3 bis 5 der vorstehenden Merkmalsgliederung betreffen die an der erfindungsgemäßen Kompensationsspule anliegende Spannung. Da Merkmal 4 die am "anderen Ende" der Spule anliegende Spannung beschreibt, betreffen die Merkmale 3 und 5 das "eine Ende" der Spule. Dabei soll an dem einen Ende der Spule eine Gleichspannung (US) angelegt werden (Merkmal 2 und 3), die zwischen dem Wert 0 und UB veränderbar ist (Merkmal 5), und an dem anderen Ende eine stabile Spannung (UB/2) (Merkmal 4).
Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Angaben "0", "UB" und "UB/2" im Klagepatentanspruch stellten den Gegenstand nicht beschränkende Bezugszeichen für einen Minimalwert, einen Maximalwert und einen Mittelwert dar. Jedenfalls werde durch diese Zeichen keine absolute Größe der jeweils angelegten Spannung beschrieben, sondern lediglich die Relation der jeweiligen Spannungen indiziert. Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Vielmehr ist der Klagepatentanspruch 1 unter Heranziehung der Beschreibung des Klagepatents und der zugehörigen Zeichnungen (Art. 69 EPÜ) dahingehend auszulegen, dass die an dem einen Ende anliegende Spannung zwischen dem auf das Erdpotential bezogenen Wert 0 Volt und dem im Übrigen frei wählbaren Wert UB veränderlich sein soll. Dadurch wird zugleich die an dem anderen Ende bestehende stabile Spannung auf die Hälfte des Wertes von UB festgelegt.
Die Angaben "0", "UB" und "UB/2" stellen keine bloßen Bezugszeichen dar. Dies folgt bereits aus dem Wortlaut des Klagepatentanspruchs, nach dem es sich bei "0" und "UB" um "Werte" handelt. Dass die beiden Werte nicht mit einer Einheit versehen sind, ist unbeachtlich. Es ist unmittelbar einsichtig, dass es sich um Angaben in Volt handeln muss, da jeweils Werte für eine Spannung angegeben werden. Darüber hinaus spricht gegen ein Verständnis von "0" und "UB" als Bezugszeichen, dass es sich bei dem Wert "0" um eine konkrete Zahlenangabe handelt. Anders als für den Wert UB wurde gerade kein Platzhalter für eine vom Fachmann frei festzulegende Spannung gewählt, sondern eine konkrete Zahl. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann daher der "Wert 0" im Sinne der Lehre des Klagepatentanspruchs nicht lediglich als Minimalwert im Sinne von Umin aufgefasst werden. Vielmehr stellt die Angabe einer Spannung von 0 V einen absoluten Wert dar. Die gleiche Argumentation greift auch für den Wert UB mit dem Unterschied, dass kein konkreter Zahlenwert für die Betriebsspannung angegeben ist. Es handelt sich um einen festen Wert, der aber vom Fachmann frei gewählt werden kann (mit Ausnahme von 0 Volt). Damit handelt es sich auch bei dem Wert UB nicht um ein bloßes Bezugszeichen. Für eine solche Einordnung spricht auch, dass am anderen Ende der Spule eine stabile Spannung UB/2 anliegen soll. Durch die Bezeichnung UB/2 wird festgelegt, dass die Spannung halb so groß sein soll wie die an dem einen Ende (maximal) anliegende Betriebsspannung UB. Daraus folgt zugleich zwingend, dass die am anderen Ende der Kompensationsspule anliegende stabile Spannung UB/2 nicht 0 Volt ist.
Der Einwand der Klägerin, bei der elektrischen Spannung handele es sich um eine relative Größe, die lediglich eine Potentialdifferenz zwischen zwei Punkten beschreibe, führt im vorliegenden Fall zu keiner anderen Auslegung. Zwar bedarf es der Klärung, bezüglich welchen Punktes die an dem einen beziehungsweise anderen Ende der Spule anliegende Spannung den Wert 0 Volt, UB oder UB/2 hat. Dies führt aber nicht zu einer Auslegung, nach der der Wert "0" lediglich als Minimalwert und der Wert "UB" als Maximalwert der anliegenden Spannung angesehen werden kann. Vielmehr stellt das Erdpotential mit 0 Volt das Bezugspotential für die im Klagepatentanspruch angegebenen Spannungswerte dar.
Nach dem Vortrag der Klägerin stellt die Masse regelmäßig das Bezugspotential für alle Signal- und Betriebsspannungen dar und wird üblicherweise mit dem Potential 0 Volt definiert. Wie aus dem von der Klägerin als Anlage rop F6 vorgelegten Wikipedia-Eintrag zum Begriff "Masse" hervorgeht, kann Masse im Prinzip jeder beliebige Knoten einer elektrischen Schaltung sein, oft ist das Massepotential jedoch nahe oder gleich dem Erdpotential. Wenn also der Fachmann nicht bereits aufgrund Konvention den im Klagepatentanspruch angegebenen "Wert 0" (Volt) auf die Masse beziehungsweise das Erdpotential bezieht, wird er dies jedenfalls aufgrund der Beschreibung des Klagepatents tun, in der das Erdpotential ebenfalls mit 0 Volt definert wird. In der Klagepatentschrift wird zum Ausführungsbeispiel erläutert, dass an einem Ende der Kompensationsspule eine einstellbare Spannung zwischen 0 Volt und einer Betriebsspannung UB anliegt und das andere Ende der Spule auf ein Potential UB/2 und damit auf die Hälfte der Betriebsspannung UB geschaltet ist (Sp. 2 Z. 8-15; Textstellen ohne Bezugsangabe stammen aus der Klagepatentschrift, Anlage rop F1). Dieses Potential von UB/2 wird durch einen Spannungsteiler erzeugt, der zwischen die Betriebsspannung UB und Erdpotential geschaltet ist (Sp. 2 Z. 15-17). Eine solche Spannungsverteilung, wie sie auch in den Figuren 1 und 2 gezeigt ist, setzt aber voraus, dass das Erdpotential mit 0 Volt definiert ist.
Die vorstehend wiedergegebenen Ausführungen in der Klagepatentschrift betreffen zwar lediglich ein Ausführungsbeispiel. Gleichwohl stellt es keine allein auf ein Ausführungsbeispiel gestützte und damit unzulässige, einschränkende Auslegung des Klagepatentanspruchs dar, wenn der Begriff "Wert 0" (Volt) als Erdpotential verstanden wird. Denn die im Ausführungsbeispiel angegebenen Spannungsverteilungen charakterisieren nicht nur Funktionen oder Vorteile der näher beschriebenen Ausführung, sondern beschreiben die mit dem Klagepatent beanspruchte technische Lehre, weil die für das Ausführungsbeispiel angegebenen Spannungswerte von 0 Volt, UB und UB/2 mit den im Klagepatentanspruch angegebenen Werten identisch sind. Dabei geht die Klagepatentschrift allgemein und nicht nur hinsichtlich des Ausführungsbeispiels davon aus, dass mit dem Wert 0 Volt das Erdpotential definiert wird. Denn in der Klagepatentschrift wird ausgeführt, dass die aus dem Stand der Technik bekannte Kompensationsspule zwischen eine Betriebsspannung und Erdpotential geschaltet wird. Durch einen Schalter ist es möglich, die beiden Enden der Spule wechselweise an die Betriebsspannung und Erdpotential zu schalten und dadurch die Stromrichtung durch die Spule umzukehren (Sp. 1 Z. 29-35). Vor diesem Hintergrund liegt dem Klagepatent allgemein die Vorstellung zugrunde, dass die angegebenen Spannungswerte jeweils in Bezug auf das Erdpotential zu verstehen sind und somit ein Wert von 0 Volt das Erdpotential darstellt.
2. Ausgehend von dieser Auslegung macht die angegriffene Ausführungsform von der Lehre des Klagepatentanspruchs nicht wortsinngemäß Gebrauch. Weder ist die Spannung an dem einen Ende der Kompensationsspule zwischen dem Wert 0 und UB veränderbar, noch ist an das andere Ende eine Spannung von UB/2 angelegt.
Unstreitig liegt bei der angegriffenen Ausführungsform an dem mit "2" gekennzeichneten Ende der Spule eine Spannung an, die zwischen -10 Volt und +10 Volt veränderbar ist. Diese Werte beziehen sich jeweils auf das mit 0 Volt definierte Erdpotential, an dem das mit "1" gekennzeichnete andere Ende der Kompensationsspule der angegriffenen Ausführungsform anliegt (die Angaben Ende 1 und Ende 2 der Kompensationsspule beziehen sich jeweils auf die Bezifferung der in Anlage rop F5 dargestellten Schaltungsanordnung mit der "rotation coil" als Kompensationsspule). Nach der Lehre des Klagepatentanspruchs muss jedoch an dem einen Ende der Spule eine Spannung zwischen 0 Volt (bezogen auf das Erdpotential) und der Betriebsspannung UB anliegen. Das ist hier nicht der Fall, weil die Spannung zwischen -10 Volt und +10 Volt einstellbar ist. Ebenso wenig liegt an dem Ende 1 der Kompensationsspule eine stabile Spannung von UB/2 an. Nach der im vorigen Abschnitt vorgenommenen Auslegung muss der Wert UB/2 von 0 Volt verschieden sein. Nach dem Vortrag der Klägerin hat das Ende 1 der angegriffenen Spule jedoch Erdpotential und insofern eine Spannung von 0 Volt.
Selbst wenn man von der am Ende 2 der Kompensationsspule anliegenden Spannung lediglich den Bereich von 0 Volt bis +10 Volt beziehungsweise von 0 Volt bis -10 Volt betrachtet und +10 Volt (oder -10 Volt) als Betriebsspannung UB ansieht, wird die Lehre des Klagepatentanspruchs nicht wortsinngemäß verwirklicht, weil an dem mit "1" bezeichneten anderen Ende der beanstandeten Kompensationsspule das Erdpotential mit 0 Volt anliegt. Es kann dahinstehen, ob - wie die Beklagten vortragen - die Spannung am Ende 1 der Spule je nach angelegter Spannung am Ende 2 zwischen -1,5 Volt und 1,38 Volt variiert. Jedenfalls beträgt die Spannung am anderen Ende 1 nicht die Hälfte der Spannung von +10 Volt (oder -10 Volt), mithin +5 Volt (oder -5 Volt).
III.
Die Lehre des Klagepatentanspruchs wird durch die angegriffene Ausführungsform auch nicht mit äquivalenten Mitteln verwirklicht.
Unter dem Gesichtspunkt der Äquivalenz ist die Benutzung einer patentgemäßen Lehre im Rahmen einer dreistufigen Prüfung dann zu bejahen, wenn der Fachmann aufgrund von Überlegungen, die an den Sinngehalt der in den Ansprüchen des Patents unter Schutz gestellten Erfindung anknüpfen, die bei der angegriffenen Ausführungsform eingesetzten abgewandelten Mittel mit Hilfe seiner Fachkenntnisse als für die Lösung des der patentgeschützten Erfindung zugrunde liegenden Problems gleichwirkend auffinden konnte. Dabei erfordert es das gleichgewichtig neben dem Gesichtspunkt eines angemessenen Schutzes der erfinderischen Leistung stehende Gebot der Rechtssicherheit, dass der durch Auslegung zu ermittelnde Sinn der Patentansprüche nicht nur den Ausgangspunkt, sondern die maßgebliche Grundlage für die Bestimmung des Schutzbereiches bildet, welche sich an den Patentansprüchen auszurichten hat (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. etwa GRUR 2002, 511, 512 - Kunststoffrohrteil; GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; GRUR 2002, 519, 521 - Schneidmesser II; GRUR 2002, 523, 524 - Custodiol I, GRUR 2002, 527, 529 - Custodiol II; GRUR 2006, 313 - Stapeltrockner; Urteil vom 13.02.2007, X ZR 74/05 - Kettenradanordnung; OLG Düsseldorf, Mitt. 2005, 449, 452 - Monoklonaler Maus-Antikörper).
Die Klägerin vertritt die Auffassung, die angegriffene Ausführungsform verletze das Klagepatent mit äquivalenten Mitteln, indem statt einer Spannung von UB/2 am Ende 1 der beanstandeten Kompensationsspule eine Spannung von 0 Volt anliege (Merkmal 4) und die Spannung am Ende 2 der Kompensationsspule statt zwischen den Werten 0 Volt und UB im Bereich von +10 Volt und -10 Volt veränderbar sei (Merkmal 5).
Es kann durchaus davon ausgegangen werden, dass die beanstandete Kompensationsspule hinsichtlich des Erfindungsgegenstands technisch gleichwirkend ist. Mit dem erfindungsgemäßen Verfahren soll das Problem gelöst werden, dass mit den aus dem Stand der Technik bekannten Kompensationsspulen lediglich zwischen zwei festen Spannungswerten umgeschaltet werden kann und dass die Bedienung der rückwärtig an einem Fernsehgerät angeordneten Schalter umständlich und oft nicht möglich ist (Sp. 1 Z. 36-46). Das zuletzt genannte Problem löst die geschützte technische Lehre dadurch, dass das erfindungsgemäße Verfahren in einer Bildröhre eines fernsteuerbaren Fernsehempfängers zur Anwendung kommen soll (Merkmal 1) und im Fernsehempfänger eigens ein Fernsteuerkanal für die Erzeugung einer an der Kompensationsspule angelegten Gleichspannung vorgesehen ist (Merkmal 2). Durch die in den Merkmalen 3 bis 5 des Klagepatentanspruchs beschriebene Spannungsverteilung an der Kompensationsspule wird hingegen vermieden, dass nur zwischen zwei festen Werten für den Strom in der Kompensationsspule gewählt werden kann. Vielmehr kann der Strom nach der im Klagepatentanspruch beschriebenen technischen Lehre nunmehr kontinuierlich eingestellt werden.
Die Möglichkeit, den Strom nicht nur diskret, sondern kontinuierlich einstellen können, wird bereits durch die Anweisung verwirklicht, dass die Spannung US zwischen den Werten 0 Volt und UB veränderbar sein soll (Merkmal 5). Die weitere Anweisung, am anderen Ende der Kompensationsspule eine Spannung von UB/2 anzulegen, dient dazu, die Stromrichtung und damit die Richtung des Kompensationsmagnetfeldes umzukehren, wie es aus dem Stand der Technik bekannt war (Sp. 1 Z. 29-35). Diese Wirkungen werden in der Klagepatentschrift anhand des Ausführungsbeispiels im Einzelnen beschrieben. Demnach bewirkt eine Spannung von UB/2 an dem einen Ende der Kompensationsspule, dass kein Strom durch die Spule fließt, weil am anderen Ende der Spule ebenfalls eine Spannung von UB/2 und daher zwischen den beiden Enden der Spule keine Spannung anliegt. Ist die Spannung an dem einen Ende der Spule hingegen größer als UB/2, fließt je nach Potentialdifferenz ein Strom von I+, ist die Spannung kleiner, fließt je nach Potentialdifferenz ein Strom von I- durch die Kompensationsspule (Sp. 2 Z. 18-26).
Diese Wirkung erzielt auch die angegriffene Kompensationsspule, da die Spannung am Ende 2 der Spule zwischen -10 Volt und +10 Volt eingestellt werden kann und am Ende 1 der Spule - den Vortrag der Klägerin als richtig unterstellt - eine Spannung von (ungefähr) 0 Volt besteht. Befindet sich die Spannung am Ende 2 der Kompensationsspule auf Erdpotential, mithin bei 0 Volt, fließt kein Strom. Andernfalls fließt der Strom je nach Vorzeichen der Spannung am Ende 2 der Kompensationsspule entweder in die eine oder in die andere Richtung durch die Spule. Es kommt dasselbe Wirkprinzip zur Anwendung wie bei der patentgemäßen Lehre.
Gleichwohl fehlt es für eine Verwirklichung der Lehre des Klagepatentanspruchs mit äquivalenten Mitteln am Erfordernis der Gleichwertigkeit. Dieses besagt, dass Überlegungen, die zum Auffinden der durch vom Sinngehalt abweichende Mittel gekennzeichneten Ausführung befähigen, derart am Sinngehalt der im Patentanspruch unter Schutz gestellten Lehre orientiert sind, dass der Fachmann die durch hiervon abweichende Mittel gekennzeichnete Ausführung als der gegenständlichen (wortsinngemäßen) gleichwertige Lösung in Betracht zieht (BGH GRUR 2002, 511, 512 - Kunststoffrohrteil; GRUR 2002, 515, 517 - Schneidmesser I; GRUR 2002, 519, 521 - Schneidmesser II; GRUR 2002, 523, 524 - Custodiol I, GRUR 2002, 527, 529 - Custodiol II). Dabei geht es darum, dass der Sinngehalt des Patentanspruchs Überlegungen zuließ, die einen Fachmann zu der anderen Lösung führen und diese aus fachlicher Sicht gleichwertig erscheinen lassen. Die Überlegungen müssen zum Ergebnis haben, dass die Abwandlung, welche die angegriffene Ausführungsform verkörpert, als in einem weiteren Sinne patentgemäße Lösung genutzt werden kann. Hieran fehlt es beispielsweise, wenn der Fachmann aufgrund seines Fachwissens die betreffende Ausführung zwar an Hand der Beschreibung hat auffinden können, diese aber in der Anspruchsfassung keinen Niederschlag gefunden hat (vgl. zu vorstehenden Ausführungen Benkard/Scharen, PatG 10. Aufl.: § 14 Rn 114).
Nach diesen Grundsätzen kann im vorliegenden Fall nicht von der Gleichwertigkeit der angegriffenen Ausführungsform ausgegangen werden. Dem Fachmann erschließt sich aus der Beschreibung des Klagepatents zwar die allgemeine Funktionsweise der technischen Lehre. So sorgt die veränderbare Spannung an dem einen Ende der Spule dafür, dass der Strom kontinuierlich und nicht nur auf eine begrenzte Anzahl bestimmter Werte eingestellt werden kann, und die Wahl einer stabilen Spannung am anderen Ende der Spule innerhalb des einstellbaren Bereichs dient dazu, die Stromrichtung und damit die Richtung des Kompensationsmagnetfeldes in Abhängigkeit von der eingestellten Spannung umzukehren. In der Klagepatentschrift werden diese Wirkungen konkret beschrieben: Bei einem Pegel von UB/2 am Ausgang des Leistungsverstärkers fließt kein Strom durch die Kompensationsspule; ist die Spannung am Ausgang größer, fließt je nach Potentialdifferenz ein Strom I+, ist die Spannung kleiner, fließt je nach Potentialdifferenz ein Strom I- durch die Kompensationsspule (Sp. 2 Z. 18-26). Der Fachmann erhält aus der Beschreibung des Klagepatents aber keinen Hinweis darauf, den Bereich der einstellbaren Spannung an dem einen Ende der Spule abweichend von den Werten 0 Volt (Erdpotential) und UB und die Spannung am anderen Ende der Spule abweichend von UB/2 festzulegen. Die in der Beschreibung des Klagepatents beschriebenen Wirkungen lassen sich zwar auch mit anderen Spannungswerten verwirklichen. Im Klagepatentanspruch werden aber ausdrücklich die Werte 0, UB und UB/2 benannt. Bei Überlegungen, die am Sinngehalt der technischen Lehre anknüpfen, gewinnt der Fachmann daher keine Anhaltspunkte dafür, statt des Wertes von 0 Volt (Erdpotential) andere, insbesondere negative Spannungen zu verwenden. Auch in der Klagepatentschrift wird die Funktionsweise der gegenständlichen Ausführung im Einzelnen unter Bezugnahme auf die im Klagepatentanspruch genannten Werte - hier konkret UB/2 (Sp. 2 Z. 20) - beschrieben. Aus der Umkehrung der Stromrichtung, die in der Beschreibung des Klagepatents durch die Zeichen I+ und I- verdeutlicht wird, kann nicht auf andere Werte für die Spannung geschlossen werden, zumal die Umkehrung der Stromrichtung auch bei der Verwendung der Werte 0 Volt, UB und UB/2 eintritt. Es gibt in der Klagepatentschrift keinen Hinweis darauf, von diesen Werten abzuweichen und sie lediglich als Bezugsgrößen für Minimal-, Maximal- und Mittelwerte aufzufassen. Ein solches Verständnis würde vielmehr dazu führen, dass der Patentanspruch lediglich als Richtlinie für die Bestimmung des Schutzbereichs dienen würde. Das ist nach dem Protokoll über die Auslegung von Art. 69 EPÜ gerade nicht gewollt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.
Streitwert: 400.000,00 EUR
Dr. Grabinski
Vorsitzender Richter am
Landgericht
Klus
Richter am Landgericht
Dr. Voß
Richter
LG Düsseldorf:
Urteil v. 17.03.2009
Az: 4a O 121/08
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