Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 25. Februar 2013
Aktenzeichen: 6 U 11/13

(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 25.02.2013, Az.: 6 U 11/13)

1. Wird ein Verfügungsbegehren erstmals im Berufungsverfahren auf ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützt, liegt darin auch dann die Geltendmachung eines neuen prozessualen Anspruchs, wenn der zugrunde liegende Lebenssachverhalt bereits in erster Instanz vorgetragen worden ist; dem hierauf gestützten Eilbegehren fehlt daher der erforderliche Verfügungsgrund, wenn dieser prozessuale Anspruch auch schon in erster Instanz hätte geltend gemacht werden können.

2. Zum Schutzumfang eines Geschmacksmusters betreffend eine Damenhandtasche, insbesondere zur Frage, ob eine farblich kontrastierende Gestaltung der angegriffenen Ausführungsform - gemeinsam mit weiteren Abweichungen - gegenüber dem farbneutral eingetragenen Klagemuster einen anderen Gesamteindruck erweckt.

Tenor

In dem Rechtsstreit € wird die Berufung der Antragstellerin gegen das am 5.12.2012 verkündete Urteil der 6.Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt a. M. auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 300.000,- €festgesetzt.

Gründe

Die Berufung war durch Beschluss zurückzuweisen, da sie offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die weiteren Voraussetzungen des § 522 II ZPO erfüllt sind. Zur Begründung wird auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 1.2.2013 Bezug genommen (§522 II 3 ZPO), der nachfolgend nochmals wiedergegeben wird:

€Wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, stehen der Antragstellerin die Verfügungsansprüche aus dem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster € nicht zu, weil die angegriffene Tasche beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck erweckt als das Verfügungsmuster und damit nicht in dessen Schutzbereich fällt (Art. 10 GGV).

Auch wenn der durch die funktionellen Vorgaben bedingte Gestaltungsspielraum bei Damenhandtaschen eher groß und der Schutzumfang des Verfügungsmusters daher eher weit ist (vgl. hierzu zuletzt BGH, Urteil vom 12.7.2012 € I ZR 102/11 - Kinderwagen II, Tz. 31; veröffentlicht am 30.1.2013 auf €bundesgerichthof.de€), reichen die vom Landgericht zutreffend herausgearbeiteten Unterschiede zwischen dem Verfügungsmuster und dem beanstandeten Erzeugnis aus, um aus der Sicht des informierten Benutzers einen anderen Gesamteindruck zu erwecken.

Maßgeblich ist insoweit das Verständnis desjenigen, der mit Damenhandtaschen einigermaßen vertraut ist, insbesondere über gewisse Kenntnisse über die Elemente verfügt, die Damenhandtaschen regelmäßig aufweisen, und diese Produkte mit vergleichsweise großer Aufmerksamkeit benutzt und betrachtet; seine Kenntnisse und der Grad seiner Aufmerksamkeit sind zwischen denen eines durchschnittlich informierten, situationsadäquat aufmerksamen Verbrauchers und denen eines Fachmanns anzusiedeln (vgl. hierzu BGHa.a.O., Tz. 55 m.w.N.).

Für den so beschriebenen informierten Benutzer wird € wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat € der Gesamteindruck der angegriffenen Tasche maßgeblich durch den gegenüber der Taschenkörper farblich deutlich kontrastierenden Tragegriff sowie dessen Befestigung an gleichfarbigen, nach Art eines Gürtelendes ausgestalteten Aufsätzen mitgeprägt. Der dadurch hervorgerufene Gesamteindruck unterscheidet sich deutlich von demjenigen des Verfügungsmusters, der die genannten auffälligen Gestaltungsmerkmale des Tragegriffs gerade nicht aufweist. Der Tragegriff des Verfügungsmusters ist vielmehr in der Farbe der Tasche gehalten, schmaler ausgebildet und mit einem Querstab am Taschenkörper befestigt. Unter diesen Umständen sind die weitgehenden sonstigen Übereinstimmungen in Form, Farbe und sonstigen Gestaltungsmerkmalen der sich gegenüberstehenden Taschen für den Gesamteindruck von untergeordneter Bedeutung, weil es sich - wie der informierte Benutzer erkennt € um Merkmale handelt,die für Damentaschen durchaus geläufig sind.

Soweit die Antragstellerin die Verfügungsansprüche mit der Berufungsbegründung erstmals auf ein weiteres Schutzrecht, nämlich ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster, stützt,fehlt es bereits am erforderlichen Verfügungsgrund, weil die Antragstellerin diese Ansprüche auch bereits in erster Instanz hätte geltend machen können.

Der mit dem angefochtenen Urteil abgewiesene Anspruch aus § 4Nr. 9 UWG wird mit der Berufung nicht weiterverfolgt.€

Das Vorbringen im Schriftsatz des Antragstellervertreters vom 20.2.2013 rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.

Der Senat hat seinem Hinweisbeschluss nicht in Frage gestellt,dass für die Ermittlung des Schutzumfangs eines farbneutral eingetragenen Musters auch bei der angegriffenen Verletzungsform grundsätzlich von der Farbe zu abstrahieren ist. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Verletzungsform durch eine kontrastierende Farbgebung gegenüber dem farbneutralen Muster einen abweichenden Gesamteindruck erzielt (vgl. BGH GRUR 2011, 1112 €Schreibgeräte, Tz. 52). Dies ist hier € zusammen mit den weiteren Unterschieden in den Befestigungsvorrichtungen der Tragegriffe € aus dem im Beschluss vom 1.2.2013 dargelegten Gründen der Fall. Insoweit unterscheidet sich die beanstandete Tasche auch maßgeblich von derjenigen angegriffenen Ausführungsform, die Gegenstand des Verfahrens 6 U 133/12 war.

Hinsichtlich des Anspruchs aus einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster scheitert das Verfügungsbegehren nicht daran, dass der Senat die Präklusionsvorschrift des § 531 IIZPO angewandt hätte, sondern € wie im Beschluss vom 1.2.2013ausgeführt € am fehlenden Verfügungsgrund der Dringlichkeit.

Auch mit dem Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 20.2.2013 hat die Antragstellerin nicht dargetan, an welcher Stelle sie in erster Instanz das Verfügungsbegehren auch auf ein nicht eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützt hätte. Bei dem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster handelt es sich um ein gegenüber dem eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster eigenständiges gewerbliches Schutzrecht, da die Voraussetzungen dieser Schutzrechte unterschiedlich sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. GRUR 2011, 521 € TÜV) liegen beiden Schutzrechten verschiedene prozessuale Ansprüche (Streitgegenstände) zugrunde. Sie werden daher erst dann in das Verfahren eingeführt, wenn der Kläger oder Antragsteller deutlich macht, dass er sein Begehren gerade auf das in Rede stehende Schutzrecht stützen will. Allein die Darlegung eines Lebenssachverhalts, aus dem sich ein Anspruch aus einem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster ergeben könnte, genügt dafür jedenfalls dann nicht, wenn € wie hier in erster Instanz € für das Gericht und den Gegner nicht erkennbar ist,dass das Klage- oder Verfügungsbegehren auch darauf abzielt, die besonderen Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines solche Schutzrechts zum Gegenstand der prozessualen Auseinandersetzung zu machen.

Aus dem vorgelegten außergerichtlichen Schreiben des Antragsgegnervertreters vom 12.2.2013 ergibt schon deshalb keine andere Beurteilung, weil es erst nach Zugang der Berufungsbegründung verfasst worden ist.

Unter den dargestellten Umständen ist auch nicht ersichtlich,dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu einem anderen Ergebnis führen würde.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

Bei der Streitwertfestsetzung war zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin in der Berufung einerseits den Anspruch aus § 4 Nr.9 UWG nicht weiterverfolgt, andererseits jedoch den Anspruch aus dem nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstmals geltend gemacht hat.






OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 25.02.2013
Az: 6 U 11/13


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