Oberlandesgericht Frankfurt am Main:
Beschluss vom 18. Oktober 2004
Aktenzeichen: 6 W 161/04
(OLG Frankfurt am Main: Beschluss v. 18.10.2004, Az.: 6 W 161/04)
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird hinsichtlich der Streitwertfestsetzung abgeändert. Der Streitwert des Eilverfahrens wird auf 30.000,- € festgesetzt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Antragstellerin ist Inhaberin einer Bildmarke (€X€), unter der sie Koffer, Taschen, Portemonnaies und ähnliche Waren vertreibt. Die entsprechend gekennzeichneten Waren, mit denen die Antragstellerin weltweit Umsätze in Höhe von mehreren Millionen Euro erzielt, haben den Ruf besonderer Exklusivität.
Der Antragsgegner betreibt in einem kleinen Ladengeschäft einen Einzelhandel mit Geschenk- und Elektroartikeln, Spiel- und Haushaltwaren sowie Schuhen und Taschen. Ein von der Antragstellerin beauftragter Testkäufer stellte fest, dass sich im hinteren Teil des schlauchartigen Geschäfts ein korbartiges Behältnis befand, in dem zwischen zahlreichen anderen Lederartikeln fünf bis sechs Täschchen mit einer der Marke der Antragstellerin ähnlichen Kennzeichnung zum Verkauf angeboten wurden.
Die Antragstellerin hat am 11.5.2004 beim Landgericht eine auf Unterlassung, Sicherstellung der widerrechtlich gekennzeichneten Gegenstände und Auskunft gerichtete einstweilige Verfügung gegen den Antragsgegner erwirkt. Den Streitwert des Eilverfahrens hat das Landgericht entsprechend der Anregung in der Antragsschrift auf 150.000,- € festgesetzt.
Mit der am 17.6.2004 eingelegten Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen die Streitwertfestsetzung. Das Landgericht hat der Beschwerde durch Beschluss vom 9.9.2004 nicht abgeholfen, den vom Antragsgegner gestellten Streitwertbegünstigungsantrag (§ 142 MarkenG) zurückgewiesen und die Sache dem erkennenden Senat zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die nach § 25 III GKG zulässige Streitwertbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg.
Der Streitwert orientiert sich allgemein an dem Interesse, das der Gläubiger bei Einleitung des Verfahrens (§ 4 ZPO) an der gerichtlichen Durchsetzung der geltend gemachten Ansprüche hat; dieses Interesse ist vom Gericht nach freiem Ermessen zu schätzen (§ 3 ZPO). Grundlagen für die Schätzung bei Schutzrechtsverletzungen können nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. GRUR-RR 03, 232) zum einen der Wert des Schutzrechts und zum andern der so genannte Angriffsfaktor, das heißt die Frage sein, in welcher Weise das Schutzrecht durch die beanstandete Verletzungshandlung beeinträchtigt wird. Der Angriffsfaktor wird - soweit es um die Bewertung des Unterlassungsanspruchs geht - grundsätzlich durch den Charakter und den Umfang der ohne das angestrebte Verbot drohenden weiteren Verletzungshandlungen und damit auch durch die Größe und Bedeutung des Unternehmens des Verletzers bestimmt, während den bereits festgestellten Verletzungshandlungen insoweit lediglich indizielle Bedeutung für die zu verhindernden weiteren Zuwiderhandlungen zukommt. Bei der Bewertung des Sicherstellungsanspruchs richtet sich der Angriffsfaktor dagegen maßgeblich nach Art und Umfang der bereits festgestellten Verletzungshandlungen, während bei der Bewertung des Auskunftsanspruchs neben dem Interesse an der Ermittlung des Verletzungsumfangs auch das Interesse des Schutzrechtsinhabers an der Verhinderung weiterer Verletzungshandlungen durch Dritte zu berücksichtigen ist.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall erscheint das Interesse der Antragstellerin am Erlaß der einstweiligen Verfügung mit einem Betrag von 30.000,- € angemessen bewertet.
Wie das Landgericht im Nichtabhilfebeschluss zutreffend ausgeführt hat, ist der Wert der verletzten Marke im Hinblick auf deren besonderen Ruf und die mit ihr erzielten Umsätze als sehr hoch einzustufen. Dagegen kann der Angriffsfaktor im vorliegenden Fall - auch aus der Sicht der Antragstellerin bei Einreichung des Eilantrages - nur als niedrig angesehen werden. Im Hinblick auf die Größe und den Zuschnitt des vom Antragsgegner betriebenen Unternehmens sowie Art und Umfang der festgestellten Verletzungshandlungen wären die Interessen der Antragstellerin selbst bei Fortsetzung des beanstandeten Verhaltens nur in - vergleichsweise - geringem Maße beeinträchtigt worden. Ebenso wenig war damit zu rechnen, dass beim Antragsgegner größere Mengen markenverletzender Ware sicherzustellen sein würden. Beim Auskunftsanspruch stand das - allerdings nicht unerhebliche - Interesse im Vordergrund, mit der verlangten Drittauskunft die Bezugsquelle des Antragsgegners zu stopfen. Die genannten Umstände rechtfertigen es, den Gesamtstreitwert des Eilverfahrens auf 30.000,- € festzusetzen.
Die Festsetzung eines höheren Streitwerts läßt sich auch nicht mit präventiven Gesichtspunkten rechtfertigen. Das Hanseatische Oberlandesgericht (Beschluss vom 13.5.2004 - 5 W 55/04, Bl. 164 ff. d.A.) vertritt hierzu in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, mit der Streitwertbemessung in Markensachen müsse im Interesse des Markeninhabers der Gesamtbevölkerung und den speziellen Kreisen der Verletzer gegenüber deutlich gemacht werden, dass entdeckte Markenrechtsverletzungen empfindlich kostspielig werden könnten. Dieser Beurteilung vermag der erkennende Senat sich nicht anzuschließen. Die genannten generalpräventiven Erwägungen können bei der Streitwertfestsetzung, die allein eine sachgerechte Grundlage für die Ermittlung der zu erhebenden Gerichtskosten und der den beteiligten Anwälten zustehenden Vergütung schaffen soll, keine Rolle spielen. Hierfür sieht das Gesetz (§ 143 MarkenG) vielmehr die strafrechtliche Verfolgung vor. Soweit bei der Durchsetzung des staatlichen Verfolgungsanspruchs Defizite gesehen werden (vgl. Hanseatisches OLG a.a.O., Seite 4), ist die Streitwertbemessung weder ein vom Gesetz vorgesehenes noch ein geeignetes Mittel, ein solches Defizit auszugleichen. Eine andere Beurteilung würde im Übrigen zu dem sachlich nicht zu rechtfertigenden Ergebnis führen, dass die dann den Verletzer zu Sanktionszwecken treffende Vermögenseinbuße letztlich zum großen Teil den auf beiden Seiten mitwirkenden Anwälten zugute käme.
Den Streitwertbegünstigungsantrag (§ 142 MarkenG) hat das Landgericht mit zutreffenden Gründen bereits als verspätet zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 25 IV GKG a.F.
III.
Gemäß § 574 I Nr. 2, III i.V.m II Nr. 1 und 2 ZPO war die Rechtsbeschwerde zuzulassen.
Die Rechtsbeschwerde ist im vorliegenden Fall ein als solches statthaftes Rechtsmittel. Zwar ist im Eilverfahren der Instanzenzug für die Anfechtung von Entscheidungen in der Hauptsache durch § 542 II, 1 ZPO generell begrenzt, weshalb gegen eine Entscheidung, mit der eine Beschwerde gegen die Zurückweisung eines Eilantrages zurückgewiesen worden ist, die Rechtsbeschwerde nicht statthaft ist (vgl. BGH WRP 03, 658 - Nicht statthafte Rechtsbeschwerde I); dasselbe gilt für eine im Verfahren nach § 91 a ZPO ergangene Beschwerdeentscheidung (vgl. BGH WRP 03, 895 - Nicht statthafte Rechtsbeschwerde II). Für Nebenentscheidungen, die im Rahmen eines Eilverfahrens getroffen werden, gilt diese Einschränkung nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nicht. So hat der Bundesgerichtshof etwa auch in Kostenfestsetzungsverfahren, die im Anschluss an ein Eilverfahren durchgeführt worden sind, die Rechtsbeschwerde als statthaft angesehen (vgl. etwa BGH WRP 03, 894 - Auswärtiger Rechtsanwalt II).
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 573 II ZPO sind erfüllt. Die angesprochene und vom Bundesgerichtshof noch nicht entschiedene Frage, ob bei der Streitwertbemessung in Markensachen auch generalpräventive Erwägungen eine Rolle spielen können, stellt sich in einer Vielzahl künftiger Fälle. Da ihrer Beantwortung nicht unerhebliches wirtschaftliches Gewicht für die Parteien und Anwälte, aber auch für die Staatskasse zukommt, hat die Sache grundsätzliche Bedeutung (§ 573 II Nr. 1 ZPO). Daneben erscheint die Zulassung der Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die unterschiedliche Beurteilung der genannten Frage durch das Hanseatische Oberlandesgericht einerseits und den erkennenden Senat andererseits zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 573 II Nr. 2 ZPO) geboten.
OLG Frankfurt am Main:
Beschluss v. 18.10.2004
Az: 6 W 161/04
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