Bundespatentgericht:
Beschluss vom 5. Mai 2010
Aktenzeichen: 19 W (pat) 38/06
(BPatG: Beschluss v. 05.05.2010, Az.: 19 W (pat) 38/06)
Tenor
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe
I Das Deutsche Patentund Markenamt -Patentabteilung 32 -hat das auf die am 15. Dezember 1994 eingegangene Anmeldung erteilte Patent 44 44 772 mit der Bezeichnung "Deichselkopf für ein deichselgelenktes Flurförderzeug" im Einspruchsverfahren durch Beschluss vom 20. Juni 2006 mit der Begründung widerrufen, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Patentinhaberin.
Der geltende erteilte Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet unter Einfügung von Gliederungsbuchstaben gemäß einer Merkmalsanalyse der Einsprechenden:
"1) Deichselkopf für ein deichselgelenktes Flurförderzeug, 2) wobei am Deichselkopf Bedienungselemente für 2.1) Vorwärtsund Rückwärtsfahrt sowie 2.2) das Anheben und Absenken eines Lastträgers undfür 2.3) eine Sicherheitsfunktion, vorgesehen sind und 3) wobei die Bedienungselemente mit elektrischen Signalgebern in Wirkverbindung stehen, 3.1) die sich innerhalb des Deichselkopfes befinden, dadurch gekennzeichnet, 3.2) dass die Signalgeber (14, 15, 16, 17, 18, 19) auf einer gemeinsamen Platine (11) angeordnet sind, 4) die mit einem einoder mehrteiligen Kunststoffträger (9, 10a, 10b) verbunden ist, 5) der in einer Ausnehmung des Deichselkopfes lösbar gehaltert ist."
Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass an diesen -unter Ersetzen des Punktes durch ein Komma das mit der Gliederungsziffer 6 versehene Merkmal
"6) und eine aus Platine (11) und Kunststoffträger (9, 10a, 10b) gebildete Baueinheit als Ganzes in die Ausnehmung einschiebbar und in der Ausnehmung fixierbar ist."
angehängt ist.
Die Patentinhaberin ist der Ansicht, dass beim Deichselkopf gemäß dem Katalog der Firma J...: J... Elektro-Deichselstapler und -Deichselhubwagen Ameise, S. 1 bis 11, Druckvermerk 2277.10.1.90, in Verbindung mit der Ersatzteilliste 998 902 977 Version 02-und 998 902 842 Version 01-von 7/88 der Fa. J..., sowie der Werkszeichnung Fahrschalter der Fa. J..., Zeichnung-Nr. D 69 239 350 vom 20.10.88 (letzte Änderung), der Signalgeber für die Sicherheitsfunktion nicht auf der Platine 2 in der Werkszeichnung D 69 239 350 angeordnet sei, sondern auf einer massiven Halteplatte, rechts neben der Platine 2. Eine elektrische Verbindung dieses Signalgebers mit der Platine 2 bedeute nicht, dass dieser auf ihr angeordnet sein müsse. Auch der Signalgeber für Anheben/Absenken sei nicht auf der Platine 2 angeordnet, wie die Ersatzteilliste 998 902 977 (Schalter S1, Platine zwischen Bezugsziffern 5 und 5.1) zeige.
Außerdem sei die Platine 2 mittels Hülsen, die üblicherweise aus Messing seien, gehaltert und sie befinde sich auch nicht in einer Ausnehmung des Deichselkopfes. Den Innenraum des durch zwei Gehäuseschalen (Ersatzteilliste 998 902 977) gebildeten Deichselkopfes sieht die Patentinhaberin nicht als Ausnehmung im Sinne des Anspruchswortlauts an. Die Patentinhaberin meint, dass außerdem beim Einsetzen der Baugruppe 5 in die untere Halbschale auch kein Einschieben stattfinde, wie dies gemäß dem in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag ergänzten Merkmal vorgesehen sei.
Die Patentinhaberin stellt den Antrag, den Beschluss der Patentabteilung 32 des Deutschen Patentund Markenamts vom 20. Juni 2006 aufzuheben und das Patent 44 44 772 in der erteilten Fassung, hilfsweise mit folgenden Unterlagen aufrecht zu erhalten:
Patentansprüche 1 bis 11 gemäß Hilfsantrag 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, übrige Unterlagen wie erteilt.
Die Einsprechende stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Einsprechende ist der Meinung, dass es im Zuge von Montageund Wartungsvereinfachungen für den Fachmann nahe liege, auf der Platine 2 noch weitere Signalgeber anzuordnen. Denn der Fachmann werde einerseits bestrebt sein, die Anzahl der Bauteile bei der Montage gering zu halten und andererseits darauf achten, dass bei der Wartung nur eine Baugruppe auszutauschen sei.
Der Halter für die Platine müsse auch nicht aus Metall sein, es sei naheliegend hierfür Kunststoff zu verwenden. Weiterhin sei der Halter und die Platine in dem durch die beiden Halbschalen gebildeten Innenraum des Deichselkopfes gehaltert, der die Ausnehmung bilde.
Auch beim Deichselkopf der Fa. J... werde, wie dies gemäß dem in Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag ergänzten Merkmal vorgesehen sei, die Baueinheit (Ersatzteilliste 998 902 977 Teil 5) in die untere Schale eingeschoben und dann die obere Schale daraufgesetzt und mit der unteren verschraubt, d. h. in der Ausnehmung fixiert.
Die Einsprechende sieht in dem Merkmal 6 gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag auch eine unzulässige Erweiterung des Patentgegenstandes.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Beschwerde der Patentinhaberin ist zulässig, hat jedoch keinen Erfolg, weil der Gegenstand des jeweiligen Patentanspruchs 1 nach Hauptund Hilfsantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, und die Patentabteilung das angegriffene Patent daher zu Recht widerrufen hat (§§ 61 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 1 i. V.m. §4PatG).
Als zuständiger Fachmann ist ein Fachhochschul-Ingenieur des Maschinenbaus mit Kenntnissen der Bestückung von Leiterplatten mit elektrischen Bauelementen anzusehen.
1. Der Patentanspruch 1 nach Hauptund Hilfsantrag bedarf folgender Erläuterungen:
Dem Verständnis einer Ausnehmung im Deichselkopf derart, dass es sich dabei um etwas von einer Oberfläche Zurückspringendes oder von einer Oberfläche her Zugängliches handeln müsse, das von der eingeschobenen Baueinheit verschlossen wird, wie die Patentinhaberin meint, schließt sich der Senat nicht an. Denn in der Streitpatentschrift ist eine solche Ausnehmung nicht näher konkretisiert, weil nicht dargestellt, wie die Streitpatentschrift selbst angibt (Sp. 3 Z. 49 bis 54). Als Ausnehmung im Deichselkopf sieht der Senat sonach alle Möglichkeiten Gestaltungen des im Deichselkopfs an, die eine Aufnahme eines einoder mehrteiligen Kunststoffträgers (Merkmal 5) oder einer Baugruppe (Merkmal 6) gestatten.
Unter der Angabe im Merkmal 6, dass die aus Platine und Kunststoffträger gebildete Baueinheit einschiebbar ist, versteht der Senat nicht, dass hier eine spezielle Führungsfunktion -etwa in Gestalt von bestimmten Führungsteilen -realisiert sein muss. Denn solches wird erst gemäß Patentanspruch 10 nach Hilfsantrag beansprucht.
2. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag beruht nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns.
Aus dem Katalog a. a. O., der Ersatzteilliste 998 902 977 und 998 902 842 a. a. O. in Verbindung mit der Werkszeichnung D 69 239 350 a. a. O. ist bekannt ein 1) Deichselkopf für ein deichselgelenktes Flurförderzeug (Katalog Deckblatt und große Abb. auf S. 5), 2) wobei am Deichselkopf Bedienungselemente für 2.1) Vorwärtsund Rückwärtsfahrt (Katalog Deckblatt und große Abb. und Text vorletzter Abs. auf S. 5: Schmetterlinge mit Griffmulden für Daumen) sowie 2.2) das Anheben und Absenken eines Lastträgers (Katalog Deckblatt und große Abb. auf S. 5: Tasten mit Pfeilen für Anheben und Absenken) und für 2.3) eine Sicherheitsfunktion (Katalog Deckblatt und große Abb. und Text vorletzter Abs. auf S. 5: Dachförmiger Bauchschalter (links) für Sicherheitsfunktion), vorgesehen sind und 3) wobei die Bedienungselemente mit elektrischen Signalgebern in Wirkverbindung stehen (Werkszeichnung: Schalter für Schmetterlinge, d. h. für Vorwärtsund Rückwärtsfahrt, Ersatzteilliste 998 902 977: jeweilige Schalter S1 links und rechts in der oberen und unteren Halbschale für Anhebenund Absenken, Werkszeichnung: Schalter für Sicherheitsfunktion mit pilzförmigen Betätigungskopf zwischen zwei Tragplatten), 3.1) die sich innerhalb des Deichselkopfes befinden (Ersatzteilliste 998 902 977: Baugruppe 5 innerhalb des aus den beiden Halbschalen gebildeten Deichselkopfes) wobei, 3.2teilw) die Signalgeber -nur für Vorwärtsund Rückwärtsfahrt (Werkszeichnung: Schalter für Schmetterlinge, d. h. für Vorwärtsund Rückwärtsfahrt) -auf einer gemeinsamen Platine (Werkszeichnung: Platine 2) angeordnet sind.
Im Zuge der Zeit lag es aus Sicht des Senats schon vor dem Anmeldetag des Streitpatents nahe, insbesondere bei Vorrichtungen mit elektrischen Bauteilen, die bei Verschleiß ausfallen können, eine modularisierte Bauweise vorzusehen, um eine rasche Montage zu ermöglichen bzw. eine Reparatur möglichst zeitsparend durchführen zu können. Die streitpatentgemäße Aufgabe (Sp. 1 Z. 30 bis 32), einen einfacher aufgebauten Deichselkopf zur Verfügung zu stellen, stellt sich damit in der Praxis auch bei dem Deichselkopf, wie er im J...-Katalog a. a. O., der Ersatzteilliste 998 902 977 und 998 902 842 a. a. O. in Verbindung mit der Werkszeichnung D 69 239 350 a. a. O. gezeigt ist, von selbst.
Gemäß dieser Vorgabe wird der Fachmann daran denken, bei dem Deichselkopf gemäß o. g. Katalog, Ersatzteilliste und Werkzeichnung, den komplizierten Einund Ausbau von Einzelteilen -wie Signalgeber für Anheben/Absenken und für die Sicherheitsfunktion -bei Reparatur zu vereinfachen und eine Modularisierung derart vorzusehen, dass alle funktionswesentlichen Signalgeber zusammengefasst sind. Folglich ergibt sich dann für ihn, neben den schon auf der Platine (Werkszeichnung: 2) angeordneten Signalgebern für Vorwärts-/Rückwärtsfahrt auch noch die Signalgeber für Anheben/Absenken und für die Sicherheitsfunktion auf dieser anzuordnen.
Als handwerklich sieht es der Senat dabei an, dass der Fachmann sowohl die Platine 2 ggfls. so weit vergrößert oder verlängert, dass auch noch die Signalgeber für Anheben/Absenken (Ersatzteilliste 998 902 977: S1) auf ihr angeordnet werden können, als auch, dass er -unter Weglassen der Halteplatte -den Signalgeber für die Sicherheitsfunktion (Werkszeichnung: pilzförmiger Schalter) auf der Platine 2 anordnet. Dass dabei unzulässige Kräfte auf die Platine 2 übertragen werden könnten, ist nicht zu befürchten, da diese von dem [zwischen] Bedienungselement (Ersatzteilliste 998 902 977: 1.3) und Signalgeber für die Sicherheitsfunktion (Werkszeichnung: pilzförmiger Betätiger) gelegenen Zusatzglied (Ersatzteilliste 998 902 977: 1.4) abgefangen werden können.
Damit ist in Übereinstimmung mit Merkmal 3.2 realisiert, dass die (alle) Signalgeber auf einer gemeinsamen Platine angeordnet sind.
Zudem folgt, dass beim Weglassen der Halteplatte für den Signalgeber für die Sicherheitsfunktion (Werkszeichnung: pilzförmiger Betätiger) und bei dessen Anordnung auf der Platine 2, die Platine 2 mit der Wand des Potentiometers 1 (Werkszeichnung: Wand auf der linken Seite des Potentiometers 1) verbunden ist und zwar über die Schrauben 14 und die zugeordneten Abstandshalter (Werkszeichnung). Die Wand des Potentiometers 1 bildet demzufolge dann einen einteiligen Träger für die Platine 2. Sowohl aus elektrischen als auch aus Kostengründen wird der Fachmann diesen Träger für die Platine aus Kunststoff bilden. Sonach ergibt sich, dass -wie auch in Merkmal 4 angegeben -die Platine mit einem einteiligen Kunststoffträger verbunden ist.
Wie die Ersatzteilliste 998 902 977 zeigt, ist die Baueinheit 5, bestehend aus Platine und Träger für diese, im Innenraum als Ausnehmung des Deichselkopfes lösbar gehaltert (Ersatzteilliste 998 902 842: Schraube 1.5). Damit ist aber auch vorgegeben, dass der Träger für die Platine in der Ausnehmung des Deichselkopfes lösbar gehaltert ist (Merkmal 5).
Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag ergibt sich für den Fachmann somit in naheliegender Weise.
3. Auch der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag beruht nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Aus der Ersatzteilliste 998 902 977 ist weiterhin ersichtlich, dass die Baueinheit 5 zur Montage zwischen die Wände der unteren Deichselkopf-Gehäusehälfte eingeschoben wird, d. h. die Wände der unteren Deichselkopf-Gehäusehälfte bilden die für eine Führung notwendige Begrenzung. Weiterhin zeigt die Ersatzteilliste 998 902 842, dass die Baueinheit 5 in dem Innenraum des Deichselkopfes als Ausnehmung fixierbar ist, nämlich indirekt durch die Schraube 1.5, welche die obere Gehäusehälfte mit der unteren verbindet.
Daraus folgt aber auch, wenn, wie zu Patentanspruch 1 nach Hauptantrag abgeleitet (Merkmale 1 bis 5), der Signalgeber für die Sicherheitsfunktion -in naheliegender Weise -auf der Platine 2 angeordnet und dabei die Platine 2 an der Wand des Potentiometers 1 als Träger befestigt wird, dass eine aus Platine und Kunststoffträger gebildete Baueinheit als Ganzes in die Ausnehmung einschiebbar und in der Ausnehmung fixierbar ist (Merkmal 6).
Damit ergibt sich auch durch die Hinzufügung des Merkmals 6 kein erfinderischer Überschuss.
Bei dieser Sachlage können die Streitpunkte der unzulässigen Erweiterung unerörtert bleiben, weil die Lehre des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag gegenüber dem Stand der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (BGH BlPMZ 1991, S. 161 -Elastische Bandage).
4. Mit dem jeweiligen Patentanspruch 1 nach Hauptund Hilfsantrag fallen auch die auf ihn jeweils rückbezogenen Unteransprüche.
Bertl Dr. Kaminski Kirschneck Groß
Pü
BPatG:
Beschluss v. 05.05.2010
Az: 19 W (pat) 38/06
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