Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 21. Juni 2010
Aktenzeichen: II ZR 219/09
(BGH: Beschluss v. 21.06.2010, Az.: II ZR 219/09)
Tenor
1. Der Beklagte wird darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtigt, die Revision gemäß § 552 a ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Streitwert wird für das Revisionsverfahren auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
Das Berufungsgericht hat die Revision zu Unrecht zugelassen. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
1. Klärungsbedürftige Grundsatzfragen stellen sich entgegen der Annahme des Berufungsgerichts nicht.
Anders als das Berufungsgericht meint, kommt der Rechtssache nicht schon deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil der Bundesgerichtshof bisher noch nicht entschieden hat, ob einzelne Mitglieder eines Vereins die Offenbarung von Daten der übrigen Mitglieder nur im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 37 BGB verlangen können oder bei einem berechtigten Interesse auch unabhängig von einem konkreten Minderheitsbegehren. Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist nur dann gegeben, wenn die Rechtssache eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt, d.h. allgemein von Bedeutung ist (st.Rspr. vgl. nur BGHZ 151, 221, 223 f.; 154, 288, 291 ff.). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage dann, wenn ihre Beantwortung zweifelhaft ist, weil sie vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden ist und in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt wird oder wenn sie in der Literatur in gewissem Umfang umstritten ist (BGH, Beschl. v. 21. September 2009 - II ZR 264/08, ZIP 2010, 27 Tz. 3; v. 8. Februar 2010 - II ZR 54/09, ZIP 2010, 985 Tz. 3). Derartige Unklarheiten bestehen nicht, wenn abweichende Ansichten in der Literatur vereinzelt geblieben und nicht oder nicht nachvollziehbar begründet sind (BGH, Beschl. v. 8. Februar 2010 aaO).
Dies ist hier nicht der Fall. Nach nahezu einhelliger Meinung in der Literatur steht einem Vereinsmitglied kraft seines Mitgliedschaftsrechts ein Recht auf Einsicht in die Bücher und Urkunden des Vereins zu, wenn und soweit es ein berechtigtes Interesse darlegen kann, dem kein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen (Soergel/Hadding, BGB 13. Aufl. § 38 Rdn. 17; Sauter/Schweyer/ Waldner, Der eingetragene Verein 18. Aufl. Rdn. 336; Burhoff, Vereinsrecht 7. Aufl. Rdn. 143 a; Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts 10. Aufl. Rdn. 1380; ders. Vereins- und Verbandsrecht 12. Aufl. Rdn. 1478; Palandt/Ellenberger, BGB 69. Aufl. § 38 Rdn. 1 a; kritisch Stöber, Handbuch zum Vereinsrecht 9. Aufl. Rdn. 306; a.A. wohl Haas-Scholl, Festschrift Hadding 2004, S. 365, 379 f., nach deren Meinung die Ausübung der Mitwirkungsrechte auf die Mitgliederversammlung beschränkt ist). Zu den Büchern und Urkunden des Vereins zählt auch die Mitgliederliste (so ausdrücklich Burhoff aaO; Sauter/ Schweyer/Waldner aaO; BGH, Beschl. v. 21. September 2009 aaO Tz. 8). Sind die Informationen, die sich das Mitglied durch Einsicht in die Unterlagen des Vereins beschaffen kann, in einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert, kann es zum Zwecke der Unterrichtung einen Ausdruck der geforderten Informationen oder auch deren Übermittlung in elektronischer Form verlangen (BGH, Beschl. v. 21. September 2009 aaO Tz. 9; MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer 5. Aufl. § 716 Rdn. 8, jeweils zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts; Schaffland, NJW 1994, 503, 504 zur Genossenschaft).
In Übereinstimmung mit der Literatur billigt auch die Rechtsprechung, der sich das Berufungsgericht angeschlossen hat, nahezu einstimmig dem einzelnen Vereinsmitglied einen Anspruch auf Einsicht bzw. Herausgabe der Mitgliederliste jedenfalls dann zu, wenn es ein berechtigtes Interesse geltend machen kann (OLG Saarbrücken, NZG 2008, 677 f.; OLG München, Urt. v. 15. November 1990 - 19 U 3483/90 juris Tz. 6 ff.; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 18. Februar 1991 - 1 BvR 185/91 juris Tz. 3; a.A. AG Bremen, Urt. v. 28. November 2005 - 1 C 61/05 juris Tz. 12 f., 16). Aus der von der Revision angeführten Entscheidung des LG Frankfurt (NZG 2009, 986 Tz. 53 ff.) ergibt sich ebenso wenig Gegenteiliges wie aus dem vom Berufungsgericht erwähnten Urteil des Kammergerichts (NZG 2005, 83). Abgesehen davon, dass beide Entscheidungen keinen Verein, sondern eine Publikums-KG betreffen, hat das Kammergericht in der letztgenannten Entscheidung einen - im Verfahren der einstweiligen Verfügung - geltend gemachten Anspruch auf Herausgabe der Gesellschafterliste lediglich deshalb verneint, weil kein Verfügungsgrund gegeben sei. Schließlich lässt sich auch der von der Revision angeführten Entscheidung des Senats (BGHZ 152, 339) nichts Abweichendes entnehmen. Der Senat hat dort ausgesprochen, dass den Vereinsmitgliedern in der Mitgliederversammlung ein Auskunftsrecht über alle wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse des Vereins zusteht. Damit ist über ein Einsichtsrecht der Vereinsmitglieder in die Unterlagen des Vereins außerhalb der Mitgliederversammlung nichts gesagt.
Unter welchen Voraussetzungen ein berechtigtes Interesse des einzelnen Vereinsmitglieds anzunehmen ist, Kenntnis von Namen und Anschriften der anderen Vereinsmitglieder zu erhalten, ist keiner abstrakt generellen Klärung zugänglich, sondern aufgrund der konkreten Umstände des einzelnen Falles zu beurteilen. Ein solches Interesse ist jedenfalls gegeben, wenn es darum geht, das nach der Satzung oder nach § 37 BGB erforderliche Stimmenquorum zu erreichen, um von dem in dieser Vorschrift geregelten Minderheitenrecht, die Einberufung einer Mitgliederversammlung zu verlangen, Gebrauch zu machen. Es kann jedoch selbstverständlich auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 37 BGB zu bejahen sein, wenn aufgrund der Umstände des konkreten Falles die in der Mitgliederliste enthaltenen Informationen ausnahmsweise erforderlich sind, um das sich aus der Mitgliedschaft ergebende Recht auf Mitwirkung an der vereinsrechtlichen Willensbildung wirkungsvoll ausüben zu können (OLG Saarbrücken aaO; OLG München, Urt. v. 15. November 1990 - 19 U 3483/90 juris Tz. 7).
2. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
Das Berufungsgericht hat den Klägern ohne Rechtsfehler einen Anspruch auf Herausgabe der Mitgliederliste in Form einer elektronischen Datei an einen Treuhänder zuerkannt.
a) Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, dass den Klägern als Mitgliedern des Beklagten ein Anspruch auf Herausgabe der Mitgliederliste zusteht, wenn sie ein berechtigtes Interesse daran haben. Zu Unrecht beruft sich die Revision für ihre gegenteilige Ansicht auf den angeblichen Willen des Gesetzgebers bei der Reform des § 31 GenG durch das Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung registerrechtlicher und anderer Verfahren (Registerverfahrensbeschleunigungs-Gesetz v. 24. Dezember 1993, BGBl. I S. 2182), wonach ein Genosse zwar Einsicht in das Genossenschaftsregister, eine Abschrift jedoch nur für die seine Person betreffenden Daten verlangen kann. Aus der Gesetzesbegründung zu § 31 GenG (BT-Drucks. 360/93 S. 336) ergibt sich das Gegenteil. Denn dort wird gerade klargestellt, dass das Recht der Genossenschaftsmitglieder unberührt bleibt, jedenfalls dann eine Abschrift der gesamten Adressen zu erhalten, wenn ein rechtfertigender Anlass dazu besteht (vgl. Schaffland, NJW 1994, 503 f.).
Ebenso wenig verhilft der Revision der Hinweis auf § 67 Abs. 6 AktG zum Erfolg, der das Auskunftsrecht des Namensaktionärs über die im Aktienregister eingetragenen Daten - in Abänderung von § 67 Abs. 5 AktG a.F., der ein allgemeines Einsichtsrecht des Aktionärs in das Aktienbuch statuierte - auf seine eigenen Daten beschränkt. Hierbei handelt es sich um eine Besonderheit des Aktienrechts, die auf das Vereinsrecht nicht übertragbar ist.
Ferner lässt sich aus dem Umstand, dass der Gesetzgeber in § 31 GenG und § 67 Abs. 5 AktG a.F., ebenso auch in § 51 a GmbHG, das Einsichtsrecht - anders als beim Verein - positiv geregelt hat(te), nichts herleiten. Hierbei handelt es sich um historisch bedingte Zufälligkeiten, die nicht die Annahme rechtfertigen können, das Fehlen entsprechender Regelungen sei Ausdruck eines anders lautenden gesetzgeberischen Willens.
b) Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler ein - in ihrem Mitgliedschaftsrecht begründetes - rechtliches Interesse der Kläger an der Überlassung der Mitgliederliste an einen Treuhänder bejaht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bietet die Mitgliederversammlung des Beklagten, an der nur ein verschwindend kleiner Teil der mehr als 50.000 Mitglieder teilnimmt, den Klägern kein ausreichendes Forum, um aus Anlass einer - aus ihrer Sicht vom neuen Vorstand vollzogenen - Richtungsänderung des Beklagten einen maßgeblichen Teil der anderen Vereinsmitglieder zu dem Zweck zu erreichen, diesen ihre hiergegen gerichteten Bedenken zur Kenntnis bringen und gegebenenfalls eine Opposition gegen die eingeschlagene Richtung organisieren zu können.
Entgegen der Auffassung der Revision müssen sich die Kläger nicht darauf verweisen lassen, mit anderen Mitgliedern über das vom Beklagten eingerichtete Internetforum oder die Mitgliederzeitung in Kontakt zu treten oder ihr Anliegen durch Beteiligung an dem Mitgliederbeirat zu verfolgen. Vielmehr hat das Berufungsgericht fehlerfrei entschieden, dass es unter den hier gegebenen Umständen den Klägern überlassen bleiben muss, auf welchem Weg und an welche Mitglieder sie herantreten wollen, um - aus ihrer Sicht - Erfolg versprechend auf die vereinsrechtliche Willensbildung Einfluss nehmen zu können (vgl. OLG München, Urt. v. 15. November 1990 - 19 U 3483/90 juris Tz. 7).
c) Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Beklagten und seinen Mitgliedern berechtigte, dem Anspruch der Kläger auf Herausgabe der Mitgliederliste an einen Treuhänder entgegenstehende Interessen abgesprochen, auf die der Beklagte - auch als angeblicher Sachwalter der Interessen seiner Mitglieder - seine Weigerung gestützt hatte, dem Verlangen der Kläger nachzukommen. Solche schützenswerte Belange sind hier schon deshalb nicht ersichtlich, weil das Berufungsgericht antragsgemäß den Beklagten lediglich zur Herausgabe der Mitgliederliste an einen Treuhänder verurteilt hat, die Kläger selbst somit keinen Einblick in die Liste erhalten und zudem der Treuhänder einen etwaigen Widerspruch einzelner Mitglieder gegen die Weiterleitung der von den Klägern verfassten Schreiben zu beachten hat. Ein weitergehendes schützenswertes Geheimhaltungsinteresse des Beklagten oder seiner Mitglieder ist weder allgemein noch unter datenschutzrechtlichen Gesichtspunkten anzuerkennen (BVerfG, Beschl. v. 18. Februar 1991 - 1 BvR 185/91 juris Tz. 3; Gola/ Schomerus, BDSG 9. Aufl. § 28 Rdn. 27 a). Die Vereinsmitglieder sind mit ihrem Beitritt zum Beklagten, der einen bestimmten Zweck verfolgt - insoweit vergleichbar mit dem Beitritt zu einer Publikumspersonengesellschaft (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 21. September 2009 aaO) - in eine gewollte Rechtsgemeinschaft zu den anderen, ihnen weitgehend unbekannten Mitgliedern des Beklagten getreten, zu denen auch die Kläger zählen (Reichert, Handbuch des Vereins- und Verbandsrechts aaO Rdn. 657; OLG Saarbrücken aaO; vgl. auch BayVGH, Urt. v. 5. Oktober 1998 - 21 ZE 98.2707 juris Tz. 13). Sie haben es deshalb jedenfalls hinzunehmen, dass die Kläger in berechtigter Verfolgung vereinspolitischer Ziele mittelbar über einen Treuhänder an sie herantreten, wenn sie nicht von dem ihnen eingeräumten Widerspruchsrecht Gebrauch machen (vgl. OLG München, Urt. v. 15. November 1990 aaO Tz. 6; BVerfG, Beschl. v. 18. Februar 1991 - 1 BvR 185/91 aaO Tz. 3). Dies ist ihnen, andersals die Revision meint, ohne weiteres zuzumuten, wenn sie ungeachtet der zu den Klägern bestehenden Rechtsgemeinschaft eine solche Kontaktaufnahme ablehnen.
Goette Strohn Caliebe Reichart Drescher Hinweis: Das Revisionsverfahren ist durch Zurückweisungsbeschluss vom 25. Oktober 2010 erledigt worden. Vorinstanzen: LG Hamburg, Entscheidung vom 03.01.2008 - 319 O 135/07 - OLG Hamburg, Entscheidung vom 27.08.2009 - 6 U 38/08 -
BGH:
Beschluss v. 21.06.2010
Az: II ZR 219/09
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