Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Juli 2003
Aktenzeichen: 14 W (pat) 310/02
(BPatG: Beschluss v. 31.07.2003, Az.: 14 W (pat) 310/02)
Tenor
Das Patent 100 18 842 wird widerrufen.
Gründe
I Die Erteilung des Patents 100 18 842 mit der Bezeichnung
"Verfahren zum Aufbringen von TCO-Schichten auf Substrate"
ist am 21. März 2002 veröffentlicht worden.
Gegen dieses Patent ist am 31. Mai 2002 Einspruch erhoben worden. Der Einspruch ist mit Gründen versehen und auf die Behauptung gestützt, der Gegenstand des Patents gehe über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinaus, in dem sie bei der für die Einreichung der Anmeldung zuständigen Behörde eingereicht worden sei (§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG) und sei gegenüber dem ua durch die Entgegenhaltungen
(E2) DE 41 06 771 A1 und
(E4) Patent Abstract of Japan der JP 05-345 973 A belegten Stand der Technik nicht patentfähig (§ 21 Abs 1 Nr 1 PatG). Im weiteren Verlauf des Einspruchsverfahrens macht die Einsprechende weiterhin geltend, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann sie ausführen könne (§ 21 Abs 1 Nr 2 PatG).
Die Einsprechende beantragt sinngemäß, das Patent zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt sinngemäß, den auf einen vollständigen Widerruf des Patents gerichteten Einspruch zurückzuweisen und das Patent beschränkt aufrechtzuerhalten mit den Patentansprüchen 1 und 2 sowie den Beschreibungsseiten 1 und 1a vom 27. Januar 2003, im übrigen mit den der Erteilung zugrundeliegenden Unterlagen (Beschreibungsseiten 2, 2a und 3 vom 31. Juli 2001).
Der geltende Anspruch 1 lautet:
"Verfahren zum Aufbringen von TCO-Schichten auf Substrate, bei dem in einem Hochvakuum von einem keramischen Target als Beschichtungsquelle Material gesputtert wird, welches sich dann als TCO-Schicht auf dem Substrat ablagert, wobei die Oberflächentemperatur durch eine Einschränkung eines Wärmetransports zwischen dem Target und einem darunter liegenden Kühlsystem auf über 200¡C eingestellt wird, dadurch gekennzeichnet, dass die Targetoberflächentemperatur größer als 450¡C, jedoch kleiner als die Schmelztemperatur des Targetmateriales ist und dass das Substrat durch die Beschichtungsquelle vorgeheizt wird."
Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten, insbesondere zum Wortlaut des geltenden Anspruchs 2, wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Satz 1 Ziff 1 PatG idF des Gesetzes zur Bereinigung von Kostenregelungen auf dem Gebiet des geistigen Eigentums vom 13. Dezember 2001 Art 7 Nr 37 durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
2. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen, somit zulässig. Er führt zum Widerruf des Patents.
3. Der Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung (§ 21 Abs 1 Nr 4 PatG) liegt nicht vor.
Der geltende Patentanspruch 1 geht inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 1 und 2 in Verbindung mit Seite 3 Zeilen 31 bis 36 der ursprünglichen Beschreibung bzw auf den erteilten Anspruch 1 in Verbindung mit Abschnitt [0015] der Streitpatentschrift zurück.
Die Untergrenze 450¡C für die Targetoberflächentemperatur ist in den ursprünglichen Unterlagen nicht als individualisierter Zahlenwert aufgeführt. Mit der Angabe "größer als 200¡C, jedoch kleiner als die Schmelztemperatur des Targetmaterials" (im ursprünglichen Anspruch 1 sowie auf Seite 2 Zeilen 17 bis 20 der ursprünglichen Beschreibung) ist jedoch für den Fachmann ersichtlich ein Bereich definiert mit einer für alle Materialien einzuhaltenden Mindesttemperatur und einer vom jeweiligen Targetmaterial abhängigen maximalen Temperatur. Die für eine TCO-Beschichtung üblichen Targetmaterialien wie ITO oder ZnAlO sind dem Fachmann, einem Diplom-Physiker, Diplom-Chemiker oder Beschichtungsingenieur mit einschlägiger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Vakuum-Oberflächenbehandlungstechnik, bekannt und deren Schmelzpunkte, soweit sie nicht in der Literatur beschrieben sind, erforderlichenfalls in einfacher Weise zu bestimmen.
Nach der einschlägigen Rechtsprechung sind bei durch Grenzwerte definierten Bereichen sämtliche innerhalb der angegebenen Grenzen liegenden Werte bzw Unterbereiche offenbart, auch wenn sie in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht ausdrücklich genannt sind (BGH Mitt 2002, 16 - Filtereinheit; GRUR 2000, 591 - Inkrustierungsinhibitoren; GRUR 1992, 842 - Chrom-Nickel-Legierung).
Der Einwand der Einsprechenden, diese Aussage sei nur für den Schutzumfang bzw für die Bewertung der Neuheit relevant, kann nicht überzeugen. Zum einen betrifft die BGH-Entscheidung "Chrom-Nickel-Legierung" gerade die Frage der ursprünglichen Offenbarung und der Möglichkeit der Beschränkung gegenüber dem ursprünglichen Patentbegehren; zum anderen ist bei der Beurteilung einer Vorveröffentlichung auf Neuheitsschädlichkeit und bei der Prüfung, ob auf einen in einer Patentanmeldung enthaltenen Lösungsgedanken ein Schutzanspruch gerichtet werden kann, von einem einheitlichen Offenbarungsbegriff auszugehen. Die für die Schutzgewährung zusätzliche Voraussetzung, daß das Beanspruchte als zu der angemeldeten Erfindung gehörend erkennbar ist (vgl BGH, GRUR 1981, 812 - Etikettiermaschine), ist vorliegend aufgrund der erörterten Bereichsangaben zweifelsfrei gegeben.
4. Das beanspruchte Verfahren ist so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann es ausführen kann.
Die Einsprechende beanstandet, es sei unklar, wo im Temperaturbereich von über 450¡C bis zur Schmelztemperatur das "Entpickelungs-Maximum" liege, die Verpikkelung sei nicht definiert und es seien Kurvendarstellungen über die Abhängigkeit der Verpickelung von der Temperatur erforderlich.
Mit diesem Einwand kann aber ersichtlich nicht die Ausführbarkeit des mit den Maßnahmen nach Anspruch 1 charakterisierten Verfahrens in Frage gestellt werden, sondern allenfalls die Glaubhaftmachung eines von der Patentinhaberin hierfür behaupteten vorteilhaften Effektes.
5. Der geltende Patentanspruch 1 ist aber mangels erfinderischer Tätigkeit nicht rechtsbeständig.
Der Anspruch betrifft gemäß seinem Oberbegriff ein Verfahren zum Aufbringen von TCO-Schichten auf Substrate, bei dem in einem Hochvakuum von einem keramischen Target als Beschichtungsquelle Material gesputtert wird, welches sich dann als TCO-Schicht auf dem Substrat ablagert, wobei die Oberflächentemperatur durch eine Einschränkung eines Wärmetransports zwischen dem Target und einem darunter liegenden Kühlsystem auf über 200¡C eingestellt wird.
Ein derartiges Verfahren setzt die Patentinhaberin als aus (E2) bekannt voraus, so daß nach ihrer eigenen Einschätzung die im Oberbegriff aufgeführten Maßnahmen gegenüber (E2) keinen patentfähigen Überschuß aufweisen. Da auch der Senat hierin nichts eigenständig Erfinderisches erkennen kann, ist hierauf nicht näher einzugehen.
Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem Streitpatent die Aufgabe zugrunde, die Qualität und Effektivität bei der Beschichtung zu erhöhen, vgl [0008].
Diese Aufgabe soll dadurch gelöst werden, daß - in Verbindung mit den Maßnahmen des Oberbegriffs -
a) die Targetoberflächentemperatur größer als 450¡C, jedoch kleiner als die Schmelztemperatur des Targetmaterials ist undb) das Substrat durch die Beschichtungsquelle vorgeheizt wird.
Das mit a) bezeichnete Merkmal wird unmittelbar durch (E4) nahegelegt, denn nach dieser Entgegenhaltung wird eine Qualitätsverbesserung - Verhinderung von Borstenbildung und Schwärzung - und eine gleichmäßigere, kontinuierliche Beschichtung durch Erhöhung der Targettemperatur auf 290¡C bis 600¡C, vorzugsweise 400 bis 500¡C erreicht, womit auch der Temperaturbereich größer als 450¡C bis 600¡C, vorzugsweise bis 500¡C umfaßt ist.
Das Argument der Patentinhaberin, in (E4) sei in keiner Weise angegeben, wie die Temperatureinstellung erfolge, kann nicht durchgreifen. Es sind nämlich in (E4) unter Constitution verschiedene Mittel zum Heizen angegeben. Daß hierunter die Maßnahme Einschränkung des Wärmetransports zwischen Target und Kühlsystem nicht ausdrücklich aufgeführt ist, kann die erfinderische Tätigkeit nicht begründen. Denn für den Fachmann ist ohne weiteres erkennbar, daß die im Verfahren nach (E2) zur Einstellung von Temperaturen von 200 bis 400¡C ausreichenden Maßnahmen (vgl Sp 3 Z 1 bis 7, wobei im übrigen in Sp 1 Z 64 bis Sp 2 Z 1 auch eine Heizung des Targets als Alternative aufgeführt ist) auch eine Einstellung von Temperaturen über 450¡C erlauben. Dies steht in völliger Übereinstimmung mit der Lehre des Streitpatents, die zur Einstellung von Temperaturen über 450¡C keine anderen oder zusätzlichen Maßnahmen verlangt als die in den ursprünglichen Unterlagen für die Einstellung von Temperaturen über 200¡C mitgeteilten.
Die vorstehend mit b) bezeichnete Angabe im kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 stellt nach Überzeugung des Senats keine echte Verfahrensmaßnahme dar, die der Fachmann wahlweise ausüben oder unterlassen kann.
Vielmehr ergibt sich eine Vorheizung des Substrats durch das über 450¡C erhitzte Target (= Beschichtungsquelle) bei einer üblichen Sputteranordnung (zB gemäß der Figur von (E2)) zwangsläufig durch die vom Target ungehindert auf das Substrat einwirkende Wärmestrahlung. Es wären somit besondere Maßnahmen notwendig, um diese nach physikalischen Gesetzen zwangsläufig eintretende Wirkung zu verhindern (wobei eine Abschirmung die Abscheidung der zerstäubten Teilchen stören würde) oder zu vermindern (zB durch Kühlen des Substrats). Die Angabe b) kann somit nichts zur Stützung der Patentfähigkeit beitragen, zumal sie - wie die Einsprechende zutreffend feststellt - bereits durch eine lediglich geringfügige Vorheizung des Substrats verwirklicht ist.
6. Anspruch 2 muß das Schicksal des Patentanspruchs 1 ohnehin teilen, da über den Antrag der Patentinhaberin nur als Ganzes entschieden werden kann. Im übrigen beinhaltet er lediglich eine im Stand der Technik völlig übliche Maßnahme.
Schröder Wagner Harrer Gerster Pü
BPatG:
Beschluss v. 31.07.2003
Az: 14 W (pat) 310/02
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