Bundesgerichtshof:
Urteil vom 19. April 2011
Aktenzeichen: X ZR 124/10

(BGH: Urteil v. 19.04.2011, Az.: X ZR 124/10)

Tenor

Die Berufung gegen das Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts vom 12. Mai 2010 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 824 731 (Streitpatents), das ein Verfahren und ein Gerät zum Bestimmen von Straßennutzungsgebühren betrifft. Das Streitpatent wurde am 22. April 1996 angemeldet und nimmt eine US-Priorität vom 9. Mai 1995 in Anspruch. Es umfasst 25 Patentansprüche, von denen die Ansprüche 9, 11, 12 und 16 angegriffen sind. Gegen das Streitpa-1 tent, dessen Erteilung am 15. November 2006 veröffentlicht wurde, wurden mehrere Einsprüche eingelegt. Die Klägerin, die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents in Anspruch genommen wird, ist dem Einspruchsverfahren beigetreten, das zum Widerruf des Streitpatents durch das Europäische Patentamt geführt hat. Gegen diese Entscheidung wurde am 27. Januar 2011 Beschwerde eingelegt (Az. T0197/11). Nach der Entscheidung der Einspruchsabteilung hat das Oberlandesgericht Düsseldorf den dort anhängigen Verletzungsstreit mit Einverständnis der Parteien ausgesetzt.

Die Klägerin hat mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht, der Gegenstand der angegriffenen Patentansprüche sei gegenüber der deutschen Offenlegungsschrift 44 27 392 nicht neu. Die dieser Schrift zugrundeliegende Anmeldung wurde am 3. August 1994, also vor dem Anmeldetag des Streitpatents, eingereicht, Offenlegungstag ist der 8. Februar 1996.

Das Patentgericht hat die Klage für unzulässig gehalten und sie abgewiesen (veröffentlicht in GRUR 2011, 87).

Mit der Berufung, der die Beklagte entgegentritt, begehrt die Klägerin Aufhebung des Ersturteils und Zurückverweisung der Sache an das Patentgericht.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Patentgericht die Klage als unzulässig angesehen (§ 81 Abs. 2 Satz 1 PatG i.V.m. Art. 2 Abs. 2 EPÜ).

I. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Vorschrift des § 81 Abs. 2 PatG differenziere nicht zwischen Verfahren vor dem Deutschen und dem Europäischen Patentamt. Die Interessenlage sei bei beiden Verfahren dieselbe; es sollten einander widersprechende Entscheidungen vermieden werden. Vor Abschluss des Einspruchsverfahrens stehe nicht fest, mit welchem Inhalt das Patent letztlich Bestand haben werde. Insbesondere sei nicht auszuschließen, dass ein Patent im Einspruchsverfahren einen Inhalt erhalte, dem der im parallel geführten Nichtigkeitsverfahren geltend gemachte Stand der Technik nicht entgegenstehe, der aber gleichwohl zur Nichtigerklärung des Patents in der erteilten Fassung führen könne. Es könne dahinstehen, ob in Ausnahmefällen ein Abweichen von § 81 Abs. 2 PatG zuzulassen sei. In der Entscheidung "Schlauchbeutel" (BPatG GRUR 2002, 1045 f.) sei die Nichtigkeitsklage zwar wie im Streitfall auf eine nachveröffentlichte nationale Anmeldung gestützt worden, dort seien aber die ältere nationale und die jüngere europäische Anmeldung identisch gewesen, so dass die dem angegriffenen Patent zugrunde liegende nationale Anmeldung keinen zusätzlichen Offenbarungsgehalt aufgewiesen habe, mit dem der Patentinhaber einen angegriffenen Anspruch hätte beschränken und damit die fehlende Neuheit hätte "reparieren" können. Ein solcher Fall sei hier nicht gegeben. Die Beklagte 5 könne das Streitpatent im Einspruchsverfahren möglicherweise so beschränken, dass der hier entgegengehaltene Stand der Technik den neu gefassten Ansprüchen nicht mehr entgegenstehe. Ob eine Aussetzung des Nichtigkeitsverfahrens gemäß § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 148 ZPO bei noch anhängigem Einspruchsverfahren möglich sei, könne dahinstehen. Bei Berücksichtigung der Gesetzeslage und des Umstands, dass nicht in absehbarer Zeit mit einer Entscheidung über den Einspruch zu rechnen sei, lägen die Voraussetzungen für eine Aussetzung nicht vor.

II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Berufungsverfahren im Ergebnis stand.

1. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG kann eine Klage auf Nichtigerklärung des Patents nicht erhoben werden, solange ein Einspruch noch eingelegt werden kann oder ein Einspruchsverfahren anhängig ist. Die sachliche Rechtfertigung der Nachrangigkeit des Nichtigkeitsverfahrens gegenüber dem Einspruchsverfahren besteht darin, parallele, möglicherweise einander widersprechende Entscheidungen über den Rechtsbestand eines Patents zu vermeiden. Dritte, die nicht Einspruch eingelegt haben, werden dadurch nicht in sachlich ungerechtfertigter Weise an der Wahrnehmung ihrer Rechte gehindert. Denn ein Dritter, gegen den nach Ablauf der Einspruchsfrist Verletzungsklage erhoben worden ist, kann dem laufenden Einspruchsverfahren bis zu dessen Abschluss beitreten (§ 59 Abs. 2 Satz 1 PatG). Das gilt auch für denjenigen, der aus dem Patent verwarnt worden ist und deshalb Klage auf Feststellung erhoben hat, dass er das Patent nicht verletze (§ 59 Abs. 2 Satz 2 PatG). Darüber hinaus ist auch im Einspruchsverfahren jedermann berechtigt, dem Patentamt Druckschriften anzugeben, die der Erteilung des Patents entgegenstehen könnten (§ 59 Abs. 4 i.V.m. § 43 Abs. 3 Satz 3 PatG). 8 Der Vorrang des Einspruchsverfahrens gilt sowohl für Einspruchsverfahren, die vor dem Deutschen Patent- und Markenamt anhängig sind, als auch für solche, die vor dem Europäischen Patentamt geführt werden. Dies hat der Bundesgerichtshof bereits entschieden (Senatsurteil vom 12. Juli 2005 - X ZR 29/05, BGHZ 163, 369 - Strahlungssteuerung). Mit Blick auf den Zweck des § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG und die Regelung in Art. 100 EPÜ hat der Senat insbesondere ausgesprochen, dass die Nichtigkeitsklage gegen ein europäisches Patent gemäß § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG unzulässig ist, wenn sie nur auf Nichtigkeitsgründe gestützt wird, die zugleich Einspruchsgründe nach Art. 100 EPÜ sind. Die Subsidiarität des Nichtigkeitsverfahrens gegenüber dem Einspruchsverfahren stellt keinen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG dar. Das Europäische Patentübereinkommen enthält durch die Möglichkeiten, die die Einlegung des Einspruchs (Art. 99 EPÜ), die gegen die Einspruchsentscheidung gegebene Beschwerde (Art. 106 EPÜ), die Vorlage von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten an die Große Beschwerdekammer (Art. 110, 111, 112 EPÜ) und der Beitritt Dritter zum Einspruchsverfahren (Art. 105 EPÜ) bieten, ein an den Maßstäben des Grundgesetzes orientiertes, ausreichendes Rechtsschutzsystem und genügt dem Standard, der gemäß Art. 24 Abs. 1 GG zu beachten ist. Darüber hinaus hat nach Art. 2 Abs. 2 EPÜ das europäische Patent in jedem Vertragsstaat dieselbe Wirkung und unterliegt den jeweiligen nationalen Vorschriften. Das europäische Patent ist damit auch für die Art und Weise, wie die zugelassenen Nichtigkeitsgründe geltend zu machen sind, den nationalen Patenten gleichgestellt und kann diesen gegenüber keine erweiterten Rechtsschutzmöglichkeiten erhalten. Die gegen diese Entscheidung des Senats erhobene Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG, Beschluss vom 5. April 2006 - 1 BvR 2310/05, GRUR 2006, 569). 10 2. Die in der Senatsentscheidung "Strahlungssteuerung" aufgestellten Grundsätze gelten entgegen der Auffassung der Klägerin auch, wenn - wie im Streitfall - die bei laufendem Einspruchsverfahren erhobene Nichtigkeitsklage nur auf ein älteres nationales Recht im Sinne des Art. 139 Abs. 2 EPÜ gestützt wird.

a) In einer solchen Fallkonstellation macht ein Kläger den Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend, und nicht, wie die Klägerin meint, mangelnde Patentfähigkeit gegenüber einer nationalen Patentanmeldung mit älterem Zeitrang. Im Schrifttum ist in der Regelung des Art. 139 Abs. 2 EPÜ ein weiterer Nichtigkeitsgrund gesehen worden, auf den über Art. 2 Abs. 2 EPÜ die Vorschriften der §§ 22, 21 Abs. 1 Nr. 1 angewendet werden sollen (vgl. Preu, GRUR Int. 1981, 63, 67; Pitz, GRUR 1995, 231). Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden (ablehnend auch Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 4. Aufl. Rn. 47 mit Nachweisen). Mangelnde Patentfähigkeit ist sowohl bei deutschen als auch bei europäischen Patenten ein einheitlicher unter mehreren im Gesetz aufgezählten Widerrufs- bzw. Klagegründen. Wenn er geltend gemacht wird, findet unter anderem eine umfassende Prüfung der Neuheit und erfinderischen Tätigkeit statt. Eine Aufspaltung des Nichtigkeitsgrunds hinsichtlich einzelner Entgegenhaltungen oder eine unterschiedliche verfahrensrechtliche Behandlung des Nichtigkeitsgrunds je nachdem, welche Entgegenhaltungen zu seiner Begründung herangezogen werden, findet weder im Europäischen Patentübereinkommen noch im deutschen Patentgesetz eine Stütze. Dies bedeutet mit Blick auf die Senatsentscheidung "Strahlungssteuerung", dass auch dann mangelnde Patentfähigkeit und damit ein Einspruchsgrund nach Art. 100 EPÜ geltend gemacht wird, wenn die Klage nur auf die ältere nationale Anmeldung gestützt wird.

Dies führt zur Unzulässigkeit der Klage. Die Zulassung der Nichtigkeitsklage in einem solchen Fall könnte zudem verfahrens- und materiellrechtliche Folgen nach sich ziehen, die der Intention des Gesetzgebers zuwiderliefen. Dem Nichtigkeitskläger wäre es bei der Geltendmachung des Nichtigkeitsgrunds der mangelnden Patentfähigkeit unbenommen, im Laufe des Nichtigkeitsverfahrens weiteren Stand der Technik, der dann auch Gegenstand des europäischen Einspruchsverfahrens nach Art. 100 EPÜ sein könnte, in das nationale Nichtigkeitsverfahren einzuführen und durch eine auf mehrere, nicht nur ältere nationale, Entgegenhaltungen gestützte Begründung die Nichtigerklärung eines Patents herbeizuführen, das seine endgültige Fassung noch nicht erhalten hat. Darüber hinaus ist das Patentgericht, wenn der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 87 PatG verpflichtet, die Patentfähigkeit nicht nur in Bezug auf die ältere nationale Anmeldung, sondern auch unter allen anderen maßgeblichen Gesichtspunkten zu prüfen. Zwar ist das Patentgericht im Nichtigkeitsverfahren auch nach dem im Streitfall noch anwendbaren, bis zum 30. September 2009 geltenden Verfahrensrecht nicht verpflichtet, den Stand der Technik umfassend zu ermitteln und darf sich grundsätzlich auf die Prüfung der von dem Nichtigkeitskläger vorgelegten Entgegenhaltungen auf ihre sachlichrechtliche Relevanz beschränken; gleichwohl dürfen Entgegenhaltungen und Kenntnisse aus dem Stand der Technik, die dem Nichtigkeitssenat aus seiner Praxis bekannt sind, nicht unberücksichtigt bleiben, wenn sich für das Patentgericht Anhaltspunkte dafür ergeben, dass diese Sachverhaltselemente entscheidungserheblich sein können; sie sind in das Verfahren einzuführen und bei Prüfung der Patentfähigkeit zu berücksichtigen. Bei dieser Sachlage würden durch eine Zulassung der Nichtigkeitsklage einander widersprechende Entscheidungen des Europäischen Patentamts und des Patentgerichts nicht vermieden, sondern begünstigt. 13 b) Der Hinweis der Klägerin auf die Entscheidung "Trigonellin" (BGH, Urteil vom 20. März 2001 - X ZR 177/98, BGHZ 147, 137 = GRUR 2001, 730) führt zu keiner anderen Beurteilung. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall war das europäische Streitpatent sowohl in einem deutschen Beschränkungsverfahren als auch im europäischen Einspruchsverfahren beschränkt worden. Der Senat hat entschieden, dass als geschützt nur das verbleibt, was zugleich nach beiden Beschränkungsentscheidungen noch unter Schutz steht. Bei dieser Fallkonstellation handelt es sich um einen Ausnahmefall, der bei Parallelität von deutschem Beschränkungsverfahren und europäischem Einspruchsverfahren auftreten kann. Für die Nichtigkeitsklage sollten derartige Fälle vermieden werden, deshalb ist § 81 Abs. 2 Satz 1 in das deutsche Patentgesetz aufgenommen worden.

c) Das Argument der Klägerin, mit der Anwendung von § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG sei ein Dritter bei der Durchsetzung seiner Rechte gegen ein europäisches Patent gegenüber den Durchsetzungsmöglichkeiten in Bezug auf ein deutsches Patent benachteiligt, verfängt nicht. Die Einspruchsverfahren nach dem Patentgesetz (§§ 59 ff. PatG) und nach dem Europäischen Patentübereinkommen (Art. 99 ff. EPÜ) verlaufen getrennt nach unterschiedlichen Rechtsvorschriften. Eine Benachteiligung Dritter kann darin nicht gesehen werden. Der Dritte kann dem Patent im deutschen Einspruchsverfahren auch ein älteres nationales Recht entgegenhalten (§ 59 Abs.1 i.V.m. § 3 Abs. 2 PatG), während ein erteiltes europäisches Patent im Einspruchsverfahren den Vorschriften der Art. 99 ff. EPÜ unterliegt; die Einspruchsgründe ergeben sich abschließend aus Art. 100 EPÜ. Hinsichtlich der Einspruchs- bzw. Widerrufsgründe weichen die Rechtsordnungen also voneinander ab, weil sich aus dem Europäischen Patentübereinkommen insoweit etwas anderes als aus dem deutschen Patentgesetz ergibt (Art. 2 Abs. 2 EPÜ). Weder ist eine Zuständigkeit der deutschen Pa-14 tentbehörden im europäischen Einspruchsverfahren begründet, noch ist nationales Recht anwendbar. Im Übrigen ist eine Nichtigkeitsklage nach § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG bei laufendem Einspruchsverfahren auch gegen ein deutsches Patent nicht zulässig.

d) Dem Einwand der Klägerin, in den anderen europäischen Rechtsordnungen sei die Parallelität von Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren handhabbare Praxis, beispielsweise lasse das Patentrecht in Großbritannien alle Widerrufsgründe, die im europäischen Einspruchsverfahren geltend gemacht werden können, auch im nationalen parallelen Nichtigkeitsverfahren zu, steht die Gesetzeslage im deutschen Recht in Gestalt von § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG entgegen. Die Bedeutung der hier zu entscheidenden Rechtsfrage ist - wie auch die Klägerin ausführt - im Schrifttum bei der Einführung des Europäischen Patentübereinkommens erkannt und diskutiert worden (vgl. hierzu Pitz, Das Verhältnis von Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren nach deutschem und europäischem Patentrecht, Diss. München 1994; derselbe, GRUR 1995, 231; Dihm, Mitt. 1998, 441; siehe auch schon Preu, aaO). Das deutsche Patentgesetz hat nach Inkrafttreten des Europäischen Patentübereinkommens mehrfach Änderungen erfahren. Der Gesetzgeber hat dabei § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG (früher § 81 Abs. 2) unangetastet gelassen und ihn auch im Rahmen der Gesetzesänderung, die das Nichtigkeitsverfahren teilweise grundlegend neu geregelt hat (Gesetz zur Vereinfachung und Modernisierung des Patentrechts vom 31. Juli 2009, BGBl I 2009, 2521 = BlPMZ 2009, 307) weder aufgehoben noch inhaltlich geändert und damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Regelung aus den Gründen, die zu ihrer Einführung geführt haben, nach wie vor für erforderlich hält.

e) Da die Nichtigkeitsklage nach alldem unzulässig und die Sache entscheidungsreif ist, kommt die vom Patentgericht grundsätzlich erwogene Möglichkeit, das Nichtigkeitsverfahren gemäß § 99 Abs. 1 PatG i.V.m. § 148 ZPO auszusetzen, nicht in Betracht. Der Zeitpunkt, zu dem die Zulässigkeitsvoraussetzungen vorliegen müssen, ist allerdings der der Entscheidung über die Klage (hM, vgl. Greger in Zöller, ZPO, 28. Aufl., vor § 253 Rn. 9 mit Nachweisen). Ist das Einspruchsverfahren bis zu diesem Termin beendet, steht § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG der Zulässigkeit der Klage nicht mehr entgegen.

3. Der Senat verkennt dabei nicht, dass ein schutzwürdiges Interesse eines Wettbewerbers, der wegen Verletzung des noch im europäischen Einspruchsverfahren befindlichen Patents verklagt worden ist, bestehen kann, nicht wegen Patentverletzung verurteilt zu werden, obwohl der Gegenstand der Erfindung durch eine im Einspruchsverfahren nicht zu berücksichtigende Entgegenhaltung vorweggenommen wird. Der Streitfall zeigt, dass es im europäischen Einspruchsverfahren, zumal, wenn sich - wie hier - ein Beschwerdeverfahren anschließt, mehrere Jahre dauern kann, bis über den Bestand des Patents Rechtssicherheit erlangt wird. In einem solchen Fall kann eine Rechtsschutzlücke entstehen, die zwar nicht im Hinblick auf die im Europäischen Patenübereinkommen und im deutschen Patentgesetz enthaltenen Rechtsschutzsysteme, aber wegen der besonderen Konstellation des Einzelfalls das verfassungsrechtliche Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes tangieren kann (vgl. hierzu Keukenschrijver, aaO Rn. 78).

Um in solchen Fällen eine mögliche Rechtsschutzlücke für den im Verletzungsprozess angegriffenen Wettbewerber zu schließen und gleichzeitig dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes zu genügen, ist es aber nicht erforderlich, von der klaren gesetzlichen Regelung in § 81 Abs. 2 Satz 1 PatG ab-18 zuweichen. Den berechtigten Interessen der Wettbewerber kann schon durch eine sachgerechte Handhabung des § 148 ZPO bei der Entscheidung über die Aussetzung eines Rechtsstreits bei den Verletzungsgerichten in hinreichendem Umfang Rechnung getragen werden.

Nach dieser Vorschrift kann das Gericht, wenn die Entscheidung ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder der Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen ist. Im Patentverletzungsprozess ist die erforderliche Abhängigkeit nach § 148 ZPO jedenfalls gegeben, wenn eine Nichtigkeitsklage oder auch ein Einspruchsverfahren anhängig ist, die zur Nichtigerklärung oder zum Widerruf des Patents führen und damit der Verletzungsklage die Grundlage entziehen kann.

Bei der Entscheidung über die Aussetzung ist in den Tatsacheninstanzen zwar in der Regel von ausschlaggebender Bedeutung, welche Erfolgsaussicht der Verletzungsrichter dem Einspruch oder der Nichtigkeitsklage beimisst (vgl. Reimann/Kreye, Festschrift für Winfried Tilmann 2003, S. 587 ff; Scharen, Festschrift 50 Jahre VPP, 2005, S. 396 ff; Kaess, GRUR 2009, 276 ff; Kühnen/Geschke, Die Durchsetzung von Patenten in der Praxis, 4. Aufl. Rn. 1039 ff; Keukenschrijver in Busse, Patentgesetz, 6. Aufl., § 140 Rn. 2; Scharen in Benkard, Patentgesetz, 10. Aufl., § 9 Rn. 61; Kühnen in Schulte, Patentgesetz, 8. Aufl., § 139 Rn. 269 ff). In der Konstellation des Streitfalls sind diese Grundsätze aber nicht unverändert anwendbar. Bei Anlegung der herkömmlichen Maßstäbe käme eine Aussetzung in der Regel nicht in Betracht, wenn einem Angriff gegen den Rechtsbestand des Patents Erfolgsaussichten nur im 20 Hinblick auf eine Entgegenhaltung beigemessen werden können, die das Europäische Patentamt nicht berücksichtigen darf. Der Verletzungsrichter ist indes nicht gehindert, im Rahmen des ihm in § 148 ZPO eingeräumten Ermessens auch die Besonderheiten der in Rede stehenden Verfahrenskonstellation zu berücksichtigen, zumal wenn - wie im Streitfall - der Prüfer des Europäischen Patentamts auf die ältere nationale Anmeldung hingewiesen und erklärt hat, dass sie im europäischen Verfahren nicht berücksichtigt werden kann. In Bezug auf eine solche Anmeldung ist ein im europäischen Verfahren erteiltes Patent ein ungeprüftes Recht. Der Verletzungsrichter kann und muss von der Möglichkeit, das Verfahren im Hinblick auf ein anhängiges Einspruchsverfahren auszusetzen, deshalb auch dann Gebrauch machen, wenn er damit rechnet, dass das Einspruchsverfahren erfolglos bleiben wird, eine im Anschluss daran erhobene Nichtigkeitsklage wegen einer Entgegenhaltung, die nur in diesem Verfahren berücksichtigt werden darf, aber hinreichende Erfolgsaussicht hat. Der Anlass für eine solche Aussetzung fällt zwar weg, wenn das Einspruchsverfahren beendet ist. Die im Falle einer erneuten Anrufung des Verfahrens erforderliche Zeit zur Vorbereitung einer mündlichen Verhandlung vor dem Verletzungsgericht reicht aber aus, um eine Nichtigkeitsklage zu erheben und damit erneut die Voraussetzungen für eine Aussetzung zu schaffen. Damit ist ein Wettbewerber ausreichend davor geschützt, wegen Verletzung eines Patents verurteilt zu werden, an dessen materieller Rechtsbeständigkeit der Verletzungsrichter nach allgemeinen Maßstäben für die Aussetzung der Verhandlung ausreichende Zweifel hat. Mögliche Verzögerungsfolgen der Aussetzung können dadurch abgemildert werden, dass die am Einspruchsverfahren Beteiligten die Beschleunigung des Einspruchsverfahrens beantragen oder das Verletzungsgericht das Europäische Patentamt darüber informiert, dass ein Verletzungsver-

fahren anhängig ist (vgl. Mitteilung des Europäischen Patentamts vom 17. März 2008 über die Beschleunigung des Einspruchsverfahrens bei Patenten, aus denen eine Verletzungsklage erhoben worden ist, ABl. EPA 2008, 221 f.).

Meier-Beck Mühlens Grabinski Hoffmann Schuster Vorinstanz:

Bundespatentgericht, Entscheidung vom 12.05.2010 - 4 Ni 21/09 (EU) -






BGH:
Urteil v. 19.04.2011
Az: X ZR 124/10


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