Bundesgerichtshof:
Beschluss vom 22. November 2010
Aktenzeichen: AnwZ (B) 2/10

(BGH: Beschluss v. 22.11.2010, Az.: AnwZ (B) 2/10)

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des II. Senats des Anwaltsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. Dezember 2009 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.

Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 50.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin ist seit Januar 1997 im Bezirk der Antragsgegnerin als Rechtsanwältin zugelassen. Mit Bescheid vom 16. Juli 2009 widerrief die Antragsgegnerin die Zulassung der Antragstellerin zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls und wegen Nichtbestehens einer Berufshaftpflichtversicherung und ordnete zugleich den sofortigen Vollzug des Widerrufs an. Nach Vorlage einer Versicherungsbescheinigung nahm die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. August 2009 den Widerruf der Zulassung wegen Fehlens der erforderlichen Haftpflichtversicherung zurück und hob den Sofortvollzug auf. Der Widerruf der Zulassung wegen Vermögensverfalls blieb ausdrücklich aufrechterhalten. Den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der Anwaltsgerichtshof zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 215 Abs. 3 BRAO, § 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO a.F.), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

1. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, die Interessen der Rechtsuchenden sind hierdurch nicht gefährdet. Ein Vermögensverfall liegt vor, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, die er in absehbarer Zeit nicht ordnen kann, und außerstande ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind das Erwirken von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, ZInsO 2010, 1380 Rn. 4 m.w.N.). Zudem besteht nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO eine gesetzliche Vermutung für den Eintritt eines Vermögensverfalls, wenn der Rechtsanwalt in dem vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führenden Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO) eingetragen ist.

2. Diese Voraussetzungen lagen bei Erlass des Widerrufsbescheids vor.

a) Zu diesem Zeitpunkt war der gesetzliche Vermutungstatbestand erfüllt. Die Gläubigerin H. GmbH betrieb aufgrund einer titulierten Forderung in Höhe von 35.977,09 € nebst Kosten und Zinsen die Zwangsvollstreckung und erwirkte am 17. Juni 2009 beim Amtsgericht R. einen Haftbefehl gegen die Antragstellerin ( M 7 ). Die durch diese Eintragung im Schuldnerverzeichnis (§ 915 ZPO) begründete Vermutung für den Vermögensverfall der Antragstellerin hat diese nicht entkräftet. Bei Erlass des Widerrufsbescheids waren titulierte Forderungen in Höhe von mehr als 50.000 € offen, wegen derer die Gläubiger die Zwangsvollstreckung betrieben. So waren dem Obergerichtsvollzieher K. sieben Zwangsvollstreckungsaufträge erteilt und beim Amtsgericht R. mehrere Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse erwirkt worden. Die Verbindlichkeiten der Antragstellerin und die gegen sie eingeleiteten Zwangsvollstreckungsmaßnahmen belegen, dass ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse zum Zeitpunkt des Widerrufs ein geordnetes Wirtschaften nicht mehr ermöglichten.

b) Nach der in § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Ausdruck gekommenen Wertung des Gesetzgebers ist mit einem Vermögensverfall eines Rechtsanwalts grundsätzlich eine Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden verbunden. Diese Annahme ist regelmäßig schon im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern gerechtfertigt (st. Rspr.; vgl. etwa Senatsbeschlüsse vom 5. Dezember 2005 - AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559 Rn. 8, und vom 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924 Rn. 8 m.w.N.). Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Gefährdung ausnahmsweise nicht bestand (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Oktober 2004 - AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511 unter II 2 c; vom 25. Juni 2007 - AnwZ (B) 101/05, aaO Rn. 9 ff.; vom 15. September 2008 - AnwZ (B) 67/07, AnwBl. 2009, 64 Rn. 5; vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, aaO Rn. 16 ff.), sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die Gefahr hatte sich im Gegenteil im Fall der Gläubigerin H. GmbH verwirklicht. Deren Forderung resultiert nämlich daraus, dass die Antragstellerin ihr Gelder vorenthalten hat, die sie im Rahmen eines Treuhandverhältnisses für die Gläubigerin entgegengenommen hatte. Auch ansonsten hat die Antragstellerin ihre berufliche Tätigkeit nicht beanstandungsfrei ausgeübt. Sie ist mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten.

3. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Zulassung sind auch nicht nachträglich entfallen.

a) Zwar scheidet nach ständiger Rechtsprechung des Senats ein Widerruf der Zulassung aus, wenn der Widerrufsgrund im Verlauf des Verfahrens entfallen ist (Senatsbeschlüsse vom 12. November 1979 - AnwZ (B) 16/79, BGHZ 75, 356, 357 und vom 17. Mai 1982 - AnwZ (B) 5/82, BGHZ 84, 149, 150). Dies setzt aber voraus, dass der Fortfall des Widerrufsgrunds, hier des Vermögensverfalls, von dem Rechtsanwalt zweifelsfrei nachgewiesen wird (Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, aaO Rn. 10 m.w.N.). Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es ihm gelungen ist, den Vermögensverfall zu beseitigen, trifft den Rechtsanwalt (vgl. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2010 - AnwZ (B) 27/09, aaO), dem eine entsprechende Mitwirkungspflicht nach § 215 Abs. 3 BRAO in Verbindung mit § 36a BRAO a.F. obliegt. Dieser Nachweis ist nicht geführt.

b) Die Vermögensverhältnisse der Antragstellerin haben sich nicht nachträglich konsolidiert. Zwar sind der bei Erlass des Widerrufsbescheids bestehende Haftbefehl vom 17. Juni 2009 zwischenzeitlich aufgehoben und die entsprechende Eintragung im Schuldnerverzeichnis gelöscht worden. Gleiches gilt für die drei weiteren am 28. Juli 2009 in den Zwangsvollstreckungsverfahren M 9 - M 4 erwirkten Haftbefehle. Damit ist die gesetzliche Vermutung für den Vermögensverfall der Antragstellerin zunächst weggefallen. Hierbei blieb es jedoch nicht. Denn am 13. August 2010 hat das Amtsgericht V. einen Haftbefehl wegen einer zu vollstreckenden Forderung in Höhe von 6.267,70 € erlassen. Damit ist erneut die gesetzliche Vermutung für einen Vermögensverfall der Antragstellerin nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO eingetreten.

c) Diese Vermutung hat die Antragstellerin nicht durch den zweifelsfreien Nachweis einer nachträglichen Konsolidierung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse widerlegt. Sie hat bereits nicht dargetan und belegt, dass alle ursprünglichen Verbindlichkeiten getilgt oder jedenfalls die ratenweise Abtragung dieser Schulden gesichert ist. Letztlich hat sie nur punktuelle Angaben zum Stand ihrer Schulden und Einnahmen gemacht und diese auch nach Hinweis auf ihre weit reichende Darlegungslast nicht ausreichend ergänzt. Weder hat sie eine umfassende Aufstellung ihrer Vermögenswerte, Einkünfte und offenen Verbindlichkeiten vorgelegt noch einen konkreten Tilgungsplan erstellt. Die - weitgehend unbelegten - Angaben in dem vom ihr mehrfach vorgelegten, nicht dem neuesten Stand entsprechenden "Finanzplan" vom 16. Oktober 2009 genügen hierfür nicht. Insbesondere haben die weiteren Entwicklungen keinen Eingang in diese Aufstellung gefunden. So ist die Antragstellerin durch Urteil des Amtsgerichts R. vom 3. Dezember 2009 zur Zahlung von 1.157,01 € nebst Kosten und Zinsen verurteilt worden. Zudem haben zwischenzeitlich sieben weitere Gläubiger Klagen gegen die Antragstellerin angestrengt, wobei überwiegend kleinere Beträge geltend gemacht werden. Der Gesamtumfang dieser Klageforderungen beläuft sich auf 3.827,90 €. Dass die Antragstellerin noch nicht einmal in der Lage ist, Forderungen dieser Größenordnung zu tilgen, belegt ihre beengten wirtschaftlichen Verhältnisse, die ein geordnetes Wirtschaften nicht mehr erlauben. Außerdem haben Gläubiger zwischenzeitlich beim Amtsgericht R. im August und im Oktober 2010 die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragstellerin beantragt. Das Amtsgericht hat mit Beschlüssen vom 19. August 2010 und vom 28. Oktober 2010 einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt.

d) Auch die Interessen der Rechtsuchenden sind im Hinblick auf den nicht ausgeräumten Vermögensverfall und das berufliche Fehlverhalten der Antragstellerin weiterhin gefährdet. Seit dem Erlass des Widerrufsbescheids hat sich hieran nichts geändert. Zwischenzeitlich hat das Amtsgericht R. die Antragstellerin mit - nicht rechtskräftigem - Urteil vom 22. September 2010 wegen Untreue, wegen versuchter Gebührenüberhebung in Tateinheit mit Untreue, wegen Betruges und wegen einer veruntreuenden Unterschlagung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.

4. Der Senat konnte in Abwesenheit der Antragstellerin verhandeln und entscheiden, da diese ihr Ausbleiben im Termin nicht entschuldigt hat.

Ernemann Lohmann Fetzer Frey Hauger Vorinstanz:

AGH Stuttgart, Entscheidung vom 02.12.2009 - AGH 34/09 (II) -






BGH:
Beschluss v. 22.11.2010
Az: AnwZ (B) 2/10


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