Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. August 2006
Aktenzeichen: 4 Ni 7/05

(BPatG: Urteil v. 24.08.2006, Az.: 4 Ni 7/05)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Beklagte ist eingetragener Inhaber des auch mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents EP 0 817 936 (Streitpatent), das am 29. März 1996 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung DE 195 13 181 vom 31. März 1995 angemeldet worden ist. Das Streitpatent ist in der Verfahrenssprache Deutsch veröffentlicht und wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nr. 596 04 496 geführt. Es betrifft ein Verfahren und eine Vorrichtung zum Ziehen eines im Erdreich verlegten oder zu verlegenden Rohres und umfasst 39 Patentansprüche, die insgesamt angegriffen sind. Die Patentansprüche 1 und 13 lauten wie folgt:

"1. Verfahren zum Ziehen eines im Erdreich verlegten und/oder eines im Erdreich zu verlegenden Rohres zu einer unterhalb der Erdoberfläche liegenden, von dieser aus zugänglichen Grube hin, in welcher eine mit einem Zugelement in Eingriff stehende Ziehvorrichtung angeordnet ist, wobei das Zugelement durch das Rohr hindurchgeführt ist und hinter dessen in Ziehrichtung hinterem Ende an diesem angreift oder das Zugelement am in Ziehrichtung vorderen Ende an dem Rohr angreift und mit dem Rohr von der Ziehvorrichtung schrittweise zur Grube hin gezogen wird, derart, dass die Ziehvorrichtung bei jedem Schritt einen Vorwärts- und einen Rückwärtshub ausführt, dadurch gekennzeichnet, dass das Zugelement (3) während des Rückwärtshubes unter einer Spannung gehalten wird, die seiner elastischen Dehnung während des Vorwärtshubes entspricht.

13. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 12 mit einem elastisch dehnbaren Zugelement, das durch das Rohr hindurchgeführt ist und an dessen in Ziehrichtung hinterem Ende mit diesem in in Ziehrichtung wirkenden Eingriff ist oder das mit dem Rohr an dessen in Ziehrichtung vorderen Ende in in Ziehrichtung wirkendem Eingriff ist, einer in der Grube angeordneten Ziehvorrichtung, die mit dem in Ziehrichtung vorderen Ende des Zugelements in in Ziehrichtung wirkendem Eingriff ist, wobei die Ziehvorrichtung eine schrittweise arbeitende Vorrichtung mit einem Vorwärts- und einem Rückwärtshub ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Ziehvorrichtung mit einem Zugglied, das während des Vorwärtshubes mit dem Zugelement (3) in Eingriff ist, und einem Halteglied, das während des Rückwärtshubes mit dem Zugelement (3) in Eingriff ist, versehen ist."

Wegen der übrigen, auf Patentanspruch 1 oder Patentanspruch 13 unmittelbar oder mittelbar rückbezogenen Patentansprüche wird auf die Streitpatentschrift EP 0 817 936 B1 Bezug genommen.

Die Klägerin behauptet, der Gegenstand des Streitpatents sei ungenügend offenbart und im Übrigen weder neu noch erfinderisch. Zur Begründung trägt sie vor, das streitpatentgemäße Fixieren des Zugelements unter Last sei im Bereich der grabenlosen Rohrverlegung schon vor dem Prioritätszeitpunkt im Stand der Technik bekannt gewesen und auch offenkundig vorbenutzt worden. Sie bietet Zeugenbeweis an und verweist im Übrigen auf folgende Dokumente:

K2 DE 37 33 463 C1 K4 Werbebroschüre der Firma Clearline zum System "MaxiBurst" ohne Datumsangabe K5 Kopie eines Artikels aus "Technology Update CLEARLINE NEWSLETTER SUMMER 1997"

K6 Kopie eines Prospekts der "Miller Pipeline Corp." über das System XPANDIT, Copyright 1994, mit einem Film zur technischen Funktion dieser Vorrichtung (K19)

K7 Auszug aus dem Firmenprospekt der Klägerin (S. 1, 26 bis 31, 40) mit dem Datumsvermerk "04/91", mit einem Film zur technischen Funktion dieser Vorrichtung (K20)

K8 Auszug aus der Bedienungsanleitung zum Bohrsystem "GRUNDOJET M 15" der Klägerin (S. 1, 5, 9, 16, 55, 56) mit dem Vermerk "Stand 04/94 D"

K9 Konstruktionszeichnungskomplex zum Umbauauftrag der Karl Weiss GmbH & Co. an die CM Celler Maschinenfabrik GmbH vom 17. März 1992 K10 Konstruktionszeichnungskomplex zum Umbauauftrag der Karl Weiss GmbH & Co. an die CM Celler Maschinenfabrik GmbH vom 26. November 1993 K11 Kopien von vier Fotos mit dem Datumsvermerk "12.03.93"

K12 Prospektkopie der Karl Weiss GmbH & Co. Hoch-, Tief- und Rohrleitungsbau, "Neue Technologien für die grabenlose Sanierung und Erneuerung von Druckrohrleitungen", Stand: April 1993 K12a Vergrößerte und mit Beschriftung versehene Darstellung aus der Anlage K12 K13 Kopie eines Fotos, aufgenommen auf einer Baustelle in Berlin vor 1994 K14 US 3 266 776 K15 DE 38 18 998 C2 K16 US 4 657 436 K18 Auszug aus den "Technischen Regeln für Gefahrstoffe" (TGRS) 519, Ausgabe März 1995, S. 1, 28 Die Klägerin beantragt, das europäische Patent EP 0 817 936 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland insgesamt für nichtig zu erklären.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, die streitpatentgemäße Erfindung sei genügend offenbart, zudem sei sie neu und beruhe auf erfinderischer Tätigkeit. Eine offenkundige Vorbenutzung des Patentgegenstandes vor dem Prioritätszeitpunkt bestreitet er. Die vorgelegten Druckschriften seien nicht geeignet, eine fehlende erfinderische Tätigkeit zu begründen.

Gründe

Die zulässige Klage, mit der die in § 22 Abs. 1 i. V. m. § 21 Abs. 1 Nr. 1 und 2 PatG vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Patentfähigkeit und der mangelnden Ausführbarkeit geltend gemacht wurden, ist nicht begründet.

1. Nach der Beschreibungseinleitung geht es beim Streitpatent um das erstmalige Verlegen oder das Auswechseln im Erdreich verlegter Rohre. Zum Auswechseln im Erdreich verlegter Rohre ist es bekannt (vgl. DE 37 33 463 C1), an den Enden eines zu entfernenden Rohres oder Rohrteiles eine Einziehbaugrube und eine Zielbaugrube auszuheben. In der Zielbaugrube wird eine Ziehvorrichtung angeordnet, die über eine durch das zu entfernende Rohr geschobene Zugstange das alte und/oder das neue Rohr von der Einziehbaugrube zur Zielbaugrube zieht. Die Zugstange besteht aus einer Vielzahl miteinander verbundener kurzer Stangenelemente. Das Einziehen der Rohre erfolgt schrittweise. Zunächst werden im Vorwärtshub der Ziehvorrichtung die Rohre mit der Zugstange über eine Hublänge zur Zielbaugrube gezogen, dann wird die Ziehvorrichtung von der Zugstange gelöst und wieder zurückgefahren. Während dieses Rückwärtshubes der Ziehvorrichtung ist die Zugstange entlastet.

Die Patentinhaberin sieht es als nachteilig an, dass sich die auf Grund der erheblichen Zugkräfte elastisch gedehnte Zugstange nach dem Lösen der Ziehvorrichtung von der Zugstange entspannt und umgekehrt zu ihrer vorherigen elastischen Dehnung wieder kontrahiert. Beim nachfolgenden Hub sei die Zugstange erst wieder elastisch zu dehnen, bevor das Rohr weiterbewegt werde. So verkürze sich die mögliche Rohrbewegung während eines Hubes jeweils um die elastische Dehnung der Zugstange.

Mit dem Streitpatent sollen daher ein Verfahren und eine Vorrichtung angegeben werden, bei denen der Vorschub des Rohres bei einem Schritt der vollen Hublänge der Ziehvorrichtung entspricht, so dass selbst bei hohen Zugkräften eine Herabsetzung des Wirkungsgrades nicht auftritt (Sp. 1, Z. 49 bis Sp. 2, Z. 8 der Streitpatentschrift).

Nach Patentanspruch 1 wird folgendes Verfahren vorgeschlagen:

Verfahren zum 1.1 Ziehen eines im Erdreich verlegten und/oder eines im Erdreich zu verlegenden Rohres zu einer unterhalb der Erdoberfläche liegenden und von dieser aus zugänglichen Grube hin, in welcher 1.2 eine mit einem Zugelement in Eingriff stehende Ziehvorrichtung angeordnet ist, wobei 1 .3a das Zugelement durch das Rohr hindurchgeführt ist und hinter dessen in Ziehrichtung hinterem Ende an diesem angreift, oder 1.3b das Zugelement am in Ziehrichtung vorderem Ende an dem Rohr angreift und 1.4 mit dem Rohr von der Ziehvorrichtung schrittweise zur Grube hin gezogen wird, derart, dass die Ziehvorrichtung bei jedem Schritt einen Vorwärts- und einen Rückwärtshub ausführt;

dadurch gekennzeichnet, dass 1.5 das Zugelement während des Rückwärtshubes unter einer Spannung gehalten wird, die seiner elastischen Dehnung während des Vorwärtshubs entspricht.

Der eine Vorrichtung betreffende Patentanspruch 13 weist folgende Merkmale auf:

Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 12 mit 13.1 einem elastisch dehnbaren Zugelement, 13.2a das durch das Rohr hindurchgeführt ist und an dessen in Ziehrichtung hinterem Ende mit diesem in in Ziehrichtung wirkendem Eingriff ist, oder 1 3.2b das mit dem Rohr an dessen in Ziehrichtung vorderem Ende in in Ziehrichtung wirkendem Eingriff ist;

13.3 einer in der Grube angeordneten Ziehvorrichtung, die mit dem in Ziehrichtung vorderen Ende des Zugelements in in Ziehrichtung wirkendem Eingriff ist, wobei die Ziehvorrichtung eine schrittweise arbeitende Vorrichtung mit einem Vorwärts- und einem Rückwärtshub ist;

dadurch gekennzeichnet, dass 13.4 die Ziehvorrichtung mit einem Zugglied, das während des Vorwärtshubs mit dem Zugelement in Eingriff ist, und 13.5 mit einem Halteglied, das während des Rückwärtshubs mit dem Zugelement in Eingriff ist, versehen ist.

Der wesentliche Gedanke der Erfindung besteht darin, dass das Zugelement am Ende eines Vorwärtshubes der Ziehvorrichtung nicht entlastet wird, sondern dass das Zugelement noch bei voller Belastung von einem Halteglied ergriffen und gehalten wird. Das Zugelement wird somit auch im Rückwärtshub der Ziehvorrichtung im Zustand seiner elastischen Dehnung gehalten, so dass beim nächsten Vorwärtshub der Ziehvorrichtung eine erneute elastische Dehnung entfällt.

2. Die Klägerin konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass die beanspruchte Erfindung in den ursprünglich eingereichten Unterlagen nicht so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Zuständiger Fachmann ist ein Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau, der über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Verlegevorrichtungen für Rohrleitungen verfügt.

Während des Vorwärtshubes muss die Ziehvorrichtung die zwischen den Rohren und dem umgebenden Erdreich herrschenden Reibungskräfte überwinden. Am Ende des Vorwärtshubes bewirken diese Reibungskräfte, dass das Zugelement trotz Stillstands der Ziehvorrichtung weiter elastisch gedehnt bleibt. Die Haltevorrichtung ergreift das Zugelement in diesem gedehnten Zustand und nicht - wie die Klägerin meint - in einem entspannten Zustand. Ein "Nachrutschen" des Rohres - wie die Klägerin meint - findet nämlich nicht statt, da bekanntlich auch im Stillstand des Rohres Reibungskräfte zwischen dem Rohr und dem umgebenden Erdreich wirken.

3. Die Klägerin konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass das mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Verfahren nicht neu ist.

Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften und keine der von der Klägerin angeführten offenkundigen Vorbenutzungen zeigt ein Verfahren zum Ziehen eines im Erdreich verlegten und/oder zu verlegenden Rohres, bei dem das Zugelement während des Rückwärtshubes der Ziehvorrichtung unter einer Spannung gehalten wird, die seiner elastischen Dehnung während des Vorwärtshubes entspricht.

Die Klägerin stützt sich in der mündlichen Verhandlung zu diesem Widerrufsgrund vor allem auf die Druckschriften K16 und K6.

Aus der US 4 657 436 (K16) ist ein Verfahren zum Ziehen eines im Erdreich verlegten Rohres zu einer unterhalb der Erdoberfläche liegenden Grube 56 bekannt (s. Fig. 6 der K16). In der Grube ist eine Ziehvorrichtung 52 angeordnet, die mit einer Kette 50 als Zugelement verbunden ist (Sp. 5, Z. 45 bis 60 der K16). Das Zugelement ist durch ein Altrohr geführt und greift entweder an einem Aufweitkopf 10 oder an einem Rohr an, dass in das Altrohr eingezogen werden soll (Sp. 5, Z. 45 bis 53, Sp. 3, Z. 42 bis 45 und Sp. 6 Z. 22 bis 24 i. V. m. Fig. 2, 6 der K16). Die Ziehvorrichtung 52 führt bei jedem Schritt einen Vorwärts- und einen Rückwärtshub aus (Sp. 5, Z. 56 bis 59 der K16). Dort ist weiter vorgesehen, dass das Zugelement 50 beim Rückwärtshub unter Spannung gehalten wird (Sp. 5, Z. 59, 60).

Es fehlt jedoch jeder Hinweis darauf, dass diese Spannung so groß ist, dass die elastische Dehnung des Zugelementes der elastischen Dehnung während des Vorwärtshubes entspricht. Dort spielen elastische Dehnungen des Zugelementes überhaupt keine Rolle. Denn die Kette dient allein dazu, den Aufweitkopf oder das einzuziehende Rohr durch den im Altrohr vorhandenen Freiraum zu ziehen. Die Aufweitung von Engstellen oder des Kanalquerschnitts erfolgt nämlich nicht während des Ziehvorgangs, sondern der Ziehvorgang wird gestoppt und die Aufweitung erfolgt durch hydraulische Betätigung von Aufweitelementen (leaf member)14; 130, 132 (vgl. Fig. 2, 5 und in Fig. 11 der K16 die mit ausgezogenen und strichpunktierten Linien 142 dargestellten Positionen der Aufweitelemente). Die Kette 50/122 dient dabei lediglich dazu, den Aufweitkopf beim Aufweiten in seiner Position zu halten (Sp. 5, Z. 65 bis Sp. 6, 16; Sp. 8 Z. 5 bis 11). Sobald die Aufweitelemente wieder zurückgezogen sind, wird der Aufweitkopf weitergezogen (Sp. 6, Z. 16 bis 22; Sp. 2, Z. 16 bis 19 der K16). Vor allem der Hinweis, dass die von der Zieheinrichtung ausgeübte Zugkraft nicht ausreichend sein kann, um den Aufweitkopf bei schwierigen Bodenverhältnissen weiterzuziehen (Sp. 6, Z. 7 bis 11 der K16), zeigt dem Fachmann, dass keine so großen Kräfte aufgebracht werden, dass sich eine nennenswerte elastische Dehnung der Kette ergeben würde. In diese Richtung führt der weitere Hinweis, dass die Kette durch einen Rastmechanismus 58 gehalten wird (Sp. 5, Z. 59, 60 der K16). Denn Rastmechanismen sind in der Regel nicht dazu ausgelegt, hohe Kräfte aufzunehmen. Der Fachmann wird daher die hier gegebene Lehre ohne Kenntnis der Erfindung so verstehen, dass der Rastmechanismus allein ein Zurückgleiten der Kette zusammen mit der Ziehvorrichtung während des Rückwärtshubes verhindern soll. Somit wird dem Fachmann bei K16 das Merkmal 1.5 des Patentanspruchs 1 nicht gezeigt.

Gleiches gilt für die Arbeitsweise der Vorrichtung nach dem Miller-Prospekt (K6). Auch dort wird zunächst ein Aufweitkopf durch das Altrohr gezogen, um dieses zu zersplittern und in das umgebende Erdreich zu drücken (S. 5, linke Spalte, Abs. 1 der K6). Zum Vorschub des Aufweitkopfes reichen die von einer Winde aufgebrachten Kräfte, auf der das Zugelement aufgewickelt ist. Der Vorschub des Aufweitkopfes erfolgt in kontrollierten Schritten (S. 5, rechte Spalte, Abs. 1 der K6). Um diese schrittweise Vorwärtsbewegung zu ermöglichen, ist eine in der Figur auf S. 1 dargestellte, hin- und hergehende Ziehvorrichtung vorgesehen. Um beim Rückwärtshub der Ziehvorrichtung ein Rückwärtsgleiten des Zugelementes zu verhindern, ist dort wie bei K16 offensichtlich lediglich ein Klemmelement vorgesehen, das das Zugelement in seiner senkrechten Lage hält. Diese Interpretation wird bestätigt durch den zu K6 vorgelegten Film (K19), da dieser jedenfalls nicht erkennen lässt, dass das Zugelement beim Rückwärtshub der Zieheinrichtung in seinem elastisch gedehnten Zustand gehalten wird.

Über diesen Stand der Technik gehen auch die weiteren im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen nicht hinaus.

Der Patentinhaber ist bei der Formulierung des Patentanspruchs 1 von der DE 37 33 463 C1 (K2) ausgegangen. Diese Druckschrift lehrt offensichtlich ein Verfahren mit den Verfahrensschritten 1.1, 1.2, 1.3a und 1.4 (Sp. 5, Z. 66 bis Sp. 6, Z. 40 mit Fig. 2). Eine Halterung des Zugelementes (Zugstange 10) während des Rückwärtshubes der Ziehvorrichtung 7, 8, 12 und 13 ist dort nicht vorgesehen. Die Einspannvorrichtung 17 dient nämlich nicht der Halterung der Zugstange 10, sondern allein der Fixierung des alten Rohres 4 beim Spaltvorgang mit einem Spaltkegel 15.

Es kann dahinstehen, ob der MaxiBurst-Prospekt (K4) und der zugehörige Clearline-Newsletter (K5) als vorveröffentlichter Stand der Technik zu berücksichtigen sind. Denn beide zeigen ebenfalls das Merkmal 1.5 des Patentanspruchs 1 gemäß Streitpatent nicht. Der Hinweis "winch with unigne double jaws to prevent springback" (S. 1 der K4) bedeutet nämlich lediglich, dass ein Rückfedern des Zugkabels verhindert werden soll, nicht jedoch, dass es unter der vollen Spannung wie beim Vorwärtshub gehalten werden soll, zumal der Beschreibung des Verfahrens hierzu keine Hinweise zu entnehmen sind.

Der Firmenprospekt der Klägerin (K7) und der zugehörige Film (K20) zeigen vor allem eine Erdrakete, um im Vortrieb eine Pilotbohrung zu erstellen. Das Verfahren, nach dem anschließend die Rohrleitung in die Pilotbohrung eingezogen wird, ist lediglich insoweit beschrieben, dass nach Erstellung des Pilotbohrung der Bohrkopf gegen einen - je nach Durchmesser des zu verlegenden Rohres - passenden Aufweitkopf ausgetauscht und das Rohr statisch eingezogen wird (S. 31, linke Spalte, Punkt 2). Auch hier wird somit ein Aufweitkopf verwendet, um die Zugkräfte für das Zugelement niedrig zu halten. Für eine Halterung des Zugelementes im elastisch gedehnten Zustand besteht daher keinerlei Notwendigkeit.

K8 enthält lediglich Auszüge (6 Seiten) einer umfassenden Bedienungsanleitung für ein Bohrsystem GRUNDOJET M 15. Die Klägerin verweist auf die Seiten 55 und 56 der Bedienungsanleitung. Diese betreffen lediglich einen Werkzeugwechsel von einer Bohrlanze zu einem Aufweitkopf, bei dem die Bohrgestänge durch Halte- und Lösezangen gehalten werden.

Da weder K7 noch K8 ein dem Streitpatent entsprechendes Rohreinziehverfahren erkennen lassen, kann dahinstehen, ob derartige Vorrichtungen - wie die Klägerin behauptet - öffentlich angeboten und vertrieben wurden.

Der Konstruktionszeichnungskomplex K9 und K10 sollen den Umbau von bestehenden Anlagen der Fa. Karl Weiss GmbH dokumentieren. Zu beiden Komplexen gibt die Klägerin lediglich an, dass die umgebauten Vorrichtungen nach dem Verfahren gemäß Patentanspruch 1 des Streitpatentes betrieben werden konnten, ohne zu belegen, dass dies auch tatsächlich so gemacht wurde. Den vorgelegten Unterlagen selbst ist ein patentgemäßes Verfahren ebenfalls nicht zu entnehmen.

Gleiches gilt für die Vorrichtungen nach den Anlagen K11, K12, K12a und K13, da diese nach Angaben der Klägerin denen nach K9 und K10 entsprechen sollen.

Die US 3 266 776 (K14) zeigt kein Verfahren zum Einziehen von Rohren oder eine entsprechende Vorrichtung, sondern ganz allgemein Klemmvorrichtungen für Winden (Sp. 1, Z. 12 bis 14 der K14).

Die DE 38 18 998 C2 (K15) betrifft die Zufuhr von Gleit- und Füllmitteln bei der Rohrverlegung und somit ein zum Streitpatent anderes Verfahren (Zusammenfassung der K15). Diese Schrift wurde von der Klägerin entsprechend lediglich zum Patentanspruch 11 genannt.

Die TRGS 519 (K18) befassen sich mit Schutzmaßnahmen für den Umgang mit Asbest und asbesthaltigen Gefahrstoffen bei Abbruch-, Sanierungs- oder Instandhaltungsarbeiten. Verfahren nach Art des Streitpatents sind nicht Gegenstand dieser Entgegenhaltung.

4. Die Klägerin konnte den Senat nicht davon überzeugen, dass das im Patentanspruch 1 angegebene Verfahren nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Der Beklagte führte in der mündlichen Verhandlung - von der Klägerin nicht widersprochen - aus, dass mit dem beanspruchten Verfahren erstmalig Zugkräfte bei der Rohrverlegung realisierbar seien, die ein gleichzeitiges Entfernen eines verlegten Rohres zusammen mit einem Verlegen eines neuen Rohres mit gegebenenfalls größerem Rohrdurchmesser ermögliche. Dabei könne auf die Verwendung eines Aufweitkopfes verzichtet werden. Bisher lägen die aufgebrachten Zugkräfte zum Bewegen eines Rohres oder zum Einsatz eines Aufweitkopfes üblicherweise zwischen 5 und 10 t. Ein gleichzeitiges Entfernen eines Altrohres und Einziehen eines neuen Rohres größeren Durchmessers erfordere jedoch Kräfte von 50 bis 100 t. Bei diesen hohen Zugkräften erfahre das Zugelement eine erhebliche elastische Dehnung, die deutlich mehr als die Hälfte der Hublänge der Ziehvorrichtung ausmachen könne. Erst durch das beanspruchte Verfahren könnten diese hohen Kräfte wirtschaftlich umgesetzt werden. Denn durch das Halten des Zugelementes während des Rückwärtshubes der Ziehvorrichtung werde dessen elastische Dehnung auch in dieser Phase beibehalten, so dass die volle Hublänge der Ziehvorrichtung genutzt werden könne.

Wie bereits zur Neuheit ausgeführt wurde, gibt der gesamte von der Klägerin angeführte Stand der Technik keine Anregung in diese Richtung. Denn es fehlt bereits jeder Hinweis auf das Problem, dass die elastische Dehnung des Zugelementes zu einer Verkürzung der aktiven Hublänge der Ziehvorrichtung führen kann. Weiter ist an keiner Stelle des Standes der Technik der Verfahrensschritt 1.5 eindeutig offenbart. Für eine Offenbarung dieses Verfahrensschrittes reicht es nicht aus, eine möglicherweise geeignete Vorrichtung zur Durchführung dieses Verfahrensschrittes nachzuweisen. Vielmehr muss dieser Schritt selber - dass das Zugelement während des Rückwärtshubes unter einer elastischen Dehnung gehalten wird, die seiner elastischen Dehnung während des Vorwärtshubes entspricht - nachgewiesen werden, da es erst dann entsprechend der Aufgabenstellung möglich ist, die volle Hublänge der Ziehvorrichtung für den Vorschub des Rohres zu nutzen.

5. Die Vorrichtung nach Patentanspruch 13 ist ebenfalls patentfähig.

Die Klägerin führt aus, dass es sich beim Patentanspruch 13 um einen nebengeordneten Anspruch einer anderen Patentkategorie handele. Derartige Ansprüche seien in der Regel für sich auf Patentfähigkeit zu prüfen.

Dem Patentgesetz ist keine Vorschrift zu entnehmen, die es einem Patentanmelder/-inhaber verbietet, zu einem beanspruchten Verfahren eine Vorrichtung anzugeben, die sich nach seiner Auffassung für die Durchführung dieses Verfahrens eignet. Dabei liegt es allein in seiner Befugnis anzugeben, ob er die Vorrichtung auch unabhängig vom Verfahren oder ausschließlich in Verbindung mit dem Verfahren beansprucht.

Dem entsprechend sind bei Patenten, die sowohl einen Vorrichtungs- als auch einen Verfahrensanspruch aufweisen, folgende Formulierungen üblich:

a) der Vorrichtungsanspruch enthält keine Bezugnahme auf den Verfahrensanspruch;

b) der Vorrichtungsanspruch ist fakultativ auf den Verfahrensanspruch rückbezogen, z. B. mit der Formulierung "Vorrichtung, insbesondere zur Durchführung des Verfahrens ...", c) der Vorrichtungsanspruch ist ausschließlich auf den Verfahrensanspruch rückbezogen, z. B. mit der Formulierung "Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens ...".

Mit den ersten beiden Formulierungen werden Vorrichtungen beansprucht, die auch nach anderen als dem beanspruchten Verfahren verwendet werden können. Daraus ergibt sich unmittelbar, dass dort der Vorrichtungsanspruch für sich patentfähig sein muss. Bei der dritten Formulierung ist der Vorrichtungsanspruch in der Art eines Unteranspruchs auf den Verfahrensanspruch rückbezogen. Beide bilden wie ein Haupt- mit einem Unteranspruch eine Einheit. Ein patentfähiger Verfahrensanspruchs trägt somit einen rückbezogenen Vorrichtungsanspruch. Mit dieser Kombination ist nach logischer Auslegung des Patentanspruchs eine Vorrichtung beansprucht, die ausschließlich in einer bestimmten Weise, nämlich nach der im Verfahrensanspruch angegebenen Arbeitsweise, verwendet wird. Inhaltlich entspricht diese Formulierung einem üblichen Verwendungsanspruch in der Art "Verwendung einer (möglicherweise bekannten) Vorrichtung zur Durchführung eines (patentfähigen) Verfahrens ...". Derartige Patentansprüche sind nach ständiger Rechtsprechung zulässig und - wie im vorliegenden Fall - bei Vorliegen eines patentfähigen Verfahrens auch insgesamt patentfähig.

Im vorliegenden Fall liegt der wesentliche Gedanke der Erfindung in dem Merkmal des Verfahrensanspruchs, dass das Zugelement während des Rückwärtshubes der Ziehvorrichtung unter einer elastischen Dehnung gehalten wird, die seiner elastischen Dehnung während des Vorwärtshubes entspricht. Die beanspruchte Vorrichtung ist somit so zu gestalten, dass sich diese Arbeitsweise realisieren lässt. Für den zuständigen Fachmann ist es daher selbstverständlich, dass er diese im Verfahrensanspruch angegebene Funktion mit in den Vorrichtungsanspruch einbezieht und die Vorrichtung so gestaltet, dass sie beispielsweise die beim Halten des Zugelementes auftretenden sehr hohen Kräfte sicher aufnehmen kann.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs. 2 PatG i. V. m. § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. § 709 ZPO.






BPatG:
Urteil v. 24.08.2006
Az: 4 Ni 7/05


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