Bundesgerichtshof:
Urteil vom 11. Juni 2014
Aktenzeichen: 2 StR 489/13
(BGH: Urteil v. 11.06.2014, Az.: 2 StR 489/13)
Tenor
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 14. Juni 2013 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge und eine Verfahrensbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Verfahrensrüge Erfolg.
I.
Nach den Feststellungen der Strafkammer reiste der Angeklagte am 19. Januar 2013 zusammen mit dem gesondert verfolgten S. auf dem Luftweg aus Indien in die Bundesrepublik Deutschland ein. In dem für S. aufgegebenen Gepäck führten beide aufgrund eines gemeinsamen Tatplans insgesamt 25.152 Kapseln des als Betäubungsmittel geltenden Schmerzmittels Dextropropoxyphen mit. Hintergrund der Gepäckaufgabe unter dem Namen des gesondert verfolgten S. war die Tatsache, dass der Angeklagte bereits am 19. November 2011 im Besitz von Kapseln des Schmerzmittels Proxyphen mit dem Wirkstoff Dextropropoxyphen angetroffen worden war.
II.
Die Verfahrensrüge, das Landgericht habe zu Unrecht ein Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit verworfen, ist begründet.
1. Dem liegt Folgendes zu Grunde:
a) Der Angeklagte hatte bei seiner ersten Vernehmung als Beschuldigter und bei der Ermittlungsrichterin im Vorverfahren seine Tatbeteiligung bestritten; der Einfuhr des Schmerzmittels im Gepäck des gesondert verfolgten S. habe kein gemeinsamer Tatplan zu Grunde gelegen. Der gesondert verfolgte S. hatte dagegen schon im Vorverfahren den Angeklagten als Täter bezeichnet; dieser habe das Gepäck mit den Betäubungsmitteln für ihn aufgegeben und gesagt, "es sei legal".
b) Am 22. März 2013 fand eine Hauptverhandlung gegen den Angeklagten und den damals mitangeklagten S. statt. Dort gaben die im Vorverfahren gerichtlich bestellten Verteidiger, die in einer Bürogemeinschaft verbunden sind, Erklärungen zur Sache für ihre Mandanten ab, zu denen diese sich äußerten. Nach Einführung auch der früheren Einlassungen zur Sache in die Hauptverhandlung und weiteren Beweiserhebungen wurde diese unterbrochen. Nach erneutem Aufruf der Sache gab der Vorsitzende der Strafkammer bekannt, "dass eine Einigung darüber erzielt wurde, dass zum Tatvorwurf vom 19.11.2011 nach § 154 StPO verfahren werden soll. Im Übrigen wurde keine Vereinbarung getroffen." Es folgten die Schlussvorträge, wobei die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft und der Verteidiger des Mitangeklagten S. für diesen jeweils die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren bei Strafaussetzung zur Bewährung beantragten. Für den Angeklagten erstrebte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Sein Verteidiger beantragte die Verhängung einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung; hilfsweise beantragte er für den Fall, dass das Gericht eine höhere Strafe erwäge, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Bestimmung des Grenzwerts der nicht geringen Menge von Dextropropoxyphen. Den gleichen Hilfsantrag hatte auch die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft gestellt, für den Fall, "dass die Kammer zu einer Entscheidung über eine Freiheitsstrafe unter 3 Jahren kommen sollte".
c) Das Landgericht verurteilte den Mitangeklagten S. wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Einfuhr zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung. S. verzichtete sogleich auf Rechtsmittel gegen dieses Urteil, wurde aus der Untersuchungshaft entlassen, kehrte in seine Heimat zurück und stand für das weitere Verfahren nicht mehr zur Verfügung.
In den Gründen des Urteils gegen S. führte das Landgericht aus, dessen Aufgabe sei es gewesen, vorzutäuschen, dass er der eigentliche Transporteur der Betäubungsmittel sei, weil der Angeklagte bereits im Jahr 2011 bei einer Einfuhr von Proxyphen aufgefallen sei. Dies ergebe sich aus dem glaubhaften Geständnis des Mitangeklagten S. . Die Annahme, bei dem Betäubungsmittel habe es sich um eine nicht geringe Menge gehandelt, beschwere S. nicht. Zwar sei der Maßstab der nicht geringen Menge noch nicht bestimmt, jedoch sei auch bei äußerst großzügiger Bemessung der Zahl von Konsumeinheiten, die eine Risikodosis darstellten, von einem Überschreiten des Grenzwerts auszugehen. Diese Bewertung könne zwar "anfechtbar" erscheinen und begünstige den Mitangeklagten "sehr weitgehend". Jedoch habe die Strafkammer Bedenken hiergegen zurückgestellt, weil ohnehin mit einer Strafe für S. zu rechnen sei, "die absehbar mit einer Haftentlassung verbunden sein musste". Bei der Strafbemessung berücksichtigte das Gericht, dass der Mitangeklagte "wahrscheinlich von dem Mitangeklagten K. ausgenutzt wurde". "Der üblicherweise erschwerend zu berücksichtigende Gesichtspunkt, inwieweit die sogenannte nicht geringe Menge überschritten war, musste - wie ausgeführt - unberücksichtigt bleiben."
Das Verfahren gegen den Beschwerdeführer wurde abgetrennt und die Hauptverhandlung ausgesetzt, um ein Sachverständigengutachten zu der bisher nicht geklärten Frage des Grenzwerts der nicht geringen Menge von Dextropropoxyphen und des Grades seiner Überschreitung im konkreten Fall einzuholen.
d) Unter dem 14. Mai 2013 meldete sich ein Wahlverteidiger für den Angeklagten bei Gericht, beantragte die Entpflichtung des bestellten Verteidigers und teilte mit, der Angeklagte wünsche, künftig nur noch von ihm vertreten zu werden. Der Vorsitzende der Strafkammer, der auch die erste Hauptverhandlung geleitet hatte, lehnte am 15. Mai 2013 die Entpflichtung ab, da zu befürchten sei, dass der Wahlverteidiger bei einer Entscheidung nach § 143 StPO das Wahlmandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Angeklagten niederlegen werde.
Am 24. Mai 2013 beantragte der Wahlverteidiger erneut die Entpflichtung des bestellten Verteidigers, und begründete dies damit, es sei nicht ersichtlich, dass der Angeklagte mittellos sei; das Gegenteil sei der Fall. Er, der Wahlverteidiger, übernehme kein Mandat, um es alsbald zur Unzeit wieder niederzulegen. Die Entpflichtung des bestellten Verteidigers sei auch geboten, weil die Bestellung unter Verstoß gegen § 146 StPO erfolgt sei. Zudem liege ein Interessenkonflikt mit der Verteidigung des Mitangeklagten vor. Die Aufrechterhaltung der Pflichtverteidigerbestellung für den Angeklagten wirke sich als Behinderung der gewählten Verteidigung aus. Eine Bestellung zur Verfahrenssicherung sei nicht erforderlich.
Der Vorsitzende der Strafkammer lehnte die Entpflichtung erneut ab und half auch einer dagegen gerichteten Beschwerde nicht ab; das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwarf die Beschwerde gegen den Ablehnungsbeschluss. Es führte aus, zwar sei eine Verteidigerbestellung gemäß § 143 StPO grundsätzlich zurückzunehmen, wenn ein anderer Verteidiger beauftragt wurde. Dies gelte aber dann nicht, wenn ein unabweisbares Bedürfnis für die Aufrechterhaltung der Verteidigerbestellung bestehe, etwa wenn zu befürchten sei, dass der Wahlverteidiger das Mandat wegen Mittellosigkeit des Mandanten niederlegen werde. Dies habe der Vorsitzende ohne Ermessensfehler angenommen. Die mitgeteilten Einkünfte des Angeklagten seien so gering, dass er auf Dauer nicht in der Lage sein werde, das Verteidigerhonorar zu bezahlen. Dieser Einschätzung stehe nicht entgegen, dass der Wahlverteidiger mitgeteilt habe, sein Honorar sei bereits beglichen. Es sei nämlich nicht mitgeteilt worden, welche Gebühren im Einzelnen erfasst seien; auch sei nicht ersichtlich, dass für den Fall, dass weitere Verhandlungstage erforderlich werden sollten, deren Kosten vom Angeklagten übernommen werden könnten. Auch die Auswahl des bestellten Verteidigers sei nicht zu beanstanden. § 146 StPO stehe nicht entgegen, weil es allgemein als zulässig angesehen werde, wenn anwaltliche Sozien auch Mitbeschuldigte verteidigten. Anhaltspunkte für einen Interessenkonflikt seien nicht ersichtlich, weil das Verfahren gegen den früheren Mitangeklagten S. rechtskräftig abgeschlossen und dieser zur neuen Hauptverhandlung gegen den Beschwerdeführer auch nicht als Zeuge geladen sei.
e) Hierauf lehnte der Angeklagte mit Schreiben seines Wahlverteidigers den Vorsitzenden der Strafkammer wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Diese ergebe sich aus dem Gang der Hauptverhandlung vom 22. März 2013 sowie aus dem gegen den Mitangeklagten ergangenen Urteil. Der Angeklagte bestreite die Beteiligung an der Tat. Dies sei bereits aus seiner Einlassung beim Zoll und bei der Ermittlungsrichterin ersichtlich geworden. In der ersten Hauptverhandlung habe nicht er selbst, sondern sein bestellter Verteidiger eine Erklärung zur Sache abgegeben. Diese sei zwar nicht dokumentiert, Einzelheiten "müssten aber, da der Angeklagte den Tatvorwurf weiterhin bestreitet, im Wesentlichen inhaltsidentisch gewesen sein." Gleichwohl habe der bestellte Verteidiger seine Verurteilung zu einer Bewährungsstrafe beantragt. In den Gründen des sodann nur gegen S. ergangenen Urteils sei die geringere Tatbeteiligung des Mitangeklagten S. und seine eigene Haupttäterschaft festgestellt worden. S. stehe zudem nach seiner gesonderten Aburteilung für eine neue Hauptverhandlung nicht mehr als Zeuge zur Verfügung, was zurzeit des Urteils absehbar gewesen sei. Vor diesem Hintergrund befürchte er, dass er ungeachtet seines Bestreitens aus der Sicht des abgelehnten Richters bereits als schuldig angesehen werde. Nach den Gesamtumständen sei schließlich anzunehmen, dass eine informelle Absprache zwischen seinem bestellten Verteidiger, dem Gericht und der Staatsanwaltschaft vorgelegen habe, wonach nur noch über die Strafe verhandelt werden müsse.
Ferner werde die Besorgnis der Befangenheit daraus hergeleitet, dass die Entpflichtung des bestellten Verteidigers abgelehnt worden sei, obwohl kein Grund für eine Abweichung von § 143 StPO vorliege und die Entpflichtung wegen einer Interessenkollision angezeigt gewesen sei. Der abgelehnte Vorsitzende unternehme alles, um die gewählte Verteidigung zu behindern und um der zu erwartenden Verurteilung des Angeklagten durch Aufrechterhaltung der Bestellung eines dem Gericht genehmen Verteidigers eine scheinbare Legitimation zu verschaffen.
f) Der abgelehnte Vorsitzende bestätigte in seiner dienstlichen Erklärung, dass der äußere Ablauf zutreffend bezeichnet worden sei; jedoch sei die daran anknüpfende Folgerung nicht zutreffend.
g) Das Landgericht wies das Ablehnungsgesuch als unbegründet zurück. Die Behauptung einer informellen Absprache beruhe auf einer unbelegten Mutmaßung; aus dem Protokoll der Hauptverhandlung folge, dass es keine Vereinbarungen gegeben habe. Das Urteil gegen den Mitangeklagten sei nur auf dessen Geständnis gestützt, dem aber die Angaben des Angeklagten nicht gegenübergestellt worden seien. Eine weitere Inhaftierung des Mitangeklagten S. , nur um seine Verfügbarkeit für die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten zu sichern, sei ausgeschlossen gewesen; die Verfahrensabtrennung sei erfolgt, weil ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen sei. Die Zurückweisung der Anträge auf Entpflichtung des gerichtlich bestellten Verteidigers sei ohne Ermessensfehler erfolgt. Es liege auch keine unzulässige Behinderung der Verteidigung vor.
h) Mit der Revision rügt der Beschwerdeführer unter Bezugnahme auf seine Ablehnungsbegründung, die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs sei zu Unrecht erfolgt. Aus dem Protokollvermerk vom 22. März 2013 folge, dass jedenfalls eine "Einigung" über die Teileinstellung des Verfahrens gegen ihn gemäß § 154 Abs. 2 StPO nach Erörterungen außerhalb der Hauptverhandlung erfolgt sei. Diese "Einigung" mit dem bestellten Verteidiger sei nur damit zu erklären, dass das Gericht und der bestellte Verteidiger nicht von der Möglichkeit eines Freispruchs ausgegangen seien. Die Festlegung des abgelehnten Vorsitzenden ergebe sich aber auch aus der einseitigen Begünstigung des Mitangeklagten, der zu einer Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und aus der Untersuchungshaft entlassen worden sei, so dass er in absehbarer Weise als Zeuge für die nächste Hauptverhandlung nicht mehr erreichbar gewesen sei. Hinzu komme die Zurückweisung der Anträge auf Entpflichtung des bestellten Verteidigers trotz Vorliegens einer Interessenkollision.
2. Der Angeklagte macht zutreffend geltend, die Richterablehnung sei mit Unrecht verworfen worden (§§ 24 Abs. 2, 338 Nr. 3 StPO).
a) Die Rüge ist im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO zulässig. Soweit der Generalbundesanwalt dies damit in Frage gestellt hat, dass von der Revisionsbegründung nicht alle Prozesserklärungen im Originalwortlaut mitgeteilt wurden, greift sein Bedenken nicht durch.
Der am 14. Mai 2013 per Telefax und am 16. Mai 2013 per Post beim Landgericht eingegangene Schriftsatz enthielt den ersten Entpflichtungsantrag des Wahlverteidigers, der allein auf die Mitteilung gestützt war, dass der Beschwerdeführer die alleinige Verteidigung durch ihn wünsche. Die Ablehnung dieses Antrags wurde nur damit begründet, dass "zu befürchten ist, dass der Wahlverteidiger bei einer Entscheidung nach § 143 StPO das Mandat alsbald wegen Mittellosigkeit des Angeklagten wieder niederlegen wird". Diese Gründe für den Antrag und dessen Ablehnung hat die Revisionsbegründung inhaltlich vollständig mitgeteilt.
Der erneute Entpflichtungsantrag vom 24. Mai 2013 mit seiner näheren Begründung ist vom Beschwerdeführer in Kopie vorgelegt worden. Die hierauf erneut erfolgte Ablehnung der Entpflichtung des bestellten Verteidigers durch den Vorsitzenden vom 1. Mai 2013 enthielt keine eigenständige Begründung, die Beschwerde hiergegen nahm auf die Begründung des von der Revision mitgeteilten Entpflichtungsantrags Bezug, die Nichtabhilfeentscheidung des Vorsitzenden vom 6. Juni 2013 verwies auf die bisherigen Gegengründe. Die Mitteilung des Originalwortlauts aller Eingaben und Entscheidungen hätte keinen weiteren Informationsgehalt gehabt.
Die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgericht ist in Kopie vorgelegt worden, ebenso das Ablehnungsgesuch gegen den Vorsitzenden der Strafkammer, dessen dienstliche Erklärung und die hierzu ergangene Entscheidung der Strafkammer. Die Einlassungen des Beschwerdeführers und des Mitangeklagten S. bei der Ermittlungsrichterin hat er durch wörtliche Zitate in der Revisionsbegründung wiedergegeben.
Danach ist das Revisionsvorbringen ausreichend. Es ist nicht zu beanstanden, dass der Beschwerdeführer auch solche Eingaben und Entscheidungen, die keine weiter gehenden Argumente enthielten, der Rügebegründung nicht in Kopie beigefügt oder in sonstiger Weise mit dem Originalwortlaut mitgeteilt hat. Den Anforderungen gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist Genüge getan, wenn das maßgebliche Prozessgeschehen inhaltlich vollständig und zutreffend vorgetragen wird. Der Beweis der Richtigkeit des Revisionsvorbringens ist nicht Teil der Prüfung der Zulässigkeit der Revisionsrüge, sondern der Begründetheit.
b) Die Rüge ist begründet. Das Ablehnungsgesuch ist mit Unrecht verworfen worden.
aa) Die Besorgnis der Befangenheit ist aufgrund der Art und Weise der Vorbefassung des abgelehnten Vorsitzenden mit der Sache gerechtfertigt. Eine solche Besorgnis ist zwar nicht generell begründet, wenn ein Richter im Rahmen einer früheren Entscheidung mit der Sache befasst war. Das Gesetz hätte andernfalls eine Ausschließung eines solchen Richters von der weiteren Mitwirkung am Verfahren anordnen können (vgl. BGH, Urteil vom 10. November 1967 - 4 StR 512/66, BGHSt 21, 334, 342 f.). Die Ablehnung eines mit der Sache schon früher befassten Richters ist jedoch gerechtfertigt, wenn konkrete Umstände vorliegen, die der Vermutung seiner Unvoreingenommenheit widersprechen (vgl. BGH, aaO, BGHSt 21, 334, 343; Urteil vom 30. Juni 2010 - 2 StR 455/09, NStZ 2011, 44, 46; Beschluss vom 10. Januar 2012 - 3 StR 400/11, NStZ 2012, 519, 520). Das ist hier der Fall.
Die Frage des Grenzwerts der nicht geringen Menge des Schmerzmittels und des Grades seiner Überschreitung betraf beide Angeklagte gleichermaßen. Die Abtrennung des Verfahrens gegen den Beschwerdeführer, um nur ihm gegenüber eine Klärung dieser Frage mit Hilfe eines Sachverständigen herbeizuführen, erscheint kaum verständlich. Die gleichzeitige Entlassung des Mitangeklagten S. aus dem Verfahren in einer Weise, die ihn - vorhersehbar - als Auskunftsperson im fortgesetzten Verfahren gegen den Beschwerdeführer ausschloss, durfte nicht ohne weiteres zum Nachteil des Angeklagten erfolgen. Die Doppelwirkung einer solchen Maßnahme im Verfahren gegen Mitangeklagte mit gegenläufigen Verteidigungszielen (vgl. Dehne-Niemann HRRS 2010, 189, 191 f.), die sich im Ergebnis zum prozessualen Nachteil des Beschwerdeführers ausgewirkt hat, wurde nicht erkennbar berücksichtigt. Die Strafkammer unter Vorsitz des abgelehnten Richters hat das Unterlassen der Beweiserhebung im Verfahren gegen den Mitangeklagten S. nur damit begründet, dies beschwere S. nicht. Dabei war aber die Klärung der Tatsachenfrage, die für die Strafzumessung auch nach den Urteilsgründen "üblicherweise" relevant ist, bei der Sachaufklärung für und gegen beide Mitangeklagten von Bedeutung. Das einseitige Unterlassung der Sachaufklärung gegenüber dem Mitangeklagten S. beeinträchtigte umgekehrt die prozessuale Rechtsposition des Beschwerdeführers.
Wenn absehbar ist, dass eine Auskunftsperson im weiteren Verfahren als Zeuge benötigt wird, hat das Gericht im Allgemeinen dafür Sorge zu tragen, dass eine Vernehmung dieser Person in der Hauptverhandlung möglich bleibt (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Juli 2012 - Nr. 26171/07, NJW 2013, 3225, 3226; Urteil vom 17. April 2014 - Nr. 9154/10 Rn. 68). Art. 6 Abs. 3 lit. d EMRK erfasst auch Aussagen von Mitangeklagten (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Juni 2009 - 4 StR 461/08, StV 2010, 57; Beschluss vom 15. Juni 2010 - 3 StR 157/10, StV 2010, 673), so dass es auf die Prozessrolle der Auskunftsperson im Sinne der Strafprozessordnung nicht ankommt. Daher waren bei der Verfahrensabtrennung auch Maßnahmen zu erwägen, die eine konfrontative Befragung des vormaligen Mitangeklagten und jetzigen Zeugen S. durch den Beschwerdeführer oder seinen Verteidiger in der neuen Hauptverhandlung ermöglichen konnten. Überlegungen des Gerichts in diese Richtung sind nicht ersichtlich.
Im Sinne eines Besorgnisgrundes gemäß § 24 Abs. 2 StPO erscheint es problematisch, dass der Mitangeklagte S. nach einem ihn in - selbst nach Meinung des Landgerichts - anfechtbarer Weise begünstigenden Urteil ohne weitere Sachaufklärung mit der absehbaren Folge entlassen wurde, dass das Konfrontationsrecht des Beschwerdeführers in der neuen Hauptverhandlung nicht mehr wahrgenommen werden konnte.
All dies sind besondere Umstände, welche die Vorbefassung des abgelehnten Vorsitzenden mit der Sache hier zu einem berechtigten Grund für die Besorgnis der Befangenheit erstarken lassen.
bb) Auch die wiederholte Zurückweisung des vom Wahlverteidiger gestellten Antrags auf Entpflichtung des gerichtlich bestellten Verteidigers lässt besorgen, dass der abgelehnte Richter dem Beschwerdeführer nicht unvoreingenommen gegenübergestanden hat.
(1) Für die Aufrechterhaltung der gerichtlichen Verteidigerbestellung nach Anzeige eines Wahlmandats entgegen § 143 StPO war kein Raum. Nach dieser Vorschrift ist die Bestellung zurückzunehmen, wenn ein anderer Verteidiger gewählt wird und dieser die Wahl annimmt. Eine Verteidigerbestellung kann - als ungeschriebene Ausnahme von der gesetzlichen Regel - nur aufrecht erhalten werden, wenn konkrete Gründe für die Annahme vorhanden sind, andernfalls sei die ordnungsgemäße Durchführung der Hauptverhandlung gefährdet (vgl. LR/Lüderssen/Jahn, StPO, 26. Aufl., § 141 Rn. 39 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 143 Rn. 2; SK/Wohlers, StPO, 4. Aufl., § 143 Rn. 6). Mit Blick auf die Erklärung des gewählten Verteidigers, er werde an der Hauptverhandlung teilnehmen, bestand kein Grund zu der Annahme, er werde für die nach der Terminplanung nur eintägige Hauptverhandlung nicht zur Verfügung stehen (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. Januar 2000 - 3 Ws 31/00, StV 2001, 610 f.).
(2) Zudem begegnet die Aufrechterhaltung der Bestellung eines Verteidigers aus derselben Bürogemeinschaft wie der Verteidiger des Mitangeklagten jedenfalls nach den Hinweisen auf einen Interessenkonflikt durchgreifenden Bedenken.
Ein konkret manifestierter Interessenkonflikt ist - unabhängig vom Fall des § 143 StPO - ein Grund, von der Verteidigerbestellung abzusehen oder eine bereits bestehende Bestellung aufzuheben, weil dadurch die mindere Effektivität des Einsatzes dieses Verteidigers für seinen Mandanten zu befürchten ist (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Januar 2003 - 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 173; OLG Frankfurt, Beschluss vom 28. Januar 1999 - 3 Ws 53, 54/99, StV 1999, 199, 200; OLG Hamm, Beschluss vom 1. Juni 2004 - 2 Ws 156/04, StV 2004, 641 f.; KK/Laufhütte/Willnow, StPO, 7. Aufl., § 142 Rn. 7). Das Verbot, widerstreitende Interessen zu vertreten, ist geeignet und erforderlich, im Interesse von Mandanten und Rechtspflege die mit dem Gesetz bezweckten Ziele zu erreichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. Juli 2003 - 1 BvR 238/01, BVerfGE 108, 150, 167).
Zwar ist eine Verteidigerbestellung von Anwälten aus derselben Kanzlei für Mitbeschuldigte nicht generell unzulässig (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 1976 - 2 BvR 23/76, BVerfGE 43, 79, 93 f.; OLG Rostock, Beschluss vom 17. März 2003 - 1 Ws 64/03, StV 2003, 373, 374). Eine gemeinschaftliche Verteidigung kann bei gleichartigem Verteidigungsziel auch sachdienlich sein (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 20. August 2002 - 1 Ws 318/02, JR 2003, 346 ff. mit Anm. Beulke). Liegen aber konkrete Hinweise auf einen Interessenkonflikt vor, hat eine Verteidigerbestellung von Sozien oder Mitgliedern einer Bürogemeinschaft für die Beschuldigten aus Gründen der Fairness des Verfahrens zu unterbleiben; eine bereits erfolgte Bestellung ist in diesem Fall aufzuheben (vgl. OLG Stuttgart, Beschluss vom 5. September 2000 - 5 Ws 31/00, StV 2000, 656, 658).
Ob ein solcher Interessenkonflikt vorliegt, ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu prüfen und objektiv zu bestimmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. April 2012 - AnwZ [Brfg] 35/11, NJW 2012, 3039, 3040). Das Verteidigungsziel der Mitangeklagten, die sich im Vorverfahren der Allein- oder Haupttäterschaft des jeweils anderen bezichtigten, war aus deren Einlassungen gegenüber der Zollbehörde und der Ermittlungsrichterin zu erkennen. Diese lagen auch der Anklageschrift vom 23. Januar 2013 zu Grunde, wonach der Beschwerdeführer die Tat vom 19. November 2011 eingeräumt, diejenige vom 19. Januar 2013 aber bestritten und auf den Mitangeklagten S. als Alleintäter verwiesen hatte, während S. den Beschwerdeführer als Haupttäter bezeichnet hatte. Aus dieser Beweislage ergab sich schon zurzeit der Verteidigerbestellung ein konkreter Interessenwiderstreit (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juni 2008 - 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307, 311), der im Verlauf des Verfahrens nicht entfallen ist.
Die Folge eines derartigen Interessenwiderstreits sind berufsrechtliche Hindernisse für die Wahrnehmung der Verteidigermandate durch Mitglieder einer Sozietät oder Bürogemeinschaft im Sinne von § 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 BORA n.F. Das berufsrechtliche Vertretungsverbot ist zwar nicht mit der strafprozessrechtlichen Bewertung aufgrund von § 143 und § 146 StPO identisch; jedoch kommt der - mit Wirkung vom 1. Juni 2006 neugefassten und verfassungskonformen (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 594/06, NJW 2006, 2469) - Regelung des § 3 Abs. 2 Satz 1 BORA eine Orientierungswirkung zu (so zur früheren Fassung BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 1997 - 2 BvQ 32/97, StV 1998, 356, 357). Danach ist auch für das Gericht bei der Verteidigerbestellung ein Mandat für Rechtsanwälte aus einer Bürogemeinschaft zu vermeiden, wenn ein konkreter Interessenkonflikt besteht oder abzusehen ist. Gewählte Verteidiger haben in diesem Fall nach der zwingenden Regel des § 3 Abs. 4 BORA das Mandat niederzulegen. Dieselbe Interessenlage gebietet, gerichtliche Beiordnungs- oder Bestellungsakte zu unterlassen oder aufzuheben. Hinsichtlich der Interessenlage besteht kein Unterschied zwischen bestellten und gewählten Verteidigern (vgl. OLG Stuttgart aaO). Es wäre widersprüchlich und überdies grob unbillig anzunehmen, die Regelungen der StPO zwängen Strafverteidiger dazu, Pflichtmandate zu übernehmen oder aufrechtzuerhalten, deren "unverzügliche" Niederlegung aus Gründen des Mandantenschutzes ihnen das Berufsrecht im Fall der Wahlverteidigung gebietet.
Bedenken gegen die Aufrechterhaltung der Verteidigerbestellung wegen des Interessenkonflikts, die der Wahlverteidiger gegenüber dem abgelehnten Vorsitzenden ausdrücklich angesprochen hatte, wären bei der Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Verteidigerbestellung zu berücksichtigen gewesen. Der Vorsitzende ist in seinen ablehnenden Entscheidungen hierauf aber nicht eingegangen, obwohl es sich aufdrängen musste. Auch hieraus konnte die Besorgnis seiner Befangenheit hergeleitet werden. Denn das - mit überdies schwer nachvollziehbaren Gründen - fortgesetzte Beharren des Vorsitzenden auf der Beiordnung des Pflichtverteidigers trotz nicht nur erkennbaren, sondern auch tatsächlich erkannten Interessenkonflikts mit der Verteidigung des früheren Mitangeklagten S. konnte bei dem Angeklagten den Eindruck nahelegen, der abgelehnte Richter stehe seinen berechtigten Interessen nicht oder jedenfalls nicht mehr mit der gebotenen Neutralität gegenüber, sondern wolle ein bereits feststehendes "Programm" der Gesamterledigung beider Verfahren zu seinem Nachteil verwirklichen.
(3) Die Annahme des Landgerichts, der Interessenkonflikt sei durch rechtskräftige Aburteilung des Mitangeklagten und dessen Ausscheiden als Mitangeklagter aus dem Verfahren beendet, ist unzutreffend. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 356 StGB kommt es für die Frage eines Interessenkonflikts nicht auf die Mandatsbeendigung an (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1986 - 1 StR 519/86, BGHSt 34, 190, 191; Beschluss vom 15. Januar 2003 - 5 StR 251/02, BGHSt 48, 170, 172). Auch berufsrechtlich folgt aus § 3 Abs. 1 BORA, dass ein Vertretungsverbot bei widerstreitenden Mandaten anzunehmen ist, wenn der Rechtsanwalt einen anderen Mandanten beraten oder vertreten hat; § 3 Abs. 2 Satz 1 BORA erstreckt dieses Verbot auf Sozien und Mitglieder einer Bürogemeinschaft. Auch die faktische Interessenlage, die bei der Entscheidung nach § 143 StPO im Vordergrund steht, wird durch Beendigung eines Mandats nicht grundlegend verändert. Die kollegiale Verbundenheit der Rechtsanwälte und ihre Möglichkeit zur Nutzung gemeinsamer Mittel bleiben bestehen. Auch insoweit gilt es, einem Anschein mangelnder Neutralität entgegenzuwirken (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 2006 - 1 BvR 594/06, NJW 2006, 2469, 2470).
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BGH:
Urteil v. 11.06.2014
Az: 2 StR 489/13
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