Oberlandesgericht Celle:
Beschluss vom 12. März 2004
Aktenzeichen: 8 W 105/04
(OLG Celle: Beschluss v. 12.03.2004, Az.: 8 W 105/04)
1. Unterhält ein Unternehmen keine eigene Rechtsabteilung, sondern beauftragt bei rechtlichen Streitfragen einen Hausanwalt an seinem Geschäftsort, so sind dessen Fahrt und Reisekosten zum Prozessgericht grundsätzlich erstattungsfähig. Ob dem Unternehmen die Einrichtung einer eigenen Rechtsabteilung möglich und zumutbar ist, bleibt demgegenüber in der Regel außer Betracht (hier: Verbraucherschutzverein).
2. Lässt die Partei in diesen Fällen den Termin vor dem Gericht durch einen Unterbevollmächtigten am Sitz des Prozessgerichts wahrnehmen, so sind die Kosten der Einschaltung des Unterbevollmächtigten dann nicht erstattungsfähig, wenn sie die fiktiven Reisekosten des am Sitz der Partei ansässigen Hauptbevollmächtigten wesentlich, d. h. in der Regel um mehr als 10 % übersteigen. In einem solchen Fall sind aber zumindest die fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten erstattungsfähig.
Tenor
Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die dem Kläger vom Beklagten zu erstattenden Kosten festgesetzt werden auf weitere 507,12 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit dem 9. Februar 2004.
Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens nach einem Beschwerdewert von 507,12 €. Im übrigen ergeht die Entscheidung gerichtskostenfrei.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 104 Abs. 3 S. 1 ZPO i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG) und begründet.
Die Entscheidung des Rechtspflegers ist insoweit nicht zu beanstanden, als die Einschaltung von Unterbevollmächtigten vorliegend zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung gem. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nicht notwendig war. Demgegenüber sind zugunsten des Kläger jedenfalls die fiktiven Reisekosten eines am Sitz des Kläger ansässigen Rechtsanwaltes zur Wahrnehmung des Termins vor dem Landgericht Lüneburg erstattungsfähig. Insoweit hat die sofortige Beschwerde, mit der nur noch diese fiktiven Reisekosten von 507,12 € geltend gemacht werden, begründet.
Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Zuziehung eines am oder in der Nähe des Wohn- oder Geschäftsortes der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig im Sinne von § 91 Abs. 2 S. 1 Halbsatz 2 ZPO anzusehen (Beschluss des BGH vom 16. Oktober 2002, in: MDR 2003, 233). Dem steht namentlich nicht die Vorschrift des § 91 Abs. 2 S. 2 ZPO entgegen, der die Erstattung von Mehrkosten ausschließt, die durch die Beauftragung eines am Prozessgericht zugelassenen, dort aber nicht ansässigen Rechtsanwaltes entstehen. Unter €Zulassung€ im Sinne dieser Bestimmung ist nämlich nur die berufsrechtliche Zulassung des Rechtsanwaltes bei einem bestimmten Gericht gem. §§ 18 ff BRAO, nicht dagegen die Postulationsfähigkeit gem. § 78 ZPO zu verstehen.
Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit gilt dann, wenn ein gewerbliches Unternehmen, das über eine eigene, die Sache bearbeitende Rechtsabteilung verfügt, die Führung eines Prozesses vor einem auswärtigen Gericht einem am Sitz des Unternehmens tätigen Rechtsanwalt überträgt (BGH NJW 2003, 2027). In diesen Fällen ist davon auszugehen, dass der Rechtsstreit durch sachkundige Mitarbeiter der Rechtsabteilung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht vorbereitet und die Partei daher in der Lage sein wird, einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt umfassend schriftsätzlich zu informieren. Diese Voraussetzungen liegen hier indessen nicht vor, da der Kläger unbestritten vorgetragen hat, dass er zwar über eine halbtags beschäftigte Juristin verfügt, deren Tätigkeit sich indessen lediglich auf die Ausbildung der Beratungskräfte bzw. die juristische Beantwortung von Anfragen durch Verbraucher bezieht, während die nur einen Randbereich des Aufgabenfeldes des Klägers ausmachende Verbandsklagetätigkeit im Bereich des UWG-Rechtes gerade nicht zu ihren Aufgaben gehört, sie entsprechend diesen Rechtsstreit auch nicht bearbeitet hat.
Der Kläger muss sich auch nicht so behandeln lassen, als ob er über eine eigene Rechtsabteilung verfügt. Maßgebend im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens ist die tatsächliche Organisation der Partei. Unterhält sie keine eigene Rechtsabteilung, sondern beauftragt bei rechtlichen Schwierigkeiten einen Hausanwalt an ihrem Geschäftsort (sog. €Outsourcing€), so sind dessen Fahrt- und Reisekosten zum Prozessgericht erstattungsfähig (vgl. Beschluss des BGH vom 11. November 2003 - VI ZB 41/03 -). Maßgebend hierfür ist, dass es im Rahmen der Kostenerstattung auf die tatsächliche Organisation des Betriebs der Partei ankommt und nicht darauf, welche das Gericht für zweckmäßig hält. Die interne Organisation des Betriebs des Gegners hat der Prozessgegner vielmehr hinzunehmen (BGH, a. a. O.). Für eine erweiternde Auslegung des eng auszulegenden Ausnahmetatbestandes bezüglich der grundsätzlichen Erstattungsfähigkeit der Kosten eines am Sitz der Partei ansässigen Bevollmächtigten ist in diesen Fällen kein Raum (BGH, a. a. O.).
Soweit der Bundesgerichtshof hiervon wiederum eine Ausnahme für einen Verband zur Förderung gewerblicher Interessen gemacht hat (vgl. Beschluss vom 18. Dezember 2003 - I ZB 18/03 -), beruht dies darauf, dass ein solcher Verband, der sich gerade damit befasst, Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht zu verfolgen (§ 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG), wie ein Unternehmen mit eigener Rechtsabteilung behandelt werden muss. Ein solcher Verband muss nämlich personell und sachlich so ausgestattet sein, dass er das Wettbewerbsgeschehen beobachten und bewerten kann. Er muss deshalb auch ohne anwaltlichen Rat in der Lage sein, typische und durchschnittlich schwer zu verfolgende Wettbewerbsverstöße zu erkennen und abzumahnen. Ihm ist es infolgedessen zumutbar, unmittelbar einen am Sitz des Prozessgerichts ansässigen Rechtsanwalt mündlich oder schriftlich zu informieren.
Mit einem derartigen Wettbewerbsverein, zu dessen Hauptaufgabe die Wahrung der gewerblichen Interessen seiner Mitglieder, insbesondere der Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs gehört, lässt sich der Kläger als Verbraucherzentrale indessen nicht vergleichen. Er hat unbestritten vorgetragen, Schwerpunkt seiner Tätigkeit mit ca. 120 Mitarbeitern in 17 Beratungsstellen sei die Durchführung von ca. 500.000 Verbraucherberatungen pro Jahr, 2.000 Interviews in verschiedenen Medien, Pressemitteilungen sowie Durchführung von Vorträgen und Veranstaltungen. Der Bereich von Verbandsverfahren im Wettbewerbs- und AGB-Recht mache demgegenüber nur einen Randbereich seiner Tätigkeit aus und betreffe nur ca. 50 streitige Verfahren jährlich. Hier kann es dem Kläger nicht zugemutet werden, zur Durchführung auch dieser Aufgabe eine eigene Rechtsabteilung aufzubauen, wofür die Beschäftigung einer Juristin als Halbtagskraft gerade nicht genügt. Lässt er diese Fälle durch Rechtsanwälte am Sitz seines Geschäftsortes im Rahmen des €Outsourcing€ wahrnehmen, so beruht dies auf einer zulässigen Gestaltung seines Geschäftsbetriebes.
Der Kläger kann daher die Kosten erstattet verlangen, die bei der Terminswahrnehmung durch einen am Sitz seines Geschäftsortes ansässigen Rechtsanwaltes entstanden wären. Dies wären gem. § 28 BRAGO hier Fahrt- und Übernachtungskosten sowie Abwesenheitsgelder von zusammen 507,12 € gewesen, wie sie der Kläger in seiner Beschwerde im einzelnen aufgelistet hat. Insoweit bestehen hier auch keine Bedenken, soweit Fahrtkosten 1. Klasse für eine Bahnfahrt von 277,20 € angesetzt werden. Bei einer Anreise per PKW und einer einfachen Entfernung Stuttgart € Lüneburg von 666 km wären hier gem. § 28 Abs. 2 Ziff. 1 BRAGO sogar Fahrtkosten von 359,64 € angefallen (1332 km x 0,27 €).
Soweit der Kläger den Termin vor dem Landgericht tatsächlich nicht durch seine am Sitz des Geschäftsortes ansässigen Hauptbevollmächtigten, sondern durch Unterbevollmächtigte am Sitz des Prozessgerichts hat wahrnehmen lassen, kann er die hierdurch entstandenen Zusatzkosten zwar nicht in vollem Umfang geltend machen. Diese Zusatzkosten von insgesamt 902,48 € durch die Einschaltung der Unterbevollmächtigten liegen nämlich wesentlich über denen, die der Kläger durch die fiktiven Reisekosten eines an seinem Sitz ansässigen Hauptbevollmächtigten erspart hätte. Eine derartige wesentliche Überschreitung liegt in der Regel vor, wenn die zusätzlich verursachten Kosten des Unterbevollmächtigten die fiktiven Reisekosten um mehr als 10 % überschreiten (BGH MDR 2003, 233, 236). So liegt es hier.
Dies bedeutet umgekehrt allerdings nicht, dass dem Kläger insoweit keinerlei erstattungsfähige Kosten entstanden wären. Auch bei Einschaltung eines Unterbevollmächtigten kann er nicht schlechter stehen, als wenn er den Termin vor dem Prozessgericht durch einen an seinem Sitz ansässigen Prozessbevollmächtigten wahrgenommen hätte. Dessen fiktive Reisekosten von 507,12 € sind deshalb erstattungsfähig.
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens richtet sich nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Im Übrigen ergeht die Entscheidung gerichtskostenfrei (Anl. 1 zu § 11 Abs. 1 GKG Kostenverzeichnis Nr. 1957).
OLG Celle:
Beschluss v. 12.03.2004
Az: 8 W 105/04
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