Oberlandesgericht Hamburg:
Urteil vom 2. Juni 2005
Aktenzeichen: 3 U 1/05

(OLG Hamburg: Urteil v. 02.06.2005, Az.: 3 U 1/05)

1. Die Dringlichkeitsvermutung in Wettbewerbssachen (§ 12 Abs. 2 UWG) wird nicht dadurch widerlegt, dass in einer früheren Pharmawerbung bereits ein Foto mit inhaltlich gleichem Bildmotiv (hier: Mann mit Kind) für dasselbe Arzneimittel verwendet worden ist, aber die dazu verwendeten Slogans auch in der Zusammenschau mit dem Bildmotiv in ihrer Aussage thematisch anders sind (jetzt: Arzneimittel speziell für Kinder; früher: Behandlung von Personen unterschiedlichen Alters).

2. Werden in der Werbung für ein Arzneimittel gegen Bluthochdruck ein Mann und ein Kind so abgebildet, dass beide gleichermaßen betont kraftvoll und vital wirken, so werden die angesprochenen Fachkreise das in Beziehung zur Anwendung des Arzneimittels setzen, und zwar in ihrer fachlichen Vorkenntnis, dass es auch Hypertoniepatienten unter 18 Jahren gibt. Mangels einer Differenzierung in der Werbeaussage entsteht der Eindruck, das Mittel könne unbedenklich (auch) bei Kindern eingesetzt werden.

Tenor

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen vom 2. November 2004 abgeändert.

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts vom 23. August 2004 wird, soweit nicht der Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, erneut erlassen, und zwar zu den Ziffern I. 1.), 2.) und 4.) der Beschlussverfügung, jeweils verknüpft mit "und/oder",

und zwar bei Ziffer I. 4.) mit der Maßgabe, dass die Angabe auch dann zu unterlassen ist, wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass die genannten Äquivalenzdosen die Indikation der essentiellen Hypertonie betreffen und als "ungefähres Maß" anzusehen sind.

Von den Kosten der ersten Instanz (Erlass- und Widerspruchsverfahren) tragen die Antragstellerin 1/4 und die Antragsgegnerin 3/4.

Von den Kosten des Berufungsverfahrens die Antragstellerin 5/18 und die Antragsgegnerin 13/18.

In Ergänzung der Wertfestsetzung des Landgerichts vom 23. August 2004 wird der Wert des Streitgegenstandes für das Widerspruchsverfahren zunächst auf 500.000 EUR festgesetzt. Durch die teilweise Erledigungserklärung ermäßigt sich der Streitwert auf 450.000 EUR.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren zunächst auf 450.000 EUR festgesetzt. Von der weiteren teilweisen Erledigungserklärung an ermäßigt sich der Streitwert auf 325.000 EUR.

Gründe

A.

Die Parteien vertreiben verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Behandlung des Bluthochdrucks (der sog. essenziellen Hypertonie) aus der Gruppe der AT1-Antagonisten (sog. Sartane ) und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Antragsgegnerin warb für ihr Arzneimittel p_... (Wirkstoff: Irbesartan ) mit dem Werbefolder: "Blutdruck senken voller Kraft" (Anlage ASt EV 3) sowie mit einer Werbekarte: "Olympische Spiele in Athen... Spitzenleistungen zu erwarten" (Anlage ASt EV 4).

Die Antragstellerin beanstandet diese Werbung als unlauter und nimmt die Antragsgegnerin vorliegend deswegen im Wege der einstweiligen Verfügung auf Unterlassung in Anspruch.

Der Werbefolder der Antragsgegnerin ("Blutdruck senken voller Kraft": Anlage ASt EV 3) zeigt auf dem Deckblatt - das betrifft das Verbot zu Ziffer 1.) der Beschlussverfügung - blickfangmäßig die Abbildung eines erwachsenen Mannes und eines Kindes vor Dünengras mit Sandstrand, dahinter sieht man eine ruhige Wasserfläche und am Horizont eine Sandbank, über der sich ein hoher Himmel erstreckt. Beide Personen stehen nebeneinander und recken ihre weit ausgebreiteten Hände und Arme in den Himmel zu dem roten Bogen des p_...-Logos empor. In das Bild ist der Titel des Folders ("Blutdruck senken voller Kraft") eingeblendet.

Auf demselben Deckblatt des Werbefolders - das betrifft das Verbot zu Ziffer 2.) der Beschlussverfügung - sind unterhalb der Abbildung (Erwachsener und Kind) folgende Angaben eingeblendet: "Blutdruck senken. Nieren schützen bei hypertensiven Typ-2-Diabetikern. p_... - Irbesartan . Kraftvoller Schutz - Tag und Nacht. MIKROALBUMINURIE " (Anlage ASt EV 3).

Auf der rechten Innenseite des Werbefolders - das betrifft das Verbot zu Ziffer 3.) der Beschlussverfügung - wird tabellarisch eine "Abgrenzung Mikro-/Makroalbuminurie" dargestellt (Anlage ASt EV 3).

Die Werbekarte der Antragsgegnerin ("Olympische Spiele in Athen... Spitzenleistungen zu erwarten": Anlage ASt EV 4) stellt in einer tabellarischen Übersicht "Äquivalenzdosen der AT1-Blocker" gegenüber; das betrifft das Verbot zu Ziffer 4.) der Beschlussverfügung.

Die Antragstellerin vertreibt in Deutschland die Fertigarzneimittel W. (Wirkstoff: W.-Kalium; vgl. dazu die Fachinformation: Anlage ASt EV 1).

Das Landgericht Hamburg (315 O 797/04) hat mit seiner Beschlussverfügung vom 23. August 2004 der Antragsgegnerin unter Androhung von bestimmten Ordnungsmitteln verboten,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken

1. die Fertigarzneimittel p.TM 75 mg Tabletten und/oder p.TM 150 mg Tabletten und/oder p.TM 300 mg Tabletten mit einer Abbildung eines Kindes wie folgt zu bewerben: (es folgt die Abbildung "erwachsener Mann und Kind" als Ausschnitt aus dem Deckblatt des Werbefolders: vgl. Anlage ASt EV 3);

und/oder

2. die Fertigarzneimittel p.TM 75 mg Tabletten und/oder p.TM 150 mg Tabletten wie folgt zur Behandlung der Mikroalbuminurie zu bewerben (es folgt die Kopie des unteren Teils des Deckblatts des Werbefolders mit der Angabe " MIKROALBUMINURIE ": vgl. Anlage ASt EV 3);

und/oder

3. anzugeben, unter p.TM 75 mg Tabletten und/oder p.TM 150 mg Tabletten und/oder p.TM 300 mg Tabletten könne die Progredienz der Nephropathie bei Mikroalbuminurie "gestoppt" werden, wie folgt (es folgt die Kopie der tabellarischen "Abgrenzung Mikro-/Makroalbuminurie" aus der rechten Innenseite des Werbefolders; vgl. Anlage ASt 3);

und/oder

4. anzugeben, p. 150 mg und W. 100 mg seien " Äquivalenzdosen" , wie folgt (es folgt die Kopie der tabellarischen Übersicht "Äquivalenzdosen der AT1-Blocker" aus der Werbekarte: vgl. Anlage ASt EV 4).

Durch Beschluss vom 20. September 2004 hat sich die Zivilkammer 15 des Landgerichts Hamburg für funktionell unzuständig erklärt und den Rechtsstreit auf Antrag der Antragsgegnerin an die Kammer 16 für Handelssachen des Landgerichts Hamburg verwiesen.

In Bezug auf die Beschlussverfügung zu Ziffer 3.) hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 3. September 2004 die strafbewehrte Verpflichtungserklärung abgegeben, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken anzugeben, unter p. TM 75 mg Tabletten und/oder p. TM 150 mg Tabletten und/oder p. TM 300 mg Tabletten könne die Progredienz der Nephropathie bei Mikroalbuminurie "gestoppt" werden, wenn dies wie folgt geschieht (folgt Tabelle "Abgrenzung Mikro-/Makroalbuminurie - vgl. B. 35-36).

In der Widerspruchsverhandlung hat die Antragstellerin insoweit beantragt, Ziffer 3.) der Beschlussverfügung mit der Maßgabe zu bestätigen,

dass dies auch dann gilt, wenn die Antragsgegnerin angibt, die Progredienz der Nephropathie könne "verzögert" und/oder "gebremst" werden.

In Bezug auf die Beschlussverfügung zu Ziffer 4.) hat die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 3. September 2004 außerdem die strafbewehrte Verpflichtungserklärung abgegeben, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken anzugeben, p. TM 150 mg und W. 100 mg seien " Äquivalenzdosen" , wenn dies wie folgt geschieht: (folgt Tabelle "Äquivalenzdosen der AT1-Blocker"), ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die genannten Äquivalenzdosen die Indikation der essentiellen Hypertonie betreffend und als ungefähres Maß anzusehen sind.

In der Widerspruchsverhandlung haben die Parteien im Umfang dieser Unterlassungserklärung insoweit den Rechtsstreit teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt und insoweit wechselseitige Kostenanträge gestellt.

Im Übrigen hat die Antragstellerin - das ist im Tatbestand des Urteils des Landgerichts aktenwidrig weggelassen worden - in der Widerspruchsverhandlung beantragt, insoweit die Beschlussverfügung zu Ziffer 4.) mit der Maßgabe zu bestätigen,

dass die Angabe auch dann zu unterlassen ist, wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass die genannten Äquivalenzdosen die Indikation der essentiellen Hypertonie betreffen und als "ungefähres Maß" anzusehen sind (Bl. 54).

Durch Urteil vom 2. November 2004 hat das Landgericht die Beschlussverfügung aufgehoben, soweit die Parteien das Verfahren nicht übereinstimmend für erledigt erklärt haben, und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Auf das Urteil wird wegen aller Einzelheiten Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Antragstellerin mit der Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

In der Berufungsverhandlung haben die Parteien den Verfügungsantrag zu Ziffer 3.) im Hinblick auf die erstinstanzlich abgegebene Unterlassungsverpflichtungserklärung (Bl. 35-36) übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Antragstellerin beantragt (wegen der ursprünglich angekündigten Anträge: Bl. 101-103),

die einstweilige Verfügung erneut zu erlassen, und zwar zu Ziffer 1.) und 2.) gemäß der Beschlussverfügung und zu Ziffer 4.) in der Fassung, wie in der Widerspruchsverhandlung gestellt.

Die Antragsgegnerin bittet um Zurückweisung der Berufung.

B.

Die zulässige Berufung der Antragstellerin hat Erfolg. Demgemäß ist die einstweilige Verfügung erneut zu erlassen, soweit die Parteien nicht den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

Der Gegenstand des Berufungsverfahrens sind, nachdem der Rechtsstreit hinsichtlich des Verfügungsantrages zu Ziffer 3.) in der Berufungsverhandlung übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist, die Verfügungsanträge zu Ziffern 1.) und 2.) gemäß der Beschlussverfügung des Landgerichts und zu Ziffer 4.) gemäß der in der Widerspruchsverhandlung gestellten Fassung. Die Verbotsaussprüche sind antragsgemäß jeweils mit "und/oder" zu verknüpfen.

I.

Der Verfügungsantrag gemäß Ziffer 1.) der Beschlussverfügung ist nach Auffassung des Senats begründet (§§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG, § 3 HWG).

Nach diesen Vorschriften kann die Antragstellerin von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese es unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken die Fertigarzneimittel p. TM 75 mg Tabletten und/oder p.TM 150 mg Tabletten und/oder p.TM 300 mg Tabletten mit einer Abbildung eines Kindes wie aus der Beschlussverfügung des Landgerichts unter Ziffer I. 1.) ersichtlich zu bewerben (d. i. die oben beschriebene Abbildung "erwachsener Mann und Kind" als Ausschnitt aus dem Deckblatt des Folders: vgl. Anlage ASt EV 3).

1.) Der Gegenstand des Unterlassungsantrages ist die werbliche Verwendung der beanstandeten Abbildung für das Arzneimittel p. in den genannten Wirkstoffstärken, und zwar die Verwendung der Bilddarstellung mit dem eingeblendeten Text ("Blutdruck senken voller Kraft) und den übrigen Angaben in der konkreten Beanstandungsform. Bestandteil des Verbotsausspruchs ist - wie in der Beschlussverfügung des Landgerichts - der Ausschnitt der Abbildung "erwachsener Mann und Kind" aus dem Deckblatt des Werbefolders (Anlage ASt EV 3).

2.) Die Dringlichkeit für das einstweilige Verfügungsverfahren ist insgesamt gegeben (§ 12 Abs. 2 UWG), sie ist hinsichtlich des Verfügungsantrages zu Ziffer 1.) vom Landgericht im Ergebnis zutreffend bejaht worden.

In Wettbewerbsstreitsachen wird das Bestehen der Eilbedürftigkeit gemäß § 12 Abs. 2 UWG vermutet. Diese Vermutung ist nicht widerlegt. Die Antragstellerin ist nach Kenntnis des beanstandeten Verletzungsfalles gegen diesen alsbald und nicht verzögert vorgegangen.

(a) Die Antragsgegnerin hat nicht etwa eingewandt, der Antragstellerin sei die vorliegend angegriffene Werbung gemäß dem Deckblatt des Werbefolders mit der oben beschriebenen Abbildung "erwachsener Mann und Kind" und mit dem Slogan: "Blutdruck senken voller Kraft" in dieser konkreten Gestaltung (Anlage ASt EV 3) schon seit längerem bekannt gewesen. Insoweit kommt eine Widerlegung der Dringlichkeitsvermutung nicht in Betracht.

(b) Die Antragsgegnerin hat vielmehr damit argumentiert, das in ihrer Werbung verwendete Bildmotiv "erwachsener Mann und Kind" sei der Antragstellerin seit Juli 2003 bekannt gewesen. Das Argument greift nicht durch.

Der Einwand der Antragsgegnerin bezieht sich auf eine frühere Werbung der Antragsgegnerin für p. und COp., die Gegenstand eines früheren Verfügungsverfahren (Landgericht Hamburg 315 O 502/03) und nachfolgendem Hauptsacheklageverfahren (Landgericht Hamburg 407 O 79/04) gewesen sind, der dortige Verfügungsantrag datiert vom 8. September 2003 (Anlagen ASt EV 11-12). Die in jenen Verfahren zum Gegenstand der Unterlassungsanträge gemachte Werbung (vgl. in Anlage ASt EV 11 die Unteranlagen A und B) weicht von der vorliegend angegriffenen Werbemaßnahme in wesentlichen Punkten von einander ab. Auf die bloße Übereinstimmung im Bildmotiv (die Werbefotos sind als solche auch nicht völlig identisch) ist wegen der unterschiedlichen Streitgegenstände nicht abzustellen.

Die damals verwendeten Werbefotos zeigen einen erwachsenen Mann und ein Kind am Meer, beide stehen und strecken ihre weit ausgebreiteten Hände und Arme in den Himmel, über ihnen wölbt sich der Bogen des Logos (Anlage ASt EV 11, dort die Unteranlagen A und B). Im Bildmotiv stimmen die Fotos demgemäß mit der hiesigen Abbildung überein (Anlage ASt EV 3); die Abweichungen im Hintergrund, in der Blickrichtung des Betrachters und in der übrigen Körperhaltung der abgebildeten Personen sind eher unwesentlich.

Die in den früheren Verfahren beanstandete Werbung unterschied sich aber in dem in die Abbildung eingeblendeten, auf die Arzneimittel p. und CO-p. bezogenen Slogan, dieser lautete damals "Blutdruck senken voller Kraft - ein Leben lang." (Anlage ASt EV 11, dort die Unteranlagen A und B) und die den Streitgegenstand maßgebliche Beanstandung ging dahin, der Slogan suggeriere eine Anwendbarkeit der Arzneimittel p. und/oder CO-p. in allen Lebensabschnitten, visualisiert durch die abgebildeten Personen unterschiedlichen Lebensalters. Demgegenüber lautet, wie ausgeführt, der vorliegend angegriffene Werbehinweis für p.: "Blutdruck senken voller Kraft" und die streitgegenständlich Beanstandung geht dahin, das (auch) abgebildete Kind visualisiere nunmehr die besondere Aussage einer Behandlung mit p. bei Kindern (Anlage ASt EV 3).

Den nunmehr geltend gemachten Unterlassungsanspruch konnte die Antragstellerin erst nach Kenntnisnahme des jetzigen Verletzungsfalles (Anlage ASt EV 3) verfolgen. Es war damals - etwa im früheren Verfügungsverfahren - nicht absehbar, dass und gegebenenfalls wie die Antragsgegnerin ihre Werbung abändern würde.

Die von der Antragsgegnerin argumentativ betonte Übereinstimmung im Bildmotiv der Werbung ist für sich gesehen schon deswegen nicht dringlichkeitsschädlich, weil der vorliegende Verletzungsfall - ebenso wie im vorangegangenen Verfügungsverfahren - nicht nur durch das Bildmotiv, sondern maßgeblich auch durch den dazu verwendeten Werbetext bestimmt wird. Dass sich der konkrete Aussageinhalt der Werbung auch bei demselben Bildmotiv durch den Text ändern kann, liegt auf der Hand.

3.) Gemäß § 3 HWG ist eine irreführende Werbung für Arzneimittel unzulässig. Eine Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn unwahre oder zur Täuschung geeignete Angaben über die Beschaffenheit von Arzneimitteln gemacht werden (§ 3 Nr. 3 lit. a HWG).

4.) Bei der beanstandeten Werbung ist auf das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsadressaten der Werbung abzustellen. Da es sich bei p. um ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt, für das eine - ohnehin nicht streitgegenständliche - Publikumswerbung nach § 10 Abs. 1 HWG nicht in Betracht kommt, ist das Verständnis vor allem der Ärzte, aber auch der Apotheker maßgeblich.

Der erkennende Senat kann auf Grund eigener Sachkunde entscheiden, obwohl seine Mitglieder nicht zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören. Schon der allgemeine Sprachgebrauch und das allgemeine Bildverständnis bringen bei der in Rede stehenden Werbung für das Verkehrsverständnis die hinreichende Klarheit. Umstände, die wegen fachspezifischer Besonderheiten ein davon etwa abweichendes Verständnis in Fachkreisen erwarten lassen, sind nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich.

5.) Die beanstandete Werbung der Antragsgegnerin für p. ist irreführend (§ 3 HWG). Sie wird von beachtlichen Teilen der angesprochenen durchschnittlich verständigen, aufmerksamen und informierten Referenzverbraucher (Ärzte und/oder Apotheker) in einer den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Weise verstanden.

(a) Es treten auch bei Kindern unter 18 Jahren Hypertonieerkrankungen auf, wobei die Häufigkeit im Wachstumsalter bei 1-2 % und bei Jugendlichen noch höher liegt. Eine medikamentöse Therapie des Bluthochdrucks mit einem Basistherapeutikum wird bei Kindern unter 18 Jahren bei Versagen der nicht-pharmakologischen Therapie bei milder Hypertonie nach 6 Monaten, bei mittelschwerem und schweren Bluthochdruck bereits vorher eingeleitet. Das hat die Antragstellerin unter Hinweis auf die "Leitlinien für die Prävention, Erkennung, Diagnostik und Therapie der arteriellen Hypertonie" der Deutschen Liga zur Bekämpfung des hohen Blutdrucks e. V. glaubhaft gemacht (Anlage ASt EV 8, Seite 52-53).

Die Ärzte, an die vor allem sich die Antragsgegnerin mit ihrem Werbefolder wendet, wissen also, dass auch Kinder für die Bluthochdruckbehandlung in Betracht kommen können. Der Umstand, dass die Hypertonie weit überwiegend erst im Lebensalter ab 40 Jahren eintritt, steht dem nicht entgegen. Ebenso verhält es sich mit dem Argument der Antragsgegnerin, bei einem Bluthochdruckpatienten unter 18 Jahren sei dem Arzt bekannt, die Behandlung primär durch Gewichtsreduktion und körperliche Bewegung und nicht mit Medikamenten zu versuchen. Denn die beanstandete Werbung spricht gerade die für eine medikamentöse Therapie in Betracht kommenden Fälle bzw. Patienten an.

Dass nicht nur Kinderärzten, sondern z. B. "normalen" niedergelassenen Allgemeinärzten Bluthochdruckpatienten unter 18 Jahren durchaus begegnen können, räumt die Antragsgegnerin selbst ein. Deswegen greift auch nicht ihr Einwand durch, die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie (die Antragsgegnerin) mit dem Werbefolder gegenüber Ärzten geworben habe, die Kinder mit Bluthochdruck als Patienten hätten. Denn im Rahmen des Irreführungstatbestandes kommt es - wie auch bei § 5 UWG - nur auf die Eignung einer Werbung zur Irreführung und nicht auf vorgekommene Fälle der Täuschung an.

(b) Vor diesem Hintergrundwissen des durchschnittlich informierten und verständigen Arztes, der die Werbung der Antragsgegnerin mit der situationsadäquaten Aufmerksamkeit zur Kenntnis nimmt, kann sich ihm angesichts der streitgegenständlichen Abbildung eines erwachsenen Mannes und eines Kindes in der p.-Werbung nur der auf diesem Vorwissen basierende Eindruck aufdrängen, dass das beworbene Arzneimittel p. unbedenklich auch bei Kindern eingesetzt werden kann.

(aa) Beide Parteien gingen und gehen übereinstimmend davon aus, dass die streitgegenständliche Abbildung ein Kind neben dem Mann zeigt. Das ist offenkundig zutreffend, wie schon ein erster Blick auf die Abbildung erkennen lässt. Diese Wahrnehmung wird bei sorgfältigerem Betrachten insoweit nur bestätigt. Weshalb das Landgericht es als "befremdlich" bezeichnet, dass die Parteien übereinstimmend und zutreffend die Abbildung so beschreiben, erschließt sich dem Senat daher nicht.

Das abgebildete Kind steht in der Abbildung deutlich erkennbar auf der rechten Seite direkt neben dem Mann, beide Personen sind im Vordergrund der Bilddarstellung zu sehen. Das Kind ist in der Abbildung nicht etwa nur "Beiwerk", sondern ebenso Hauptteil der Bildthematik wie der erwachsene Mann. Die Körpergröße der etwa halb so kleinen Person neben dem Mann passt im Größenvergleich nur zu der eines Kindes. Die Mutmaßung des Landgerichts, die rechts abgebildete Person sei " perspektifisch (gemeint ist wohl: perspektivisch) als hintere Gestalt abgebildet" ist offenkundig unzutreffend. Zudem ist auch die Figur mit den gut erkennbaren Körperproportionen die eines Kindes.

(bb) Die streitgegenständliche Abbildung suggeriert dem Arzt mit dem oben dargestellten Vorwissen, dass das beworbene Mittel p. gleichsam selbstverständlich auch bei der Behandlung von Kindern unbedenklich eingesetzt werden kann. Der erwachsene Mann und das Kind stehen nebeneinander im Zentrum des abgebildeten Geschehens, der Blick fällt zuerst und gleichberechtigt auf beide Personen. Außer diesen Personen sieht man nur die angedeutete Strandlandschaft. Beide recken ihre Arme in den Himmel, beide wirken in gleicher Weise gesund und lebensfroh. Beide Personen werden zusammen von dem roten Bogen des p.-Logos "überdacht" bzw. "behütet".

(cc) Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts teilt der Senat nicht. Der Umstand, dass die beiden abgebildeten Personen lebensfroh wirken und deswegen, wie das Landgericht zutreffend anmerkt, Lebensfreude ausdrücken, steht dem aufgezeigten Verkehrsverständnis nicht entgegen.

Wenn in der Pharmawerbung wie im vorliegenden Fall vital und kraftvoll wirkende Personen abgebildet werden, dann wird man das selbstverständlich mit der Anwendung des beworbenen Arzneimittels in Beziehung setzen. Dafür spricht schon die Lebenserfahrung. Der inhaltliche Zusammenhang ist auch deswegen sinnfällig, weil gerade geheilte Menschen besondere Lebensfreude empfinden können. Die ausgedrückte positive Stimmung der beanstandeten Werbeabbildung wird der Betrachter daher nahe liegend mit der Behandlung durch p. in Beziehung setzen, und zwar bei dem Erwachsenen ebenso "gleichberechtigt" wie bei dem Kind. Das Verkehrsverständnis wird allerdings, wie ausgeführt, nicht etwa erst oder gar nur durch die Abbildung geprägt, sondern - und vor allem das hat Landgericht nicht berücksichtigt - gerade von dem Vorwissen der Ärzte bestimmt, dass es auch Hypertoniepatienten unter 18 Jahren gibt. Und zu eben diesem Vorwissen passt die Abbildung von einem Erwachsenen und einem Kind ohne jeden Widerspruch.

(dd) Insgesamt hat der Verkehr in der beanstandeten Werbung keinerlei Anhalt für die nach allem fern liegende Vorstellung, dass ausgerechnet bei Kindern das beworbene Arzneimittel p. nicht unbedenklich eingesetzt werden kann. Auch der verwendete, insoweit undifferenziert bleibende Text ("Blutdruck senken voller Kraft") passt zur Behandlung von Erwachsenen und auch Kindern ohne weiteres und in gleicher Weise.

(c) Im Sinne des aufgezeigten Verkehrsverständnisses ist die beanstandete Werbung unrichtig und demgemäß irreführend (§ 3 HWG).

Das Arzneimittel p. kann nicht ohne weiteres und unbedenklich bei Kindern eingesetzt werden. So steht in der Gebrauchsinformation unter der Rubrik "Wann darf p. nicht angewendet werden€" u. a. der Hinweis: "p. soll bei Kindern nicht eingesetzt werden" (Anlage ASt EV 7). Eben dieser Hinweis steht auf dem Werbefolder unter "Gegenanzeigen" (Anlage ASt EV 3).

Zudem ist in der Fachinformation für p. 75 mg, p. 150 mg und p. 300 mg jeweils unter der Ziffer "4.2. Dosierung, Art und Dauer der Anwendung" beim Unterpunkt "Kinder" folgendes vermerkt: "Die Sicherheit und Wirksamkeit von p. bei Kindern ist nicht untersucht worden" (Anlage ASt EV 2). Auch insoweit kann keine Rede davon sein, dass p. bei Kindern ohne weiteres und unbedenklich eingesetzt werden könnte.

6.) Die Bestimmung des § 3 HWG ist eine gesetzliche Vorschrift im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG, sie ist auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Es geht zudem bei dem Verbot des § 3 HWG um spezielle Formen der irreführenden Werbung und insoweit um eine Ergänzung des § 5 UWG.

7.) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Insbesondere erfasst der Antrag die konkrete Verletzungsform .

Der Werbefolder der Antragsgegnerin (Anlage ASt EV 3) zeigt, wie ausgeführt, auf dem Deckblatt blickfangmäßig die geschilderte Abbildung "erwachsener Mann und Kind". Obwohl der in den Antrag gemäß der Beschlussverfügung aufgenommene Abbildungsausschnitt das Deckblatt des Folders nur teilweise wiedergibt, ist damit das Charakteristische der beanstandeten Werbung erfasst. Der Ausschnitt erfasst die Abbildung vollständig und damit auch den eingeblendeten Hinweis: "Blutdruck senken mit voller Kraft" sowie den Text unmittelbar unter dem Bild ("Blutdruck senken. Nieren schützen ... ").

II.

Der Verfügungsantrag gemäß Ziffer 2.) der Beschlussverfügung ist nach Auffassung des Senats begründet (§§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG, § 3 HWG).

Nach diesen Vorschriften kann die Antragstellerin von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese es unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken die Fertigarzneimittel p.TM 75 mg Tabletten und/oder p.TM 150 mg Tabletten zur Behandlung der Mikroalbuminurie wie aus der Beschlussverfügung des Landgerichts unter Ziffer I. 2.) ersichtlich zu bewerben (d. i. der oben beschriebene untere Ausschnitt: "Blutdruck senken ... MIKROALBUMINURIE " aus dem Deckblatt des Folders: vgl. Anlage ASt EV 3).

1.) Der Gegenstand des Unterlassungsantrages ist die werbliche Verwendung der beanstandeten Abbildung für das Arzneimittel p., und zwar die Verwendung des eingeblendeten Textes in der konkreten Beanstandungsform. Es geht dabei um die schlagwortartige Angabe: " MIKROALBUMINURIE " im Zusammenhang mit p. und den weiteren Angaben, ohne dass eine Differenzierung nach den Wirkstoffstärken vorgenommen wird, so dass damit auch p. 75 mg Tabletten und p. 150 mg Tabletten in die Werbung einbezogen sind. Bestandteil des Verbotsausspruchs ist - wie in der Beschlussverfügung des Landgerichts - der untere Ausschnitt aus dem Deckblatt des Werbefolders (Anlage ASt EV 3).

2.) Eine gemäß § 3 HWG unzulässige Irreführung liegt insbesondere dann vor, wenn Arzneimitteln eine therapeutische Wirksamkeit oder Wirkungen beigelegt werden, die sie nicht haben (§ 3 Nr. 1 HWG). Auch das Beilegen einer therapeutischen Wirksamkeit oder Wirkungen, die nicht hinreichend gesichert sind, stellt bei der Heilmittelwerbung eine Irreführung im Sinne dieser Vorschrift dar (Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Auflage, § 3 HWG Rz. 71 m. w. Nw.) Denn es gilt für Werbeangaben auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell zum Schutz der Allgemeinheit der Grundsatz, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter Erkenntnis entspricht (BGH GRUR 1971, 153 - Tampax, GRUR 1991, 848 - Rheumalind II).

3.) Die beanstandete p.-Werbung ist irreführend (§ 3 HWG). Sie wird von beachtlichen Teilen der angesprochenen Referenzverbrauchern (wie ausgeführt: insbesondere von Ärzten, aber auch Apothekern) in einer den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Weise verstanden.

(a) Mangels gegenteiliger Hinweise muss der Verkehr annehmen, der therapeutische Nutzen von p. sei bei Mikroalbuminurie auch in der Wirkstoffstärke 75 mg und/oder 150 mg wissenschaftlich belegt. Das Schlagwort " Mikroalbuminurie " wird als Hinweis auf die Indikation des Arzneimittels und damit nahe liegend auf dessen therapeutischen Nutzen für dieses Krankheitsbild verstanden. Ebenso nahe liegend ist die Annahme des Verkehrs, der damit behauptete therapeutische Nutzen bei Mikroalbuminurie sei hinreichend gesichert, und zwar selbstverständlich für alle Wirkstoffstärken des Arzneimittels. Denn die beanstandete Werbung enthält keinen einschränkenden Hinweis insoweit.

Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts vermag der Senat nicht zu folgen. Eine Begründung liefert das Landgericht für seinen Standpunkt nicht, die insoweit nur geäußerten "Zweifel" sind nicht zielführend.

(b) In der Fachinformation für p. (in den Wirkstoffstärken 75 mg, 150 mg und 300 mg Tabletten) heißt es jeweils unter Ziffer "5.1 Pharmakodynamische Eigenschaften" unter der Unterüberschrift "Hypertonie und Typ-2-Diabetes mit Nierenerkrankung" und dort nach der Darstellung der "IDNT"-Studie über den Wirkstoff Irbesartan (den Wirkstoff von p.):

"Die Studie zur 'Wirkung von Irbesartan auf Mikroalbuminurie bei Hypertoniepatienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (IRMA 2)' zeigt, dass 300 mg Irbesartan bei Patienten mit Mikroalbuminurie das Fortschreiten zu manifester Proteinurie verzögert. IRMA 2 war eine placebokontrollierte, doppelblinde Morbiditätsstudie an 590 Patienten mit Typ-2-Diabetes, Mikroalbuminurie (30-300 mg/Tag) und normaler Nierenfunktion ... Die Studie untersuchte die Langzeitwirkung (2 Jahre) von p. auf das Fortschreiten zu klinischer (manifester) Proteinurie ... Während in allen Behandlungsgruppen ähnliche Blutdruckwerte erreicht wurden, erreichten weniger Patienten aus der 300-mg- Irbesartan -Gruppe den Endpunkt manifeste Proteinurie (5,2 %) als in der Placebo-Gruppe (14,9 %) oder in der 150-mg- Irbesartan -Gruppe (9,7 %), was eine relative Risikoreduktion von 70 % vs. Placebo (p = 0,0004) zu Gunsten der höheren Dosis darstellt ... (Anlage ASt EV 2).

(c) Hieraus ergibt sich, dass die beanstandete Werbung im Sinne des aufgezeigten Verkehrsverständnisses unrichtig und demgemäß irreführend ist. Die Werbeaussage zum therapeutischen Nutzen von p. bei Mikroalbuminurie ist nur für die Wirkstoffstärke 300 mg, nicht aber für die Wirkstoffstärken 75 mg und 150 mg hinreichend gesichert.

Die in der Fachinformation zitierte Studie "IRMA 2" betraf die Untersuchung von Patienten mit Mikroalbuminurie , d. h. von Patienten, bei denen erste Anzeichen für eine beginnende Nierenerkrankung vorliegen. Nur mit p. 300 mg konnte demnach bei Patienten mit Mikroalbuminurie das Fortschreiten der Nierenerkrankung zu einer manifesten Proteinurie (d. i. eine bereits klinisch manifeste Nierenerkrankung) verzögert werden. Demgegenüber war bei p. 150 mg unstreitig kein signifikanter Vorteil gegenüber Placebo zu beobachten; p. 75 mg war ohnehin nicht Gegenstand der Studie "IRMA 2" (vgl. noch Anlage ASt EV 18).

Dem steht nicht das Argument der Antragsgegnerin entgegen, aus der Fachinformation ergebe sich, dass die Anwendungsgebiete von p. für alle drei Wirkstoffstärken identisch seien. Dieser Umstand betrifft die arzneimittelrechtliche Zulassung, bei der auch die Dosierung gemäß den Zulassungsunterlagen einzubeziehen ist. Selbst wenn alle drei Wirkstoffstärken bei Mikroalbuminurie zugelassen sein sollten (§ 3 a HWG), ändert das nichts daran, dass der therapeutische Nutzen insoweit nur bei 300 mg hinreichend gesichert ist. Das bestreitet die Antragsgegnerin verständigerweise auch nicht. Deswegen kann vorliegend offen bleiben, ob der Unterlassungsantrag auch aus § 3 a HWG begründet wäre oder nicht.

Aus dem Umstand, dass die Fachinformationen für alle drei Wirkstoffstärken gleichlautend sind, ist entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht zu folgern, dass die arzneimittelrechtliche Zulassungsbehörde die "Ergebnisse" für p. 300 mg auf die Wirkstoffstärken 75 mg und 150 mg "übertragen" hätte. Davon kann keine Rede sein. Vielmehr sind in den gleichlautenden Fachinformationen aller drei Wirkstoffstärken die oben aufgezeigten Ergebnisse der Studie "IRMA 2" angegeben worden.

Deswegen mag die arzneimittelrechtliche Zulassung insoweit für alle drei Wirkstoffstärken gegeben sein, jedenfalls werden die Ergebnisse der Studie "IRMA 2" unter Ziffer "5.1 Pharmakodynamische Eigenschaften" gleichlautend zitiert. Zudem wird in allen drei Fachinformationen unter Ziffer "4.1 Anwendungsgebiete" auf diesen Abschnitt ausdrücklich Bezug genommen, es heißt dort jeweils (Anlage ASt EV 2):

"Zur Behandlung der essenziellen Hypertonie.

Zur Behandlung der Nierenerkrankung bei Patienten mit Hypertonie und Typ-2-Diabetes mellitus als Teil einer antihypertensiven Behandlung (siehe Abschnitt 5.1. 'Pharmakologische Eigenschaften')."

4.) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Insbesondere erfasst der Antrag die konkrete Verletzungsform .

Auf dem Deckblatt des Werbefolders (Anlage ASt EV 3), dem der Abbildungsausschnitt des Verbotsausspruchs entnommen ist, stehen keine einschränkenden Hinweise dahingehend, dass die Werbung sich etwa nur auf p. 300 mg beziehen soll. Insoweit erfasst der Abbildungsausschnitt mit den Angaben: "Blutdruck senken. Nieren schützen bei hypertensiven Typ-2-Diabetikern. p. - Irbesartan . Kraftvoller Schutz - Tag und Nacht. MIKROALBUMINURIE " das Charakteristische der Verletzungshandlung.

III.

Der Verfügungsantrag gemäß Ziffer 4.) der Beschlussverfügung in der in der Berufungsverhandlung gestellten Fassung ist ebenfalls begründet (§§ 3, 4 Nr. 11, § 8 UWG, § 3 HWG).

Nach diesen Vorschriften kann die Antragstellerin von der Antragsgegnerin verlangen, dass diese es unterlässt,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken anzugeben, p. 150 mg und W. 100 mg seien " Äquivalenzdosen" , wie aus der Beschlussverfügung des Landgerichts unter Ziffer I. 4.) ersichtlich (d. i. die tabellarische Übersicht "Äquivalenzdosen der AT1-Blocker" aus der Werbekarte: vgl. Anlage ASt EV 4),

und zwar mit der Maßgabe, dass die Angabe auch dann zu unterlassen ist, wenn gleichzeitig darauf hingewiesen wird, dass die genannten Äquivalenzdosen die Indikation der essentiellen Hypertonie betreffen und als "ungefähres Maß" anzusehen sind.

1.) Der Gegenstand des nunmehr in der Berufungsinstanz gestellten Unterlassungsantrages berücksichtigt den Umstand, dass die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 3. September 2004 hat erklären lassen, sie verpflichte sich strafbewehrt, es zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken anzugeben, p. TM 150 mg und W. 100 mg seien " Äquivalenzdosen" , wenn dies wie folgt geschieht: (es folgt Tabelle "Äquivalenzdosen der AT1-Blocker"), ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass die genannten Äquivalenzdosen die Indikation der essentiellen Hypertonie betreffen und als ungefähres Maß anzusehen sind.

Im Umfang der Verpflichtungserklärung wird das Verbot nicht weiter verfolgt, insoweit ist die Antragstellerin gesichert und insoweit haben die Parteien schon in der Widerspruchsverhandlung den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das jetzt begehrte Verbot geht über die Unterlassungserklärung hinaus ("auch dann zu unterlassen"). Es betrifft demgemäß das Werben mit den Äquivalenzdosen p. 150 mg und W. 100 mg, und zwar mit dem Hinweis, dass die Äquivalenzdosen die Indikation der essentiellen Hypertonie betreffen und als "ungefähres Maß" anzusehen sind.

2.) Die beanstandete p.-Werbung ist irreführend (§ 3 HWG). Die angesprochenen Verkehrskreise verstehen sie in einer den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Weise.

(a) Mangels gegenteiliger Hinweise muss der durchschnittliche Referenzverbraucher selbstverständlich annehmen , die behauptete Äquivalenz der Dosierungen sei (jedenfalls "in einem ungefähren Maß") wissenschaftlich hinreichend belegt und nicht umstritten.

(b) In diesem Verständnis ist die beanstandete Werbung irreführend, die behauptete Äquivalenz der Dosierungen ist nicht hinreichend belegt, sondern wissenschaftlich umstritten .

(aa) Die in der Werbung in Bezug genommene Studie "P. Dominiak et al." (DOMINIAK; Anlage ASt EV 9) kann nicht, wie im angefochtenen Urteil des Landgerichts geschehen, kurzer Hand als "Beleg" für die wissenschaftliche Unumstrittenheit mit der Begründung herangezogenen werden, die DOMINIAK-Studie sei die "aktuellere".

Schon in der Antragsschrift ist ausgeführt und glaubhaft gemacht worden, dass die DOMINIAK-Studie im Hinblick auf die abweichenden Ergebnisse der Metaanalyse "Paul Conlin et a." ( CONLIN ; Anlage ASt EV 10) nicht unumstritten ist, denn demnach sind als Anfangsdosen Irbesartan (p.) 150 mg und W. 50 mg vergleichbar; mit diesen Äquivalenzdosen und nicht mit den beworbenen (p. 150 mg und W. 100 mg) stehen auch die Fachinformationen im Einklang.

Die jüngere DOMINIAK-Studie kommt jedenfalls nicht etwa zu dem Ergebnis, dass die CONLIN -Studie falsch sei. Bei beiden Studien handelt es sich im Übrigen um Übersichtsarbeiten ohne eigene Untersuchungen, es wurde jeweils die vorliegende Literatur ausgewertet.

(bb) Zudem belegt die DOMINIAK-Studie auch nicht "ungefähr" die beworbenen Äquivalenzdosen (p. 150 mg und W. 100 mg) in wissenschaftlich unbestrittener Weise. Denn die CONLIN -Studie kommt, wie ausgeführt, insoweit zu deutlich anderen Ergebnissen, um die es in der streitgegenständlichen Werbung der Antragsgegnerin gerade nicht geht.

(cc) Es ist unstreitig, dass in der DOMINIAK-Studie und in der CONLIN -Studie jeweils die Arbeiten "Kenneth Kassler-Taub et al." (KASSLER-TAUB; Anlage ASt EV 14) und "Suzanne Oparil et al." (OPARIL 1998; Anlage ASt EV 15) berücksichtigt worden sind und gleichwohl zu den aufgezeigten, ganz unterschiedlichen Ergebnissen bezüglich der Äquivalenzdosen gekommen sind. Auch insoweit sind die Ergebnisse der CONLIN -Studie nicht entkräftet, zumal sie - wie die Darlegung der Antragstellerin im Einzelnen und unwidersprochen ergibt - einen anderen Untersuchungsansatz und eine andere Bewertungsmethode hat.

(dd) Im Übrigen ist die Studie OPARIL 1998 ihrerseits kein tauglicher Beleg für die Unumstrittenheit der Werbeäußerung, denn sie steht dem Ergebnis der CONLIN -Studie mit den Äquivalenzdosen p. 150 mg und W. 50 mg nicht entgegen. Ziel der Studie OPARIL 1998 war weder die Ermittlung von Äquivalenzdosen noch ein Vergleich der Wirksamkeit der Dosierungen von p. 150 mg und W. 50 mg, sondern die Wirksamkeit und Verträglichkeit der beiden Wirkstoffe bei einer Titration von niedrigen zu höheren Dosierungen (Anlage ASt EV 15).

(ee) Der Umstand, dass in der DOMINIAK-Studie noch eine weitere Arbeit "Suzanne Oparil et al." (OPARIL 2001; Anlage ASt EV 16) berücksichtigt worden ist, macht die beworbenen Äquivalenzdosen im Blick auf die DOMINIAK-Studie nicht wissenschaftlich unumstritten, und zwar auch nicht "ungefähr". Denn die Studie OPARIL 2001 betraf die Anfangsdosierungen von Irbesartan (p.) 150 mg und W. 50 mg, dagegen nicht die beworbenen Äquivalenzdosen (p. 150 mg und W. 100 mg).

Auch insoweit ist die CONLIN -Studie mit ihren anderen Ergebnissen nicht etwa widerlegt. Zudem haben die drei in der DOMINIAK-Studie zitierten Arbeiten unstreitig ein jeweils unterschiedliches Studien-Design.

(ff) Sowohl der DOMINIAK-Studie als auch der CONLIN -Studie lag unstreitig keine Studie zu Grunde, in der die blutdrucksenkende Wirkung aller in Betracht kommenden Dosierungen von p. (150 mg und 300 mg) und W. (50 mg und 100 mg) direkt miteinander verglichen worden sind.

(gg) Diesen Ergebnissen kann die Antragsgegnerin nicht mit Erfolg entgegenhalten, die Studie KASSLER-TAUB sei die einzige Untersuchung, in der die beiden Wirkstoffe Irbesartan (p.) und W. direkt miteinander verglichen worden seien und diese lasse den Schluss im Sinne der beworbenen Äquivalenzdosen zu. Es geht nicht um die Richtigkeit der Werbeäußerung, sondern um die wissenschaftliche Unumstrittenheit. Zudem kommen, wie ausgeführt, die beiden Übersichtsarbeiten (die DOMINIAK-Studie und die CONLIN -Studie) trotz der Berücksichtigung der Studie KASSLER-TAUB zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen.

3.) Der Unterlassungsantrag erfasst die konkrete Verletzungsform .

Die Antragsgegnerin hat mit den beanstandeten Äquivalenzdosen auf der Werbekarte geworben (Anlage ASt EV 4), die Antragsfassung berücksichtigt die Unterlassungsverpflichtungserklärung der Antragsgegnerin.

IV.

Nach alledem war die Berufung begründet, soweit der Rechtsstreit nicht übereinstimmend in der Hauptsache erledigt erklärt worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 91 a, 92 Abs. 1 ZPO.

Soweit die Antragsgegnerin unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils verurteilt worden ist, hat sie die Kosten in beiden Instanzen zu tragen (§ 91 ZPO).

Hinsichtlich des Verfügungsantrages zu 3.) hat die Antragstellerin nach Billigkeit die Kosten in beiden Instanzen zu tragen, sie hat auf die Unterlassungserklärung erst in der Berufungsverhandlung und erst nach Erörterung den Rechtsstreit insoweit für erledigt erklärt. Der Unterlassungsanspruch war aber bereits in der Widerspruchsverhandlung unbegründet geworden (§ 91 a ZPO).

Soweit der Verfügungsantrag zu 4.) in der Widerspruchsverhandlung für erledigt worden ist, hat die Antragsgegnerin die Kosten zu tragen (§ 91 a ZPO), auf die Begründung des Landgerichts wird Bezug genommen.






OLG Hamburg:
Urteil v. 02.06.2005
Az: 3 U 1/05


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/f5e0c0d99ff7/OLG-Hamburg_Urteil_vom_2-Juni-2005_Az_3-U-1-05




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