Bundespatentgericht:
Beschluss vom 21. April 2004
Aktenzeichen: 20 W (pat) 43/02
(BPatG: Beschluss v. 21.04.2004, Az.: 20 W (pat) 43/02)
Tenor
Der Beschluss des Patentamts vom 20. Dezember 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens an das Patentamt zurückverwiesen.
Gründe
I Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen den Beschluß des Patentamts vom 20. Dezember 2001, mit dem die Patentanmeldung wegen Verstoßes gegen das Gebot der Rechtssicherheit zurückgewiesen wurde.
Der Patentanspruch 1 in der noch geltenden ursprünglich eingereichten Fassung lautet:
"1. Verfahren zum Bestimmen der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge in einem empfangenen Datenstrom (Rahmensynchronisation) unter Anwendung des Prinzips der Maximum-Likelihood-Theorie, dadurchg e k e n n z e i c h n e t, daß diese Bestimmung aus dem empfangenen Datenstrom vor der Frequenz- und Phasensynchronisation durchgeführt wird."
Die Anmeldung schildert als Nachteil bekannter Rahmensynchronisationsverfahren der im Oberbegriff angegebenen Art, dass vor der eigentlichen Rahmensynchronisation eine Takt-, Träger- und Phasensynchronisation durchgeführt werden müsse. Bei TDMA-Übertragungen ergebe sich bei Anwendung der bekannten Rahmensynchronisationsverfahren das weitere Problem, dass die zeitliche Lage der eigenen Bursts aufgrund der noch nicht durchgeführten Rahmensynchronisation nicht bekannt sei und erst durch zusätzliche Hilfsmittel bestimmt werden müsse.
Es sei Aufgabe der Erfindung, ein Verfahren für alle linearen Modulationsverfahren zur Bestimmung der zeitlichen Lage einer Symbolfolge in einem empfangenen Datenstrom aufzuzeigen, das diese Nachteile vermeide. Diese Aufgabe werde durch das Verfahren gemäß Patentanspruch 1 gelöst.
Das Patentamt - Prüfungsstelle für Klasse H 04 L - hat die Patentanmeldung zurückgewiesen, weil aufgrund des unbestimmten Merkmals "unter Anwendung des Prinzips der Maximum-Likelihood-Theorie" das Gebot der Rechtssicherheit nicht erfüllt sei, das im Interesse der Allgemeinheit präzise definierte Schutzrechte verlange, mit denen eindeutig erkennbar sei, was unter Schutz gestellt werden solle (unter Hinweis auf Schulte PatG 6. Aufl. § 34 Abs 3 Nr 3, Rdn 54). Dieses Merkmal lasse nämlich offen, wie das Prinzip der Maximum-Likelihood-Theorie anzuwenden sei.
Die im Patentanspruch enthaltenen Angaben dürften sich nicht in einer Umschreibung einer der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe erschöpfen, sondern müßten die Lösung der Aufgabe kennzeichnen (Hinweis auf BGH GRUR 1985, 31 - Acrylfasern). Im Patentanspruch 1 sei jedoch hinsichtlich der Maximum-Likelihood-Theorie keine nachvollziehbare Lehre zur Lösung der Erfindungsaufgabe enthalten. Das Prinzip der Maximum-Likelihood-Theorie betreffe ganz allgemein die Schätzung einer gesendeten Datenfolge unter Anwendung eines bestimmten Wahrscheinlichkeitskriteriums im Empfänger. Hierdurch würden nicht zwingend bestimmte Merkmale eines Verfahrens zum Bestimmen der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge in einem empfangenen Datenstrom impliziert, da sich hierfür immer noch vielfältige Möglichkeiten böten.
Es sei dem einschlägigen Fachmann auch nicht zuzumuten, die als Verfahrensmerkmal beanspruchte Theorie auf einen möglichen Verletzungsgegenstand anzuwenden.
Mit der Beschwerde begehrt die Anmelderin, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit den ursprünglichen Unterlagen zu erteilen, hilfsweise eine mündliche Verhandlung.
Eine Begründung der Beschwerde liegt nicht vor.
Wegen der noch geltenden Patentansprüche 2 bis 8 und weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Patentamt.
1. Die Fassung der geltenden Patentansprüche ist zulässig, § 34 Abs 3 Nr 3 PatG.
Zutreffend gehen die Gründe des angefochtenen Beschlusses davon aus, dass mit der Fassung der Patentansprüche das Gebot der Rechtssicherheit erfüllt sein muss, wonach im Interesse der Allgemeinheit präzise definierte Schutzrechte zu verlangen sind. Demgemäß muss die Anmeldung einen oder mehrere Patentansprüche enthalten, in denen angegeben ist, was als patentfähig unter Schutz gestellt werden soll, § 34 Abs 3 Nr 3 PatG.
a) Das Patentamt sah einen Verstoß gegen das Gebot der Rechtssicherheit in dem im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmal "unter Anwendung des Prinzips der Maximum-Likelihood-Theorie". Die im angefochtenen Beschluss angegebenen Gründe tragen jedoch die Feststellung der Unbestimmtheit dieses Merkmals nicht. Das für ein Verfahren zum Bestimmen der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge in einem empfangenen Datenstrom (Rahmensynchronisation) beanspruchte Merkmal "unter Anwendung des Prinzips der Maximum-Likelihood-Theorie" ist nämlich nicht unklar und damit wegen § 34 Abs 3 Nr 3 PatG unzulässig, sondern lediglich allgemein und breit gefasst, was für sich gesehen kein patentrechtlicher Mangel ist.
Die Rüge, es fehle im Patentanspruch 1, wie das Prinzip der Maximum-Likelihood-Theorie anzuwenden sei, betrifft nicht die Unbestimmtheit des Begriffs, sondern allein dessen Breite. Dass dieser Begriff an sich klar und bestimmt ist, führen die Beschlussgründe selbst aus, wenn - zutreffend - dargelegt ist, das Prinzip der Maximum-Likelihood-Theorie betreffe ganz allgemein die Schätzung einer gesendeten Datenfolge unter Anwendung eines bestimmten Wahrscheinlichkeitskriteriums im Empfänger, wodurch nicht zwingend bestimmte Merkmale eines Verfahrens zum Bestimmen der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge in einem empfangenen Datenstrom impliziert würden, da sich hierfür immer noch vielfältige Möglichkeiten böten. Dass unter einen - breiten - technischen Begriff vielfältige Realisierungsmöglichkeiten fallen, liegt in der Natur der Sache und ist für sich gesehen nicht unzulässig (dazu BGH GRUR 2004, 47 - blasenfreie Gummibahn I: Eine "unangemessene Anspruchsbreite" fülle für sich gesehen einen der gesetzlichen Nichtigkeitsgründe grundsätzlich nicht aus).
Wenn allgemeine, breite technische Lehren eher durch den Stand der Technik vorweggenommen oder nahegelegt sein können als präzise, enge Lehren, so betrifft das die nach den §§ 1, 3 und 4 PatG erforderliche Patentfähigkeit einer beanspruchten Erfindung, nicht jedoch die Zulässigkeit de Patentanspruchs im Sinne von § 34 Abs 3 Nr 3 PatG.
b) Die im Patentanspruch 1 enthaltenen Angaben erschöpfen sich auch nicht in einer Umschreibung der der Erfindung zugrunde liegenden Aufgabe.
Als Aufgabe der Erfindung ist angegeben, ein Verfahren für alle linearen Modulationsverfahren zur Bestimmung der zeitlichen Lage einer Symbolfolge in einem empfangenen Datenstrom aufzuzeigen, das aufgezeigte Nachteile des Stands der Technik vermeidet. Diese Aufgabe wird laut Anmeldung ausgehend von einem Verfahren nach dem Oberbegriff des Hauptanspruchs durch dessen kennzeichnende Merkmale gelöst. Danach besteht die Erfindung in einem Verfahren zum Bestimmen der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge in einem empfangenen Datenstrom unter Anwendung des Prinzips der Maximum-Likelihood-Theorie, bei dem diese Bestimmung aus dem empfangenen Datenstrom vor der Frequenz- und Phasensynchronisation durchgeführt wird. Im Vergleich zum vorausgesetzten Stand der Technik (Oberbegriff des Patentanspruchs 1) ist somit das Besondere der Erfindung darin zu sehen, dass die Bestimmung der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge aus dem empfangenen Datenstrom vor der Frequenz- und Phasensynchronisation durchgeführt wird. Dies ist keine bloße Aufgabe, sondern eine Vorschrift für ein Arbeitsverfahren und damit eine Lösung, wenn auch eine sehr allgemeine und naturgemäß aufgabenhaft formulierte, die - falls patentfähig - wegen ihrer Allgemeinheit Möglichkeiten für abhängige Erfindungen in sich bergen kann.
Der Hinweis auf die BGH-Entscheidung "Acrylfasern" a.a.O. vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Sofern dieser Beschluß nicht ohnehin auf den dort entschiedenen Einzelfall beschränkt bleiben muss, zeigt der vorliegende Sachverhalt jedenfalls keine Parallelen. Denn dort ging es um die Angabe eines Mindestmaßes der gegenüber bekannten Produkten zu erreichenden verbesserten Eigenschaften des beanspruchten Produkts, nämlich eine Faserfestigkeit über 2 p/d tex. Diese Parameterangabe hat der BGH als unzulässig angesehen, weil damit nur die der Erfindung zugrunde liegende Aufgabe umschrieben sei. Bei der vorliegenden Erfindung geht es hingegen um ein Arbeitsverfahren unter Anwendung einer mathematischen Theorie mit gegenüber dem Bekannten anderem zeitlichen Ablauf.
c) Für Arbeitsverfahren, insbesondere solche, die - wie hier - mit Computerprogrammen ausgeführt werden, ist es zwar oft schwierig festzustellen, ob eine patentgeschützte Erfindung benutzt wird. Diese bekannten Schwierigkeiten in Verletzungsprozessen verbieten jedoch für sich gesehen nicht die Patentierung breiter Erfindungen. Überdies lässt sich für eine allgemein gefasste Lehre leichter prüfen, ob eine konkrete Ausführungsform darunter fällt, als für eine eng gefasste.
d) Die Patentansprüche enthalten auch sonst keine Formulierung, die gegen die Vorschrift des § 34 PatG verstößt. Der Begriff "Rahmensynchronisation" im Patentanspruch 1 ist in Klammern gesetzt und dient damit - ähnlich Bezugszeichen zulässig - einer schlagwortartigen Erläuterung des Beanspruchten. Die auf den Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 8 umschreiben Ausgestaltungen und Weiterbildungen des im Hauptanspruch angegebenen Verfahrens.
2. Die Erfindung ist in der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann, § 34 Abs 4 PatG.
Zutreffend ist von einer beanspruchten Erfindung zu verlangen, dass sie in der Anmeldung so deutlich und vollständig offenbart ist, dass ein Fachmann sie ausführen kann, § 34 Abs 4 PatG. Die Angaben, die der Fachmann, hier ein Physiker oder Hochschulingenieur mit nachrichtentechnischer Ausbildung und Praxiserfahrung mit modernen Übertragungstechniken, zur Ausführung der geschützten Erfindung benötigt, müssen jedoch nicht im Patentanspruch enthalten sein; es genügt, wenn sie sich aus dem Inhalt der Anmeldung insgesamt ergeben (BGH GRUR 2003, 223 - Kupplungsvorrichtung II, GRUR 2004, 47, III. 4. - blasenfreie Gummibahn I, jeweils zu § 21 Abs 1 Nr 2 PatG). Dabei reicht es aus, wenn in der Anmeldung ein ausführbarer Weg zur Durchführung des Verfahrens nacharbeitbar offenbart ist, vergleiche BGH GRUR 2001, 813 - Taxol. Im Patentanspruch kann daher offen bleiben, wie das Prinzip der Maximum-Likelihood-Theorie anzuwenden ist, und es sind nicht zwingend bestimmte Merkmale eines Verfahrens zum Bestimmen der zeitlichen Lage einer Synchronisationsfolge in einem empfangenen Datenstrom anzugeben.
Dass die beanspruchte Erfindung für den Fachmann auch unter Heranziehen der Beschreibung nicht ausführbar sei, ist in den Gründen des angefochtenen Beschlusses nicht dargelegt und auch nicht ersichtlich. Die Beschreibung enthält ausführliche und ins Einzelne gehende Angaben zur erfindungsgemäßen Umsetzung der Maximum-Likelihood-Theorie, ergänzt durch Hinweise auf den Stand der Technik, die dem Fachmann ausreichen.
3. Die Zurückverweisung zur Fortsetzung des Prüfungsverfahrens ist durch § 79 Abs 3 Nr 3 PatG veranlaßt. Das Patentamt hat - wegen der gerügten Unklarheit aus seiner Sicht folgerichtig - die Patentfähigkeit der beanspruchten Erfindung nach den §§ 1 bis 5 PatG noch nicht geprüft, wofür es genuin zuständig ist. Soweit im bisherigen Prüfungsverfahren bereits auf Druckschriften Bezug genommen wurde, ist lediglich auf Einzelmerkmale der Erfindung hingewiesen.
4. Da nicht zum Nachteil der Beschwerdeführerin entschieden wird, erübrigt sich die hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung (BPatGE 7, 107).
Dr. Anders Obermayer Dr. Hartung Martens Pü
BPatG:
Beschluss v. 21.04.2004
Az: 20 W (pat) 43/02
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