Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 10. Februar 2009
Aktenzeichen: 4b O 211/07

(LG Düsseldorf: Urteil v. 10.02.2009, Az.: 4b O 211/07)

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

IV. Der Streitwert wird auf 5.000.000,00 EUR festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des unter anderem für die Bundesrepublik Deutschland erteilten Europäischen Patents EP X (im Folgenden: Klagepatent; Anlage K 1), das am 27.10.1993 angemeldet wurde, dessen Anmeldung am 03.05.1995 veröffentlicht und dessen Erteilung am 22.09.1999 bekannt gemacht wurde. Die Übersetzung des Klagepatents wird beim Deutschen Patent- und Markenamt unter dem Aktenzeichen DE X geführt (Anlage K 2). Das Klagepatent steht in Kraft. Eine von der Beklagten gegen das Klagepatent erhobene Nichtigkeitsklage hat das Bundespatentgericht mit Urteil vom 23.10.2007 (Anlage K 43) abgewiesen.

Das Klagepatent betrifft einen Eingriffskatheter. Hauptanspruch 1 des Klagepatents lautet:

"1. Eingriffskatheter umfassend ein Katheterrohr (1) mit zwei übereinandergelagerten Schichten (2, 3) von Materialien, die miteinander verbunden sind und mechanische Eigenschaften besitzen, die sich voneinander unterscheiden, ein längs verlaufendes Lumen (12) in dem Katheterrohr für den Gleitsitz eines Führungsdrahtes (11) und einen Ballon (4) mit einem proximalen Ende (6) und einem distalen Ende (5), wobei das distale Ende (5) das Katheterrohr (1) dichtend umgibt, wobei das Katheterrohr (1) eine innere Schicht (2) aufweist, die das längs verlaufende Lumen (12) bildet, und eine äußere Schicht (3), die die äußere Oberfläche des Katheterrohres (1) bildet, und die innere Schicht (2) besteht aus einem Material mit niedrigerem Reibungskoeffizienten als das Material, aus dem die äußere Schicht (3) besteht, dadurch gekennzeichnet, dass die innere Schicht (2), die das längs verlaufende Lumen (12) bildet, ein Polyethylen ist, die äußere Schicht (3) aus einem Polyamid ist, und das distale Ende (5) des Ballons (4) an die äußere Polyamidschicht (3) des Katheterrohres (1) geschweißt ist."

Nachstehend wiedergegebene, der Klagepatentschrift entnommene Abbildungen erläutern die patentgemäße Erfindung anhand eines vorzugswürdigen Ausführungsbeispiels. Figur 1 zeigt einen Längsschnitt durch einen bevorzugten klagepatentgemäßen Eingriffskatheter, Figur 2 ist die Darstellung eines Querschnitts durch einen solchen Katheter entlang der Linie I-I in der Figur 1:

Die Beklagte vertreibt Eingriffskatheter der Typen "X" (angegriffene Ausführungsform 1), "X" (angegriffene Ausführungsform 2), "X" (angegriffene Ausführungsform 3) und "X" (angegriffene Ausführungsform 4). Die Konstruktionsweise der angegriffenen Ausführungsformen ergibt sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Detailzeichnungen ("X": Anlagen K 17 und K 17a; "X": Anlage K 19; "X": Anlage K 20; "X": Anlage K 21).

Bei allen angegriffenen Ausführungsformen ist die innere Schicht des Katheterrohres aus dem Kunststoff mit dem Handelsnamen "X" gebildet. X besteht chemisch aus Ethyleneinheiten und weist daneben auch Maleinsäureanhydrid-Gruppen mit der Struktur

als konstitutionelle Einheit auf. Daher ist X kein bloßes Homopolymer, sondern ein Copolymer. Der Anteil der Ethyleneinheiten beträgt etwa 95 Prozent, derjenige der Maleinsäureanhydrideinheit etwa fünf Prozent. Physikalisch weist X andere Eigenschaften als Polyethylen auf.

Am 04.08.2004 erhob die Klägerin gegen die Beklagte - sowie gegen weitere in europäischen Staaten und den Vereinigten Staaten von Amerika ansässige Gesellschaften aus dem Konzern der Beklagten - wegen der Verletzung des Klagepatents Klage vor dem (belgischen) Gericht erster Instanz in Brüssel (Rechtsbank van eerste Aanleg te Brussel; im Folgenden: Brüsseler Gericht). Die Klägerin stellte ausweislich der gerichtlichen Ladung (Anlage rop 1, deutsche Übersetzung Anlage rop 1a) unter anderem Anträge auf Feststellung einer Verletzung des Klagepatents in Deutschland sowie auf ein Verbot des Vertriebs von klagepatentverletzenden Kathetern in Deutschland. Dabei griff sie unter anderem Eingriffskatheter gemäß den hiesigen angegriffenen Ausführungsformen 1, 2 und 3 an, nicht aber die angegriffene Ausführungsform 4 des vorliegenden Rechtsstreits ("X").

Mit Schriftsatz vom 06.09.2006 (Anlagen rop 3 und K 30, in englischer Sprache als Anlage K 22) gab die Klägerin hinsichtlich der Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Klagepatent in Deutschland eine prozessuale Erklärung ab mit dem flämischen Originalwortlaut:

"Ondanks het bovenstaande ziet verzoekster vrijwillig af van alle grensoverschrijdende aspecten van haar vordering. Mee bepaald, blijft enkel een vordering bestaan met betrekking tot de inbreuken van het Belgisch gedeelte van EP ’740 tegen de Belgische vennootschap NV X & X Medical, eerste verweerster in deze zaak. [...] Deze beslissing om de draagwijdte van de vordering te beperken tot België is gemotiveerd door de bekommernis om de zaak niet langer uit te stellen en om proecesseconomische redene."

was in deutscher Sprache - nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien - bedeutet:

"Ungeachtet des Vorstehenden verzichtet die Antragstellerin freiwillig auf die grenzüberschreitenden Aspekte ihrer Forderung. Insbesondere bleibt nur eine Forderung hinsichtlich der Verletzungen des belgischen Teils von EP ’740 (sc.: das Klagepatent) gegen die belgischen Gesellschaft NV X & X Medical, erste Beklagte in dieser Sache, aufrecht. [...] Diese Entscheidung, den Umfang dieser Klage auf Belgien zu beschränken, ist begründet in dem Bestreben, dieses Verfahren nicht zu verzögern und beruht auf Gründen der Prozessökonomie."

Das Brüsseler Gericht erließ am 06.12.2007 zur Wiedereröffnung der Verhandlung eine Entscheidung, die zu deutsch - unstreitig - auszugsweise wie folgt lautet (Anlage rop 5a):

"Im Anschluss an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs [...] hat X (sc.: die Klägerin) offiziell und freiwillig auf die extraterritorialen Teile seines Anspruchs verzichtet. [...]

Der Verzicht auf den Anspruch ist eine einseitige Rechtshandlung des Inhabers einer Haupt-, Zwischen- oder Gegenforderung, für die die Erlaubnis der Beklagten nicht erforderlich ist [...]."

Soweit die in Brüssel erhobene Klage gegen die hiesige Beklagte und die weiteren nichtbelgischen Gesellschaften aus dem Konzern der Beklagten gerichtet war, traf das Brüsseler Gericht am 12.09.2008 eine - zwischenzeitlich insoweit rechtskräftige - verfahrensbeendende Entscheidung (Anlage rop 14, in deutscher Übersetzung Anlage rop 14a) und tenorierte dabei wie folgt (Anlage rop 14a, Seite 22):

"Der in X sc.: die Klägerin) Schriftsatz vom 06.09.2006 erklärte Verzicht auf sämtliche grenzübergreifende Aspekte der ursprünglichen Forderung gemäß Klageschrift vom 04.08.2004 wird festgestellt.

Es wird festgestellt, dass [...] das Unternehmen nach deutschem Recht X GmbH [...] aus dem Verfahren entlassen [ist]."

Die Klägerin behauptet, die angegriffenen Ausführungsformen verletzten das Klagepatent. Alle vier angegriffenen Ausführungsformen erfüllten die Merkmale des Klagepatents wortsinngemäß, jedenfalls aber äquivalent. Namentlich sei bei allen angegriffenen Ausführungsformen die innere Schicht, die jeweils das längs verlaufende Lumen des Katheterrohrs bildet, aus einem Polyethylen gebildet. Das ergebe sich schon aus der Beschreibung des für die innere Schicht der angegriffenen Ausführungsformen jeweils verwendeten Kunststoffs X durch den Hersteller des Kunststoffs, die Fa. X (Anlage K 18), welche X als "Polyethylen mit hoher Dichte" definiere.

Da das Klagepatent in der Beschreibung keine Beschränkung auf ein homopolymeres Polyethylen enthalte, sei es unerheblich, dass X Maleinsäueranhydrid als konstitutionelles Element auf molekularer Ebene enthält. Umgekehrt weise die zum Stand der Technik gehörende EP X (Anlage K 9) darauf hin, dass es für das Klagepatent nicht auf ein bestimmtes Polyethylen ankomme: Während in der EP X der Begriff Polyethylen mit einem bestimmten Artikel verwendet werde, was auf ein bestimmtes Polyethylen hindeute, steht er im Klagepatent mit einem unbestimmten Artikel.

Auch nach der maßgeblichen funktionellen Auslegung des Klagepatents gelange der Fachmann zu dem Ergebnis, dass X ein Polyethylen sei. Im Klagepatent (Anlage K 2, Seite 6, letzter Absatz) seien der geringe Reibungsgrad und die Knickfestigkeit als vorteilhafte Eigenschaften von Polyethylen geschildert. Diese Eigenschaften nutzten die angegriffenen Ausführungsformen bei der Verwendung von X. Ferner habe auch die Fa. Cordis Corp., die Muttergesellschaft der Beklagten, in der Patentschrift EP X (Anlage K 25, dort [0032]) X als Polyethylen mit hoher Dichte bezeichnet. Schließlich ergebe sich aus dem Untersuchungsbericht der Fa. X (Anlage K 27), dass die angegriffenen Ausführungsformen aus einem Polyethylen hoher Dichte (high density polyethylene / HDPE) bestehe.

Jedenfalls sei Merkmal 5 des Anspruchs 1 durch die angegriffenen Ausführungsformen äquivalent erfüllt. X sei mit einem Polyethylen gleichwirkend, weil es dieselben Reibungseigenschaften habe. Durch die geringfügige Modifikation eines Polyethylens mit Maleinsäureanhydrid-Gruppen veränderten sich die Eigenschaften des Kunststoffs nur geringfügig. Insbesondere werde dadurch das Merkmal geringer Reibung nicht berührt. Deswegen sei die Verwendung von X auch für den Fachmann naheliegend. Dass X überdies gleichwertig sei, ergebe sich daraus, dass Fachleute X regelmäßig als Polyethylen bezeichneten.

Die Klägerin beantragt,

I. die Beklagte zu verurteilen,

1. es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR - ersatzweise Ordnungshaft - oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Fall wiederholter Zuwiderhandlung bis zu insgesamt 2 Jahren, wobei die Ordnungshaft an dem gesetzlichen Vertreter der Beklagten zu vollziehen ist,

zu unterlassen

Eingriffskatheter umfassend ein Katheterrohr mit zwei übereinandergelagerten Schichten von Materialien, die miteinander verbunden sind und mechanische Eigenschaften besitzen, die sich voneinander unterscheiden, ein längs verlaufendes Lumen in dem Katheterrohr für den Gleitsitz des Führungsdrahtes und einen Ballon mit einem proximalen Ende und einem distalen Ende, wobei das distale Ende das Katheterrohr dichtend umgibt, wobei das Katheterrohr eine innere Schicht aufweist, die das längs verlaufende Lumen bildet, und eine äußere Schicht, die die äußere Oberfläche des Katheterrohres bildet, und die innere Schicht besteht aus einem Material mit niedrigerem Reibungskoeffizienten als das Material, aus dem die äußere Schicht besteht,

in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, wobei

die innere Schicht, die das längs verlaufende Lumen des Katheterrohres bildet, ein Polyethylen ist, nämlich ein Copolymer von mindestens 95 Prozent Ethyleneinheiten und bis zu fünf Prozent Maleinsäureanhydrideinheiten, die äußere Schicht aus einem Polyamid ist, und das distale Ende des Ballons an die äußere Polyamidschicht des Katheterrohres geschweißt ist;

2. der Klägerin darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 22. Oktober 1999 begangen hat, und zwar unter Angabe

a) der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse sowie der Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer

b) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer

c) der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, -zeiten und -preisen sowie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger

d) der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,

e) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und des erzielten Gewinns,

und dabei zu a) und zu b) die zugehörigen Einkaufs- und Verkaufsbelege mit der Maßgabe vorzulegen, dass Daten, auf die sich die geschuldete Auskunft und Rechnungslegung nicht bezieht und hinsichtlich derer ein berechtigte Geheimhaltungsinteresse der Beklagten besteht, abgedeckt oder geschwärzt werden können;

wobei der Beklagten vorbehalten bliebt, die Namen und Anschriften ihrer nichtgewerblichen Abnehmer sowie der Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von dieser zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichteten, vereidigten Wirtschaftsprüfer mit Sitz in der Bundesrepublik Deutschland mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kosten trägt und ihn berechtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter nichtgewerblicher Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Rechnung enthalten ist;

II. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 22. Oktober 1999 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, die Rechtskraft des Urteils des Brüsseler Gerichts vom 12.09.2008 (Anlagen rop 14 und rop 14a) stehe der klageweisen Geltendmachung der Ansprüche aus dem deutschen Teil des Klagepatents entgegen. Aus prozessualen Gründen sei der Verzicht der Klägerin als vollständiger Verzicht auf diese Ansprüche zu beurteilen, unabhängig davon, in welchem Mitgliedstaat die Ansprüche klageweise geltend gemacht würden. Nach belgischem Prozessrecht sei es nicht möglich, lediglich auf die Geltendmachung bestimmter Ansprüche vor belgischen Gerichten zu verzichten. Mit der Verzichtserklärung habe die Klägerin erklärt, die Ansprüche aus den nichtbelgischen Teilen überhaupt nicht mehr klageweise geltend machen zu wollen, auch vor anderen mitgliedstaatlichen Gerichten außerhalb Belgiens. Dieser Verzicht sei durch das (Verzichts-)Urteil vom 12.09.2008 festgestellt, welches in Rechtskraft erwachse und nach den Vorschriften der Artt. 33ff. EuGVVO nur eingeschränkt auf seine inhaltliche Richtigkeit überprüfbar sei.

Schließlich erhebt die Beklagte vorsorglich gemäß § 269 Abs. 6 ZPO die Einrede mangelnder Erstattung von Prozesskosten, da die Klägerin der Beklagten jedenfalls zur Erstattung der Kosten des belgischen Verfahrens verpflichtet sei.

Ferner bestreitet die Beklagte, das Klagepatent zu verletzen. Sie behauptet, der bei den angegriffenen Ausführungsformen als innere Schicht des Katheterrohrs verwendete Kunststoff X sei kein Polyethylen im Sinne des Klagepatents. Der Fachmann verstehe unter dem Begriff Polyethylen nur solche Kunststoffe, die aus der Polymerisation von Ethylen hergestellt würden und die allgemeine Formel -(CH2-CH2)- hätten. Über einfache Ethylketten hinaus rechne der Fachmann auch verzweigte Strukturen aus Ethylketten zum Polyethylen sowie copolymere Strukturen mit geradezahligen kurzen Seitenketten, nämlich 1-Buten, 1-Hexen und 1-Okten. X hingegen werde vom Fachmann nicht als Polyethylen qualifiziert, weil es Maleinsäureanhydrid als konstitutionelle Einheit auf molekularer Ebene enthält, mithin auch Sauerstoffatome und nicht nur von Ethylen abgeleitete oder formal von Ethylen abgeleitete Einheiten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist teilweise unzulässig und im übrigen - soweit sie zulässig ist - unbegründet.

A.

Die Klage ist nur insoweit zulässig als die Klägerin Herzkatheter gemäß der angegriffene Ausführungsform 4 ("X") angreift, im übrigen ist sie unzulässig.

I.

Die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen aus dem deutschen Teil des Klagepatents ist im Hinblick auf das Urteil des Brüsseler Gerichts vom 12.09.2008 (Anlagen rop 14 und rop 14a) unter dem Gesichtspunkt entgegenstehender Rechtskraft unzulässig soweit die Klägerin vorliegend aus dem Klagepatent gegen das Anbieten, Inverkehrbringen und Gebrauchen der angegriffenen Ausführungsformen 1, 2 und 3 vorgeht.

1.

Die Entscheidung des Brüsseler Gerichts entfaltet gemäß Art. 33 Abs. 1 EuGVVO in prozessualer Hinsicht dieselben Urteilswirkungen wie ein innerstaatliches Urteil. Nach dem Regelungsgehalt des Art. 33 Abs. 1 EuGVVO sind mitgliedstaatliche Entscheidungen wie das Urteil des Brüsseler Gerichts vom 12.09.2008 ohne einen weiteren Verfahrensschritt anzuerkennen, was für den deutschen Zivilprozess eine Wirkungserstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen in dem Sinne bedeutet, dass diese in einem innerstaatlichen Rechtsstreit jedenfalls alle prozessualen Wirkungen entfalten (Zöller/Geimer, ZPO, 27. Aufl., Art. 33 EuGVVO Rn. 1; Gottwald, in: MünchKomm z. ZPO, 3. Aufl., Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Leible, in: Europäisches Zivilprozessrecht, 2. Aufl., Art. 33 EuGVVO Rn. 3; Musielak/Stadler, ZPO, 6. Aufl., Art. 33 EuGVVO Rn. 2; Nagel/Gottwald, Internationales Zivilprozessrecht; § 11 Rn. 16; Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl., vor Art. 33 EuGVVO Rn. 9; Saenger, ZPO, Art. 33 EuGVVO, Rn. 3). Diese Wirkungserstreckung tritt im Hinblick auf Art. 32 EuGVVO bereits vor der formellen Rechtskraft der mitgliedstaatlichen Entscheidung ein (Zöller/Geimer, a.a.O., Rn. 3; Gottwald, a.a.O. Rn. 1; Nagel/Gottwald, a.a.O. Rn. 6). Nach Eintritt ihrer Rechtskraft begründet die vorangegangene mitgliedstaatliche Entscheidung in einem nachfolgenden Rechtsstreit vor einem Gericht eines anderen Mitgliedstaates die Einrede entgegenstehender Rechtskraft (Kropholler, a.a.O. Rn. 11; Nagel/Gottwald, a.a.O. Rn. 18; Leible, a.a.O, Rn. 4).

2.

Diese aus Art. 33 EuGVVO fließende Wirkungserstreckung des belgischen Urteils vom 12.09.2008 führt dazu, dass dem Klagebegehren auch in Deutschland insoweit ein Prozesshindernis entgegensteht, wie aus dem Klagepatent dieselben Ausführungsformen wie im belgischen Rechtsstreit angegriffen werden.

a)

Das Urteil des Brüsseler Gerichts vom 12.09.2008 enthält nicht die Feststellung, die Klägerin habe gegenüber der Beklagten auf ihre Ansprüche aus dem deutschen Teil des Klagepatents in materieller Hinsicht verzichtet. Eine solche Feststellung war auch nach der Verzichtserklärung der Klägerin im belgischen Verfahren mit Schriftsatz vom 06.09.2006 (Anlagen rop 3 und K 22) nicht Gegenstand des belgischen Rechtsstreits. Die Klägerin hat jedoch darauf verzichtet, ihren materiellrechtlichen Anspruch vor belgischen Gerichten geltend zu machen, indem sie in dem genannten Schriftsatz einen (teilweisen) Klageverzicht im Hinblick auf die gegen die Beklagte gerichtete Klage erklärte, nämlich einen "afstand van rechtsvordering" bzw. "désistement d’action" gemäß Art. 821 C. jud. Dies steht zur Überzeugung der Kammer, welche gemäß § 294 ZPO im Wege des Freibeweises gewonnen werden konnte, fest.

Dass die Klägerin vor dem Brüsseler Gericht gegenüber der Beklagten einen prozessualen Verzicht ("afstand van rechtsvordering" bzw. "désistement d’action") gemäß Art. 821 C. jud. erklärt hat und nicht lediglich eine Klagerücknahme ("afstand van geding" bzw. "désistement d’instance") gemäß Art. 820 C. jud., ergibt sich aus den zur Gerichtsakte gereichten Gesetzestexten nebst deutschsprachiger Übersetzung (Anlagen rop 4 und rop 4a) - gegen deren inhaltliche Richtigkeit und zutreffende Übersetzung ins Deutsche die Parteien sich nicht wenden -, sowie aus der Entscheidung des Brüsseler Gerichts vom 12.09.2008. In der flämischen prozessualen Erklärung der Klägerin vom 06.09.2006 ("ziet [...] af van [...] her vordering") findet sich erkennbar der rechtliche Terminus einer Verzichtserklärung gemäß Art. 821 C. jud. wieder, indem zum Gegenstand der Erklärung nicht das konkrete klageweise Vorgehen ("geding") gemacht wird, sondern die klageweise geltend gemachte Forderung ("vordering"). Hinzu kommt, dass gemäß Art. 825 Abs. 1 C. jud. eine Klagerücknahme nach Art. 820 C. jud. eine Zustimmung der Gegenpartei voraussetzt, sobald sich diese erstmals schriftsätzlich zur Klage eingelassen hat. Es ist unstreitig, dass die Beklagte bereits vor der Erklärung der Klägerin vom 06.09.2006 sich zur Klage eingelassen hatte und die Klägerin bestrebt war, die Rechtshängigkeit des Rechtsstreits vor dem belgischen Gericht zu beenden, um die Beklagte (und die weiteren nichtbelgischen Parteien auf Beklagtenseite) vor anderen mitgliedstaatlichen Gerichten in Anspruch nehmen zu können, ohne dem Einwand aus Art. 27 EuGVVO ausgesetzt zu sein. Das prozessuale Verhalten der Klägerin zielte somit darauf, die Rechtshängigkeit in Belgien zu beenden, ohne auf die Mitwirkung der Beklagten angewiesen zu sein. Dies konnte die Klägerin nur durch die Erklärung eines prozessualen Verzichts erreichen. Schließlich hat auch das Brüsseler Gericht als im belgischen Prozessrecht kundiges Gericht die Erklärung der Klägerin in dieser Weise beurteilt und neben der Feststellung, dass die Beklagte aus dem Rechtsstreit entlassen ist, festgestellt, dass die Klägerin auf "sämtliche grenzüberschreitenden Aspekte ihrer Forderung" verzichtet hat (Anlage rop 14a, Seite 22). Zur Begründung hat das Brüsseler Gericht entsprechend den soeben gemachten Ausführungen angeführt, dass es für die Prozesshandlung gemäß Art. 824 C. jud. nur einer einseitigen Erklärung der Klägerin, nicht aber der Zustimmung der Beklagten bedarf (Anlage rop 14a, Seite 21, Tz. 27). Daraus folgt, dass auch das belgische Gericht davon ausging, dass es sich bei der Erklärung der Klägerin nicht um eine gemäß Art. 825 C. jud. in diesem Verfahrensstadium zustimmungspflichtige Klagerücknahme gemäß Art. 820 C. jud. handelte, sondern um einen prozessualen Verzicht gemäß Art. 821 C. jud.

Diese prozessuale Verzichtserklärung hat nach dem Grundsatz der "lex fori" nicht zur Folge, dass die Klägerin materiellrechtlich auf ihre Ansprüche aus dem deutschen Teil des Klagepatents verzichtet und diese damit zum Erlöschen gebracht hätte. Dabei kommt es nicht darauf an, wie die Erklärung mit Rücksicht auf den für die Gegenseite erkennbaren Willen der Klägerin als Willenserklärung auszulegen wäre. Die Verzichtserklärung ist nach belgischem Prozessrecht eine rein prozessuale Erklärung und entfaltet gemäß Art. 821 C. jud. rein prozessuale Wirkungen. Sie wirkt sich nicht auf den materiellen Anspruch bzw. Rechtsgrund aus, der prozessual geltend gemacht worden ist. Dies folgt aus dem von der Klägerin beigebrachten Rechtsgutachten der Professoren X und X vom 03.12.2008 (Anlagen K 41 und K 41a), das in Ansehung des konkreten Falls erstattet wurde. Die Gutachter stellen in nachvollziehbarer Weise dar (Rz. 18 und 31), dass nach der höchstrichterlichen belgischen Rechtsprechung und herrschenden Auffassung in der belgischen Rechtslehre ein prozessualer Verzicht gemäß Art. 821 C. jud. keinen Verzicht auf das zugrundeliegende materielle Recht bedeutet. Die prozessuale Verzichtserklärung habe keine Doppelnatur, wirke also nicht materiellrechtlich. Die hiergegen gerichtete Einwendung der Beklagten greift nicht durch. Die Erklärung des in Belgien als Parteivertreter der Beklagten mit dem Rechtsstreit befassten Rechtsanwalts X vom 22.12.2008 (Anlage rop 15) enthält lediglich die pauschale Behauptung, das von der Klägerin beigebrachte Rechtsgutachten interpretiere eine höchstrichterliche belgische Entscheidung falsch (Anlage rop 15, Seite 4f. unter 5.), vielmehr führe ein Verzicht gemäß Art. 821 C. jud. grundsätzlich stets zum Erlöschen des materiellen Rechts. Mit den gutachterlichen Ausführungen, dass diese Auffassung von der gefestigten, nicht auf eine einzige Entscheidung beschränkten höchstrichterlichen belgischen Rechtsprechung abgelehnt wird, sie vielmehr auf einer überkommenen Rechtsauffassung einer Identität zwischen materiellem Recht und Klageforderung beruht (Anlage K 41a, Seite 4, Tz. 18), setzt sich die Stellungnahme von Rechtsanwalt X nicht auseinander. Ihr ist daher im Ergebnis nicht zu folgen. Die Beklagte vertritt darüber hinaus selber die Auffassung, dass die Rechtslage nach belgischem Prozessrecht dem deutschen gleicht. Für das deutsche Prozessrecht ist aber nach herrschender Lehre anerkannt, dass der Verzicht i.S.v. § 306 ZPO eine reine Prozesshandlung ist und ihm keine Doppelnatur zukommt, er also keine materiellrechtliche Wirkung entfaltet (vgl. statt aller Zöller/Vollkommer, a.a.O., § 306 Rn. 5). So wäre beispielsweise die Leistung auf eine Forderung, wegen der zuvor ein prozessualer Verzicht erklärt wurde, nicht rechtsgrundlos und deshalb nicht kondizierbar.

Demnach hat die Klägerin zwar ihre Ansprüche aus dem deutschen Teil des Klagepatents gegenüber der Beklagten nicht in materieller Hinsicht aufgrund ihrer Erklärung vom 06.09.2006 verloren. Diese Erklärung hat, wie das Rechtsgutachten folgerichtig weiter ausführt (Tz. 32), "nur" zur Folge, dass die Klägerin diese Ansprüche nicht mehr klageweise gegen die Beklagte durchsetzen kann.

b)

Das belgische (Verzichts-) Urteil vom 12.09.2008 begründet im Umfang des Streitgegenstandes des belgischen Verfahrens ein Prozesshindernis für den hiesigen Rechtsstreit. Die eingetretenen Wirkungen des Verzichts sind nicht auf Belgien beschränkt.

Die territoriale Reichweite dieses Prozesshindernisses richtet sich nicht (allein) nach dem belgischen Prozessrecht. Unterstellt, aus dem belgischen Prozessrecht folgte - wie von der Klägerin geltend gemacht - der Grundsatz, dass die Verzichtswirkung von belgischen Gerichten nur für weitere Rechtsstreitigkeiten vor belgischen Gerichten begründet werden könnten wegen eines Prinzips der "Trennung" bzw. "Isoliertheit" ("principe de cloisonnement" bzw. "cercle infranchissable", vgl. Gutachten der Professoren X und X, Anlage K 41a, Rz. 32), würde dieser Grundsatz gleichwohl durch die Vorschrift des Art. 33 EuGVVO als übergeordnetem, autonom auszulegenden Gemeinschaftsrecht überwunden. Auf die Entscheidung des Brüsseler Gerichts vom 12.09.2008 ist Art. 33 EuGVVO anzuwenden. Es kommt dabei nicht auf die Frage an, ob diese Vorschrift nur auf Sachurteile oder auch auf Prozessurteile anzuwenden ist (für die Anwendung von Art. 33 EuGVVO auch auf Prozessurteile wohl zutreffend und mit nachvollziehbarer Begründung Gottwald, a.a.O.; Rn. 4; Leible, a.a.O. Rn. 5; Musielak/Stadler, a.a.O. Rn. 2; Nagel/Gottwald, a.a.O. Rn. 19; dagegen, jedoch ohne Begründung Geimer/Schütze, Europäisches Zivilverfahrensrecht, Art. 25 EuGVÜ Rn. 16). Die Entscheidung des Brüsseler Gerichts ist im Hinblick auf die dortigen nichtbelgischen Beklagten als Sachurteil ergangen. Auch dies steht gemäß § 294 ZPO nach der im Freibeweis gewonnenen Überzeugung der Kammer fest: Aus den vorgelegten Rechtsquellen und dem insoweit übereinstimmenden Standpunkten der Parteien führt die Verzichtserklärung ("afstand van rechtsvordering" bzw. "désistement d’action") auch nach belgischem Recht gemäß Art. 821 C. jud. zu einer Abweisung der Klage mit Kostenfolge zu Lasten des Verzichtenden. Insoweit ergeht eine Entscheidung in der Sache und nicht lediglich eine Entscheidung über die Voraussetzungen einer Sachentscheidung.

Art. 33 EuGVVO bezweckt gerade die Anerkennung einer mitgliedstaatlichen Gerichtsentscheidung ohne weitere Prüfung. Innerhalb der Grenzen des Art. 34f. EuGVVO (beispielsweise Verstoß gegen den ordre public oder Missachtung des rechtlichen Gehörs) ist die mitgliedstaatliche Entscheidung in einem weiteren Rechtsstreit vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates so zu Grunde zu legen, wie sie ergangen ist. Einschränkungen dieses Grundsatzes im Hinblick auf die Besonderheiten des Prozessrechts des Mitgliedstaates, in dem die Entscheidung erging, sind nicht statthaft. Das später befasste Gericht eines anderen Mitgliedstaates ist sogar ausdrücklich daran gehindert, solche Einschränkungen anzunehmen: Zum einen, weil es an Art. 33 EuGVVO gebunden ist und etwaige Zweifel an der Reichweite dieser Vorschrift nicht durch eigene Entscheidung lösen darf, Art. 234 EG (Vorabentscheidung durch den EuGH); zum anderen, weil der Inhalt der vorangegangenen mitgliedstaatlichen Entscheidung einer Sachprüfung gemäß Art. 36 EuGVVO gerade entzogen ist ("darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden"). Das Verbot der Sachprüfung schließt es demnach vorliegend aus, dem belgischen Prozessrecht eine (territorial) einschränkende Wirkung des durch die Verzichtserklärung begründeten Prozesshindernisses zuzumessen.

Die (territoriale) Reichweite der Verzichtswirkung als Prozesshindernis bestimmt sich allein nach dem Tenor der Entscheidung des Brüsseler Gerichts und dessen Auslegung. Die Tenorierung

"Der in X Schriftsatz vom 06.09.2006 erklärte Verzicht auf sämtliche grenzübergreifende Aspekte der ursprünglichen Forderung gemäß Klageschrift vom 04.08.2004 wird festgestellt."

verweist auf den Wortlaut der Verzichtserklärung vom 06.09.2006 und ist in deren Lichte auszulegen. Das Brüsseler Gericht hat in den Entscheidungsgründen dargelegt (Anlage rop 14a, Rn. 27 a.E.), dass es gemäß belgischem Prozessrecht den Verzicht so feststellt, wie er erklärt wurde, die Auslegung der für den Verzicht gebrauchten Wortwahl jedoch nicht vornehmen muss, diese vielmehr ausländischen Gerichten obliegt. Die Formulierung der Verzichtserklärung durch die Klägerin

"Ungeachtet des Vorstehenden verzichtet die Antragstellerin freiwillig auf die grenzüberschreitenden Aspekte ihrer Forderung. Insbesondere bleibt nur eine Forderung hinsichtlich der Verletzungen des belgischen Teils von EP ’740 gegen die belgischen Gesellschaft NV X & X Medical, erste Beklagte in dieser Sache, aufrecht. [...] Diese Entscheidung, den Umfang dieser Klage auf Belgien zu beschränken, ist begründet in dem Bestreben, dieses Verfahren nicht zu verzögern und beruht auf Gründen der Prozessökonomie."

gebietet eine Auslegung des Verzichtstenors dahin, dass die Klägerin prozessual auf alle klageweise geltend gemachten Ansprüche verzichtet, die aus dem Klagepatent gegen die nichtbelgischen Beklagten erhoben wurden, und dass vom Verzicht nur die Ansprüche gegen die belgische Gesellschaft aus dem Konzern der Beklagten ausgenommen sind. Die Klägerin hat ausdrücklich erklärt, nur noch gegen die belgische Gesellschaft Ansprüche klageweise geltend machen zu wollen, und im übrigen auf die klageweise Geltendmachung der Ansprüche in Belgien zu verzichten. Dies fügt sich in die Formulierung eines Verzichts auf die "grenzüberschreitenden Aspekte der Forderung": Im belgischen Verfahren waren alle diejenigen "Aspekte", also Ansprüche grenzüberschreitend, die aus den nichtbelgischen Teilen des Klagepatents aufgrund von Verletzungshandlungen der nichtbelgischen Gesellschaften des Konzerns der Beklagten in den jeweiligen Staaten ihres Gesellschaftssitzes erhoben wurden. Der Hinweis darauf, der Verzicht geschehe aus prozessökonomischen Gründen, schränkt die Reichweite der Verzichtserklärung nicht ein, sondern erläutert lediglich das Motiv der Klägerin, zumal da sie ausdrücklich mit dem Verzicht erklärt hat, Ansprüche gegen nichtbelgische Gesellschaften nicht mehr in Belgien geltend machen zu wollen. Eine aus Sicht der Klägerin prozessökonomische, nämlich - wie ausdrücklich erwähnt - schnelle Wirkung konnte die prozessuale Erklärung der Klägerin gemäß obigen Darlegungen zum belgischen Prozessrecht nur entfalten, wenn sie als Verzicht, also "afstand van rechtsvordering" bzw. "désistement d’action" gemäß Art. 821 C. jud. erklärt wurde. Eine Klagerücknahme, also ein "afstand van geding" bzw. "désistement d’instance" gemäß Art. 820 C. jud. hätte zu seiner Wirksamkeit die Zustimmung der Beklagten vorausgesetzt (Art. 825 Abs. 1 C. jud.), deren Erteilung die Klägerin nicht erwarten durfte.

Indem das Brüsseler Gericht in den Entscheidungsgründen ausführte (Anlage rop 14a, Seite 21, Tz. 27 a.E.), es sei durch ausländische Gerichte zu entscheiden, mit welchem Wortlaut der von der Klägerin erklärte Verzicht festzustellen ist, hat es auch nicht offengelassen, welche - gemäß Art. 33 EuGVVO anzuerkennende - Rechtsfolge es der prozessualen Erklärung der Klägerin beimaß. Diese Äußerung des Brüsseler Gerichts ist so zu verstehen, dass es Gerichte in anderen Staaten dazu aufgerufen sieht, unter Berücksichtigung der prozessualen Erklärung der Klägerin zu prüfen, welche der objektiv und subjektiv gehäuften Klagen vor dem belgischen Gericht von der Rechtsfolge eines Prozesshindernisses betroffen sind. Das Brüsseler Gericht konnte beispielsweise diese Rechtsfolge nicht auf die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen erstrecken, die im Hinblick auf im belgischen Verfahren nicht angegriffene Ausführungsformen geltend gemacht würden, so wie beispielsweise im vorliegenden Verfahren Ansprüche im Hinblick auf die angegriffene Ausführungsform 4.

c)

Dass die Klägerin gehindert ist, wegen dieser angegriffenen Ausführungsformen gegen die Beklagte in Deutschland Klage zu erheben, führt auch nicht zu einem unbilligen Ergebnis. Indem die Klägerin geltend macht, die Wirkung des Verzichts erstrecke sich nicht auf Deutschland und den hiesigen Rechtstreit, will sie für sich die Vorteile einer Verzichtserklärung nach belgischem Prozessrecht nutzen, ohne deren Nachteile in Kauf nehmen zu wollen. Die Klägerin hat den Verzicht in Belgien erklärt - und sich hierauf im hiesigen Rechtstreit auch berufen -, um die Anhängigkeit des Rechtsstreits, soweit er sich gegen die nichtbelgischen Gesellschaften des Konzerns der Beklagten richtete, zu beenden und die Wirkung des Aussetzungsgebots nach Art. 27 EuGVVO zu vermeiden. Zu diesem Ziel konnte sie, wie dargelegt, zügig nur durch eine Verzichtserklärung gelangen, nicht durch eine bloße Klagerücknahme, weil letztere eine Zustimmung der Beklagten erfordert hätte. Wäre der Klägerin nun die klageweise Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Beklagte (und andere nichtbelgische Gesellschaften aus dem Konzern der Beklagten) in anderen Mitgliedstaaten ungeachtet der Verzichtserklärung und der Brüsseler Entscheidung vom 12.09.2008 möglich, könnte sie das Zustimmungserfordernis nach Art. 825 Abs. 1 C. jud. schlicht umgehen: Ohne dass es einer Zustimmung der Beklagten bedurfte hätte, hätte sie den Weg frei gemacht für erneute Klagen in anderen Mitglied- bzw. Vertragsstaaten.

II.

Im Übrigen, also soweit die Klägerin sich gegen die angegriffene Ausführungsform 4 richtet, ist die Klage zulässig. Insoweit steht ihr auch der von der Beklagten erstmals mit Schriftsatz vom 01.01.2009 erhobene Einwand der mangelnden Erstattung von Prozesskosten gemäß § 269 Abs. 6 ZPO einer Sachentscheidung nicht entgegen. Es ist bereits fraglich, ob diese Vorschrift auf die vorliegende prozessuale Situation anwendbar ist: Die Klägerin hat im belgischen Verfahren keine Klagerücknahme erklärt, sondern einen prozessualen Verzicht. Letztlich muss dies nicht abschließend geklärt werden.

Der Einwand aus § 269 Abs. 6 ZPO, der die Zulässigkeit der Klage betrifft, ist gemäß § 296 Abs. 3 ZPO jedenfalls deshalb zurückzuweisen, nachdem die Beklagte sich bereits zuvor zur Sache eingelassen und insbesondere in den mündlichen Verhandlungen vom 06.11.2007 und 15.07.2008 Klageabweisung beantragt und die erst spätere Erhebung der Rüge nicht entschuldigt hat. Nach § 296 Abs. 3 ZPO sind verzichtbare Rügen zur Zulässigkeit der Klage - und hierzu gehört die Rüge nach § 269 Abs. 6 ZPO - unabhängig von der Prüfung einer etwaigen zeitlichen Verzögerung zurückzuweisen, wenn sie nicht spätestens in der ersten mündlichen Verhandlung erhoben wurden, und dies nicht ausreichend entschuldigt ist, weil dann von einem Verzicht auf die Rüge auszugehen ist (Zöller/Greger, a.a.O., § 296 Rn. 8a; BGH NJW 1981, 2646 zur Rüge der fehlenden Ausländsicherheit gemäß § 110 ZPO).

B.

Soweit die Klage zulässig ist, ist sie unbegründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte nicht die klageweise geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Feststellung der Schadensersatzverpflichtung aus §§ 9, 139, 140, 140b PatG, §§ 242, 259 BGB. Die angegriffene Ausführungsform 4 verletzt das Klagepatent nicht.

I.

Das Klagepatent betrifft einen Eingriffskatheter.

1.

Eingriffskatheter werden bei der Behandlung von verengten Gefäßen, namentlich von Herzkranzgefäßen (Stenosen) verwendet. Stenosen erfordern als Behandlungsschritte einerseits die Aufweitung des verengten Gefäßes (Dilatation) und zum anderen die Stabilisierung des einmal aufgeweiteten Gefäßes mit einem Stent. Um diese Behandlungsschritte durchzuführen, wird zunächst mithilfe eines Führungskatheters ein Führungsdraht in das Gefäß geführt, und zwar so weit, dass er die Engstelle passiert und die Spitze jenseits der Stenose verbleibt. Sodann wird auf dem Führungsdraht ein weiterer Katheter, nämlich der Eingriffskatheter, in das Gefäß bis zur Stenose eingeführt. Der Eingriffskatheter kann dabei entweder für den Behandlungsschritt der Dilatation oder den des Setzens eines Stents verwendet werden. Die Behandlungsschritte können es unter Umständen erforderlich machen, dass mehrere Eingriffskatheter eingeführt werden, etwa wenn sich der zur Dilatation verwendete Ballon als zu klein erweist und gegen einen Ballon größerer Ballonweite ausgetauscht werden soll.

2.

Aus dem Stand der Technik sind Führungsdrahtkatheter bekannt, bei denen sich das Problem stellt, dass der Führungsdraht das Lumen des Katheters, also die lichte Öffnung in Längsrichtung des Katheters, verlegen kann, wenn sich der Draht beim Einführen in die Gefäße verbiegt. Dies führt dazu, dass beim Herausziehen des Ballons der Führungsdraht sich nicht im Lumen bewegen kann und deshalb mit herausgezogen wird. Es stellt sich deshalb die Aufgabe, bei der Wahl des Materials des Katheters eine Abwägung zwischen Steifheit, Schiebfähigkeit (geringer Reibungswiderstand), Biegsamkeit und Widerstand gegen Knicken zu bieten.

Aus der WO X ist eine Vorrichtung bekannt, die einen hohlen Katheter mit einem ein Lumen bildenden zentralen Element umfasst. Das längliche Element, das das Lumen aufweist, ist, um einen Kompromiss zwischen Biegsamkeit des Katheters einerseits und seiner Formstabilität andererseits zu gewährleisten, aus zwei Schichten gebildet. Die innere Schicht besteht aus einem weichen Elastomermaterial, die äußere Schicht aus einem Hartplastikmaterial. Hieran wird als nachteilig erkannt, dass kein Führungsdraht verwendet und in verdrehte Gefäße bewegt werden kann, weil die Reibung zwischen dem Führungsdraht und dem im länglichen Element gebildeten Lumen zumal in Kurven zu groß wird und sich das längliche Element dann nicht mehr auf dem Führungsdraht bewegen lässt.

Aus der US X ist eine Kombination aus einer Führungskatheteranordnung und einer Erweiterungskatheteranordnung bekannt. Der Erweiterungskatheter ist aus einer einzigen Schicht herkömmlichen Materials gebildet, das wegen der notwendigen festen Verbindung mit dem Dilatationsballon nach guten Verbindungseigenschaften ausgewählt werden muss und nicht nach guten Reibungseigenschaften ausgewählt werden kann. Auch hieran wird als nachteilhaft erkannt, dass sich der Führungsdraht im Schaft des Erweiterungskatheters (also in dessen Lumen) verfangen kann, wenn der Katheter den Biegungen des Gefäßes folgt, zumal da der Erweiterungskatheter tiefer in das verzweigte Gefäßsystem vordringen muss als der Führungskatheter.

Aus der EP X, dem nächstliegenden Stand der Technik, ist ein Erweiterungskatheter mit einem äußeren röhrenförmigen Element aus Polyethylen mit geringer Dichte bekannt. Ein Führungsdraht erstreckt sich durch ein inneres röhrenförmiges Element, das aus Polyimid besteht und mit einer gleitfähigen inneren Beschichtung, etwa aus Teflon, versehen ist. Auch aus der US X ist ein Plastikkatheter bekannt aus einem Trägermaterial mit einer reibungsreduzierenden Beschichtung aus einem Strukturplastikmaterial und Polyethylenoxid. Bei diesen beiden Schriften erscheint es nachteilig, dass die Gestaltung des Katheters und/oder des Führungsdrahtes aufwendig ist, da jeweils eine Beschichtung vorgenommen werden muss.

3.

Das Klagepatent stellt sich ausgehend von diesem Stand der Technik die Aufgabe (Seite 6, Zeilen 12 bis 17), einen Eingriffsballonkatheter mit geringem Querschnitt zur Verfügung zu stellen, der in gebogene Gefäße mit einem Führungsdraht im Innern des Katheters bewegt werden kann, ohne dass die Gefahr besteht, dass sich der Führungsdraht im Katheter verfängt oder dem Katheter den Weg verlegt.

Zur Lösung dieser Aufgabe schlägt das Klagepatent einen Katheter mit folgenden Merkmalen vor (vgl. Anlage K 12):

1. Eingriffskatheter umfassend

a) ein Katheterrohr (1) mit zwei übereinandergelagerten Schichten (2, 3) von Materialien, die miteinander verbunden sind und mechanische Eigenschaften besitzen, die sich voneinander unterscheiden,

b) ein längsverlaufendes Lumen (12) in dem das Katheterrohr für den Gleitsitz eines Führungsdrahtes (11) und

c) einen Ballon (4) mit einem proximalen Ende (6) und einem distalen Ende (5).

2. Das distale Ende (5) umgibt das Katheterrohr (1) dichtend.

3. Das Katheterrohr (1) weist eine innere Schicht (2) auf, die das längs verlaufende Lumen (12) bildet, und eine äußere Schicht (3), die die äußere Oberfläche des Katheterrohres bildet.

4. Die innere Schicht (2) besteht aus einem Material mit niedrigerem Reibungskoeffizienten als das Material, aus dem die äußere Schicht (3) besteht.

5. Die innere Schicht (2), die das längs verlaufende Lumen des Katheterrohres (1) bildet, ist ein Polyethylen.

6. Die äußere Schicht (3) ist aus einem Polyamid.

7. Das distale Ende (5) des Ballons (4) ist an die äußere Polyamidschicht (3) des Katheterrohrs (1) geschweißt.

II.

Die angegriffene Ausführungsform 4 macht von der technischen Lehre des Anspruchs 1 des Klagepatents keinen Gebrauch. Zwischen den Parteien ist - zu Recht - allein streitig, ob die angegriffene Ausführungsform 4 Merkmal 5. verwirklicht. Dies lässt sich nicht feststellen.

1.

Gemäß Merkmal 5. ist das Material, das die innere Schicht des Katheterrohres bildet, ein Polyethylen.

a)

Der Begriff Polyethylen wird vom Anspruch des Klagepatents nicht definiert. Auch die allgemeine Beschreibung und die Beschreibung bevorzugter Ausführungsbeispiele enthalten keine Angaben zur konkreten Zusammensetzung des Materials. Der maßgebliche Durchschnittsfachmann - ein mit der Entwicklung von Eingriffskathetern befasster, berufserfahrener Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Medizin- oder Feinwerktechnik mit fundierten Kenntnissen auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung - wird daher für das Verständnis von der patentgemäßen Lehre von seinem allgemeinen Fachverständnis ausgehen. Hiernach ist ein Polyethylen ein Polymer, also eine Substanz, deren Moleküle aus einer wiederholten Aneinanderreihung einer Art oder mehrerer Arten von Atomverbindungen (konstitutionelle Einheiten) gebildet ist. Polyethlyen ist das Polymer des Ethylens und hat demnach die allgemeine Formel -(CH2-CH2)-n mit n als natürlicher Zahl größer zwei. Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Formel sind unter den Begriff des Polyethylens Substanzen zu fassen, bei denen diese Struktureinheit verschiedene Grade der Verzweigungen bildet. Auch Substanzen, die als Copolymere neben den Ethyleneinheiten bestimmte (-Olefine aufweisen, nämlich 1-Buten, 1-Hexen und 1-Okten, versteht der Fachmann als Polyethylen.

Nach dem übereinstimmenden Vorbringen der Parteien geben die auszugsweise zur Akte gereichten chemischen Nachschlagewerke (Anlagen rop 7, rop 8, rop 9 und rop 10 sowie Anlage K 42) das Verständnis des Fachmanns vom Begriff Polyethylen wieder. Diese Schriften aus der Fachliteratur belegen das dargestellte allgemeine fachmännische Verständnis vom Begriff des Polyethylens.

aa)

Das Nachschlagewerk "Römpps Chemie-Lexikon" definiert in seiner achten Auflage (Anlage rop 7, Seite 3288) Polyethylen als

"durch Polymerisation von Ethylen (H2C=CH2) herstellbares, techn. äußerst wichtiges Polyolefin der allg. Formel -(-CH2-CH2-)-n mit je nach MG. (sc.: Molekulargewicht), Verzweigungsgrad und Kristallinität wachsartiger bis harter Konsistenz.

In der achten Auflage erläutert dieses Nachschlagewerk die Herstellungsweise und physikalische Eigenschaften von Polyethylen sowie die Einteilung in verschiede Gruppen wie beispielsweise Polyethylen hoher und niedriger Dichte sowie lineares Polyethylen niedriger Dichte (LLDPE). Auch wird erwähnt, dass LLDPE durch Copolymerisation von Ethylen mit (-Olefinen, nämlich 1-Buten, 1-Hexen und 1-Okten gewonnen wird.

bb)

In der neunten Auflage definiert das "Römpp Chemie Lexikon" (Anlage K 42, Seite 3530) Polyethylene als

"Polymere mit Gruppierungen des Typs -(-CH2-CH2-)- als charakterist. Grundeinheit der Polymerkette."

Zur Herstellung von Polyethylenen erläutert dieses Nachschlagewerk in seiner neunten Auflage, dass die Polymerisation durch zwei grundsätzlich unterschiedliche Methoden vorgenommen wird, nämlich das Hochdruck- und das Niederdruckverfahren. Je nach Verfahren unterschieden sich die Substanzen hinsichtlich ihres Verzweigungsgrades und dementsprechend in ihrem Kristallinitätsgrad und ihrer Dichte. Das Hochdruck-Verfahren führe zu Polyethylenen mit niedriger Dichte, als LDPE bezeichnet ("low density polyethylene"), das Niederdruckverfahren zu Polyethylen hoher Dichte, sogenanntem HDPE ("high density polyethylene"). Durch Copolymerisation des Ethylens mit längerkettigen Olefinen wie insbesondere Buten und Okten könne der Verzweigungsgrad von LDPE reduziert werden.

cc)

Auch die Veröffentlichung "Encyclopedia of chemical technology" (Anlage rop 8) stellt als eine Gruppe von Polyethylenen LLDPE dar und untersucht die Eigenschaften von Polyethylenen mit Copolymersiation von 1-Buten und 1 Okten (Anlage rop 8, Seite 387f.). In schematischer Darstellung zeigt diese Veröffentlichung die unterschiedlichen Verzweigungsgrade von verschiedenen Arten von Polyethylen mit geringer Dichte. Ferner erläutert diese Veröffentlichung, dass Substanzen, die als Comonomere Methyl-, Ethyl-, Propyl und Hexyl-Seitenketten aufweisen, unabhängig vom Copolymerisationsgrad durchweg eine höhere Dichte haben als copolymerisierte 1-Buten-, 1-Penten- oder 1-Oktenseitenketten.

dd)

Das Verzeichnis "The Merck Index" (rop 9, Ziffer 7728) definiert Polyethylen wiederum als "Ethen homopolymer" und gibt als allgemeine Strukturformel ebenfalls die Struktur -(-CH2-CH2-)-n an.

ee)

Das Begriffsverzeichnis "Standard Terminology Relating to Plastics" schließlich definiert (Anlage rop 10, Seite 175, linke Spalte) Polyethylen als Polymer, das durch die Verwendung von Polyethylen als einzigem Polymer hergestellt wird. Hierin grenzt es die Definition ab zu derjenigen von "Polyethylen-Kunststoffen" (englisch: "polyethylene plastics"), welche definiert werden als Kunststoffe, die auf Polymeren basieren, die Ethylen als im wesentlichen einziges Monomer aufweisen.

b)

Darin, dass das allgemeine Fachverständnis vom Begriff "Polyethylen" anzuwenden ist, wird der Fachmann durch die Erläuterungen des Klagepatents gestützt. Das Klagepatent lehrt, dass die patentgemäße Aufgabe durch die Wahl des passenden Werkstoffs, nämlich des auf die Verwendung in der Konstruktion abgestimmten Kunststoffes gelöst werden kann. Gegenüber dem Stand der Technik grenzt sich die patentgemäße Lehre ab von Lösungsansätzen mit zwei Schichten, deren innere ein Elastomermaterial ist, ferner von Lösungsansätzen mit einer Schicht, deren Material mit Rücksicht auf die Verbindung des Katheters mit dem Ballon gewählt wird und schließlich von Lösungen, die zur Verbesserung der Reibungseigenschaften die Materialwahl an dem Erfordernis der Steifigkeit und Biegsamkeit orientieren und die Reibungseigenschaften durch eine Beschichtung des Lumens und/oder des Führungsdrahtes verbessern. Als geeignete Materialwahl lehrt das Klagepatent eine Kombination aus Polyamid für die äußere Schicht (3) und aus Polyethylen, vorzugsweise Polyethylen von hoher Dichte (HDPE) (Anlage K 2, Seite 7, Zeile 32ff.), für die innere Schicht (2). Die Verwendung von Polyethylen wird in der Patentbeschreibung (Anlage K 2, Seite 7 letzter Absatz und Seite 8 letzter Absatz) mit dem niedrigen, bei der Verwendung von Polyethylen hoher Dichte gar "extrem niedrigen" Reibungskoeffizienten begründet. Zugleich lehrt das Klagepatent, dass die Verwendung von Polyethylen für die innere Schicht (2) zusammen mit der Kombination zweier Schichten auch einen angemessenen Knickfestigkeitskoeffizienten gewährleistet (Anlage K 2, Seite 8 erster Absatz).

Diese Lehre des Klagepatents entspricht der patentgemäßen Aufgabe und der Darstellung des Standes der Technik. Die Diskussion der Ausgestaltung von Eingriffskathetern hat zum Gegenstand, dass der Katheter zum einen steif genug sein muss, um im Gefäß geführt zu werden und gleichzeitig biegsam genug, um ein Vordringen in kurvenreiche Gefäße zu ermöglichen. Zum anderen muss das Lumen des Katheters einen möglichst geringen Reibungswiderstand mit dem Führungsdraht verursachen, wobei das Lumen auch so knickfest ausgebildet sein muss, dass der Katheter nicht derart umknickt, dass sich das Lumen verengt.

Zusätzlich stellt sich das Problem, dass das Material des Katheters an der Stelle, an der sich der Dilatationsballon anschließt, gute Verbindungseigenschaften im Verhältnis zum Material des Ballons haben muss (vgl. Anlage K 2, Seite 5, Zeile 3). Die Verbindungseigenschaften müssen deshalb um so besser sein, weil beim Aufblasen des Ballons ein hoher Druck eingesetzt werden muss (vgl. Anlage K 2, Seite 4, Zeile 35f.) Dies steht im Gegensatz zu den Anforderungen an die Eigenschaften, die das Material des Katheters innerhalb des Lumens haben muss, nämlich einen niedrigen Reibungskoeffizienten.

Mithin beruht die technische Lehre des Klagepatents auf der Auswahl und Kombination der für den Katheter verwendeten Materialien. Aus der Patentbeschreibung und zumal durch die Diskussion des Standes der Technik erfährt der Fachmann, dass der Auswahl des Materials gemäß den Merkmalen 5 und 6 des Hauptanspruchs 1 für die Lösung der Aufgabe entscheidende Bedeutung zukommt.

c)

Aus der Verwendung des unbestimmten Artikels im Hauptanspruch 1 des Klagepatents lässt sich aus fachmännischer Sicht gleichfalls kein vom allgemeinen Fachverständnis vom Begriff des Polyethylens wegführender Hinweis auf die Anforderungen an die chemische Beschaffenheit des für die innere Schicht des klagepatentgemäßen Eingriffskatheters entnehmen. Das Argument der Klägerin, das Klagepatent grenze sich durch die Verwendung des unbestimmten Artikels von der zum Stand der Technik gehörenden EP 0 381 687 (Anlage K 9) ab, greift nicht durch.

aa)

Erstens verwendet die EP ’687 den Begriff Polyethylen ebenfalls nicht mit bestimmten Artikel. Es heißt dort in englischer Sprache (Anlage K 9, Spalte 2, Zeile 42ff.):

"This polymeric material provides a tubular member having the strength and flexibility of prior tubular members formed from materials such as polyethylene […]. For example, the polyethylene tubing typically used for dilatation catheters has a normal wall thickness of about 0.005 inch.

Hierin wird der Begriff Polyethylen einmal gar nicht mit Artikel gesetzt, im folgenden Satz bezieht sich der bestimmte Artikel nicht auf das Hauptwort "polyethylene", sondern auf den zusammengesetzten Begriff "polyethylene tubing", was demnach nicht mit "das Polyethylen", sondern mit "die Polyethylen-Röhre" zu übersetzen ist. Die Verwendung des Begriffs Polyethylen mit unbestimmtem Artikel im Klagepatent bedeutet damit nur, dass nach dem Klagepatent nicht allein eine einzige bestimmte Substanz als Werkstoff in Frage kommt, sondern eine der Substanzen, die der Fachmann als "Polyethylen" zu qualifizieren vermag.

bb)

Zweitens wäre die Verwendung des unbestimmten Artikels im Anspruch des Klagepatents selbst dann, wenn sie aus fachmännischer Sicht auf die Existenz mehrerer Arten von Polyethylenen hindeutete, mit dem dargestellten allgemeinen Begriffsverständnis vereinbar, würde also den Fachmann nicht dazu veranlassen, dieses allgemeine Begriffsverständnis außer Acht zu lassen. Wie oben unter a) dargestellt, ist das allgemeine Begriffsverständnis dasjenige, dass unter den Begriff des Polyethylens eine Vielzahl von verschiedenen konkreten Substanzen mit jeweils unterschiedlichen chemischen Struktur- und Summenformeln und sehr unterschiedlichen physikalischen Eigenschaften zu fassen ist. In diesem Sinne ist der Begriff Polyethylen nach seinem allgemeinen Verständnis ein Sammelbegriff. Die Verwendung dieses Sammelbegriffs mit dem unbestimmten Artikel versteht der Fachmann in der Weise, dass das Klagepatent nicht schon im Hauptanspruch eine Gruppe von Substanzen, die als Polyethylen nach der allgemeinen Definition zu verstehen sind, ausgeschlossen werden. Eine Auswahl bestimmter Polyethylene geschieht erst im Rahmen des Unteranspruchs 3., gemäß dem ein Polyethylen von hoher Dichte ("HDPE") gelehrt wird.

d)

Der klägerischen Ansicht, der maßgebliche Durchschnittsfachmann sei bereit, das allgemeine Begriffsverständnis von Polyethylen als bloße akademische Auffassung der chemischen Wissenschaften zu überwinden, und werde deshalb auch den Werkstoff X als klagepatentgemäßen Kunststoff in den Blick nehmen, weil dieser die geeigneten physikalischen Eigenschaften aufweise, greift nicht durch. Zwar trifft es zu, dass maßgeblicher Durchschnittsfachmann kein Chemiker, sondern ein Ingenieur auf dem Gebiet der Medizin- oder Feinwerktechnik ist. Indes verfügt auch der maßgebliche Durchschnittsfachmann über Kenntnisse auf dem Gebiet der Kunststoffverarbeitung. Zu seinem allgemeinen Fachwissen gehört daher das Wissen um die chemischen Eigenschaften jedenfalls der für seine Tätigkeit wichtigen Kunststoffe, zu denen Polyethylen zählt. Demnach wird der maßgebliche Fachmann über dieselben Kenntnisse über die chemischen Grundlagen dieser Kunststoffe verfügen wie ein Chemiker, und er wird, ebenso wie ein Chemiker, die aus der Polymerchemie bekannten Begriffsbestimmungen ernst nehmen. Dies ist für ihn um so dringlicher, weil er Produkte für die Verwendung in der Medizintechnik entwirft, so dass er kaum bereit sein wird, von den chemischen Grundlagen der Kunststoffverarbeitung gleichsam experimentell abzuweichen, obwohl ihm bekannt ist, dass schon geringe Veränderungen in der chemischen Zusammensetzung eines Kunststoffs dessen physikalische Eigenschaften tiefgreifend verändern können.

Die Auffassung der Klägerin selbst zum Wissensstand des maßgeblichen Fachmanns kann im Ergebnis zu keiner anderen fachmännischen Sichtweise auf die Auswahl geeigneter Materialien führen. Immerhin ist nach der klägerischen Auffassung dem Fachmann zuzutrauen, aus einer Vielzahl von Kunststoffen aufgrund seines allgemeinen Wissens um die Polymerchemie denjenigen herauszufinden, der die nach der technischen Lehre des Klagepatents erforderlichen Materialeigenschaften aufweist. Wollte der Fachmann also in einem ersten Schritt die chemischen Definitionen zur chemischen Beschaffenheit von Kunststoffen missachten, um in einem zweiten Schritt sodann denjenigen Kunststoff zu definieren, der nach dem Struktur-Eigenschaften-Zusammenhang geeignet ist für die klagepatentgemäße Verwendung, müsste er eine stark uneinheitliche Sichtweise an den Tag legen und gleichsam "schizophren" agieren: Einerseits wäre er bereit, das allgemeine chemische Fachwissen auszublenden, andererseits würde er eben diesem Grundwissen so sehr vertrauen, dass er die entscheidende Frage der Materialauswahl auf Grundlage dieses Wissens treffen will.

e)

Auch der Einwand der Klägerin, das einen Katheter betreffende Europäische Patent des Konzerns der Beklagten EP X (Anlage K 25, als deutsche Übersetzung unter dem Aktenzeichen DE X Anlage K 26) belege, dass gemäß der Lehre des Klagepatents auch X ein Polyethylen sei, greift nicht durch.

Zum einen ist das EP ’142 für die Bestimmung der technischen Lehre zum Prioritätszeitpunkt des Klagepatents (27.10.1993) nicht maßgeblich, weil es eine spätere Priorität in Anspruch nimmt (31.01.1994). Selbst wenn durch das EP ’142 offenbart würde, dass X für die Zwecke der Konstruktion eines Katheters unter den Begriff Polyethylen zu fassen wäre, könnte dies nicht Berücksichtigung in der Auslegung des prioritätsälteren Klagepatents finden. Es ist nicht von der Klägerin dargetan und auch nicht auf andere Weise ersichtlich, dass zum Prioritätszeitpunkt des Klagepatents der Werkstoff X als Polyethylen betrachtet wurde.

Zum anderen lässt sich dem EP ’142 gerade nicht die Offenbarung entnehmen, X sei ein Polyethylen. In der Beschreibung vorzugswürdiger Ausführungsbeispiele heißt es im EP ’142 (Abschnitt [0031f.], in deutscher Übersetzung Anlage K 26, ab Seite 9, Zeile 29), dass das Material der inneren Kunststoffschicht eines offenbarten Katheters vorzugsweise aus einem Copolymer besteht, welches einen Hauptanteil aus einem Vinylpolymer wie Ethlyen und einen kleinern Anteil aus einer ungesättigten Carbonsäure oder einem Anhydrid aufweist. Ein solcher Kunststoff wird in der Beschreibung des EP ’142 als "Polyethylen, das etwa 1 bis 5 Molprozenzt an Maleinsäureanhydrid-Polymereinheiten im Molekül aufweist" bezeichnet. Im Anschluss hieran benennt die Beschreibung des EP ’142 X als einen Werkstoff dieser Art. Auf diese Beschreibung bezieht sich auch die Formulierung des Unteranspruchs 4. des EP ’142, welcher als Material der inneren Plastikschicht als geeignetes Vinylpolymer "ein Polyethylen [...], das eine geringe Menge einer ungesättigten copolymerisierten Carbonsäure oder eines Anhydrids hiervon aufweist" offenbart. Der Offenbarungsgehalt der EP ’142 hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen X und dem allgemeinen Begriffsverständnis von Polyethylen geht demnach dahin, dass Stoffe, die zu einem hohen Anteil (95 Molprozent oder mehr) Ethyleneinheiten aufweisen und mit einem geringen Anteil von Einheiten einer ungesättigen Carbonsäure oder eines Anhydrids davon copolymerisiert sind, im konkreten Zusammenhang als "Polyethylen" bezeichnet werden. Eine Ausdehnung des allgemeinen Begriffsverständnisses ist damit nicht verbunden. Zur Auslegung des Begriffs des Polyethylen im Klagepatent, welches wie dargestellt Erläuterungen zur chemischen Zusammensetzungen der Kunststoffe anders als das EP ’142 gerade nicht enthält, trägt die Verwendung des Begriffs Polyethlyen im konkreten Zusammenhang des EP ’142 aus diesem Grunde nichts bei.

2.

Auf dieser Grundlage lässt sich nicht feststellen, dass die angegriffene Ausführungsform das Klagepatent wortsinngemäß verletzt. Die innere Schicht der Katheter in der angegriffenen Ausführungsform 4 besteht aus dem Kunststoff X. Dieser Kunststoff weist nicht allein unverzweigte und verzweigte Ethylketten und/oder copolymere Strukturen mit geradezahligen Seitenketten (1-Buten, 1-Hexen oder 1-Okten) auf, sondern darüber hinaus auch Maleinsäureanhydrid-Gruppen, in denen Sauerstoffatome enthalten sind, und die an Stelle einer Kettenstruktur eine Ringstruktur ausbilden.

Mit dem dargelegten maßgeblichen allgemeinen Fachverständnis vom Begriff des Polyethylens ist die Verwendung von X für die inneren Schicht des Katheterrohrs nicht in Einklang zu bringen. X weist ersichtlich andere Struktureinheiten als Polyethylen auf. Die genannten Fachveröffentlichungen definieren solche Copolymere nicht mehr als Polyethylen. Wenn dort (etwa in der "Encyclopedia of chemical technology", Anlage rop 8, S. 387f.) im Zusammenhang mit Polyethylen auch Copolymere mit Alkylgruppen (Methyl-, Ethyl-, Propyl- und Hexylseitenketten) behandelt werden, dann nur zur Erläuterung von Materialeigenschaften von Polyethylenen einerseits und anderen Kunststoffen andererseits. Eine begriffliche Aufweitung liegt darin nicht. Die Definition für Polyethylen-Kunststoffe gemäß der "Standard Terminology Relating to Plastics" (Anlage rop 10, Seite 175) ist keine Begriffsbestimmung für Polyethylen selber, sondern für Polyethylen-Kunststoffe, also für eine andere Gruppe von polymeren Substanzen. Wenn diese Ethylen-Gruppen lediglich als "charakteristische" Monomere enthalten, bestimmt dies nicht den Begriff des Polyethylens.

Die Angabe der Fa. X, des Herstellers von X, es handele sich bei diesem Werkstoff um ein "Polyethylen mit hoher Dichte" (Anlage K 18), erlaubt demgegenüber nicht die Feststellung, auch X sei nach dem allgemeinen Fachverständnis ein Polyethylen. Die Produktbeschreibung enthält an der fraglichen Textstelle eine Erläuterung zur Bedeutung von Maleinsäureanhydrid-Gruppen:

"Maleic anhydride is a comonomer used in the finishing of X, a type of highdensity polyethylene”,

zu deutsch:

"Maleinsäureanhydrid ist ein Comonomer, das bei der Herstellung von X, einem Polyethylen mit hoher Dichte verwendet wird."

Hieraus ist zum einen nicht erkennbar, ob mit dieser Herstellerangabe die Aussage getroffen werden soll, X sei ein Polyethylen gemäß dessen wissenschaftlicher Definition, oder ob sich die Aussage darauf beschränkt, dieses Material komme nach seinen Eigenschaften einem definitionsgemäßen Polyethylen nahe. Zum anderen ist nicht nachvollziehbar, ob und in welchem Maße die Angabe eines Herstellers gegenüber den Angaben in wissenschaftlichen Veröffentlichungen das allgemeine Fachverständnis zu prägen vermag. Dass X ein derart weit verbreiteter Werkstoff ist, dass die Beschreibung seiner Eigenschaften gleichsam pars pro toto als Eigenschaften einer gesamten Gruppe von Materialen angesehen werden, ist weder ersichtlich noch vorgetragen.

Auch dem Untersuchungsbericht der Fa. X (Anlage K 27), der andere Ausführungsformen als die angegriffene Ausführungsform 4 zum Gegenstand hat, ist nichts anderes zu entnehmen. Diese Untersuchung führt nicht zu dem Ergebnis, dass X aus fachmännischer Sicht als Polyethylen zu qualifizieren ist. Das Spektrogramm einer inneren Schichten einer untersuchten Ausführungsform wird nicht als Spektrogramm von Polyethylen beurteilt, sondern als eines, das demjenigen von Polyethylen ähnlich ist (Anlage K 27, Diagramme auf Seiten 6, ):

"The bonding and nonbonding surfaces of the luminal polymer layer appear similar to high density polyethylene (HDPE).” (Hervorhebung hinzugefügt)

Somit ergibt auch das von der Klägerin vorgelegte Privatgutachten keine Übereinstimmung der physikalischen Eigenschaften (Spektrum) von Polyethylenen einerseits und X andererseits. Das belegt die gewählte Formulierung des Privatgutachters, der sich auf die Feststellung der Ähnlichkeit des Spektrums beschränkt und es vermeidet, die Übereinstimmung festzustellen. Die immerhin nach diesem Privatgutachten feststellbare Ähnlichkeit mag darauf beruhen, dass die copolymeren Strukturen von X (die Maleinsäureanhydrid-Gruppen) im Verhältnis zu den homopolymeren Ethylen-Strukturen einen geringen Anteil haben.

Mithin scheidet eine wortsinngemäße Verletzung des Klagepatents aus.

3.

Auch eine äquivalente Verletzung lässt sich nicht feststellen. Eine äquivalente Merkmalsverwirklichung setzt voraus, dass - erstens - das von der angegriffenen Ausführungsform im Verhältnis zum Klagepatent abgewandelte Mittel die objektiv gleiche von dem Klagepatent erstrebte Wirkung zur Lösung des zugrunde liegenden Problems entfaltet (Gleichwirkung), - zweitens - das abgewandelte Mittel für den Fachmann im Prioritätszeitpunkt ohne besondere Überlegungen aufgrund seines Fachwissens auffindbar ist (Naheliegen), und dass - drittens - der Fachmann die abweichende Ausführung mit abgewandelten Mitteln als Lösung in Betracht zieht, die der gegenständlichen Lehre gleichwertig ist (Gleichwertigkeit; vgl. insgesamt BGH GRUR 1987, 279 - Formstein; BGHG GRUR 1988, 896 - Ionenanalyse; BGH GRUR 1989 - 903 - Batteriekastenschnur; BGH GRUR 2002, 511 - Kunststoffrohrteil).

Vorliegend lässt sich jedenfalls nicht feststellen, dass die Verwendung von X als Material für die innere Schicht der angegriffenen Ausführungsform 4 in diesem Sinne gleichwertig ist. Die Annahme von Gleichwertigkeit setzt voraus, dass die fachmännischen Überlegungen zum Auffinden des Ersatzmittels am Sinngehalt der patentierten Lehre in dem Sinne anknüpfen müssen, dass der Fachmann die abgewandelte Ausführung einschließlich des Austauschmittels als im Lichte der technischen Lehre des Patents gleichwertige Lösung betrachtet. Gleichwertigkeit kann daher nicht schon deshalb angenommen werden, weil der Fachmann dank seines Fachwissens und gestützt auf den vorbekannten Stand der Technik überhaupt in der Lage war, das fragliche Austauschmittel aufzufinden. Es kommt vielmehr darauf an, ob für ihn das konkrete Austauschmittel dadurch auffindbar war, dass er sich an der im Patentanspruch offenbarten technischen Lehre und dem darin zum Ausdruck kommenden Lösungsgedanken orientiert (Kühnen/Schulte, PatG, 8. Aufl., § 14 Rn. 63).

Dies lässt sich nicht feststellen. Hauptanspruch 1. des Klagepatents lehrt die Verwendung eines Polyethylens als Material der inneren Schicht des klagepatentgemäßen Eingriffskatheters. Auch in der Patentbeschreibung, welche der Fachmann zur Auslegung des Patentanspruchs heranzieht, ist durchgängig der Begriff Polyethylen gebraucht. Sämtliche bevorzugten Ausführungsbeispiele sowie die untergeordneten Ansprüche zeigen Polyethylen im allgemeinen Fachverständnis. Ein Anhalt dafür, dieses Material abzuändern, insbesondere Maleinsäureanhydridgruppen hinzuzufügen, enthält das Klagepatent nicht. Wieso sich der Fachmann über diese Vorgabe für die Verwendung eines Materials hinwegsetzen sollte, ist nicht ersichtlich. Wie oben bereits zur Prüfung einer wortsinngemäßen Verletzung ausgeführt, nimmt der Fachmann den Begriff des Polyethylens als eine auch ihm verständliche Angabe zur Materialauswahl ernst und füllt diesen Begriff mit dem Inhalt, mit dem ihn auch ein Chemiker ausfüllen würde. Ferner ist dem Fachmann aus der Patentbeschreibung, nicht zuletzt im Hinblick auf die Abgrenzung zum Stand der Technik, ersichtlich, dass es nach der technischen Lehre des Klagepatents auf die Wahl des richtigen Materials ankommt, um die patentgemäße Aufgabe zu lösen. Schließlich berücksichtigt der Fachmann, dass schon geringe Änderungen in der chemischen Struktur eines Kunststoffes dessen physikalische Eigenschaften tiefgreifend ändern können, mithin potentiell geeignet sein können, einen Kunststoff als geeignetes Material für die nach den Klagepatent komplexe Aufgabe auszuschließen.

Vor diesem Hintergrund kann nicht angenommen werden, X sei ein gleichwertiges Austauschmittel. Selbst wenn der Fachmann in dem für die Bestimmung des äquivalenten Schutzbereich maßgeblichen Prioritätszeitpunkt des Klagepatents (Kühnen/Schulte, a.a.O., § 14 Rn. 62) aufgrund seines allgemeinen Fachwissens und dem vorbekannten Stand der Technik X als einen in seinen physikalischen Eigenschaften dem Polyethylen verwandten oder gar ähnlichen Kunststoff betrachtet haben sollte, bietet indes das Klagepatent keinen Ansatzpunkt dafür, dass der Fachmann statt des begrifflich eindeutig gelehrten Kunststoffs einen verwandten bzw. ähnlichen Kunststoff wählen könnte. Für eine solche Freiheit bei der Auswahl der Materialien ist nicht zuletzt die sicherheitsrelevante Verwendung einer klagepatentgemäßen Vorrichtung ungeeignet. Schon geringe Zweifel, ob das Material des Austauschmittels womöglich auch nur kleine Abweichungen zeigt zu den Materialeigenschaften von Polyethylen, halten den Fachmann davon ab, ein Austauschmittel in Betracht zu ziehen.

Im Hinblick auf das Austauschmittel X mag dahinstehen, ob - was die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15.01.2009 näher dargelegt hat - eine "Klebrigkeit" von X tatsächlich nur bedeutet, dass X an bestimmten anderen Kunststoffen wie namentlich Polyamid gut haftet, jedoch an Nicht-Kunststoff-Materialien wie beispielsweise dem rostfreien Stahl des Führungsdrahtes nicht klebt. Neben der Anforderung des geringen Reib- bzw. Haftwiderstandes des in der inneren Schicht verwendeten Kunststoffs, kommt es aber auch darauf an, dass auch der Kunststoff in der inneren Schicht hinreichend knickfest sein muss, um zu gewährleisten, dass das Lumen des Katheters sich nicht verengt. Dass auch diese Materialeigenschaft durch ein Austauschmittel wie X® gewährleistet ist, ist aus fachmännischer Sicht im Lichte der technischen Lehre des Klagepatents nicht erkennbar. Im Übrigen trägt das von der Klägerin in mündlicher Verhandlung vorgebrachte Argument, dem Fachmann seien die (physikalischen) Materialeigenschaften von X aufgrund der vielfachen Anwendung des Materials bekannt, schon deshalb die Annahme einer äquivalenten Patentverletzung nicht, weil die Klägerin nicht dargetan hat, dass dem Fachmann die Verwendung von X gerade für die Innenschicht im Lumen eines Herzkatheters geläufig war und er deshalb wissen musste, ob das Material für diese konkrete Verwendung geeignet ist. Die allgemeine Kenntnis von Materialeigenschaften von X legt dem Fachmann noch nicht nahe, das Material könne in einer so komplexen und materialkritischen Vorrichtung wie einem Herzkatheter Anwendung finden und als Austauschmittel für Polyethylen dienen.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 108 ZPO.






LG Düsseldorf:
Urteil v. 10.02.2009
Az: 4b O 211/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/f700fcb57e62/LG-Duesseldorf_Urteil_vom_10-Februar-2009_Az_4b-O-211-07




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