Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. Juni 2005
Aktenzeichen: 25 W (pat) 72/03
(BPatG: Beschluss v. 09.06.2005, Az.: 25 W (pat) 72/03)
Tenor
Auf die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke wird der Beschluß der Markenstelle für Klasse 05 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 16. Dezember 2002 aufgehoben und der Widerspruch aus der Marke 730 046 zurückgewiesen.
Gründe
I.
Die Marke 397 48 078 RENAGEL ist am 7. Januar 1998 in das Markenregister eingetragen worden und beansprucht Schutz nur noch für "Phosphatbindemittel zur Behandlung von Hyperphosphatämie".
Gegen die Eintragung hat die Inhaberin der älteren Marke 730 046 Reneeldie seit dem 16. Oktober 1959 für "Arzneimittel" eingetragen ist, Widerspruch erhoben.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hatte zunächst die Benutzung der älteren Marke umfassend bestritten, diese Einrede aber fallengelassen, nachdem die Widersprechende entsprechende Benutzungsunterlagen für den Zeitraum von 5 Jahren vor Entscheidung über den Widerspruch durch die Markenstelle im Sinne des § 43 Abs 1 Satz 2 MarkenG vorgelegt hatte, aus denen sich die Benutzung der Widerspruchsmarke für "Arzneimittel" ergab. Im Beschwerdeverfahren hat die Inhaberin der angegriffenen Marke die Nichtbenutzungseinrede wieder aufgegriffen und die Benutzung der Widerspruchsmarke für den Zeitraum von 5 Jahren vor Veröffentlichung der Eintragung der jüngeren Marke im Sinne des § 43 Abs 1 Satz 1 MarkenG bestritten. Die Widersprechende hat daraufhin neue Unterlagen vorgelegt, die den Zeitraum zwischen 1999 und 2004 abdecken und Faltschachteln, Packungsbeilagen und eine Eidesstattliche Versicherung des Prokuristen der Widersprechenden vom 25. August 2004 umfassen. Danach wird die Widerspruchsmarke für ein homöopathisches Arzneimittel zur Behandlung von Erkrankungen der Harnwege eingesetzt.
Die Markenstelle für Klasse 05 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluß vom 16. Dezember 2002 durch eine Beamtin des höheren Dienstes dem Widerspruch teilweise stattgegeben, insoweit Verwechslungsgefahr bejaht und die Löschung der angegriffenen Marke für mehrere Waren der Klasse 5, ua auch für die nunmehr nur noch beanspruchten "Phosphatbindemittel ....." angeordnet.
Da die Nichtbenutzungseinrede fallengelassen worden sei, sei von der Registerlage auszugehen. Bei normaler Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke liege in bezug auf die zurückgewiesenen Waren hohe Ähnlichkeit bis Identität vor. Infolge der Gemeinsamkeiten in der Lautfolge bei 5 Lauten und in der Endung bestehe Verwechslungsgefahr, der durch die Abweichungen im Wortinneren nicht mehr begegnet werden könne. Lediglich im Bereich nur mittlerer Warenähnlichkeit bis Warenferne bestehe ein noch ausreichender klanglicher Abstand.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluß des DPMA aufzuheben, Die jeweiligen Marken stimmten in nur einer Silbe überein, wie der Vergleich "Renagel" und "Reneel" zeige. Dabei werde die Silbe "-neel" der Widerspruchsmarke einsilbig mit einem gedehnten "e" ausgesprochen. Die abweichende Silbenzahl führe zu einer unterschiedlichen Betonung und Silbentrennung. Die angegriffene Marke werde auf der Mittelsilbe "-na-", die Widerspruchsmarke dagegen auf der Endung "-neel" betont. Der vorliegende Fall sei mit der Entscheidung des OLG Hamburg MarkenR 2000, JEANTEX # jeanbax vergleichbar, in der trotz Warenidentität Verwechslungsgefahr verneint worden sei, da es dafür nicht auf rein formale und vordergründige Übereinstimmungen ankomme, die zu einer unzulässig zergliedernden Betrachtungsweise führte. Hinzu komme, daß sich die jeweiligen Waren, die unter Umständen rezeptpflichtig seien, nicht an das breite Publikum, sondern an Fachkreise wendeten, die aufmerksamer seien. Nachdem auf Seiten der Widerspruchsmarke von einem Präparat gegen entzündliche Erkrankungen im Bereich der ableitenden Harnwege auszugehen sei und die Inhaberin der angegriffenen Marke Schutz nur noch für "Phosphatbindemittel zur Behandlung von Hyperphosphatämie" beanspruche, liege eine erhebliche Warenferne vor, die gegen eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr spreche.
Die Widersprechende hat zwar auf die erneut erhobene Nichtbenutzungseinrede weitere Unterlagen vorgelegt, aber keine Anträge gestellt oder sich zur Frage der Verwechslungsgefahr geäußert.
II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet, dann zwischen den Marken besteht nach Auffassung des Senats keine Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Ans 1 Nr 2 MarkenG.
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat im Beschwerdeverfahren die Nichtbenutzungseinrede wieder aufgegriffen, nachdem sie die Benutzung der Widerspruchsmarke für den Zeitraum von 5 Jahren vor Veröffentlichung der jüngeren Marke im Sinne des § 43 Abs 1 Satz 1 MarkenG für die eingetragene Ware "Arzneimittel" anerkannt hatte. Auf die im Beschwerdeverfahren erneut erhobene Einrede, die sich auf den Zeitraum nach § 43 Abs 1 Satz 2 MarkenG bezieht, hat die Widersprechende ergänzende Unterlagen in Form einer weiteren Eidesstattlichen Versicherung zusammen mit Verpackungsschachteln und Packungsbeilagen aus dem fraglichen Zeitraum vorgelegt, die eine rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke für ein homöopathisches Arzneimittel bei Erkrankung der Harnwege belegen.
Nach den Grundsätzen der sog erweiterten Minimallösung (vgl Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 26, Rdnr 210 ff; vgl auch BPatG MarkenR 2004, 361 -
CYNARETTEN / Circanetten New), die in ständiger Rechtssprechung des Gerichts angewendet wird, sind bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit auf Seiten der älteren Marke daher "Urologika" entsprechend der Hauptgruppe 82 der Roten Liste zugrunde zu legen. Diese sind mit den "Phosphatbindemitteln zur Behandlung von Hyperphosphatämie", für die die jüngere Marke noch Schutz beansprucht, ähnlich. Auch wenn sich die damit verbundenen Behandlungsgebiete formal unterscheiden mögen, ist nicht auszuschließen, daß sich bei der Anwendung der Mittel Überschneidungen ergeben können, denn auch die angegriffene Marke ist in der Roten Liste 2003 in der Hauptgruppe 82 aufgeführt, weil das unter der jüngeren Marke vertriebene Phosphatbindemittel bei erwachsenen Hämodialysepatienten eingesetzt wird.
Da in den Warenverzeichnissen der Vergleichsmarken eine Rezeptpflicht nicht enthalten ist, sind die allgemeinen Verkehrskreise in die Beurteilung der Verwechslungsgefahr mit einzubeziehen, auch wenn das Mittel der jüngeren Marke der Rezeptpflicht unterliegt Der Senat geht von dem von der Rechtsprechung entwickelten Verbraucher-Leitbild aus, wonach auf einen durchschnittlich informierten und verständigen Verbraucher abzustellen ist, dessen Aufmerksamkeit je nach Produkt oder Dienstleistungen höher oder niedriger ausfällt, der jedoch allem, was mit der Gesundheit zu tun hat, aufmerksamer begegnet als einfachen Produkten des täglichen Lebens (vgl zum veränderten Verbraucherleitbild BGH MarkenR 2004, 124 - Warsteiner III; EuGH MarkenR 2002, 231 - Philips/Remington; zur Aufmerksamkeit im Gesundheitsbereich BGH GRUR 1995, 50 - INDOREKTAL / INDOHEXAL).
Unter diesen Umständen ist ein eher strenger Maßstab an den Abstand der Marken anzulegen, der von der jüngeren Marke jedoch eingehalten wird. Der Widerspruchsmarke kommt in ihrer Gesamtheit eine durchschnittliche Kennzeichnungskraft zu.
Ausgangspunkt der Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist der Gesamteindruck der Marken. Danach unterscheiden sich die Kennzeichen deutlich, denn die Markenwörter weichen sowohl in der Vokalfolge "-eae-" bzw "-eee-" und der Silbenzahl als auch im Sprechrhythmus, der dadurch erheblich verändert wird, voneinander ab. Dabei ist anzunehmen, daß die Endung "-eel" der älteren Marke nicht getrennt wie "-eel", ähnlich dem Wort "reell", sondern eher einsilbig und gedehnt ausgesprochen wird. Auch wenn die Wortanfänge stärker beachtet werden und Übereinstimmungen sich dort im allgemeinen stärker auf den klanglichen Gesamteindruck auswirken, kann nicht vernachlässigt werden, daß dem Wortanfang "Ren-", der in den zu vergleichenden Marken identisch enthalten ist, nur eingeschränkte Kennzeichnungskraft zukommt. Mit diesem Wortanfang mit der Bedeutung "Niere-" existieren eine Reihe von medizinischen Fachbegriffen (vgl Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 259. Aufl.), so daß dieser als Bestimmungswort verwendete Wortbestandteil allein die Gefahr von Verwechslungen nicht begründen kann.
Selbst wenn den allgemeinen Verkehrskreisen die beschreibende Bedeutung von "Ren-" nicht bekannt ist, wovon eher auszugehen ist, kann einem objektiv beschreibenden Markenbestandteil aus Rechtsgründen jedenfalls nicht ohne weiteres ein entscheidendes kennzeichnendes Gewicht zugemessen werden, wenngleich der Gesamteindruck durch kennzeichnungsschwache oder sogar schutzunfähige Elemente mitbestimmt werden kann und unter besonderen Umständen eine andere Betrachtungsweise geboten sein mag (vgl BGH GRUR 1996, 200 - Innovadiclophlont / Diclophlogont; MarkenR 2004, 356 - NEURO-VIBOLEX / NEURO-FIBROFLEX; Ströbele/Hacker, Markengesetz, 7. Aufl., § 9, Rdnr 345). Stimmen die Marken lediglich in solchen beschreibenden Bestandteilen überein, kann allein wegen dieses Umstands nicht die Gefahr von Verwechslungen im Verkehr begründet werden, denn maßgeblich kommt es beim Vergleich der Marken auf den Gesamteindruck an. Da sie sich - wie oben dargelegt - danach bereits in der Wortlänge sowie in den jeweiligen weiteren Silben hinreichend unterscheiden, kann eine unmittelbare Verwechslungsgefahr nicht festgestellt werden. Zusätzlich wird die Unterscheidung der Markenwörter durch die Endung "-gel" erleichtert, die an die Darreichungsform eines Gels erinnert und so als Merkhilfe wirken kann.
Die unterschiedlichen Merkmale sprechen ebenso gegen eine schriftbildliche Verwechslungsgefahr. Zum einen ergibt sich aus der unterschiedlichen Silbenzahl eine andere Wortlänge. Zum anderen weisen die Buchstaben "-ag- "bzw "-eel" sowohl in der Schreibweise mit großem Anfangs- und kleinen Folgebuchstaben als auch in Großbuchstaben unterschiedliche Konturen auf, die zu einem ausreichend großen Abstand der Markenwörter auch in schriftbildlicher Hinsicht führen. Dies gilt auch für eine handschriftliche Wiedergabe der Markenwörter, soweit diese im Zusammenhang mit der Verschreibung der Arzneimittel noch in Frage kommt.
Es besteht auch keine Gefahr, daß die Marken gedanklich miteinander in Verbindung gebracht und etwa unter dem Gesichtspunkt einer Markenserie verwechselt werden, wobei die gedankliche Verbindung durch einen kennzeichnungskräftigen Stammbestandteil ausgelöst werden muß, der in der Widerspruchsmarke eigenständig auf die betriebliche Herkunft hinweist. Auf beschreibende Sachhinweise kann dabei in aller Regel nicht abgestellt werden. Vielmehr haben in diesen Fällen Dritte ein berechtigtes Interesse, durch ein beschreibendes Wortelement lediglich den gleichen Indikationshinweis zu geben.
Die Beschwerde der Inhaberin der angegriffenen Marke hatte deshalb Erfolg.
Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen bietet der Streitfall keinen Anlaß, § 71 Abs 1 MarkenG.
Kliems Merzbach Sredl Na
BPatG:
Beschluss v. 09.06.2005
Az: 25 W (pat) 72/03
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