Bundesgerichtshof:
Urteil vom 23. Februar 2006
Aktenzeichen: I ZR 245/02
(BGH: Urteil v. 23.02.2006, Az.: I ZR 245/02)
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 13. August 2002 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die Parteien sind Wettbewerber auf dem Gebiet der Umsatzsteuerrückerstattung im nichtkommerziellen Reiseverkehr. Grundlage ihrer geschäftlichen Tätigkeit ist der Umstand, dass Verkäufe von Einzelhandelsunternehmen an außerhalb der Europäischen Union ansässige Reisende grundsätzlich umsatzsteuerfrei sind, wenn die Ware innerhalb von drei Monaten nach dem Kauf in das Drittlandgebiet gelangt (sog. "Export über den Ladentisch"). Eine unmittelbare Steuererstattung an den Reisenden selbst ist nicht möglich. Der Nachweis der Umsatzsteuerbefreiung wird gegenüber dem Finanzamt durch einen "Ausfuhrnachweis" und einen "Abnehmernachweis" geführt (§§ 8 ff., 17 UStDV). Die Einzelheiten des Verfahrens sind in dem "Merkblatt zur Umsatzsteuerbefreiung für Ausfuhrlieferungen im nichtkommerziellen Reiseverkehr" des Bundesministeriums der Finanzen dargestellt (vgl. BStBl. I 1999, S. 290; 2000, S. 1462; 2004, S. 535).
Um die Händler von dem mit der Umsatzsteuerrückerstattung verbundenen Verwaltungsaufwand zu entlasten, bieten verschiedene Serviceunternehmen, darunter die Parteien, ihnen ihre Dienste an. Die Parteien bedienen sich dabei unterschiedlicher Abwicklungssysteme:
Die Klägerin wird entsprechend dem im Merkblatt des Bundesministeriums der Finanzen beschriebenen Modell tätig, nachdem der Reisende den von dem Händler erworbenen Kaufgegenstand aus dem Gebiet der Europäischen Union ausgeführt hat. Der Reisende hat hierbei die Wahl, entweder die Erstattung des im Kaufpreis enthaltenen Umsatzsteueranteils unter Vorlage der gestempelten Zollnachweise gleich hinter der Zollabfertigung in einer Zahlstelle der Klägerin zu beantragen oder aber bei dieser einen schriftlichen Antrag zustellen. Im ersten Fall erhält er den Erstattungsbetrag bar ausbezahlt, im zweiten Fall eine Banküberweisung. Die Klägerin übersendet dem Händler eine Sammelrechnung über die erledigten Erstattungsfälle unter Beifügung der Zollnachweise. Der Händler zahlt an die Klägerin den abgerechneten Betrag und beantragt die Umsatzsteuererstattung bei dem für ihn zuständigen Finanzamt.
Angegriffen ist ein System der Beklagten, bei dem der Reisende vor der Ausfuhr eine Wechselstube eines mit der Beklagten zusammenarbeitenden Unternehmens aufsuchen muss und dort den im Kaufpreis enthaltenen Umsatzsteuerbetrag in bar ausbezahlt erhält. Im Gegenzug muss er den Abdruck seiner Kreditkarte hinterlassen und innerhalb von 30 Tagen die Zollnachweise nachreichen. Versäumt er diese Frist, ist die Beklagte berechtigt, sein Kreditkartenkonto in Höhe des ausbezahlten Betrages zu belasten.
Die Klägerin erblickt hierin ein Kreditgeschäft, zu dessen Vornahme die Beklagte nicht befugt sei. Die Werbung von Kunden mit Bargeld stelle zudem eine unzulässige Wertreklame dar.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, 1. es bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in Bezug auf die Mehrwertsteuerrückerstattung an Reisende aus Nicht-EG-Länderna) Barauszahlungen an Kunden vorzunehmen, bevor diese die für die Mehrwertsteuerrückerstattung erforderlichen Belege (Ausfuhrnachweis und Abnehmernachweis gemäß §§ 9 und 17 UStDV) beigebracht haben;
b) damit zu werben, dass der Kunde eine Barauszahlung erhält, bevor er die für die Mehrwertsteuerrückerstattung erforderlichen Belege (Ausfuhrnachweis und Abnehmernachweis gemäß §§ 9 und 17 UStDV) beibringt;
2. der Klägerin unter Vorlage eines einheitlichen, geordneten Verzeichnisses darüber Auskunft zu erteilen, in welchem Umfang sie die zu Ziffer 1 bezeichneten Handlungen begangen hat, und zwar unter Angabe - der Menge und der Zeiten der auf diese Weise vorgenommenen Barauszahlungen,
- der betrieblichen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Auflagenhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
- des erzielten Umsatzes.
Außerdem begehrt die Klägerin die Feststellung, dass die Beklagte ihr allen durch die in der Nr. 1 des Antrags bezeichneten Handlungen entstandenen Schaden zu ersetzen hat.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten.
Die Klage ist in beiden Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben.
Mit ihrer (vom Berufungsgericht zugelassenen) Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Die Beklagte beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Gründe
I. Das Berufungsgericht hat die von der Klägerin mit der Berufung weiterverfolgten Anträge für unbegründet erachtet und hierzu ausgeführt:
Die beanstandete Handlungsweise der Beklagten stelle entgegen der Auffassung der Klägerin kein nach § 32 des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG) erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG dar. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Reisenden generell nicht wahrnähmen, dass sie nicht mit dem Händler, sondern mit der Beklagten einen Kaufvertrag schlössen. Hiergegen spreche, dass der für den Reisenden bestimmte Kaufbeleg auf seiner Vorderseite ausdrücklich die Beklagte als Verkäuferin ausweise. Außerdem habe der Kunde mit seiner Unterschrift zu bestätigen, dass er die Allgemeinen Verkaufsbedingungen der Beklagten, aus denen sich ebenfalls deren Verkäuferstellung ergebe, zur Kenntnis genommen und sich mit ihnen einverstanden erklärt habe. Des Weiteren finde, da es ansonsten nicht zu dem bei einem normalen Verkaufsgeschäft unüblichen Ausfüllen der entsprechenden Formulare käme, im Geschäft des Händlers zwingend ein Verkaufsgespräch statt, bei dem der Reisende über den Sachverhalt informiert werde. Die Klägerin habe nicht konkret dargelegt, dass die bei diesem Verkaufsgespräch gegebenen Informationen lückenhaft oder sonst unzureichend seien.
Die Erstattungsvereinbarung zwischen der Beklagten und den Reisenden sei rechtlich als aufschiebend bedingter Kaufpreisnachlass zu qualifizieren. Der Reisende könne dabei wählen, ob er die Rückvergütung erst nach der Ausfuhr schriftlich bei der Beklagten geltend mache oder sich den Betrag zuvor in einer der T. -Wechselstuben bar auszahlen lasse. Die Barauszahlung enthalte auch für den Fall keine Kreditabrede, dass es durch das Überschreiten der Frist zur Vorlage der Zollbelege zu einer Rückbelastung komme. Die an dem Erstattungsverfahren beteiligten Personen erwarteten grundsätzlich, dass der Reisende den nachgelassenen Betrag behalten werde, weil er die Zollbelege wie versprochen rechtzeitig nachbringen werde. In dieser Hinsicht unterscheide sich das Verfahren von der Barauszahlung gegen Übergabe eines Euroschecks, die das damalige Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen als Darlehensgewährung i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG gewertet habe. Die Tatsache, dass das Geleistete beim Wegfall des Kaufpreisnachlasses zurückgefordert werde, gehöre zum Wesen einer Vorauszahlung. Die Erwartung der Beteiligten bei Abschluss des Vertrages sei auch dann vom Grundsatz der Steuerbefreiung geprägt, wenn ein nicht unerheblicher Teil der Reisenden der Beklagten die erforderlichen Zollbelege nicht übersende. Die in der Senatsentscheidung "Briefmarken-Auktion" (GRUR 1979, 482) angestellten Erwägungen ließen sich auf die hier streitgegenständliche Handhabung nicht übertragen. Das von der Beklagten überreichte Schreiben der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht vom 24. Juni 2002 weise ebenfalls darauf hin, dass die Beklagte kein erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG betreibe.
Ein Wettbewerbsverstoß unter dem Gesichtspunkt eines unlauteren übertriebenen Anlockens liege ebenfalls nicht vor. Für den Kunden ergebe sich eine Verfahrensvereinfachung nur insoweit, als er sich nicht mehr hinter der Zollabfertigung zu einer Zahlstelle begeben müsse, sondern den Erstattungsbetrag schon vorher im Inland in bar ausbezahlt erhalte und daher bereits dort über ihn verfügen könne. Soweit er auf diese Weise in den Genuss einer Vorleistung auf den vereinbarten Kaufpreisnachlass komme, liege darin kein übermäßiger, übertriebener Vorteil, zumal Vorschüsse - auch solche auf rechtlich noch nicht entstandene Ansprüche - im Wirtschaftsleben nichts Ungewöhnliches seien.
II. Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, dass die von der Klägerin beanstandete Handlungsweise der Beklagten kein nach § 32 KWG erlaubnispflichtiges Kreditgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG darstellt. Die von der Klägerin geltend gemachten Ansprüche auf Unterlassung, Auskunftserteilung samt Rechnungslegung sowie Schadensersatzfeststellung sind daher nicht aus § 1 UWG a.F., § 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 1, § 9 Satz 1 UWG i.V. mit §§ 3, 4 Nr. 11 UWG, § 242 BGB begründet.
a) Unter einem Kreditgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG ist das Gewähren von Gelddarlehen und Akzeptkrediten zu verstehen. Gelddarlehen sind Verträge i.S. des § 488 BGB, aufgrund deren der Darlehensgeber zur Hingabe von Geld und der Darlehensnehmer zur Rückzahlung von Geld verpflichtet ist (vgl. Bähre/Schneider, KWG, 3. Aufl., 1986, § 1 Anm. 8; Beck/ Samm, KWG, Stand September 1998, § 1 Rdn. 100; Fülbier in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler, KWG, 2. Aufl., 2004, § 1 Rdn. 44). Die Definition des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG ist damit enger als die Kreditbegriffe, die den §§ 13 ff. KWG zugrunde liegen (vgl. dazu Früh in Beck/Samm aaO Stand Oktober 2004, § 18 Rdn. 24-29); sie umfasst nur diejenigen Kreditgeschäfte, die aus aufsichtsrechtlicher Sicht als beobachtungsbedürftig erscheinen (vgl. Fülbier in Boos/Fischer/ Schulte-Mattler aaO § 1 Rdn. 45; Reischauer/Kleinhans, KWG, Stand April 2004, § 1 Rdn. 58 f.). Eine danach für die Annahme eines Gelddarlehens erforderliche Hingabe von Geld liegt dann nicht vor, wenn allein der eigene Absatz kreditiert, d.h. die Gegenleistung für eine erbrachte Leistung gestundet wird (vgl. Bähre/Schneider aaO § 1 Anm. 8; Beck/Samm aaO § 1 Rdn. 138 f.; Fülbier in Boos/Fischer/Schulte-Mattler aaO § 1 Rdn. 46). Zwar kommt einer solchen Stundung wirtschaftlich gesehen ebenfalls Kreditfunktion zu (vgl. Beck/Samm aaO § 1 Rdn. 138). Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kreditgeschäft i.S. des § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KWG vorliegt, ist jedoch - anders als die Revision meint - eine rechtliche Betrachtung geboten. Kreditgeschäfte im wirtschaftlichen Sinn werden von § 1 KWG nur insoweit erfasst, als sie dort - wie der Akzeptkredit (Abs. 1 Satz 2 Nr. 2), das Diskontgeschäft (Abs. 1 Satz 2 Nr. 3) und das Garantiegeschäft (Abs. 1 Satz 2 Nr. 8) - ausdrücklich genannt sind (Bähre/Schneider aaO § 1 Anm. 8).
b) Nach diesen Grundsätzen liegt kein Kreditgeschäft vor, wenn - wie im Streitfall - die Bezahlung eines Kaufpreisrests im Umfang des Unterschiedsbetrags zwischen dem vollen und dem im Hinblick auf eine mögliche Steuererstattung vereinbarten verminderten Kaufpreis unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass der Käufer die von ihm in dem Erstattungsverfahren innerhalb einer bestimmten Frist vorzunehmende Mitwirkungshandlung unterlässt. Die von der Beklagten insoweit gewählte Konstruktion stellt namentlich auch kein nach § 117 Abs. 1 BGB nichtiges und deswegen außer Betracht zu lassendes Scheingeschäft dar. Ein solches Scheingeschäft liegt dann nicht vor, wenn der von den Parteien erstrebte Erfolg gerade die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts voraussetzt (BGHZ 36, 84, 88). Aus steuerlichen Gründen ungewöhnlich gestaltete Verträge sind daher nur dann nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig, wenn mit ihnen das Ziel der Steuerhinterziehung verfolgt wird (vgl. BGHZ 67, 334, 337 f.; BGH, Urt. v. 9.7.1992 - XII ZR 156/90, NJW-RR 1993, 367; Urt. v. 5.7.1993 - II ZR 114/92, NJW 1993, 2609, 2610; Urt. v. 17.12.2002 - XI ZR 290/01, BGH-Rep 2003, 453, 454). Diese Voraussetzung ist im Streitfall zweifelsfrei nicht erfüllt.
c) Danach ist die Frage, ob die Vornahme eines Kreditgeschäfts ohne die dafür nach § 32 KWG erforderliche Erlaubnis der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht ein nach § 1 UWG a.F., §§ 3, 4 Nr. 11 UWG unzulässiges Wettbewerbsverhalten darstellt, im Streitfall nicht zu entscheiden.
2. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch ein unter dem Gesichtspunkt eines unlauteren übertriebenen Anlockens nach § 1 UWG a.F., §§ 3, 4 Nr. 1 UWG sittenwidriges und unzulässiges Wettbewerbsverhalten der Beklagten verneint.
Der Beispielstatbestand des § 4 Nr. 1 UWG erfasst nur solche Wettbewerbshandlungen, durch die ein unangemessener unsachlicher Einfluss ausgeübt wird. Die Schwelle zur Unlauterkeit ist dabei erst dann überschritten, wenn der Einfluss ein solches Ausmaß erreicht, dass er die freie Entscheidung des Verbrauchers zu beeinträchtigen vermag (vgl. für den Bereich der Kopplungsangebote: BGH, Urt. v. 22.9.2005 - I ZR 28/03, GRUR 2006, 161 Tz 17 = WRP 2006, 69 - Zeitschrift mit Sonnenbrille; für den Bereich der Verbraucherwerbung: BGHZ 164, 153 Tz 17 - Artenschutz). Daran fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil der Vorteil, den der Käufer beim Verfahren der Beklagten gegenüber dem im Merkblatt des Bundesministeriums der Finanzen beschriebenen und auch von der Klägerin praktizierten Modell hat, allein darin besteht, dass er den im vollem Kaufpreis enthaltenen Umsatzsteuerbetrag nicht erst (unmittelbar) nach der Zollabfertigung, sondern bereits vor dieser erstattet bekommt.
3. Ebenfalls nicht begründet ist die Klage schließlich auch unter dem von der Klägerin in der Revisionsinstanz geltend gemachten Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Transparenzgebot (vgl. dazu nunmehr § 4 Nr. 4 UWG). Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, dass der Reisende bei dem System der Beklagten durch den für ihn bestimmten Kaufbeleg und das im Geschäft des Händlers notwendigerweise zu führende Verkaufsgespräch über den Sachverhalt hinreichend informiert wird.
III. Danach war die Revision der Klägerin mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Ullmann v. Ungern-Sternberg Pokrant Schaffert Bergmann Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 21.12.2001 - 38 O 66/00 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 13.08.2002 - 20 U 56/02 -
BGH:
Urteil v. 23.02.2006
Az: I ZR 245/02
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