Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 22. Juni 2004
Aktenzeichen: 4 U 13/04
(OLG Hamm: Urteil v. 22.06.2004, Az.: 4 U 13/04)
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. Dezember 2003 verkündete Urteil der VI. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,- EUR abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine seit dem 5. Dezember 1997 im Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit Sitz in V, deren Geschäftsgegenstand auch der Großhandel mit Kartoffeln ist. Sowohl die Geschäftsführerin der Klägerin als auch die einzige Gesellschafterin, Frau L, leben in C2 und sind dort als Erzieherinnen tätig. Nach einer Creditreform-Auskunft belief sich der Jahresumsatz der Klägerin in 2001 auf 1. Mio. . Sie ist nach ihrem Vorbringen bundesweit tätig und hat im Jahre 2002 einen Umsatz von 2,5 Mio. erzielt. Im Verfahren 4 U 113/03 OLG Hamm, in dem die Klägerin wegen ähnlicher Wettbewerbsverstöße gegen die Firma I2 vorgegangen ist, hat der Senat nach einer Beweisaufnahme die Klägerin als Wettbewerberin eines Kartoffelabpackbetriebes im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 1 UWG angesehen und ihr einen Unterlassungsanspruch aus § 3 UWG zugesprochen.
Die Beklagte zu 1) betreibt einen Großhandel mit unverpackten Kartoffeln und hat in diesem Zusammenhang auch schon Ware von der Klägerin bezogen. In der Hauptsache verpackt die Beklagte zu 1) im Großhandel eingekaufte Kartoffeln mit einer eigenen Anlage in Fertigpackungen zu 2,5 oder 5 Kilogramm, um sie an Handelsketten für den Einzelhandel zu veräußern. Ein Kunde der Beklagten zu 1) ist etwa die Firma F in N, die im Verfahren 4 U 12/01 des Senats gesondert in Anspruch genommen wird.
Der Beklagte zu 2) war bis Anfang 2003 einer der Geschäftsführer der Beklagten zu 1). Der Beklagte zu 3) ist nach wie vor deren Geschäftsführer.
Die Klägerin mahnte die Beklagte zu 1) mit Anwaltsschreiben vom 2. Oktober 2002 wegen Verstößen gegen die Sortenreinheit von Kartoffeln nach der Handelsklassenverordnung ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf. Nach Erhalt der Abmahnung nahm der Beklagte zu 2) Kontakt zu dem Zeugen L2 auf, der der Bruder der Gesellschafterin der Klägerin ist. Telefonisch vereinbarten sie ein Treffen in L1 in Österreich, das am 11. Oktober 2002 stattfand. Der genaue Inhalt des unter vier Augen geführten Gespräches ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin übersandte dem Beklagten unter dem 16. Oktober 2002 eine Rechnung wegen "Schadenersatz gemäß Absprache mit Herrn P über 580.000 (Bl.50). Nach Erhalt der Rechnungen kam es noch zu weiteren Telefongesprächen zwischen dem Beklagten zu 2) und dem Zeugen L. Nachdem der Beklagte zu 2) erklärt hatte, die Beklagte zu 1) werde die Rechnung nicht bezahlen, erteilte die Klägerin dieser mit Schreiben vom 30. Oktober 2002 (Bl. 51) eine Gutschrift in Höhe von 580.000 . Am folgenden Tage mahnte die Klägerin die Beklagte zu 1) erneut ab und darüber hinaus erstmals auch die Abnehmerfirmen F und Netto. Sämtliche Abmahnungen blieben ohne Erfolg.
Die Beklagte zu 1) erwirkte am 14. November 2002 eine einstweilige Verfügung gegen die Klägerin, mit der dieser ein Vorgehen gegen die von der Beklagten belieferten Betriebe untersagt wurde (8 O 163/02 LG Kleve). Die einstweilige Verfügung hat das Landgericht Kleve mit Urteil vom 17. Februar 2003 (Bl.75 ff.) wieder aufgehoben.
Inzwischen, nämlich am 21. Januar 2003, hatte die Klägerin die vorliegende Unterlassungsklage gegen die Beklagte zu 1) erhoben, die sie später gegen die Beklagten zu 2) und 3) erweitert hat. Sie hat geltend gemacht: Im Sommer 2002 habe sie Hinweise darauf erhalten, dass die Beklagte zu 1) nicht sortenreine Kartoffeln verkaufe. Daraufhin habe sie Testkäufe von abgepackten Kartoffeln in verschiedenen F- und Nettomärkten veranlasst, die die Beklagte zu 1) beliefert habe. Die Testkäuferinnen L und I1 hätten dabei die Anweisung erhalten, unbeschädigte Packungen zu kaufen und im Originalzustand bei der M1 in I abzuliefern. An diese Weisungen hätten sich beide auch gehalten. Die M1 hätte bei der allseits anerkannten Untersuchung mittels Elektrophorese festgestellt, dass sich bei 79 untersuchten Packungen bei 27 davon unzulässige Sortenvermischungen ergeben hätten. Dabei seien 21 davon auf Packungen der Kartoffelsorte "M" entfallen. Nachuntersuchungen hätten ergeben, dass es sich in einigen Fällen statt um M um die Sorten "Q" und "S" gehandelt habe, in einzelnen Fällen um die Sorte "I3 " oder "L4 " und um eine nicht identifizierte Fremdsorte "Z". Die Sortenvermischungen und Falschbezeichnungen hätten nach dem Untersuchungsergebnis ein Ausmaß angenommen, das es ausschließe, dass es nur zu einzelnen Ausreißern gekommen sei.
Angesichts des Untersuchungsergebnisses seien die Regelungen der §§ 4 Abs. 1 Nr. 2 a, 6 Abs. 1 Nr. 2 der Handelsklasseverordnung für Speisekartoffeln, nach denen der Anteil fremder Knollen in gekennzeichneten Packungen von Speisekartoffeln nur 2 % des Gewichts der jeweiligen Partie betragen darf, nicht eingehalten. Zudem würden die Kunden der Beklagten zu 1) und die Endverbraucher im Sinne von § 3 UWG irregeführt, weil sie Kartoffeln anderer Sorten erhalten würden, als es sich aus der Bezeichnung der Packung ergebe. Zu den Verstößen habe es nur kommen können, weil die Beklagte zu 1) sich die bei dem Eingang und dem Ausgang der Kartoffeln erforderliche aufwändige Kontrolle erspart habe und dadurch Vorteile gegenüber den gesetzestreuen Mitbewerbern erlangt habe. Es bestehe der Verdacht, dass sie insbesondere beim Verkauf der Sorte "M" im August 2002 die Kartoffeln vorsätzlich falsch deklariert habe, weil der Einkauf dieser mittelfrüh reifenden Sorte in der ersten Augusthälfte 2002 erheblich teurer gewesen sei als der Einkauf der stattdessen verwendeten Sorten wie "Q ".
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagten unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel zu
verurteilen, es zu unterlassen, Speisekartoffeln unter einer
Sortenbezeichnung in den Verkehr zu bringen, wenn der Anteil an
Knollen fremder Sorten mehr als 2 % des Gewichts der jeweiligen Partie
oder Packung beträgt, wenn nicht eine der Ausnahmeregelungen des
§ 3 der Handelsklassenverordnung vorliegt.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben insbesondere gemeint, dass es bereits an einem Wettbewerbsverhältnis fehle, weil die Klägerin in den sie betreffenden räumlichen Bereichen nicht ernsthaft geschäftlich tätig sei. Sie haben auch bestritten, dass die von der M1 untersuchten Kartoffeln jeweils mit den von ihr abgepackten und ausgelieferten Kartoffeln identisch gewesen sind. Dazu haben die Beklagten im einzelnen vorgetragen, dass es möglich sei, solche Kartoffelpackungen zu öffnen, mit anderen Kartoffeln zu bepacken und anschließend wieder so zu verschließen, dass auch der M1 die Manipulation nicht auffalle. Die Beklagten haben allerdings eingeräumt, es sei gerade im August 2002 durch eine versehentliche Fehlbedienung der damals noch mechanisch zu steuernden Anlage zu Abpackungen gekommen, die nicht (vollständig) die angegebene Kartoffelsorte enthalten hätten. Gleichwohl erlaubten die Untersuchungsergebnisse im Ganzen nicht die Aussage, die Sortenvermischungen hätten bei ihr schon ein Ausmaß erreicht, welches über hinnehmbare Ausreißer hinausgehe. Die zu wenigen Proben ließen ohne entsprechende Gegenproben keinen Schluss auf die Sortenzusammensetzung der gesamten Partie von mehreren Tonnen Kartoffeln zu. Es komme hinzu, dass es für einen Abpackbetrieb ohnehin kaum möglich sei, die für jede Packung geforderte 98 % ige Sortenreinheit zu gewährleisten. Das gelte auch dann, wenn ein Betrieb wie sie die Kartoffeln ständig durch Sichtkontrollen und Stichprobenuntersuchungen bei der M1 überprüfen lasse. Auch im August 2002 seien bei den Zulieferbetrieben in ihrem Umland ausreichend Kartoffeln der Sorte "M" vorhanden gewesen, um ihre Abnehmer beliefern zu können. Kartoffeln dieser Sorten seien auch nicht teurer gewesen als Kartoffeln der Sorte "Q ". Den Käufer der Kartoffeln interessiere vorrangig deren Kocheigenschaft, nicht so sehr deren Sortenbezeichnung.
Die Beklagten haben insbesondere gemeint, die Geltendmachung des Unterlassungsanspruches sei rechtsmissbräuchlich im Sinne des § 13 Abs. 5 UWG gewesen. Dazu haben sie unter näheren Ausführungen und Bezugnahmen auf andere Verfahren vorgetragen, die Klägerin sei durch den Zeugen L gesteuert gewesen, der selbst keine Klagebefugnis besitze und die Klägerin als Abmahnhülle benutze, um mit der Verfolgung vermeintlicher Wettbewerbsverstöße erhebliche Geldbeträge erzielen zu können.
Das Landgericht Bielefeld hat über den Inhalt des Gesprächs in L1 Beweis erhoben durch Anhörung des Beklagten zu 2) und durch Vernehmung des Zeugen L. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 28.11.2003 (Bl.282 ff. d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht Bielefeld hat durch Urteil vom 19. Dezember 2003 die Klage als unzulässig abgewiesen. Bevor es in den Entscheidungsgründen seine Rechtsauffassung zu § 13 Abs. 5 UWG dargestellt hat, hat es zu den weiteren Streitfragen Stellung genommen, ohne die Fragen aber endgültig zu entscheiden. Dabei ging es um die Frage, ob zumindest ein abstraktes Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parteien besteht, ob das Analyseergebnis der M1 korrekt zustande gekommen oder an den originalverpackten Kartoffelbeuteln manipuliert worden ist und ob die festgestellten Sortenvermischungen, was das Ausmaß angeht, über Ausreißer hinausgehen. Das Landgericht hat diese Fragen letztlich offen gelassen und ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Fall des Rechtsmissbrauchs im Sinne des § 13 Abs. 5 UWG gegeben sei. Die Klägerin sei durch Zeugen L als Werkzeug eingesetzt und gesteuert worden. Der Zeuge L habe die Testkäufe veranlasst und das folgende Verfahren geprägt. Er sei der Ansprechpartner für eine außergerichtliche Regelung gewesen, er habe die Rechnungsstellung und die Erteilung der anschließenden Gutschrift veranlasst. Zur Fremdsteuerung komme hier hinzu, dass sachfremde Ziele verfolgt würden. Dies folge aus dem Gang und dem Ergebnis der zwischen dem Zeugen L und dem Beklagten zu 2 geführten Gespräche. Angesichts der Umsatzzahlen der Klägerin sei die Entstehung eines Schadens in einer Größenordnung von 500.000 Euro ausgeschlossen. Das Landgericht ist zum umstrittenen Inhalt des Gesprächs vom 11. Oktober 2002 der Aussage des Beklagten zu 2 gefolgt. Es hat weiterhin ausgeführt, dass der Klägerin und dem Zeugen L die Vereinbarung hoher Schadensersatzbeträge zur Beilegung wettbewerbsrechtlicher Streitigkeiten nicht fremd sei, wie die im Fall C3 getroffene Vereinbarung zeige. Ein vorsätzliches Verhalten der Beklagten zu 1) könne nicht festgestellt werden. Der Beweisantritt Einholung eines Sachverständigengutachtens ersetze nicht den erforderlichen Sachvortrag und liefe auf Ausforschung hinaus. Es stehe ferner nicht fest, dass der frühere Geschäftsführer der Beklagten zu 1) bei der Besprechung in L1 eine vorsätzliche Falschdeklarierung augenzwinkernd eingeräumt habe. Insgesamt stünden mithin sachfremde Erwägungen auf Seiten der Klägerin im Vordergrund.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Berufung gegen den Vorwurf des Rechtsmissbrauchs. Sie verweist auf Urteile, in denen die Voraussetzungen des § 13 Abs. 5 UWG verneint worden sind, und meint, das Landgericht habe die Rolle des Zeugen L verkannt. Dieser sei als der entscheidende Mann im Unternehmen der Klägerin keine fremde Person. Nur eine solche aber könne die Klägerin fremdbestimmen. Es gehe hier auch nicht in irgendeiner Weise um ein Abmahnunternehmen, bei dem sachfremde Gebühreninteressen im Vordergrund stehen. Das Landgericht habe nicht hinreichend berücksichtigt, dass sie, die Klägerin, in Wahrung ihrer eigenen Wettbewerbsbelange gehandelt habe. Zu Unrecht habe das Landgericht den Gesprächen zwischen den Zeugen L und dem Beklagten zu 2 solche Bedeutung beigemessen und dabei nicht berücksichtigt, dass der Beklagte zu 2 die Initiative zu den Gesprächen ergriffen und als erster das Gespräch auf eine Geldleistung zur Abwendung gerichtlicher Schritte gebracht habe. Das zeige vielmehr die wirtschaftliche Bedeutung, welche die systematischen Wettbewerbsverstöße der Beklagten für das Unternehmen der Beklagten zu 1) gehabt habe. Die Beklagten zu 1) handele ihrerseits rechtsmissbräuchlich, wenn sie sich auf die zeitweilig geführten, von ihr ohne ernsthaften Zahlungswillen provozierten Verhandlungen berufe, die unstreitig ergebnislos verlaufen seien. Das Landgericht habe, wie die Klägerin im Einzelnen ausführt, zu Unrecht Rückschlüsse zu ihren Lasten aus dem Fall C3 gezogen. Die Klägerin rügt ferner eine vom Landgericht fehlerhaft vorgenommene Beweiswürdigung. Sie wendet sich mit näheren Ausführungen gegen die Annahme des Landgerichts, die begangenen Wettbewerbswidrigkeiten würden sich nur als Nachlässigkeiten der Wareneingangs- und -ausgangskontrolle oder durch Fehlbedienung der Abpack-Anlage erklären lassen.
Im Hinblick auf die erste Verhandlung in der Sache L gegen I2 u. a. ergänzt die Klägerin ihren Vortrag zu ihrer werbenden Tätigkeit. Insoweit verweist sie unter anderem auf den zur Sache 4 U 113/03 überreichten Ordner mit zahlreichen Rechnungen.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren Schlussanträgen
erster Instanz zu erkennen,
sowie die Revision zuzulassen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie halten die Hinweise der Klägerin auf andere Urteile für wenig hilfreich. Denen komme keine Bindungswirkung zu. Zudem seien die Fallgestaltungen nicht vergleichbar. Teilweise könne den Urteilen aus Rechtsgründen nicht gefolgt werden. Die Beklagten stützen mit näheren Ausführungen die Auffassung des Landgerichts zur Fremdbestimmung der Klägerin durch den Zeugen L und meinen, dass der vorliegende Fall durchaus unter § 13 Abs. 5 UWG falle, da der insbesondere-Halbsatz nur einen Beispielsfall des Rechtsmissbrauchs umschreibe. Die Beklagten treten dem Vortrag der Klägerin entgegen, sie habe unter den Wettbewerbsverstößen der Beklagten zu 1) zu leiden und werde wettbewerblich an die Wand gedrückt. Die Beklagten stellen dar, welche Motive den Beklagten zu 2 veranlasst haben, das Gespräch mit dem Zeugen y zu suchen und welchen Inhalt die Gespräche nach ihrer Behauptung gehabt haben. Danach meinen sie, mit dem ihnen gemachten Vorwurf des Rechtsmissbrauchs stelle die Klägerin die Dinge auf den Kopf. Zu Recht habe das Landgericht auch zu Lasten der Klägerin aus dem Fall C3 Schlussfolgerungen gezogen. Die Beklagten verteidigen auch die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung. Sie verweisen auf ihren erstinstanzlichen Vortrag zu den Gründen, die zu Fehldeklarierungen geführt haben könnten. Als Indiz für die Rechtsmissbräuchlichkeit werten die Beklagten den erheblichen Verfolgungsaufwand, der im Namen der Klägerin getrieben worden sei.
Für den Fall, dass der Senat ein rechtsmissbräuchliches Verhalten der Klägerin verneinen sollte, ist der Hilfsantrag angekündigt, die Klage unter teilweiser Änderung des landgerichtlichen Urteils als unbegründet abzuweisen. Insoweit legen die Beklagten vorsorglich Anschlussberufung ein. Diese begründen sie mit Ausführungen zur ihrer Meinung nach fehlenden Klagebefugnis und zur materiellen Rechtslage, die sie beispielsweise im Hinblick auf die konkreten Manipulationsmöglichkeiten hinsichtlich der Kartoffelpackungen anders als das Landgericht in seiner vorläufigen Einschätzung beurteilen.
Die Klägerin beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Gründe
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil hier die Voraussetzungen eines Falls des Missbrauchs der Klagebefugnis durch die Klägerin nach § 13 Abs. 5 UWG vorliegen. Unter dieser Voraussetzung bedarf die Anschlussberufung der Beklagten keiner Entscheidung. Sie ist nur unter der zulässigen Rechtsbedingung eingelegt, dass die Klagebefugnis der Klägerin bejaht und der Rechtsmissbrauch verneint würde. Diese Bedingung ist gerade nicht eingetreten.
1) § 13 Abs. 5 UWG enthält einen besonderen Missbrauchstatbestand, der ungeachtet einer an sich bestehenden Klagebefugnis selbst einer solchen des unmittelbar betroffenen Mitbewerbers (vgl. BGH GRUR 2000, 1089, 1090 Mißbräuchliche Mehrfachverfolgung)- die Klage des missbräuchlich vorgehenden Wettbewerbers unzulässig macht. Uber die Reichweite des Missbrauchstatbestands gerade im Hinblick auf das Wort "insbesondere" kann zwar gestritten werden. Betrachtet man aber die Entstehungsgeschichte und den Zweck der Vorschrift, teilt der Senat die ganz herrschende Meinung, dass der Gesetzgeber in dem mit dem Wort "insbesondere" eingeleiteten Halbsatz nicht ein beliebiges Beispiel des Missbrauchs genannt hat. Er hat vielmehr die Art der unzulässigen Geltendmachung der Unterlassungsansprüche näher charakterisiert, die mit dem vorangestellten allgemeinen Obersatz gemeint ist. Die Vorschrift erfasst damit nur die Missbrauchstatbestände, die im Akt der Geltendmachung des Anspruchs selbst und deren Umständen begründet sind(Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Auflage, Kap. 13 Rdn. 45, 46). Das Vorgehen selbst oder die Art dieses Vorgehens gegen den Verletzer unter Berücksichtigung der gesamten Umstände der vorprozessualen oder prozessualen Geltendmachung muss rechtsmissbräuchlich sein. Nicht erfasst werden die Fälle, in denen die Berufung auf einen Unterlassungsanspruch unter materiellrechtlichen Gesichtspunkten treuwidrig und missbräuchlich erscheint. Die Rechtsprechung deckt sich insoweit mit dem in der Literatur heraus gearbeiteten Verständnis der Norm. Nach ihr liegt ein Missbrauch vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht schutzfähige Interessen verfolgt und diese als die eigentliche Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen (BGH WRP 2001, 148, 150 Vielfachabmahner; Köhler / Piper, UWG, 3. Auflage, § 13 Rdn. 59). Ein Fehlen oder vollständiges Zurücktreten legitimer wettbewerbsrechtlicher Interessen ist dabei allerdings nicht erforderlich.
2) Legt man diese Ansatzpunkte zu Grunde, liegt hier ein Missbrauchsfall vor. Zwar hat der vorliegende Sachverhalt nichts zu tun mit den herkömmlichen Fallgruppen, nämlich dem Gebührenerzielungsinteresse, dem Gebührenbelastungsinteresse, einer Wettbewerbsbehinderung oder der diskriminierenden Auswahl des Verletzers. Diese Fallgestaltungen meist massenhaften, mindest aber mehrfachen Vorgehens sind aber nicht abschließend. Das hier zu bewertende Verhalten ist diesen als Rechtsmissbrauchstatbestand ohne weiteres gleich zu stellen.
a) Es geht hier nicht etwa darum, dass jemand eine ihm gegen einen Dritten zustehende Forderung verkauft. Aus der Sicht der Klägerin und des Zeugen L sollte die Beklagte zu 1) Geld an die Klägerin zahlen, um von dieser nicht weiter in Anspruch genommen zu werden. Der Klägerin sollte somit ihre Klagebefugnis und ihr mögliches Wissen um einen Verstoß abgekauft werden.
b) Das Geld sollte auch nicht etwa an die Klägerin zur Abgeltung eines Schadensersatzanspruchs geleistet werden. Die Parteien sind sich zu Recht einig, dass die in Rede stehende Zahlung von 500.000 Euro - sei es netto oder brutto einen denkbaren Schaden der Klägerin bei weitem übersteigen würde. Das ergibt sich inhaltlich auch schon aus der Zeugenaussage L.
c) Für den Rechtsmissbrauch und damit das Vorgehen aus sachfremden Erwägungen spricht zwar noch nicht die von der Klägerin ausgesprochene Abmahnung vom 2. Oktober 2002. Darin ist von einem Ansinnen, es werde Geld verlangt, nicht die Rede. Bis dahin ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass es sich um etwas anderes handeln könnte als um ein normales wettbewerbsrechtliches Vorgehen gegen einen Wettbewerber.
d) Der Rechtsmissbrauch ergibt sich aber aus dem Gespräch zwischen dem Zeugen L und dem Beklagten zu 2) in Kössen, worin unstreitig vereinbart wurde, dass die Beklagte zu 1) an die Klägerin mindestens 500.000 Euro zahlen sollte und dass damit die Sache erledigt sein, sich also kein gerichtliches Verfahren mehr anschließen sollte. Damit hat der Zeuge L das von der Klägerin eingeleitete Abmahnverfahren dazu benutzt, dieser die anschließende Klage gleichsam abkaufen zu lassen. Das zeigt insbesondere auch die Rechnung über den genannten Betrag zuzüglich Umsatzsteuer, die auf Betreiben des Zeugen u von der Klägerin ausgestellt und der Beklagten zu 1) übersandt wurde. Bei Zahlung dieser beträchtliche Summe war die Klägerin somit bereit, den von ihr festgestellten Wettbewerbsverstoß auf sich beruhen zu lassen und auch gegen weitere Verstöße ähnlicher Art nicht mehr vorzugehen.
e) Es stellt eine sachfremde Erwägung dar, wenn die Klägerin als Anspruchsberechtigte ihren Anspruch aus § 3 UWG als Mittel einsetzt, um sich oder einem Dritten erhebliche Gelder zu verschaffen. Dazu ist ihr die Klagebefugnis nicht eingeräumt worden. Es handelt sich bei der Durchsetzung von Wettbewerbsansprüchen selbst bei denen von unmittelbar Verletzten auch nicht nur um die Durchsetzung von Individualansprüchen, sondern auch um die Reinhaltung des Wettbewerbs im Interesse der Mitbewerber, der Verbraucher und der Allgemeinheit, gerade wenn es um Irreführungsfälle geht. Mit dieser Interessenwahrnehmung verträgt es sich in keiner Weise, wenn ein Mitbewerber seine Klagebefugnis nicht (weiterhin) zur Unterbindung von Wettbewerbsverstößen nutzt, sondern sie unter Hinnahme weiterer Verstöße des Anspruchsgegners in Geld umzusetzen sucht und damit missbraucht.
f) Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die damalige Absprache der Zahlung der 500.000 Euro, nun im Rahmen der Klageerhebung keine Rolle mehr spiele, weil es tatsächlich zur Zahlung nicht gekommen ist. Zwar geht es ihr tatsächlich nun nicht mehr darum, sich die Klagebefugnis abkaufen zu lassen. Der Missbrauch im Vorfeld der Klageerhebung schlägt aber auf den nachfolgenden Prozess durch. Durch die Vereinbarung über ein Stillhalten gegen die Zahlung von 500.000 Euro im Vorfeld des Prozesses hat sich die Klägerin für die Verfolgung der hier in Rede stehenden Wettbewerbsverstöße ein für allemal diskreditiert.
g) In diesem Zusammenhang ist es auch unerheblich, dass der Zeuge L weiterhin auf der Unterzeichnung der Unterlassungserklärung bestand. Diese Erklärung forderte er nämlich nicht, damit die Klägerin weitere Verstöße strafbewehrt verhindern konnte. Die Erklärung sollte die Klägerin unstreitig zusätzlich zu dem Geld nur zu ihrer Sicherheit erhalten. Sie mochte nützlich sein, wenn sich die Beziehung zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) verschlechtern sollte. Jedenfalls war auch nach der Aussage des Zeugen L klar, dass bei Zahlung der vereinbarten Summe die Klägerin trotz einer solchen Unterwerfung nicht weiter gegen die Beklagte zu 1) und gegen F als deren Abnehmer vorgehen würde.
h) Schließlich kann sich die Klägerin auch nicht mit Erfolg darauf berufen, nicht eines ihrer Organe, sondern der Zeuge L habe die Vereinbarung über die Zahlung der 500.000 Euro getroffen. Die Klägerin hat sich auch und gerade das Verhalten des Zeugen y eigen gemacht. Sie stellt auch gar nicht in Abrede, dass der Zeuge L beim Abschluss der Vereinbarung mit dem Beklagten zu 2) für die Klägerin gehandelt und dass sie dessen Verhalten gebilligt hat. Das zeigt nicht zuletzt die Ausstellung der schon erwähnten Rechnung.
i) Auch wenn der vorliegende Fall nicht unter die bereits anerkannten Fallgruppen fällt, hat er aber mit den entschiedenen Fällen gemeinsam, dass das Vorgehen des Wettbewerbers mit einem Makel behaftet ist, der es rechtsmissbräuchlich erscheinen lässt. Wenn die Klägerin dem Senat entgegenhalten will, dass der vorliegende Fall mit dem klassischen Fall des massenhaften Abmahnens nicht zu vergleichen sei, verfängt dies nicht. § 13 Abs. 5 UWG erfasst nicht nur Fälle, deren Missbrauchscharakter sich aus der Vielzahl der Verfolgungsfälle ergibt. Vielmehr kann der Akt der Geltendmachung auch in einem Einzelfall rechtsmissbräuchlich sein, wenn es um einen Vorteil von Gewicht geht und er sich seiner Struktur nach zur Wiederholung eignet. Beides ist hier der Fall. Ob in einem Einzelfall durch Missbrauch der Klagebefugnis ein wirtschaftlicher Vorteil im sechsstelligen Bereich erzielt werden kann oder ob dazu massenhafte Verfahrenseinleitungen benutzt werden, steht sich vom Schutzgedanken her gleich. Hinter der letzteren Begründung steckt auch der Gedanke, dass bereits den Anfängen zu wehren ist.
j) Das Landgericht hat bereits betont, dass in die Einzelfallbetrachtung auch die Art des Wettbewerbsverstoßes einzubeziehen ist. So könnte bei der Abwägung einem vorsätzlichen Wettbewerbsverstoß ein besonderes Gewicht zukommen. Hier ist aber nach der nachvollziehbaren Feststellung des Landgerichts davon auszugehen, dass kein vorsätzlicher Verstoß anzunehmen ist. Im Übrigen würde der Klägerin aber selbst eine solche Feststellung nicht helfen. Denn wenn sie sogar bereit gewesen sein sollte, vorsätzliche Wettbewerbsverstöße hinzunehmen, wenn ihr nur eine Summe gezahlt wird, die aus ihrer Sicht groß genug ist, liegt darin ein Missbrauch von solchem Gewicht, dass sie im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung selbst einem vorsätzlichen Verletzer gegenüber nicht schutzwürdig genug ist. Der vorliegende Fall ist insoweit mit dem Fall einer Mehrfachverfolgung nicht vergleichbar.
k) Weil sich aus dem Vorgenannten schon ergibt, dass ein Rechtsmissbrauch vorliegt, kann dahin stehen, ob auch der Gesichtspunkt der Fremdbestimmung der Klägerin noch eine gesonderte Rolle spielen kann, denn es kommt nur darauf an, dass überhaupt und nicht so sehr an wen hier gezahlt werden sollte. Ebenso mag die Frage unbeantwortet bleiben, ob dem Umstand, dass die Klägerin nicht nur gegen die Beklagte zu 1), sondern wie im Fall Böhmer zusätzlich auch noch gegen den Abnehmer der beanstandeten Kartoffelpackungen vorgegangen ist, besondere Bedeutung zukommt. Das Vorgehen kann ein Indiz dafür sein, dass nach dem Scheitern des Abkaufens im Sinne einer Strafaktion zusätzlicher wirtschaftlicher Druck auf die Beklagten ausgeübt werden sollte.
Die sich aus § 543 ZPO ergebenden Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen hier vor. Die Rechtsfrage, wie groß die Reichweite des Missbrauchstatbestandes ist und ob darunter auch Einzelfälle zu verstehen sind, ist bislang höchstgerichtlich noch nicht geklärt und im Rahmen der Rechtsfortbildung klärungsbedürftig, zumal die Bestimmung als § 8 Abs. 4 auch in das neue UWG übernommen worden ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.
OLG Hamm:
Urteil v. 22.06.2004
Az: 4 U 13/04
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