Bundesverfassungsgericht:
Beschluss vom 25. Februar 2009
Aktenzeichen: 2 BvR 2542/08
(BVerfG: Beschluss v. 25.02.2009, Az.: 2 BvR 2542/08)
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auferlegung der Kosten nach § 145 Abs. 4 StPO, wenn durch die Schuld des Verteidigers die Aussetzung eines Strafverfahrens erforderlich wird.
I.
1. Der Beschwerdeführer wurde im Mai 2005 zum Pflichtverteidiger eines von vier Mitangeklagten in einem Strafverfahren vor dem Landgericht Dortmund bestellt. Während die Hauptverhandlung in diesem Verfahren andauerte, konnte der Beschwerdeführer seine Verbindlichkeiten nicht mehr bezahlen und scheiterte im November 2006 mit einer Vollstreckungsgegenklage, so dass es zur Zwangsvollstreckung gegen ihn kam. Am 20. Juli 2007 erschien die Gerichtsvollzieherin in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Dortmund und nahm dem Beschwerdeführer die eidesstattliche Versicherung ab. Die Rechtsanwaltskammer Berlin widerrief mit Bescheid vom 9. Januar 2008 die Zulassung des Beschwerdeführers als Rechtsanwalt, wogegen der Beschwerdeführer Rechtsmittel einlegte. Daraufhin ordnete die Rechtsanwaltskammer am 14. Mai 2008 die sofortige Vollziehung des Widerrufs an. Dies teilte der Beschwerdeführer am 3. Juni 2008 der Strafkammer in Dortmund mit und wies darauf hin, dass er nicht mehr als Pflichtverteidiger tätig werden dürfe. Im nächsten Verhandlungstermin am 9. Juni 2008 (dem 209. Verhandlungstag) erschien der Beschwerdeführer nicht. Das Landgericht trennte das Verfahren gegen den Mandanten des Beschwerdeführers ab und bestellte den Rechtsanwalt L. als weiteren Pflichtverteidiger. Rechtsanwalt L. hatte sich gegenüber der Strafkammer bereiterklärt, die Verteidigung ohne Aussetzung des Verfahrens zu übernehmen und sich sukzessive in den Verfahrensstoff einzuarbeiten. Zur Fortsetzung der Verhandlung am 20. Juni 2008 trat der Rechtsanwalt K. als Wahlverteidiger auf und beantragte die Aussetzung des Verfahrens mit der Begründung, eine ordnungsgemäße Verteidigung durch einen neuen Pflichtverteidiger sei in diesem umfangreichen Verfahren ohne Aussetzung nicht möglich. Diesem Antrag schloss sich der neue Pflichtverteidiger L. schließlich an. Die Strafkammer stellte eine Bescheidung zunächst zurück und unterbrach die Verhandlung.
2. Das Landgericht Dortmund setzte mit Beschluss vom 2. Juli 2008 das Verfahren aus und legte dem Beschwerdeführer die durch die Aussetzung verursachten Kosten gemäß § 145 Abs. 4 StPO auf. Die Aussetzung sei durch die Schuld des Beschwerdeführers erforderlich geworden, da der Widerruf seiner Zulassung im alleinigen Verantwortungsbereich des Beschwerdeführers liege. Er habe auch nichts zu seiner Entlastung vorgetragen, da er den Widerrufsbescheid überhaupt nicht und von der Anordnung der sofortigen Vollziehung nur die erste Seite vorgelegt habe. Zudem habe er dem Gericht von dem seit langem gegen ihn schwebenden Widerrufsverfahren keine Mitteilung gemacht und dem Gericht so die Möglichkeit genommen, Maßnahmen zur Sicherung des Verfahrens zu treffen.
3. Der Beschwerdeführer legte am 16. Juli 2008 Beschwerde gegen die Kostenentscheidung ein und kündigte an, eine Begründung werde in den nächsten Tagen erfolgen. Nachdem keine Begründung eingegangen war, verfügte das Landgericht am 11. August 2008, der Beschwerde werde nicht abgeholfen und die Akten seien dem Oberlandesgericht vorzulegen. Der Bevollmächtigte des Beschwerdeführers ließ am 3. September 2008 eine Kanzleimitarbeiterin beim Oberlandesgericht telefonisch nach dem Aktenzeichen des Beschwerdeverfahrens fragen. Sie erhielt die Auskunft, dass ein Posteingang zu dem angegebenen Aktenzeichen des Landgerichts nicht zu verzeichnen sei, die Kanzlei aber über den Eingang der Beschwerde informiert werden werde. Als die Mitarbeiterin am 22. September 2008 erneut nachfragte, wurde ihr wieder mitgeteilt, dass es noch keinen Posteingang gebe. Daraufhin reichte der Bevollmächtigte die bereits eine Woche zuvor fertig gestellte Beschwerdebegründung per Telefax beim Oberlandesgericht ein. Das Oberlandesgericht hatte aber bereits mit Beschluss vom 18. September 2008, ausgefertigt am 22. September 2008, die Beschwerde aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung verworfen.
4. Den Antrag des Beschwerdeführers auf Nachholung rechtlichen Gehörs verwarf das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 7. Oktober 2008 als unzulässig, da eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht schlüssig vorgetragen sei. Das Gericht habe ausreichend lange mit der Entscheidung zugewartet und sei nicht verpflichtet gewesen, den Beschwerdeführer zur Begründung seiner Beschwerde aufzufordern.
II.
Mit der fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 103 Abs. 1 GG.
Sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, da das Oberlandesgericht seine Beschwerdebegründung bei der Entscheidung nicht zur Kenntnis genommen habe. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der Fehlinformation der Geschäftsstelle nicht mit einer Entscheidung rechnen und die fertig gestellte Beschwerdebegründung daher noch nicht einreichen müssen. Außerdem seien Eingänge zu berücksichtigen, bis der Beschluss von der Geschäftsstelle zur Zustellung herausgegeben werde, so dass auch der am 22. September 2008 um 16.13 Uhr gefaxte Schriftsatz noch zur Kenntnis hätte genommen werden müssen.
Die fehlerhafte Entscheidung des Landgerichts verletze den Beschwerdeführer in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Das Landgericht habe den gesetzlichen Anwendungsbereich des § 145 Abs. 4 StPO überschritten. Eine Kostenpflicht des Verteidigers könne nicht angeordnet werden, wenn die Gründe für sein Nichtauftreten in der Person des Verteidigers liegen und sich nur mittelbar auf die Hauptverhandlung auswirkten. Das Ausbleiben des Beschwerdeführers in der Verhandlung sei weder prozessordnungswidrig noch schuldhaft erfolgt und rechtzeitig angekündigt worden. Die Strafkammer habe auch bereits seit seiner Abgabe der eidesstattlichen Versicherung am 20. Juli 2007 gewusst, dass die weitere Verteidigungsfähigkeit des Beschwerdeführers gefährdet war. Der Beschluss hätte zudem sofort in der Hauptverhandlung am 9. Juni 2008 unter Mitwirkung der Schöffen gefasst werden müssen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer nicht in seinen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten.
1. Die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.
Zwar muss das Gericht, wenn sich ein Beschwerdeführer ausdrücklich die Begründung seiner Beschwerde vorbehalten hat, mit einer der Beschwerde nicht stattgebenden Entscheidung angemessene Zeit warten, sofern es für die Begründung keine Frist gesetzt hat (vgl. BVerfGE 8, 89 <91>; 17, 191 <193>; 24, 23 <25 f.>; 60, 313 <317 f.>; stRspr). Die Frage, welche Frist noch angemessen ist, kann nicht abstrakt generell bestimmt werden, sondern hängt vom konkreten Einzelfall ab. Der Zeitraum von über zwei Monaten, der hier zwischen Einlegung der Beschwerde und der Entscheidung lag, war aber jedenfalls ausreichend, um die angekündigte Begründung einzureichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Oktober 1992 - 1 BvR 1232/92 -, juris; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Dezember 2002 - 2 BvR 654/02 -, juris). Zu einer Nachfrage nach der angekündigten Beschwerdebegründung oder einer Fristsetzung war das Gericht von Verfassungs wegen nicht verpflichtet (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 23. Oktober 1992 - 1 BvR 1232/92 -, juris). Der Beschwerdeführer musste damit rechnen, dass die Akte alsbald beim Beschwerdegericht eingehen und das Oberlandesgericht innerhalb angemessener Frist entscheiden würde. Trotz der Fehlinformation der Geschäftsstelle sind hier keine Gründe dafür ersichtlich, warum der Beschwerdeführer die Beschwerdebegründung nicht zumindest nach ihrer Fertigstellung am 15. September 2008 eingereicht hat; die Unkenntnis des OLG-Aktenzeichens wäre hierfür kein Hinderungsgrund gewesen.
Es verstößt auch nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, dass die schließlich am 22. September 2008 per Telefax eingereichte Beschwerdebegründung nicht mehr berücksichtigt wurde. Zwar sind nicht fristgebundene Schriftsätze bis zum Erlass der Entscheidung, das heißt, bis der Beschluss von der Geschäftsstelle der Kammer hinausgegeben wurde, zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 62, 347 <353>). Es kann hier jedoch nicht festgestellt werden, dass der am 22. September 2008 um 16.13 Uhr per Telefax übersandte Schriftsatz beim Oberlandesgericht einging, bevor die Geschäftsstelle den Beschluss am 22. September 2008 ausfertigte.
2. Die Kostenentscheidung des Landgerichts und ihre Bestätigung durch das Oberlandesgericht verletzen den Beschwerdeführer auch in der Sache nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Verfassungswidrig wäre die Kostenentscheidung nur, wenn das Landgericht bei seiner Anwendung des § 145 Abs. 4 StPO auf den vorliegenden Fall die Grundrechte des Beschwerdeführers in ihrer Bedeutung und Tragweite grundsätzlich verkannt oder objektiv willkürlich entschieden hätte (vgl. BVerfGE 97, 391 <401>; 101, 361 <388>; 103, 21 <29>; stRspr). Das ist nicht der Fall. Die Entscheidung, dem Beschwerdeführer die durch die Aussetzung des Verfahrens entstandenen Kosten aufzuerlegen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostentragungspflicht des Verteidigers nach § 145 Abs. 4 StPO ist nach überwiegender Ansicht auf die schuldhaft vom Verteidiger verursachte Aussetzung der Hauptverhandlung aus einem der in § 145 Abs. 1 StPO genannten Gründe beschränkt, wenn also der Verteidiger in der Hauptverhandlung ausbleibt, sich unzeitig entfernt oder sich weigert, die Verteidigung zu führen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 27. Oktober 1988 - Ws 513/88 -, StV 1989, S. 470; KG, Beschluss vom 15. Dezember 1999 - 1 AR 1178/99, 4 Ws 257/99 -, NStZ-RR 2000, S. 189 <190>; OLG Köln, Beschluss vom 22. August 2000 - 2 Ws 405/00 -, StV 2001, S. 389 <390>; Thür. OLG, Beschluss vom 22. Januar 2003 - 1 Ws 18/03 -, StV 2003, S. 432). Nach dieser Ansicht soll § 145 Abs. 4 StPO aufgrund seiner systematischen Stellung in § 145 StPO nur eine Sanktionsfolge für ein Verhalten nach Abs. 1 darstellen und keine allgemeine Schadensersatzpflicht des Verteidigers für eine schuldhaft herbeigeführte Verfahrensaussetzung begründen. Es wird jedoch auch vertreten, § 145 Abs. 4 StPO erfasse alle Fälle pflichtwidrigen Verhaltens, in denen eine Aussetzung erforderlich wird, da das Kostenrecht der Strafprozessordnung von dem Grundgedanken bestimmt sei, dass jeder Verfahrensbeteiligte die Mehrkosten selbst zu tragen habe, die er in vorwerfbarer Weise verursache (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26. November 1976 - 2 Ws 143 und 144/76 -, NJW 1977, S. 913; OLG Hamburg, Beschluss vom 19. Oktober 1981- 1 Ws 263 und 358/81 -, NStZ 1982, S. 171). Das Landgericht hat jedenfalls in vertretbarer Weise angenommen, dass hier auch ein Fall des § 145 Abs. 1 StPO vorlag. Der Beschwerdeführer ist in der Hauptverhandlung am 9. Juni 2008 nicht erschienen. Obwohl er sein Ausbleiben vorher angekündigt und begründet hat, änderte das zu diesem Zeitpunkt nichts mehr daran, dass aufgrund seines Verhaltens die Bestellung eines neuen Pflichtverteidigers und deswegen die Aussetzung des Verfahrens erforderlich wurde. Das Gericht hatte zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr, dies zu verhindern. Das Landgericht konnte das Verhalten des Beschwerdeführers, das die Aussetzung erforderlich machte, als schuldhaft und pflichtwidrig bewerten. Ohne dass das Gericht hätte beurteilen müssen, warum es zum Vermögensverfall des Beschwerdeführers kam, hat der Beschwerdeführer jedenfalls insoweit fahrlässig die durchgehende Verteidigung seines Mandanten in diesem Verfahren verhindert, als er das Gericht nicht darüber informierte, dass ein Verfahren zum Widerruf seiner Anwaltszulassung eingeleitet worden und die Zulassung schließlich widerrufen worden war. Das Gericht hatte so keine Möglichkeit, durch die frühere Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers eine Aussetzung zu vermeiden oder die Rechtsanwaltskammer durch einen Hinweis auf die seit drei Jahren laufende, aber kurz vor dem Abschluss stehende Hauptverhandlung zu einem Aufschub des Sofortvollzugs zu bewegen; das Urteil gegen die anderen drei Angeklagten erging am 30. Juni 2008. Es schloss hier das Verschulden des Beschwerdeführers noch nicht aus, dass die Strafkammer von der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung wusste. Der Vermögensverfall des Rechtsanwalts führt zwar nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zum Widerruf der Zulassung. Der Vermögensverfall wird jedoch nach dieser Vorschrift auch nach Eintragung in das Schuldnerverzeichnis wegen Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nur widerlegbar vermutet. Das Landgericht musste daher mangels weiterer Informationen durch den Beschwerdeführer noch nicht davon ausgehen, dass seine Zulassung demnächst widerrufen werden wird.
Auch die Beschlussfassung durch die Berufsrichter der Strafkammer allein ist nicht zu beanstanden. Zwar ist eine Entscheidung nach § 145 Abs. 4 StPO in dem Sinne sofort zu treffen, dass sie nicht bis zur Kostenentscheidung im Urteil aufgeschoben werden kann (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl. 2008, § 145 Rn. 22). Dies schließt es jedoch nicht aus, auf einen Aussetzungsantrag hin zunächst nur die Hauptverhandlung zu unterbrechen, wenn der Antrag noch weiterer Prüfung bedarf, und dann außerhalb der Hauptverhandlung - ohne Schöffen, § 76 Abs. 1 Satz 2 GVG - über die Aussetzung und die Kostenfrage nach § 145 Abs. 4 StPO zu entscheiden (vgl. Lüderssen/Jahn, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2007, § 145 Rn. 38).
3. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
BVerfG:
Beschluss v. 25.02.2009
Az: 2 BvR 2542/08
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