Bundespatentgericht:
Urteil vom 29. Oktober 2009
Aktenzeichen: 2 Ni 2/08
(BPatG: Urteil v. 29.10.2009, Az.: 2 Ni 2/08)
Tenor
I. Das europäische Patent 1 153 688 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland in dem Umfang für nichtig erklärt, in dem es über folgende Fassung hinausgeht:
1.
Schneidvorrichtung für Drähte von Draht-Funkenerosionsmaschinen (10), in denen der Draht (20) nach seinem Durchlauf durch eine Bearbeitungszone (27) in Stücke geschnitten wird, die als Abfall weggeführt werden, wobei die Schneidvorrichtung ein Fräsrad (58) umfasst, das mit Zähnen (59) versehen ist, die dazu bestimmt sind, mit einer Schneidfläche (63) eines Gegenschneideorgans (60) zusammenzuwirken, das eine Zufuhrbohrung (61) hat, durch die der Draht eingeschoben wird, um von den Zähnen (59) des Fräsrades (58) weitergeführt zu werden, wobei das Gegenschneideorgan (60) drehbar um eine Achse montiert ist, die mit der Achse dieser Bohrung (61) zusammenfällt, wobei Mittel (65) vorgesehen sind, um eine Drehung des Gegenschneideorgans (58) zu begünstigen, wenn das Fräsrad (58) in Drehung versetzt wird, wobei das Gegenschneideorgan (60) von allgemein zylindrischer Gestalt mit kreisförmiger Basis ist und die benannten Mittel eine Vertiefung (65) umfassen, die aufdem Umfang der zylindrischen Oberfläche des Gegenschneideorgans (60) angebracht ist und mit dessen Träger (71) mittels zweier kreisförmiger Ringe (66, 67) zusammenwirkt, die zu beiden Seiten dieser Vertiefung (65) angebracht sind.
2.
Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Gegenschneideorgan (60) drehbar in einer zylindrischen Kammer (70) sitzt und durch eine Feder (75) gegen die Zähne (59) des Fräsrades (58) gedrückt wird, wobei diese Feder (75) an einer Kappe (73) ruht, die auf dem hinteren Abschnitt der zylindrischen Kammer (70) befestigt ist und einen zentralen Kanal für den Durchlass des Drahtes (20) umfasst.
3. Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 2, dadurch gekennzeichnet, dass die besagten Mittel eine gegenüber dieser Zufuhrbohrung (61) versetzte Anordnung des Mittelpunktes (81) der Zähne (59) des Fräsrades (58) haben, so dass diese Zähne (59) die Schneidfläche (63) auf der einen Seite der Zufuhrbohrung (61) über eine längere Strecke berühren als auf der anderen Seite dieser Zufuhrbohrung (61).
4.
Vorrichtung nach Anspruch 3, dadurch gekennzeichnet, dass die Mitte (81) der Stirnflächen (80) der Zähne (58) und die Mittelebene des Fräsrades (58) um einen bestimmten Betrag (d) gegen die Drehachse des Gegenschneideorgans (60) versetzt sind, so dass diese Stirnflächen (80) die Schneidfläche (63) des Gegenschneideorgans auf der einen Seite der Drehachse über eine längere Strecke berühren als auf der anderen Seite, um zu einer Drehung des Gegenschneideorgans (60) zu führen, wenn das Fräsrad (58) gedreht wird.
5.
Vorrichtung nach einem der Ansprüche 1 bis 4, dadurch gekennzeichnet, dass diese Mittel eine Zahnung (82) haben, die auf den Stirnflächen (80) dieser Zähne (58) angebracht ist, die dafür bestimmt sind, mit der Schneidfläche (63) zusammenzuwirken, wobei diese Zahnung (82) schräg zur Verlängerung der Stirnfläche (80) angeordnet ist.
6.
Vorrichtung nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, dass sie hydraulische oder pneumatische Mittel zum Abtransport (85, 86) hat, die dem Abtransport der abgeschnittenen Drahtstücke zu einem Sammelbehälter (29) dienen.
7.
Vorrichtung nach Anspruch 6, dadurch gekennzeichnet, dass die Mittel zum Abtransport eine Schneidkammer (86) umfassen, in der das Fräsrad (58) untergebracht ist, wobei diese Kammer an zumindest einen Fluidzulauf (85) und einen mit einem Sammelbehälter (29) verbundenen Ausgangskanal (28) angeschlossen ist.
8.
Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass diese Vertiefung (65) so mit einem Fluid in Verbindung steht, dass eine Sammelkammer für dieses Fluid, das als Schmiermittel zwischen der Gegenschneide (60) und ihrem Träger (71) dient, gebildet wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 153 688 (Streitpatent), das am 10. Mai 2000 angemeldet worden ist.
Das in der Verfahrenssprache Französisch veröffentlichte Streitpatent, das beim Deutschen Patentund Markenamt unter der Nummer 600 05 305 geführt wird, betrifft eine Schneidvorrichtung für Drähte von Funkenerosionsmaschinen. Es umfasst 9 Ansprüche, von denen die Patentansprüche 1 und 2 (zur Beschränkung benutzt) in der deutschen Übersetzung gemäß Patentschrift folgenden Wortlaut haben:
1.
Schneidvorrichtung für Drähte von Draht-Funkenerosionsmaschinen (10), in denen der Draht (20) nach seinem Durchlauf durch eine Bearbeitungszone (27) in Stücke geschnitten wird, die als Abfall weggeführt werden, wobei die Schneidvorrichtung ein Fräsrad (58) umfasst, das mit Zähnen (59) versehen ist, die dazu bestimmt sind, mit einer Schneidfläche (63) eines Gegenschneideorgans (60) zusammenzuwirken, das eine Zufuhrbohrung (61) hat, durch die der Draht eingeschoben wird, um von den Zähnen (59) des Fräsrades (58) weitergeführt zu werden, dadurch gekennzeichnet, dass das Gegenschneideorgan (60) drehbar um eine Achse montiert ist, die mit der Achse dieser Bohrung (61) zusammenfällt, wobei Mittel (65) vorgesehensind, um eine Drehung des Gegenschneideorgans (58) zu begünstigen, wenn das Fräsrad (58) in Drehung versetzt wird.
2.
Vorrichtung nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Gegenschneideorgan (60) von allgemein zylindrischer Gestalt mit kreisförmiger Basis ist und dass die benannten Mittel eine Vertiefung (65) umfassen, die auf dem Umfang der zylindrischen Oberfläche des Gegenschneideorgans (60) angebracht ist und mit dessen Träger (71) mittels zweier kreisförmiger Ringe (66, 67) zusammenwirkt, die zu beiden Seiten dieser Vertiefung (65) angebracht sind.
Wegen des Wortlauts der Patentansprüche 3 bis 9 wird auf die Patentschrift Bezug genommen.
Mit ihrer Nichtigkeitsklage macht die Klägerin geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, da er sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergebe. Sie macht eine offenkundige Vorbenutzung durch die Funkenerosionsmaschine Robofil 330F geltend und beruft sich hierzu auf folgende Unterlagen:
A8a Wartungshandbuch Chamilles Robofil 330F Teil 1/2 A8b Wartungshandbuch Chamilles Robofil 330F Teil 2/2 A8c Foto Typenschild A8d vergrößerter Ausschnitt einer Zeichnung 4121640C11 aus Anlage A8b A9 Zeichnung Nr. 24.04.912r01 Gegenschneideorgan
(ohne "Vertiefung") A10 Rechnungskopie vom 22. Dezember 1999 A11a Prüfprotokoll vom 24. Juli 1998 A11b Prüfprotokoll vom 22. November 1999 A12 Kopie Rechnung vom 16. Dezember 1997 A13 Kopie Mitteilung "Wire Chopper" A19a interne Zeichnung Nr. 24.04.913, Chopper, 8.9.1998 A19b Rechnung 06768 vom 24.2.2000 Sie bezieht sich außerdem auf die Druckschriften A4 EP0803308A1 A6 US5454523A A7 CH 680 840 A5 A14 EP0245787A1 A15 US3435168A A16 DE-1 033 459 B1 A17 EP0418589A1 A20 DE 197 12 701 C1 A21 Auszug aus Herwig Braun et al "Fachkunde Metall", Verlag EuropatLehrmittel Nourney, Vollmer GmbH & Co., 53. Auflage, S. 170 f.
Im Laufe der mündlichen Verhandlung beschränkte die Beklagte die Verteidigung ihres Patents auf die Fassung gemäß Hilfsantrag 1 vom 11. September 2009, die dem Tenor zu entnehmen ist.
Die Klägerin stellt den Antrag, das europäische Patent 1 153 688 auch in der Fassung des neuen Hauptantrages einschließlich der Hilfsanträge 1 bis 3 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.
Die Beklagte stellt den Antrag, die Klage abzuweisen, soweit sie sich gegen das Streitpatent in der nunmehr verteidigten Fassung richtet. Hilfsweise beantragt sie, dem Streitpatent eine der Fassungen der Hilfsanträge 1 bis 3 zu geben.
Sie tritt den Ausführungen der Klägerin in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent in seiner beschränkten Fassung für patentfähig.
Zu den Fassungen der Ansprüche in der nunmehr verteidigten Fassung wird auf den Tenor dieser Entscheidung und zu den Fassungen der jeweiligen Ansprüche des mit den Hilfsanträgen 1 bis 3 verteidigten Patents auf die Gerichtsakte, S. 129 bis 131, Bezug genommen.
Gründe
Die Klage, mit der der in Artikel II § 6 Absatz 1 Nr. 1 IntPatÜG, Artikel 138 Absatz 1 lit a EPÜ i. V. m. Artikel 54 Absatz 1, 2 und Artikel 56 EPÜ genannte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht wird, ist teilweise begründet, soweit sie den nicht mehr verteidigten Teil des Streitpatents betrifft. Im Übrigen ist sie unbegründet, weil insoweit der Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit nicht vorliegt und vom Vorliegen erfinderischer Tätigkeit auszugehen ist.
Das Streitpatent ist ohne Sachprüfung insoweit für nichtig zu erklären, als es über die von der Beklagten nur noch beschränkt verteidigte Fassung hinausgeht (vgl. Keukenschrijver in : Busse, PatG., 6. Aufl., § 83, Rdnr. 45 ff. mit Rechtsprechungsnachweisen). Die Beschränkung ist zulässig, da die Patentinhaberin eine Ausgestaltung herausgegriffen hat, die sowohl in den ursprünglichen Unterlagen offenbart als auch im erteilten Patentanspruch 2 beansprucht war.
I.
1) Das Streitpatent betrifft eine Schneidvorrichtung für Drähte von Draht-Funkenerosionsmaschinen. Der Draht, mit dem die abtragende Bearbeitung eines Werkstücks in einer Bearbeitungszone der Vorrichtung erfolgt, wird nach seinem Durchlauf durch die Bearbeitungszone in Stücke geschnitten und als Abfall weggeführt. Zur Zerkleinerung des Drahtes dient eine Schneidvorrichtung mit einem Fräsrad, das mit Zähnen versehen ist, die mit der Schneidfläche eines Gegenschneideorgans zusammenwirken. Das Gegenschneideorgan hat eine Zufuhrbohrung, durch die der Draht auf der einen Seite in einer vorbestimmten Länge eingeschoben wird. Nach dem Austritt auf der anderen Seite der Bohrung führen die Zähne des Fräsrades den Draht weiter, der zwischen dem Rand der Zufuhrbohrung und der Stirnfläche eines der Zähne durch Scherwirkung abgeschnitten wird. Eine derartige Schneidvorrichtung ist aus der Druckschrift EP 0 803 308 A1, bekannt (Anlage A4).
Als Nachteil wird angesehen, dass der Rand der Zufuhrbohrung sich verhältnismäßig schnell abnutzt, so dass die Schneidwirkung gering bzw. das Schneiden sogar unmöglich wird. Ein Austausch des Gegenschneideorgans muss daher oft erfolgen (vgl. Abs. [0002], letzter Satz in der deutschen Übersetzung DE 600 05 305 T2 der Streitpatentschrift.).
Die vorliegende Erfindung hat das Ziel, den vorgenannten Nachteil abzustellen.
2) Die Lösung besteht gemäß dem mit dem Hauptantrag beschränkt verteidigten und hier gegliedert wiedergegebenen Patentanspruch 1 in einer 1.1 Schneidvorrichtung für Drähte von Draht-Funkenerosionsmaschinen, 1.2 in denen der Draht nach seinem Durchlauf durch eine Bearbeitungszone in Stücke geschnitten wird, die als Abfall weggeführt werden;
1.3 die Schneidvorrichtung umfasst ein Fräsrad, 1.3.1das mit Zähnen versehen ist, 1.3.2die dazu bestimmt sind, mit einer Schneidfläche eines Gegenschneideorgans zusammenzuwirken;
1.4 das Gegenschneideorgan hat eine Zufuhrbohrung, 1.4.1durch die der Draht eingeschoben wird, 1.4.2um von den Zähnen des Fräsrades weitergeführt zu werden;
1.5 das Gegenschneideorgan ist drehbar um eine Achse montiert, die mit der Achse dieser Bohrung zusammenfällt;
1.6 es sind Mittel vorgesehen, um eine Drehung des Gegenschneideorgans zu begünstigen, wenn das Fräsrad in Drehung versetzt wird;
2.2 das Gegenschneideorgan ist von allgemein zylindrischer Gestalt mit kreisförmiger Basis;
2.3 die benannten Mittel umfassen eine Vertiefung;
2.4 die Vertiefung ist auf dem Umfang der zylindrischen Oberfläche des Gegenschneideorgans angebracht;
2.5 das Gegenschneideorgan wirkt mittels zweier kreisförmiger Ringe mit dessen Träger zusammen;
2.6 die Ringe sind zu beiden Seiten dieser Vertiefung angebracht.
Das Merkmal 1.4.2 lautet in der maßgeblichen französischen Fassung:"...pour être debite par les dents (59) de la roue de fraise (58)...". Der Ausdruck "être debite" wurde gemäß der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift DE 60005305T2 mit "weitergeführt zu werden" übersetzt, gemeint ist aber offensichtlich "zerkleinert zu werden".
Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift gestatten es diese Merkmale, die Reibungskräfte zwischen dem Gegenschneideorgan und seinem Träger stark zu verringern und begünstigen somit eine freie Drehung diese Organs um seine Achse (vgl. Abs. [0006] in der deutschen Übersetzung DE 600 05 305 T2 der Streitpatentschrift.).
Der hierfür zuständige Fachmann ist ein Fachhochschul-Ingenieur des Maschinenbaus, der sich mit der Konstruktion von Schneidvorrichtungen für Drähte, insbesondere von Funkenerodiermaschinen befasst.
II.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der beschränkt verteidigten Fassung ist neu, was von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgegangen ist. Die Klägerin hat jedoch die Auffassung vertreten, dass eine Schneidvorrichtung mit den im geltenden Anspruch 1 angegebenen Merkmalen nicht das Ergebnis einer erfinderischen Tätigkeit sei.
1) Die Klägerin hat ihre Auffassung in erster Linie auf den Gegenstand einer angeblich offenkundigen Vorbenutzung gestützt. Zu Gunsten der Klägerin wird unterstellt, dass die hierzu vorgebrachten Tatsachen wie behauptet zutreffen. Die Einvernahme der angebotenen Zeugen konnte daher unterbleiben. Von den zur geltend gemachten offenkundigen Vorbenutzung eingereichten Unterlagen A8a, A8b, A8c, A8d, A9, A10, A11a, A11b, A12 und A13 sowie A19a und A19b muss das Dokument A13 unberücksichtigt bleiben, weil es, wie die Klägerin selber eingeräumt hat, nicht sicher als vorveröffentlicht angesehen werden kann.
Die danach zum Stand der Technik zu zählende Vorrichtung ist jedoch nicht geeignet, die Patentfähigkeit des Streitpatentgegenstandes in Frage zu stellen.
Gegenstand der geltend gemachten Vorbenutzungshandlung ist die u. a. in dem Dokument A8b in ihren Einzelheiten gezeigte und beschriebene Draht-Funkenerosionsmaschine Robofil 330F. Sie weist eine gattungsgemäße Schneidvorrichtung mit den Merkmalen 1.1, 1.2, 1.3, 1.3.1, 1.3.2, 1.4, 1.4.1 und 1.4.2 auf (vgl. die Figuren in der Zeichnung Nr. 4121640), was auch die Beklagte in ihrer Eingabe vom 11. September 2009 zugestanden hat (vgl. S. 120, letzter Absatz und S. 121, erster Absatz der Gerichtsakte). Weiter ist ein Gegenschneideorgan 542998 vorgesehen, das in Übereinstimmung mit Merkmal 1.5 der gegliederten Patentanspruchsfassung um seine Zylinderachse, die mit der Achse der Zufuhrbohrung zusammenfällt, offenkundig drehbar montiert ist. Ferner gehen aus dem Dokument A8b Mittel hervor, die im Sinne des Merkmals 1.6 eine Drehung des Gegenschneideorgans begünstigen, wenn das Fräsrad 434447 in Drehung versetzt wird. Sie erschließen sich dem Fachmann aus der in der o. g. Zeichnung, Schnitt D-D, klar erkennbaren, bezüglich der Bohrungsresp. Zylinderachse des Gegenschneideorgans 542998 asymmetrischen Anordnung des Fräsrades 434447, was bei Reibschluss mit der Zylinderbasis des Gegenschneideorgans zwangsläufig dessen Drehung um seine Zylinderachse bewirken muss. Der Reibschluss wird durch eine Schraubenfeder 542854 hergestellt, welche die Zylinderbasis des Gegenschneideorgans an die Zähne des Fräsrades drückt (vgl. Dokument A8d, Ausschnittvergrößerung aus Zeichnung Nr. 4121640 in A8b). Das Gegenschneideorgan 542998 ist offensichtlich von allgemein zylindrischer Gestalt mit kreisförmiger Basis, so dass letztlich auch Merkmal 2.2 der gegliederten Patentanspruchsfassung erfüllt ist. Es weist jedoch keine Vertiefung auf dem Umfang seiner zylindrischen Oberfläche auf und wirkt auch nicht mittels kreisförmiger Ringe mit dem Träger des Gegenschneideorgans zusammen, die zu beiden Seiten der Vertiefung angebracht sind.
Mittel, um eine Drehung des Gegenschneideorgans zu begünstigen, die die Merkmale 2.3 bis 2.6 der gegliederten Anspruchsfassung aufweisen, lässt dieser Stand der Technik somit nicht erkennen. Die Auffassung der Klägerin, dass sich diese Mittel für den Fachmann schon aus allgemeinem Grundlagenwissen heraus ergeben, teilt der Senat nicht.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Anbringung einer Vertiefung auf dem Umfang der zylindrischen Oberfläche sei wegen der eigentlichen Ursache des erhöhten Verschleißes des Gegenschneideorgans aus der Sicht des Fachmanns nahe gelegt. Durch den Funkenerosionsund den Drahtschneidevorgang entstehende Stäube würden in den Ringspalt zwischen Gegenschneideorgan und der dieses umgebenden Buchse gelangen, was mit der Zeit zu einer erhöhten Reibung führe, und infolgedessen sei die Drehung des Gegenschneideorgans behindert. Es sei die einfachste Maßnahme, die von einer Gefahr eines derartigen Festsetzens betroffenen Flächen bis auf die zur Führung des Gegenschneideorgans notwendigen Bereiche zu verkleinern.
Sollte das Eindringen von bei der Bearbeitung entstehenden Stäuben in den Spalt zwischen Buchseninnenfläche und der angrenzenden Oberfläche des Gegenschneideorgans ursächlich für das ungünstige Verschleißverhalten des von der vorbenutzten Draht-Funkenerosionsmaschine her bekannten Gegenschneideorgans sein, wird ein Fachmann das Anbringen einer umlaufenden Vertiefung in die Zylinderoberfläche des Gegenschneideorgans jedoch als nicht sinnvoll erachten, denn damit kann der Zutritt von Stäuben und Spänen in die genannten kritischen Bereiche nicht verhindert werden. Zudem bietet sich ihm aus dem Stand der Technik bereits eine in dieser Hinsicht wirkungsvollere Maßnahme an, die bei dem Streitgegenstand auch unverändert beibehalten wird, nämlich die Abfuhr des abgetragenen Materials, schon bevor es zu dem in Rede stehenden Spalt gelangt. So sehen sowohl die angeblich offenkundig vorbenutzte als auch die aus der Druckschrift A4 bekannte Vorrichtung entsprechende hydraulische bzw. pneumatische Mittel für den Abtransport der abgeschnittenen Drahtstücke vor (vgl. die rechte Figur in Zeichnung 4121640 des Dokuments A8b bzw. Fig. 3 i. V. m. Sp. 5, Z. 43 bis 48 in Anlage A4). Es ist daher nicht ersichtlich, warum der Fachmann veranlasst sein sollte, eine bewährte Maßnahme durch ein technisches Mittel zu ergänzen, das außerdem ersichtlich keinen weiteren Vorteil mit sich bringt.
Die patentgemäße Vertiefung in der Zylinderoberfläche des Gegenschneideorgans sieht die Klägerin zudem als nicht erfinderisch an, weil der Fachmann das Coulombsche Reibungsgesetz kenne, wonach eine Verringerung der Gewichtskraft eines auf einer Fläche aufliegenden Körpers die die Bewegung des Körpers auf der Fläche hemmende Reibungskraft herabsetze. Mit diesem Wissen sei es nahe liegend, die Masse des Gegenschneideorgans zu reduzieren, um dessen Drehung in dem Träger bzw. in der Buchse zu fördern.
Durch die Kenntnis des Coulombschen Reibungsgesetzes weiß der Fachmann, wie die Klägerin richtig ausgeführt hat, dass die in der Patentbeschreibung in Absatz [0020] gegebene Erklärung, wonach die Verringerung der mit der Innenseite der Buchse in Kontakt stehenden Fläche zu einer verringerten Reibung und somit zur Begünstigung der Drehung des Gegenschneideorgans führe, nicht dahingehend zu verstehen ist, dass mit einer verringerten Kontaktfläche die Reibkraft herabgesetzt wird. Letztere ist bekanntlich bei den hier in Rede stehenden hochfesten metallischen Materialien unabhängig von der Größe der Kontaktfläche, ebenso wie der Reibbeiwert, über den die Reibungskraft direkt proportional der Normalkraft ist. Sollte das nach dem Streitpatent ausgestaltete Gegenschneideorgan also tatsächlich eine erleichterte Drehung und damit ein günstigeres Verschleißverhalten gegenüber dem Gegenschneideorgan der auf Grund angeblich offenkundiger Vorbenutzung bekannten Vorrichtung gleicher Bauart aufweisen, so ist der Grund offensichtlich nicht die verkleinerte Kontaktfläche zwischen dem Gegenschneideorgan und der Buchse, in der sie gelagert ist.
Die Meinung, dass es mit Kenntnis des Coulombschen Reibungsgesetzes nahe liege, bei dem patentgemäßen Gegenschneideorgan eine Vertiefung anzubringen, weil so auf einfache Weise mit einer Verringerung der Masse des Gegenschneideorgans die Reibkraft zwischen diesem Bauteil und seinem Träger verringert werden könne, teilt der Senat nicht.
Bei gattungsgemäßen Vorrichtungen ist ohnehin auf Grund seiner geringen Größe die Masse des Gegenschneideorgans klein und für die resultierende Reibungskraft ohnehin nicht relevant. Zudem wird in der angeblich durch offenkundige Vorbenutzung bekannt gewordenen Draht-Funkenerosionsmaschine das Gegenschneideorgan mit einer Schraubenfeder 542854 an die Zähne des Fräsrades gedrückt (vgl. Dokument A8d, Ausschnittvergrößerung aus Zeichnung Nr. 4121640 in A8b). Diese Anordnung, die auch die patentgemäße Vorrichtung identisch vorsieht (vgl. Fig. 3 und Abs. [0021], zweiter Satz), bewirkt, dass das Gegenschneideorgan zwischen der Feder und den Fräszähnen eingeklemmt und dessen Masse kompensiert wird. Der Fachmann kann folglich bei den vorliegenden konstruktiven Gegebenheiten von einer Verringerung der Masse des Gegenschneideorgans keine Verringerung der Reibungskraft erwarten und wird daher aus diesem Aspekt heraus nicht zu der vom Streitpatent vorgesehenen Maßnahme gelangen.
Davon abgesehen, dass die Klägerin diese Überlegungen erst in Kenntnis der patentgemäßen Lösung anstellen und ihre Folgerungen daraus ziehen konnte, liefern die aus dem von der Klägerin vorgetragenen Fachwissen gezogenen Schlüsse somit keinen Anlass zu der nach dem beschränkt verteidigten Anspruch 1 vorgesehenen Ausgestaltung der die Drehung des Gegenschneideorgans begünstigenden Mittel.
2) Des Weiteren hat die Klägerin die Auffassung vertreten, der beanspruchte Gegenstand des Streitpatents beruhe ausgehend von der angeblich offenkundig vorbenutzten Schneidvorrichtung für die Draht-Funkenerosionsmaschine Robofil 330F nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, weil er sich nach einer Zusammenschau mit dem druckschriftlichen Stand der Technik in nahe liegender Weise ergebe. Zur Stützung dieses Vorbringens hat sie in der mündlichen Verhandlung die Dokumente A6, A14 bis A16, A17 und A20 herangezogen.
Die oben aufgezeigten gegenüber der Schneidvorrichtung für die Draht-Funkenerosionsmaschine Robofil 330F fehlenden Merkmale 2.3 bis 2.6 des Streitpatentgegenstandes sind jedoch keiner dieser Druckschriften zu entnehmen. Es ist somit nicht erkennbar, wie eine Anregung zu einer dem verteidigten Anspruch 1 entsprechenden Ausgestaltung daraus hervorgehen kann.
Dokument A6 betrifft mit einer Apparatur zum Schneiden langer Objekte eine gattungsgemäße Schneidvorrichtung für Drähte von Draht-Funkenerosionsmaschinen (vgl. Sp. 1, Z. 7 bis 13). Sie enthält zwar die im geltenden Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Merkmale 1.1 bis 1.5 und 2.2 (vgl. Fig. 5 und 6 i. V. m. Sp. 6, Z. 24 bis 67). Es fehlt jedoch bereits das Merkmal 1.6, wonach Mittel vorgesehen sind, um eine Drehung des Gegenschneideorgans zu begünstigen, wenn das Fräsrad in Drehung versetzt wird. Anders als bei dem Gegenstand des Streitpatents erfolgt dort eine Drehung des fixierten Gegenschneideorgans 22, wenn dessen Messerkante 22b verschlissen ist, offensichtlich per Hand und außerhalb des Bearbeitungsvorgangs, wobei erst Befestigungsschrauben 23 gelöst, dann das Gegenschneideorgan 22 ein wenig um seine Achse gedreht und anschließend wieder gesichert wird (vgl. Sp. 6, Z. 57 bis 61 i. V. m. Fig. 4 und 6). Auch die verbleibenden Merkmale 2.3 bis 2.6 weist das Gegenschneideorgan 22 nicht auf. Die aus der Druckschrift A6 zu ziehende Lehre, geht somit über die Lehre des Standes der Technik, den das Dokument A8b zur Draht-Funkenerosionsmaschine Robofil 330F bereits vermittelt, nicht hinaus.
Die Druckschrift A14 betrifft einen Federkontaktstift für Prüfvorrichtungen zum Prüfen von elektrischen Prüflingen; Druckschrift A15 betrifft ebenfalls einen elektrischen Kontakt Druckschrift A16 einen Ventilstößel zur Übertragung der Betätigungskraft für ein Ventil und Druckschrift A20 eine Vorrichtung zum Schneiden von Borstensträngen für Bürsten. Diese Entgegenhaltungen befassen sich demnach sämtlich mit Gegenständen entfernter Fachgebiete. Die von der Klägerin behauptete Nähe zur Aufgabenstellung des Streitpatents kann weder bei den Gegenständen der Druckschriften A14 bis A16 noch bei dem Gegenstand der Druckschrift A20 erkannt werden, wo u. a. eine Vorrichtung geschaffen werden soll, die den Verschleiß minimiert bzw. die Standzeit eines Schneidmessers erhöht und die Verquetschungen verhindert (vgl. Sp. 1, Z. 30 bis 33). Das bekannte Schneidmesser 4 entspricht nämlich nicht dem patentgemäßen Gegenschneideorgan. Letzteres ist zwar auch bei der aus A20 bekannten Vorrichtung vorhanden, jedoch realisiert durch eine Schneidbuchse 2, die offensichtlich nicht um eine Achse drehbar montiert ist (vgl. Fig. 1 und 2). Die Vorrichtung gemäß dem Dokument A20 weist folglich ebenso wie die aus den Druckschriften A14 bis A16 bekannten Vorrichtungen kein einziges der im geltenden Anspruch 1 des Streitpatents genannten Merkmale einer Schneidvorrichtung für Drähte von Draht-Funkenerosionsmaschinen auf.
Eine Veranlassung für den Fachmann, der vor einem Problem des Verschleißes von Schneidvorrichtungen für Drähte von Funkenerodiermaschinen steht, eine dieser Entgegenhaltungen heranzuziehen, ist somit nicht belegbar.
Das Dokument A17 betrifft mit einer Vorrichtung zur Drahtzerkleinerung zwar eine gattungsgemäße Schneidvorrichtung, die sich insbesondere eignet, um das aus einer Funkenerosionsmaschine austretende Drahtmaterial abzulängen (vgl. Sp. 2, Z. 59 bis 63), und welche die im geltenden Anspruch 1 des Streitpatents angegebenen Merkmale 1.1 bis 1.5 sowie 2.2 und darüber hinaus auch bereits das Merkmal 1.6 erfüllt (vgl. Sp. 5, Z. 6 bis 32 i. V. m. Fig. 3). Sie unterscheidet sich jedoch deutlich von der patentgemäßen Ausgestaltung des die Drehung des Gegenschneideorgans begünstigenden Mittels. Sie weist -erstens -einen Antriebsriemen 17 auf, der das Gegenschneideorgan, dort Gegenwerkzeug genannt, synchron zur Drehung des Fräsrades um seine Längsachse dreht, das dort aus einem Messerträger 1 und Messern 2 gebildet ist. Ferner ist -zweitens -ein Kugellager vorgesehen (vgl. Fig. 2 und 3 i. V. m. Sp. 5, Z. 26 bis Sp. 5, Z. 48). Bei dem Streitpatent sind dagegen weder ein Antrieb des Gegenschneideorgans über einen Riemen noch eine Kugellagerung vorgesehen.
Eine einfache Zusammenschau und Vereinigung von Merkmalen der aus der Druckschrift A17 bekannten Schneidvorrichtung und der aus dem Dokument A8b hervorgehenden Schneidvorrichtung der Draht-Funkenerosionsmaschine Robofil 330F führt den Fachmann somit ebenfalls nicht zur Ausgestaltung des Gegenschneideorgans gemäß dem geltenden Anspruch 1 des Streitpatents. Die Maßnahme, eine Vertiefung auf dem Umfang des daraus bekannten Gegenschneideorgans anzubringen und die übrigen sich damit ergebenden Merkmale vorzusehen, ist gegenüber der aus der Druckschrift A17 entnehmbaren Lösung mit wenig Aufwand deutlich einfacher zu realisieren, was zusätzlich für das Vorliegen einer Erfindung spricht, wenn -wie hier -im einschlägigen Stand der Technik kein entsprechendes Vorbild zu finden ist und die anderweitigen Überlegungen, die die Klägerin angestellt hat, ebenfalls die Erfindung nicht nahe legen.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 in der verteidigten Fassung beruht somit auf einer erfinderischen Tätigkeit.
An diesem Ergebnis ändert auch die Berücksichtigung der bereits im europäischen Prüfungsverfahren herangezogenen Druckschriften A4 und A7 und des lediglich zum Nachweis des Fachwissens eingereichten Dokuments A21 nichts, die die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht mehr zur Sprache gebracht hat.
Die Ansprüche 2 bis 8 werden von dem verteidigten Anspruch 1 getragen.
Da sich die Vorrichtung gemäß dem beschränkt verteidigten Anspruch 1 als patentfähig erweist, ist dem Hauptantrag der Beklagten stattzugeben, und es erübrigt sich somit, auf die Hilfsanträge 1 bis 3 der Beklagten einzugehen.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 84 Abs. 2 S. 1 PatG i. V. m. § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO, da beide Parteien in etwa zu gleichen Teilen obsiegt haben bzw. unterlegen sind. Die Verringerung des gemeinen Werts des Streitpatents durch die erklärte Beschränkung schätzt der Senat auf etwa 50%, da der Schutzbereich in erheblichem Umfang verringert wurde, unabhängig von den zwischen den Parteien strittigen Verletzungsgegenständen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit, die sich nur noch auf den Kostenerstattungsanspruch der Klägerin hinsichtlich der Gerichtskosten bezieht, beruht auf § 99 Abs. 1 PatG i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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BPatG:
Urteil v. 29.10.2009
Az: 2 Ni 2/08
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