Bundesgerichtshof:
Urteil vom 21. Oktober 2010
Aktenzeichen: IX ZR 37/10

(BGH: Urteil v. 21.10.2010, Az.: IX ZR 37/10)

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird unter Zurückweisung im Übrigen das Urteil des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 18. Februar 2010 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage auf Zahlung eines Strafverteidigerhonorars in Höhe von 13.923,85 € nebst Zinsen abgewiesen wurde.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Nichtzulassungsbeschwerde und der beiden Revisionsverfahren, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Anschlussrevision des Beklagten wird zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Der Kläger verteidigte den Beklagten in einem Strafverfahren vor dem Schöffengericht. Der Beklagte wurde beschuldigt, in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer einer GmbH in der Zeit von Februar 1991 bis November 1994 in 46 Fällen Sozialversicherungsbeiträge der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite in Höhe von mindestens 550.000 DM nicht abgeführt und tateinheitlich Betrug begangen sowie Gewerbe- und Körperschaftsteuer von etwa 400.000 DM verkürzt zu haben. Der Beklagte wurde mit Urteil des Schöffengerichts vom 17. Dezember 2002 wegen Beitragsvorenthaltung in Tateinheit mit Betrug in 22 Fällen zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt; das Verfahren wegen der Steuerhinterziehung wurde gemäß § 154 StPO eingestellt. Hiergegen legten die Staatsanwaltschaft sowie der - zunächst wiederum durch den Kläger vertretene - Beklagte Berufung ein. Am 26. Juni 2007 legte der Kläger das Mandat nieder. Später wurde das Verfahren gegen den Beklagten, der nunmehr von seinen jetzigen Instanzanwälten verteidigt wurde, gegen Zahlung einer Geldbuße von 20.000 € gemäß § 153a StPO eingestellt.

Diesem Strafverfahren war ein im Jahre 1994 eingeleitetes Ermittlungs- und Strafverfahren mit gleichem Tatvorwurf vorausgegangen, das nach durchgeführter Hauptverhandlung wegen eines Verfahrenshindernisses am 10. November 1999 eingestellt worden war. Auch in diesem Verfahren war der Beklagte durch den Kläger verteidigt worden. Das hierfür berechnete Honorar in Höhe von 11.554,07 € hat der Kläger erhalten.

Unmittelbar nach Zustellung der zweiten Anklage unterzeichnete der Beklagte am 7. Dezember 1999 eine als Honorarvereinbarung bezeichnete, vom Kläger vorformulierte Erklärung, in der es u.a. heißt:

"1. Wegen des Umfangs und der besonderen Bedeutung der Sache wird vereinbart, daß ich statt der gesetzlichen Gebühren ein Honorar in Höhe von 450.- DM (in Worten vierhundertfünfzig Deutsche Mark) je Stunde zahle. Ein Viertel des vereinbarten Stundensatzes wird für jede angefangene 15 Minuten berechnet. Bei Tätigkeiten außerhalb des Büros des Verteidigers beginnt die Zeit mit dem Verlassen des Büros und endet mit der Rückkehr im Büro.

Es sind mindestens die gesetzlichen Gebühren vereinbart. Diese Vereinbarung gilt auch im Falle der Hauptverhandlung."

Auf der Grundlage der dem Beklagten unter dem 29. November 2004 erteilten Kostennote fordert der Kläger unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von 2.000.- € ein Zeithonorar von weiteren 23.094,79 €.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Das Berufungsgericht hat die Honorarvereinbarung zunächst für unwirksam erachtet und die Klage abgewiesen. Nach Aufhebung dieser Entscheidung durch den Senat (Urt. v. 19. Mai 2009 - IX ZR 174/06, NJW 2009, 3301) hat das Berufungsgericht das geltend gemachte Strafverteidigerhonorar in Höhe von 9.170, 94 € für begründet erachtet und die weitergehende Klage abgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen bislang nicht zuerkannten Honoraranspruch weiter. Der Beklagte wendet sich im Wege der Anschlussrevision gegen die vom Berufungsgericht zugesprochene Vergütung.

Gründe

Die Revision des Klägers hat überwiegend Erfolg. Die Anschlussrevision des Beklagten ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht, dessen Urteil in BRAK-Mitt. 2010, 90 veröffentlicht ist, hat ausgeführt, die nach Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 der Honorarvereinbarung vereinbarte Zeittaktklausel sei nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam. Der vereinbarte fünfzehnminütige Zeittakt führe zu einer evidenten Benachteiligung des Mandanten. Die Klausel entfalte strukturell zu Lasten des Mandanten in erheblicher Weise sich kumulierende Rundungseffekte. Infolge der Unwirksamkeit der Zeittaktklausel könnten die vom Kläger abgerechneten 23 Zeitintervalle, was einem Aufwand von 322 Minuten (5,37 Stunden) entspreche, keine Berücksichtigung finden. Der abzuziehende Honoraranteil betrage 1.235,53 € (5,37 Stunden x 230,08 €).

Ein weiterer Honorarabzug von insgesamt 9,58 Stunden ergebe sich daraus, dass der Kläger wiederholt Zeitaufwand abgerechnet habe, der ersichtlich nicht angefallen oder objektiv nicht erforderlich gewesen sei. So könne der Kläger für die am 7. Dezember 1999 erbrachten Leistungen nur einen Stundenaufwand von vier anstelle der berechneten acht Stunden beanspruchen. Das geltend gemachte Aktenstudium für "4 DIN A 4-Ordner" sei nicht berücksichtigungsfähig, weil nicht festgestellt werden könne, dass dem Kläger, der im Verfahren erst im November 2002 Akteneinsicht genommen habe, diese Ordner bereits am 7. Dezember 1999 vorgelegen hätten. Für die beiden Hauptverhandlungstage im Dezember 2002 könne der abgerechnete Zeitaufwand von jeweils sieben Stunden angesichts der tatsächlichen Dauer der Sitzungen (2,75 und 2,67 Stunden) und des hinzuzurechnenden Zeitbedarfs für An- und Abreise nicht in voller Höhe anerkannt werden. Es verbleibe ein unaufgeklärter Zeitaufwand von 2,75 und 2,83 Stunden, den der hierzu in der mündlichen Verhandlung befragte Kläger nicht habe verlässlich erläutern können.

Die danach verbleibende Zeitvergütung belaufe sich unter Berücksichtigung der vorstehenden Abzüge auf 17.900,22 €. Im Sinne des hier noch anwendbaren § 3 Abs. 3 Satz 1 BRAGO sei diese Vergütung unangemessen hoch und müsse auf ein angemessenes Honorar in Höhe von 9.336,60 € herabgesetzt werden. Das vereinbarte Honorar in der vorgenannten Höhe übersteige die gesetzliche Nettovergütung um etwa das 16-fache. Es handele sich um eine allenfalls durchschnittliche Angelegenheit. Maßgeblich sei, dass es keine Haftsache gewesen sei, keine erhebliche Freiheitsstrafe gedroht habe, die angeklagten 46 Einzeltaten völlig gleichförmig gewesen seien und eine lückenhafte Anklageschrift vorgelegen habe, so dass eine Verurteilung wegen Steuerhinterziehung nicht ernsthaft in Betracht gekommen sei. Ferner sei zu berücksichtigen, dass der Kläger bereits mit der Angelegenheit durch eine ausführliche Vorbefassung vertraut gewesen, und die Sache vor dem Schöffengericht in nur zwei Hauptverhandlungstagen von kurzer Dauer verhandelt worden sei. Von überdurchschnittlicher Bedeutung seien lediglich die Schadensberechnung in der Anklageschrift und die ihr zugrunde liegenden Modellrechnungen der gesetzlichen Krankenkasse und des Finanzamts gewesen sowie die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Beklagten. Im konkreten Fall sei es zwar angemessen gewesen, die Vergütung nach Zeitaufwand zu bestimmen, weil in Wirtschaftsstrafsachen, zu denen auch Strafverfahren wegen Hinterziehung von Steuern und unterlassener Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen gehörten, sich die Dauer des Verfahrens ebenso wenig abschätzen lasse wie der konkrete Ablauf. Der ausgehandelte Stundensatz von 450 DM [230,08 €] sei jedoch nicht angemessen. Er müsse auf 180 € herabgesetzt werden. Ein höherer Stundensatz sei nicht gerechtfertigt, weil die Angelegenheit nicht höher als durchschnittlich eingestuft werden könne. Üblicherweise vereinbarten Rechtsanwälte Zeithonorare, deren durchschnittlicher Stundensatz bei 180 € liege, wie aus der Erhebung des Soldan-Instituts im Frühjahr 2005 hervorgehe.

Die gegenteiligen Ausführungen in dem vom Vorstand der Rechtsanwaltskammer erstellten Gutachten stünden dieser Beurteilung nicht entgegen, weil sich dieses nur gänzlich unzureichend mit den fallbezogenen Umständen befasst habe. Auch der in Rechnung gestellte sonstige Zeitaufwand erweise sich als unangemessen. Die abgerechneten 77,8 Stunden seien nur im Umfang von 51,87 Stunden erforderlich gewesen.

Zinsen könne der Kläger nicht ab Rechtshängigkeit beanspruchen. Der geltend gemachte Honoraranspruch sei in feststellbarer Weise erst am Tage der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht einforderbar geworden, als die Parteien über den zuvor eingereichten Schriftsatz verhandelt hätten. Erst in diesem Schriftsatz habe der Kläger den abgerechneten Zeitaufwand nach Tätigkeitsmerkmalen hinreichend aufgeschlüsselt dargestellt.

II.

Diese Ausführungen halten, bezogen auf die Revision des Klägers, rechtlicher Prüfung nur in geringem Umfang stand.

1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger seine Tätigkeit als Strafverteidiger auf der Grundlage eines Stundenhonorars abrechnen konnte. Eine derartige Vergütung ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht als unangemessen zu beanstanden, wenn diese Honorarform unter Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalls sachgerecht erscheint (BVerfG, NJW-RR 2010, 259, 260; BGH, Urt. v. 3. April 2003 - IX ZR 113/02, NJW 2003, 2386, 2387; v. 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09, NJW 2010, 1364 Rn. 73 z.V.b. in BGHZ 184, 209). Dies hat das Berufungsgericht im Hinblick auf den Umstand, dass bei Wirtschaftsstrafsachen der hier vorliegenden Art weder die Dauer des Verfahrens noch dessen konkreter Ablauf im Voraus abgeschätzt werden kann, mit sachgerechten Erwägungen bejaht.

2. Demgegenüber erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, der von den Parteien vereinbarte Stundensatz von 450 DM [230,08 €] sei unangemessen und müsse gemäß § 3 Abs. 3 BRAGO auf 180 € herabgesetzt werden, als rechtsfehlerhaft.

a) Die Frage der Unangemessenheit nach § 3 Abs. 3 BRAGO ist unter dem allgemeinen Gesichtspunkt des § 242 BGB zu beurteilen, also danach, ob sich das Festhalten an der getroffenen Vereinbarung unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalls als unzumutbar und als ein unerträgliches Ergebnis darstellt. Nach dem der Vorschrift des § 3 Abs. 3 BRAGO in Einklang mit § 242 BGB innewohnenden Rechtsgedanken kommt die Abänderung einer getroffenen Vereinbarung nur dann in Betracht, wenn es gilt, Auswüchse zu beschneiden. Der Richter ist jedoch nach § 3 Abs. 3 BRAGO nicht befugt, die vertraglich ausbedungene Leistung durch die billige oder angemessene zu ersetzen. Folglich ist nicht darauf abzustellen, welches Honorar im gegebenen Fall als angemessen zu erachten ist, sondern darauf, ob die zwischen den Parteien getroffene Honorarvereinbarung nach Sachlage als unangemessen hoch einzustufen ist. Ein vereinbartes Honorar kann nicht mehr "angemessen" sein, ohne den Tatbestand des § 3 Abs. 3 BRAGO zu erfüllen (BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO Rn. 87; OLG München NJW 1967, 1571, 1572; OLG Köln NJW 1998, 1960, 1962; OLG Hamm AGS 2007, 550, 552; Bischof, RVG 3. Aufl. § 3a Rn. 37). Für eine Herabsetzung ist danach nur Raum, wenn es unter Berücksichtigung aller Umstände unerträglich und mit den Grundsätzen des § 242 BGB unvereinbar wäre, den Mandanten an seinem Honorarversprechen festzuhalten (BGH, Urt. v. 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09, aaO Rn. 87; Fraunholz in Riedel/Sußbauer, BRAGO 8. Aufl. § 3 Rn. 37; Madert in Gerold/Schmidt, BRAGO 15. Aufl. § 3 Rn. 20). Es muss demnach ein krasses, evidentes Missverhältnis zwischen der anwaltlichen Leistung und ihrer Vergütung gegeben sein (BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO; Römermann in Hartung/Römermann/ Schons, RVG 2. Aufl. § 4 Rn. 107).

b) Den danach anzuwendenden Prüfungsmaßstab der Unangemessenheit hat das Berufungsgericht verfehlt, indem es ausgehend von einem durchschnittlichen Stundensatz von 180 € für Rechtsanwälte diesen auch für die hier in Rede stehende Vergütung in Ansatz gebracht hat. Damit hat das Berufungsgericht einen von ihm als angemessen erachteten Stundensatz gebildet, aber die gebotene Prüfung versäumt, ob der vereinbarte Stundensatz unerträglich im vorbezeichneten Sinne ist. In diesem Zusammenhang kann als Ausgangspunkt nicht auf einen allgemeinen Durchschnittsatz für Rechtsanwälte abgestellt werden, sondern es muss hier bereits auf die Art des Mandats, eine Strafverteidigung in einer Wirtschaftsstrafsache, eingegangen werden (vgl. BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO Rn. 93).

c) Zudem hat sich das Berufungsgericht, wie die Revision zu Recht rügt, nicht hinreichend mit den gegenläufigen Ausführungen im Gutachten des Vorstands der Rechtsanwaltskammer auseinandergesetzt (vgl. BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO Rn. 94). Das Gutachten, wonach Stundensätze in Strafsachen in Höhe von 500 DM als üblich und angemessen anzusehen sind, hat dies entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht nur zu den Verhältnissen im Jahre 2008 vertreten, sondern auch für die Zeit Ende 1999/Anfang 2000. Dies ergibt sich aus der Bezugnahme auf die Entscheidung OLG Hamm AGS 2007, 550, 554, die sich mit einer am 18. Februar 2000, mithin zwei Monate nach dem Zustandekommen der hier maßgeblichen Vergütungsabrede getroffenen Honorarvereinbarung, befasst.

3. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zum Arbeitsumfang und dem hierbei dem Kläger zuerkannten Stundenaufwand erweisen sich gleichfalls als rechtsfehlerhaft.

a) Soweit das Berufungsgericht unter Bezugnahme auf die vom Kläger vorgelegte Stundenberechnung angenommen hat, der Kläger habe 23 Zeitintervalle im aufgerundeten Zeittakt von 15 Minuten abgerechnet, fehlt es an den hierfür erforderlichen Feststellungen. Weder aus dem Vortrag der Parteien noch aus den Ausführungen des Berufungsgerichts ergeben sich tragfähige Anhaltspunkte dafür, dass die Berechnung des Klägers tatsächlich auf einer Aufrundung beruht. Auf die vom Berufungsgericht für entscheidungserheblich angesehene Frage nach der Wirksamkeit der Zeittaktklausel kommt es mithin nicht an. Soweit der Kläger für den 3. Mai und den 9. Juli 2001 30 Minuten und 15 Minuten berechnet hat, handelt es sich um einen konkreten Minutenaufwand, dessen grundsätzliche Vergütungsfähigkeit das Berufungsgericht selbst nicht in Abrede gestellt hat. Auch insoweit bedarf es keines Rückgriffs auf die Zeittaktklausel.

b) Die Annahme des Berufungsgerichts, für das Studium von vier Aktenordnern am 7. Dezember 1999 könne der Kläger nichts abrechnen, ist - unabhängig davon, ob es sich, wie die Revision rügt, insofern um eine unzulässige Überraschungsentscheidung handelt - rechtlich nicht tragfähig. Als Begründung hat das Berufungsgericht angegeben, an jenem Tag hätten dem Kläger nur die "nicht mehr aktuellen" Aktenstücke vorliegen können, die aus Anlass des abgeschlossenen Erstverfahrens entstanden seien. Dass diese Aktenstücke nicht mehr aktuell gewesen seien, steht im Widerspruch zu der vom Berufungsgericht in anderem Zusammenhang hervorgehobenen "ausführlichen Vorbefassung" des Klägers, derentwegen das neue Verfahren für den Kläger "eine allenfalls durchschnittliche Angelegenheit" gewesen sei.

c) Die Annahme des Berufungsgerichts, die von ihm festgestellte Bearbeitungszeit von 77,80 Stunden sei für das streitgegenständliche Mandat nicht erforderlich gewesen und müsse um ein Drittel gekürzt werden, erweist sich im Hinblick auf die hierzu angeführte Begründung gleichfalls als unzutreffend.

aa) Die Erwägung des Berufungsgerichts, nach seiner Überzeugung habe der Kläger 9,58 Stunden in seiner Auflistung zu viel angegeben (vgl. hierzu die vorstehenden Ausführungen unter Ziff. 3 b), so dass auch die objektive Erforderlichkeit der übrigen nachgewiesenen Stunden in Zweifel zu ziehen sei, trägt nicht. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt, um Vorsorge gegen eine unvertretbare Aufblähung der Arbeitszeit durch den Rechtsanwalt zu Lasten des Mandanten zu treffen, ist vielmehr die Prüfung, ob die - nachgewiesenen - Stunden in einem angemessenen Verhältnis zu Umfang und Schwierigkeit der Sache stehen. Dabei geht es nicht darum, dem Rechtsanwalt sozusagen eine bindende Bearbeitungszeit vorzugeben, die er zur Vermeidung von Honorarnachteilen nicht überschreiten darf. Da sich die Arbeitsweise von Rechtsanwälten - wie jeder Mandant weiß - individuell unterschiedlich gestaltet, sind auch Zeitdifferenzen bei der Dauer der Bearbeitung grundsätzlich hinzunehmen. Allerdings kann der von dem Rechtsanwalt nachgewiesene Zeitaufwand nur dann in vollem Umfang berücksichtigt werden, wenn er in einem angemessenen Verhältnis zu Schwierigkeit, Umfang und Dauer der zu bearbeitenden Angelegenheit steht (BGH, Urt. v. 4. Februar 2010 - IX ZR 18/09, aaO Rn. 85). Wird der Rechtsanwalt auf Wunsch des Mandanten, dem etwa an der Vertretung durch seinen Vertrauensanwalt gelegen ist, in einem ihm wenig geläufigen Rechtsgebiet tätig, wird der Mandant eine längere Bearbeitungszeit hinzunehmen haben. Schaltet der Mandant hingegen einen Spezialisten ein, darf er grundsätzlich davon ausgehen, dass der Rechtsanwalt die Sache innerhalb eines üblichen Zeitrahmens, ohne sich in der Erörterung rechtlicher Selbstverständlichkeiten oder für den Streitfall von vornherein unerheblicher Rechtsfragen zu verlieren, erledigt. Freilich ist auch bei der Beauftragung eines Spezialisten zu berücksichtigen, ob es sich um eine "Routineangelegenheit" oder - was hier näher liegt - um einen besonders gelagerten, vielschichtigen Einzelfall handelt, für den, weil er sich einer zeitlichen Eingrenzung entzieht, keine im einzelnen konkretisierbaren Bearbeitungszeiten gelten können. Die danach erforderliche Prüfung obliegt in erster Linie den Tatgerichten. Das Berufungsgericht wird vor diesem Hintergrund eine überschlägige Schätzung anzustellen haben, welcher Zeitaufwand für die Durchsicht und Erfassung der Verfahrensakten sowie ihre rechtliche Durchdringung verhältnismäßig erscheint (OLG Hamm AGS 2007, 550, 551). Entsprechendes gilt für zusätzlich geltend gemachten Zeitaufwand.

bb) Die Revision beanstandet in diesem Zusammenhang zu Recht, dass das Berufungsgericht bei seiner Annahme, es habe sich bei der vorliegenden Strafverteidigung lediglich um eine durchschnittliche Angelegenheit gehandelt, wesentlichen Prozessstoff übergangen hat.

Dem vom Berufungsgericht für maßgeblich angesehenen Umstand der Vorbefassung in dem Erstverfahren kann nur untergeordnete Bedeutung zugemessen werden, nachdem im Zweitverfahren zwischen Anklageerhebung und Hauptverhandlung drei Jahre lagen und mithin der Verfahrensstoff wieder neu erschlossen werden musste. Auch der vom Berufungsgericht für bedeutsam erachtete Gesichtspunkt, dass schließlich das Strafverfahren zu einer Einstellung nach § 153a StPO geführt hat, ist nicht geeignet, die Durchschnittlichkeit der Angelegenheit zu belegen. Auch hier kommt der vom Berufungsgericht nicht hinlänglich beachteten ungewöhnlichen Verfahrensdauer maßgebliches Gewicht zu. Erst im Jahre 2007 hat die Kleine Strafkammer Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung anberaumt, so dass die Verfahrenseinstellung auch darauf zurückzuführen sein dürfte, dass das zu ahndende Tatgeschehen bereits mehr als zehn Jahre zurücklag.

Die Verfahrenseinstellung hinsichtlich der angeklagten Steuerstraftaten in erster Instanz lässt sich, wie die Revision zu Recht rügt, nicht als Beleg für die Durchschnittlichkeit des Verfahrens heranziehen. Dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verfahrenseinstellung war ein eigener Antrag seitens des Klägers vorausgegangen, so dass die Verfahrenseinstellung auch als (Arbeits-) Erfolg des Anwalts angesehen werden könnte (vgl. BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO Rn. 49).

Eine abschließende Entscheidung des Revisionsgerichts ist im Hinblick auf die noch vorzunehmende tatrichterliche Würdigung der vorstehend angeführten Umstände nicht möglich.

4. Im Ergebnis zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Honoraranspruch bei Klageerhebung noch nicht einforderbar gewesen ist und mithin der Kläger nur die zuerkannten Zinsen beanspruchen kann.

a) Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (jetzt: § 10 Abs. 1 Satz 1 RVG) kann der Rechtsanwalt die Vergütung nur aufgrund einer von ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Eine Mitteilung der Berechnung in der Vergütungsklageschrift oder einem anderen Prozessschriftsatz reicht aber aus. Der Umstand, dass die Berechnung sachlich unzutreffend ist, nimmt der Berechnung nicht ihre Wirkung nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BRAGO (BGH, Urt. v. 4. Juli 2002 - IX ZR 153/01, WM 2003, 89, 91, zu § 18 Abs. 1 BRAGO; v. 24. Mai 2007 - IX ZR 89/06, NJW 2007, 2332, 2333 Rn. 7 zu § 10 Abs. 1 RVG). Für diese kommt es nur darauf an, dass die Berechnung dem Mandanten eine Überprüfung ermöglicht und damit gegebenenfalls Grundlage einer gerichtlichen Auseinandersetzung sein kann.

b) Diese Voraussetzungen trafen auf die Kostennote des Klägers vom 29. November 2004 nicht zu, weil den dort angegebenen einzelnen Tagen nicht die jeweilige Stundenanzahl zugeordnet wurde. Der Kläger hat lediglich die Gesamtzahl aller Stunden vermerkt und die jeweiligen Tage ohne weitere Spezifizierung aufgeführt. Unter diesen Umständen konnte der Mandant vorprozessual keine weitere Überprüfung vornehmen. Eine nähere Auflistung nach einzelnen Tätigkeitsfeldern ist aber in der Kostennote entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht geboten.

Das Urteil des Berufungsgerichts unterliegt daher - mit Ausnahme des Ausspruchs zum Zinsbeginn - der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO), soweit es zum Nachteil des Klägers erkannt hat, und ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

III.

Die Anschlussrevision des Beklagten, mit der er seinen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt, ist unbegründet.

Entgegen der Ansicht der Anschlussrevision ist kein Raum für die Annahme, dass das geltend gemachte Zeithonorar, soweit es vom Berufungsgericht für angemessen erachtet wurde, gleichwohl der Herabsetzung nach § 3 Abs. 3 BRAGO unterliegen könnte.

Die vom Berufungsgericht festgestellte, mehr als fünffache Überschreitung der gesetzlichen Höchstgebühren bildet zwar auch nach der neueren Rechtsprechung des Senats eine tatsächliche Vermutung für die Unangemessenheit der vereinbarten Vergütung (BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO Rn. 48). Der in einer Gebührenvereinbarung zum Ausdruck kommende Vertragswille der Parteien lässt aber auf einen sachgerechten Interessenausgleich schließen, der grundsätzlich zu beachten ist. Deshalb darf die Entkräftung der tatsächlichen Vermutung der Unangemessenheit nicht von überzogenen Anforderungen abhängig gemacht werden (BVerfG, NJW-RR 2010, 259, 261; BGH, Urt. v. 4. Februar 2010, aaO Rn. 49). Die bei einem qualifizierten Überschreiten der gesetzlichen Gebühren eingreifende Vermutung der Unangemessenheit kann nicht nur in Fällen ganz ungewöhnlicher, geradezu extremer einzelfallbezogener Umstände widerlegt werden. Vielmehr kann auch in nicht durch derartige tatsächliche Verhältnisse geprägten Gestaltungen das Vertrauen in die Integrität der Anwaltschaft im Blick auf die Vergütungshöhe dann nicht beeinträchtigt sein, wenn nachgewiesen ist, dass die vereinbarte Vergütung im konkreten Fall unter Berücksichtigung aller Umstände gleichwohl angemessen ist. Dass die Vergütung in der vom Berufungsgericht zugesprochenen Höhe nicht unangemessen hoch ist, ergibt sich aus den Ausführungen zur Revision des Klägers. Danach kommt der von der Anschlussrevision befürwortete Verweis auf die gesetzlichen Gebühren vorliegend nicht in Betracht.

RiBGH Vill ist wegen Erkrankung an der Unterschrift gehindert.

Ganter Gehrlein Ganter Lohmann Fischer Vorinstanzen:

LG Wuppertal, Entscheidung vom 18.11.2005 - 19 O 21/05 -

OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 18.02.2010 - I-24 U 183/05 -






BGH:
Urteil v. 21.10.2010
Az: IX ZR 37/10


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