Bundespatentgericht:
Beschluss vom 24. November 2003
Aktenzeichen: 20 W (pat) 64/02

(BPatG: Beschluss v. 24.11.2003, Az.: 20 W (pat) 64/02)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Das Patent 44 12 727 wurde wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit widerrufen.

Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin stellt den Antrag, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent aufrechtzuerhalten in der erteilten Fassung (Hauptantrag), hilfsweise mit dem am 24. November 2003 überreichten Patentanspruch 1 anstelle des erteilten Patentanspruchs 1, im übrigen in der erteilten Fassung.

Sie erklärtdie Teilung des Patents.

Die Einsprechende und Beschwerdegegnerin stellt den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet wie folgt (mit eingefügten Gliederungszeichen 1), 2) und 3)):

"1. Verfahren zum Abrechnen von Gebühren in einem Mobilfunksystem, bei dem eine Mehrzahl von Mobilstationen (MS), Basisstationen (BS) und Mobilfunk-Vermittlungsstellen (MSC) vorgesehen sind, wobei die Mobilfunk-Vermittlungsstellen (MSC) mit einem Debitzentrum (DBC) 1) verbindbar sind, das im Rahmen einer Vorvergebührung jeweils vorgebbare Aufladungsbeträge von einem Bankinstitut 2) erhält, die bei der Inanspruchnahme von Diensten durch die Mobilstation (MS) abbuchbar sind, bei dem die Vorvergebührung unter Verwendung eines an sich bekannten Intellegenten Netzes (IN) durchgeführt wird, bei dem die Mobilfunk-Vermittlungsstellen (MSC) die Funktionen von Dienstezugangs-Vermittlungsstellen (SSP) des Intellegenten Netzes (IN) durchführen, wobei das Debitzentrum (DBC) als Teil einer Dienstesteuerstelle (SCP) des Intellegenten Netzes (IN) ausgebildet ist und mit Übertragungseinrichtungen mindestens eines Bankinstituts (B) und/oder eines Kreditkarteninstituts (K) verbindbar ist, und bei dem die Mobilstation im eingebuchten Zustand den aktuellen Guthabenstand 3) abfragen kann, und der Guthabenstand in Form einer Zeichenfolge übertragen wird."

Im Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag ist nach dem Gliederungszeichen 1)

das Wort "verbindbar" ersetzt durch das Wort "verbunden", nach dem Gliederungszeichen 2) ist eingefügt

"und/oder Kreditkarteninstitut", nach dem Gliederungszeichen 3) ist eingefügt

"vom Debitcentrum".

Erörtert wurden folgende Entgegenhaltungen:

(E1) US 5 148 472,

(E3) Auspurg, H.: Intellegente Netze beschleunigen Einführung neuer Dienste. In: telcom report 12, 1989, Heft 5, Seiten 142 bis 145, und

(E4) US 5 138 650.

Die Patentinhaberin führt aus, der Patentgegenstand sei gegenüber dem Stand der Technik patentfähig. Nach ihrer Auffassung konnte der Fachmann zum Anmeldetag des Streitpatents aus dem Stand der Technik keinerlei Anregung erhalten zu Verfahren zum Abrechnen von Gebühren in einem Mobilfunksystem gemäß den Patentansprüchen 1 nach Haupt- oder Hilfsantrag. Insbesondere seien Verfahren zur Vorvergebührung unter Einbeziehen eines Intellegenten Netzes und eines Debitzentrums erst nach dem Anmeldetag des Streitpatents bekannt geworden. Auch böte der Stand der Technik dem Fachmann keine Veranlassung dafür, daß die Mobilstation im eingebuchten Zustand den aktuellen Guthabenstand abfragen kann und der Guthabenstand in Form einer Zeichenfolge übertragen wird.

Die Einsprechende vertritt die Auffassung, der beanspruchte Gegenstand beruhe in Anbetracht des durch die im Verfahren befindlichen Druckschriften belegten Standes der Technik nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

II Die Teilungserklärung ist wirksam; im Stammverfahren ist die Sache entscheidungsreif.

Die in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll abgegebene Teilungserklärung ist form- und fristgerecht, die maßgebliche Grundlage für eine Entscheidung im Stammverfahren ist von der Teilungserklärung nicht berührt (vgl BGH, 29. April 2003, X ZB 4/01, GRUR 2003, 781-783 - Basisstation, BpatG, Beschluß vom 26. Februar 2003, 20 W (pat) 46/01, BlPMZ 2003, 293-296 -Programmartmitteilung, mwN).

III Die Beschwerde der Patentinhaberin hat keinen Erfolg. Das Patent ist nicht rechtsbeständig, sein Gegenstand nach den §§ 1 und 4 PatG nicht patentfähig. Die Verfahren nach den Patentansprüchen 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

1. Das Verfahren des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag ist dem Fachmann durch (E1) iVm seinem Fachwissen und Fachkönnen nahegelegt. Fachmann ist ein Diplom-Ingenieur mit einem Hochschulabschluß in Nachrichtentechnik, der Mobilfunksysteme entwickelt und insbesondere mit Verfahren zur Gebührenabrechnung befasst ist, und der dabei namentlich die Vorteile Intellegenter Netze nach (E3) nutzt.

Aus der Druckschrift (E1) ist ein Verfahren zum Abrechnen von Gebühren in einem Mobilfunksystem als bekannt entnehmbar, bei dem eine Mehrzahl von Mobilstationen 101, 102, Basisstationen 100 und Mobilfunk-Vermittlungsstellen 100, 103, 134 vorgesehen sind (vgl Fig 1, Sp 1 Z 5-8, Sp 4 Z 30-47, Sp 6 Z 12-49). Die Mobilfunk-Vermittlungsstellen 100 sind mit einem "metered billing service" verbunden (vgl Fig 1, Bezugszeichen 100, 103, 104, 105, 109, 112, 113, iVm Sp 9 Z 18-47). Der "metered billing service" erhält im Rahmen einer Vorvergebührung vorgebbare Aufladungsbeträge (Sp 3 Z 19-27, "credit to an amount selected by a customer") ua von "commercial agencies" (Sp 3 Z 19-41). Im Zusammenhang mit dem Begriff "commercial agencies" (Sp 3 Z 25-26) ist in (E1) die Rede von einer Vielfalt solcher "commercial agencies" und entsprechender Abrechnungsverfahren ("variety of billing arrangements and commercial agencies", Sp 3 Z 19-28, Sp 9 Z 20-21), unter die ua die Funktionen eines "clearing house" und einer "credit card company", also eines Bankinstituts und/oder eines Kreditkarteninstituts, subsumiert werden (Sp 3 Z 19-68, Sp 10 Z 21-23). Die Aufladungsbeträge sind bei der Inanspruchnahme von Diensten durch die Mobilstation abbuchbar (Sp 9 Z 18 - 35).

Das aus (E1) bekannte Verfahren zum Abrechnen von Gebühren ("metered billing service") wird von einem "call administration system" 103 gesteuert, das Bestandteil des Mobilfunksystems ist und mit der Mobilfunk-Vermittlungsstelle verbunden ist (Fig 1, Sp 4 Z 25-27, Sp 9 Z 18-35). Das "call administration system" 103 koordiniert mittels zentraler Module (Fig 1, Bezugszeichen 106, 107) eine Vielzahl verschiedener Dienste (vgl Fig 1, Bezugszeichen 108 bis 113, iVm Sp 6 Z 13-42), so daß die Mobilfunk-Vermittlungsstellen die Funktionen von Dienstezugangs-Vermittlungsstellen des "call administration system" 103 durchführen (insbesondere Sp 3 Z 48-52) und der metered billing service" als Teil des "call administration system" ausgebildet ist (Sp 7 Z 4-41) und mit Übertragungseinrichtungen mindestens einer "commercial agency" (Bankinstitut und/oder Kreditkarteninstitut) verbindbar ist (Sp 3 Z 19-68, Sp 9 Z 18-47, Sp 10 Z 21-27).

Dem für die Entwicklung von Mobilfunkystemen und den zugehörigen Verfahren zum Abrechnen von Gebühren der aus (E1) bekannten Art verantwortlichen Ingenieur sind auch Intellegente Netze (IN) und deren Komponenten und die damit verbundenen Leistungsmerkmale gemäß (E3) geläufig. Der Fachmann erkennt darüber hinaus, daß für das aus (E1) als bekannt entnehmbare Mobilfunksystem und die damit verbundenen Verfahren entsprechende Komponenten und Leistungsmerkmale eines Intellegenten Netzes nach (E3) Verwendung finden, weil Mobilfunksysteme an sich "intellegent" sind und ihre System-Komponenten und - Dienste (Funktionen, Verfahren) den Komponenten und Diensten eines intellegenten Netzes entsprechen (vgl (E3), S 142 reSp vorle Abs, S 143 Bild 2 und Tabelle 2 und mi Sp le Abs ff). Insbesondere entsprechen Mobilfunk-Vermittlungsstellen MSC den Dienstezugangs-Vermittlungsstellen SSP des Intellegenten Netzes IN, und die Dienstezugangs-Vermittlungsstellen SSP - und deren Dienste - werden wiederum mittels der Dienstesteuerstelle SCP des Intellegenten Netzes gesteuert ((E3), S 142 liSp vorle Abs; miSp, Bild 1, Tabelle 1; S 143 reSp vorle Abs). Der Fachmann wird deshalb angesichts der in (E3) beschriebenen Entsprechungen zwischen Mobilfunksystemen und Intellegenten Netzen das aus (E1) als bekannt entnehmbare Verfahren zum Abrechnen von Gebühren, insbesondere die Vorvergebührung mit vorgebbaren Aufladungsbeträgen von einem Bankinstitut und/oder Kreditkarteninstitut unter Verwendung eines Intellegenten Netzes durchführen. Den in (E1) beschriebenen "metered billing service", der einerseits mit der Mobilfunk-Vermittlungsstelle - als einer Dienstezugangs-Vermittlungsstelle SSP - und andererseits mit Übertragungseinrichtungen mindestens eines Bankinstituts und/oder Kreditkarteninstituts verbunden bzw verbindbar ist (vgl (E1) Fig 1 Bezugszeichen 100, 103 iVm Sp 3 Z 19-68, Sp 9 Z 18-47, Sp 10 Z 21-32), bildet der Fachmann - nachdem es sich ohnehin um einen intellegenten Dienst handelt - dann naheliegenderweise und unter der (Funktons-) Bezeichnung Debitzentrum als Teil einer Dienstesteuerstelle SCP des Intellegenten Netzes aus. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil zu den Diensten eines Intellegenten Netzes auch per se Verfahren zum Abrechnen von Gebühren gehören (vgl (E3) S 142 reSp Abschnitt IN-Dienste).

Wenn bei dem Verfahren nach (E1) der für die Inanspruchnahme von Diensten durch die Mobilstation abbuchbare Aufladungsbetrag ein vorgegebenes unteres Limit erreicht, wird der nächste Aufruf von der Mobilstation auf eine Ansage geschaltet, die ein erneutes interaktives Übertragen von Aufladungsbeträgen ermöglicht (Sp 3 Z 34-38, Sp 3 Z 54-60, Sp 9 Z 31-41). Falls schließlich der Aufladungsbetrag aufgebraucht sein sollte, wird die Mobilstation deaktiviert, Sp 3 Z 38-44, Sp 9 Z 41-47. Mit diesem Dienstleistungs-Angebot mag sich ein Teil der Benutzer des bekannten Mobilfunksystems zufrieden geben. Der eine oder andere Benutzer aber wird mehr verlangen, zB eine aktive Kontrollmöglichkeit des Guthabenstandes von seiner Mobilstation aus. Auf diese Weise kann der Benutzer vor dem Tätigen eines Anrufes erkennen, ob der Guthabenstand für das beabsichtigte Anrufziel und für eine bestimmte Anrufdauer ausreichend ist. Des weiteren mag es für den Benutzer wünschenswert sein, das Verbuchen der von einem Bankinstitut und/oder Kreditkarteninstitut an das Debitzentrum übertragenen Aufladungsbeträge zu überprüfen, auch das erfordert eine aktive Kontrollmöglichkeit des Guthabenstandes von der Mobilstation aus.

Da sich der Fachmann nicht nur mit der Lösung von vorgegebenen konkreten technischen Problemen befaßt, sondern allgemein um konkurrenzfähige Produkte bemüht ist, insbesondere in Marktsegmenten, in denen wirtschaftlicher Erfolg abhängt von der Akzeptanz des Kunden bzw Benutzers, wie dies für Mobilfunksysteme der Fall ist, berücksichtigt er tatsächliche oder mögliche Benutzerwünsche und achtet auf optimale Gebrauchsfähigkeit (siehe Senatsbeschlüsse GRUR 2002, 418 - Selbstbedienungs-Chipkarte; BpatGE 38, 250 - Radio-Daten-System; Mitt. 2003, 63 - Unterbrechungsbetrieb; BlPMZ 2003, 293 - Programmartmitteilung). Um geschäftlichen Erfolg bemüht, nach optimalen Lösungen suchend, kommt er dem Wunsch des Benutzers nach nützlicher Information und nach Komfort entgegen und ermöglicht dem Benutzer, daß die Mobilstation im eingebuchten Zustand - und damit im Zugriff auf IN-Dienste - den im Debitzentrum vorliegenden aktuellen Guthabenstand von diesem Debitzentrum abfragen kann. Als selbstverständlich setzt der Fachmann dabei voraus, daß die Mobilstation im eingebuchten Zustand den Guthabenstand vom Debitzentrum - als Teil der Dienstesteuerstelle des Intellegenten Netzes - unter Beteiligung einer Mobilfunk-Vermittlungsstelle MSC, die Funktionen von Dienstezugangs-Vermittlungsstellen durchführt, siehe oben, abfragt.

Nachdem zu den Diensten eines Intellegenten Netzes - neben weiteren Zusatzdiensten - auch das Übertragen von Gebührendaten gehört, die mittels des Mobilkommunikations-Anwenderteils MAP spezifiziert sind, der wiederum auf den Grundfunktionen des Zeichengabesystems Nr. 7 (ZGS Nr. 7) aufsetzt (vgl (E3), S 144 miSp 4.-le Abs bis reSp 1. Abs), bietet es sich für den Fachmann an, für die Übertragung des Guthabenzustands Prozeduren dieses Mobilkommunikations-Anwenderteils MAP zu nutzen und den Guthabenstand in Form einer Zeichenfolge unter Nutzung des ZGS Nr. 7 zu übertragen. Nur ergänzend sei bzgl dieses zuletzt genannten Merkmals auf die (E4) verwiesen, vgl Spalte 4 Zeilen 3 bis 6 iVm Figur 3, Anzeige 70.

Damit ist der Fachmann aber ohne erfinderische Überlegungen bereits zum Gegenstand des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag gelangt.

Die Argumentation der Patentinhaberin, bei dem Verfahren gemäß der Druckschrift (E4) seien Aufladungsbeträge nicht netzseitig, sondern im Endgerät gespeichert, mag zwar zutreffen, daraus kann aber nicht verallgemeinert werden, daß der Fachmann am Anmeldetag des Streitpatents aus dem Stand der Technik keinerlei Anregung erhalten konnte zu Verfahren der Vorvergebührung unter Einbeziehen eines Intellegenten Netzes und eines Debitzentrums. Wie vorstehend dargelegt, ist ein netzseitiges - intellegentes - Verfahren zum Abrechnen von Gebühren, insbesondere zur Vorvergebührung, aus der Druckschrift (E1) bekannt. Des weiteren gehören Verfahren zur Vergebührung gemäß (E3) zu den Diensten eines Intellegenten Netzes, für letztere war im Jahre 1989, aus dem die Abhandlung (E3) datiert, bereits ein Standardisierungsrahmen zumindest im Entstehen (vgl (E3), S 142 liSp 2. Abs).

2. Der bzgl des Merkmals der Abfrage des aktuellen Guthabenzustands weiter gefaßte Patentanspruch 1 des Hauptantrags enthält den Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag zumindest in der Alternative, daß das Debitzentrum im Rahmen einer Vorvergebührung jeweils vorgebbare Aufladungsbeträge von einem Bankinstitut erhält, und ist daher ebenfalls nicht rechtsbeständig.

Kalkoff Eberhard Dr. Hartung Dr. Zehendner Pr






BPatG:
Beschluss v. 24.11.2003
Az: 20 W (pat) 64/02


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