Landgericht München I:
Beschluss vom 20. Juli 2011
Aktenzeichen: 33 O 14810/11
(LG München I: Beschluss v. 20.07.2011, Az.: 33 O 14810/11)
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 12.07.2011 wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Der Streitwert wird auf € 100.000,-- festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wurde von der Schriftstellerin Astrid Lindgren gegründet und nimmt umfassend die rechtlichen Interessen der urheberrechtlichen Nutzungs- und Leistungsschutzrechte an sämtlichen literarischen Werken Astrid Lindgren's wahr.
Bekannterweise ist Astrid Lindgren Urheberin der Kinderbuchserie Pippi Langstrumpf.
Die Heldin dieser Serie, Pippi Langstrumpf, wird im bereits im Jahre 1945 in Schweden und im Jahre 1949 in Deutschland erschienenen Kinderbuch "Pippi Langstrumpf" wie folgt beschrieben:
"Ihr Haar hatte dieselbe Farbe wie eine Möhre und war in zwei feste Zöpfe geflochten, die vom Kopf abstanden. Ihre Nase hatte dieselbe Form wie eine ganz kleine Kartoffel und war völlig mit Sommersprossen übersät. Unter der Nase saß ein wirklich riesig breiter Mund mit gesunden weißen Zähnen. Ihr Kleid war sehr komisch. Pippi hatte es selbst genäht. Es war wunderschön gelb; aber weil der Stoff nicht gereicht hatte, war es kurz, und so guckte eine blaue Hose mit weißen Punkten darunter hervor. An ihren langen dünnen Beinen hatte sie ein Paar lange Strümpfe, einen geringelten und einen schwarzen."
Die Figur ist Gegenstand zahlreicher Verfilmungen und TV-Produktionen; es sind zudem zahlreiche illustrierte Kinderbücher, Kalender, Postkarten und sonstige Druckerzeugnisse mit Abbildungen von Pippi Langstrumpf erschienen.
Der Antragsgegner betreibt einen Internetshop, u. a. auf e... Er bietet an und vertreibt Kostüme mit einem Bild von Pippi Langstrumpf, die er auch im Internet in folgender Form anbietet:
Die Antragstellerin ist der Auffassung, das Aussehen von Pippi Langstrumpf sei gemäß § 2 Abs. 1 UrhG aufgrund der sprachlichen Beschreibung urheberrechtlich schutzfähig. Sie begründet dies damit, dass in der Rechtsprechung anerkannt ist, dass auch die Charaktere eines Sprachwerkes als solche, d. h. unabhängig von der äußeren oder inneren Handlung eines Romans urheberrechtlich geschützt sein können. Sie nimmt Bezug auf verschiedene Entscheidungen der Landgerichte Köln, Berlin, Hamburg und Kiel, mit denen eine Reihe von Abbildungen von Pippi Langstrumpf verboten worden ist.
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 4. Februar 2009, Az. 31 O 38/09,
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin vom 27. November 2009, Az. 15 O 515/09,
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 1. Februar 2010, Az. 28 O 32/10,
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 9. Februar 2010, Az. 28 O 58/10,
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 10. Januar 2011, Az. 28 O 9/11,
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 15. Februar 2011, Az. 33 O 74/11,
Einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 15. Februar 2011, Az. 33 0 71/11,
Zuletzt hatte das Landgericht Kiel die einstweilige Verfügung gegen den Branchenriesen T R U vom 4. März 2011, Az. 15 O 22/11 nach Widerspruch der Antragsgegnerin aufrechterhalten.
und zitiert folgende Beschreibung aus einem Verfügungsurteil des Landgerichts Kiel (Anlage ASt 6) vom 28.04.2011:
"Die Figur der Pippi Langstrumpf ist durch besondere Merkmale geprägt, die die Gestalt als solche von anderen Kinderbuchhelden unterscheidet. Sie zeichnet sich schon durch eine besonders auffällige Kombination äußerer Merkmale aus, die bereits für sich allein schutzfähig ist. Den verschiedenen, nur geringfügig unterschiedlichen, Übersetzungen der Beschreibung der Figur ist übereinstimmend zu entnehmen, dass Pippi Langstrumpf ein etwa neunjähriges Mädchen mit besonders charakteristischen Haaren ist. Diese Haare sind zu zwei Zöpfen gebunden und stehen vom Kopf ab. Ihre Haarfarbe wird mit der Farbe einer Möhre umschrieben. Diese entspricht einem roten Farbton, da die üblichen Möhrensorten, die im Verkauf erhältlich sind, Farbtöne von hellem bis zu dunklem orangerot erreichen. Dazu hat Pippi Langstrumpf Sommersprossen im Gesicht. Sie trägt ein selbstgenähtes, zu kurzes gelbes Kleid. Da das Kleid zu kurz ist, sieht man unter ihm eine blaue Hose hervor scheinen. Dazu hat Pippi Langstrumpf zwei verschieden gestaltete, lange Strümpfe und viel zu große schwarze Schuhe an. Ihre Kleidung fällt auf, da sie für ein Mädchen dieses Alters unüblich ist. Sie kann diese Kleider nur deshalb so tragen, weil sie ohne Eltern oder sonstige Aufsichtsperson lebt, die darauf achten könnten, was sie trägt. Die Kombination der Haare und Sommersprossen mit den bunten, unpassenden Kleidern, den verschiedenen Strümpfen und den großen Schuhen ist so einzigartig, dass sie von denjenigen, die das Werk Pippi Langstrumpf kennen, sofort und eindeutig als Pippi Langstrumpf erkannt wird."
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die besonderen Charakteristika der Figur Pippi Langstrumpf übernommen seien, nämlich die roten Haare, die Zöpfe und die Sommersprossen, das bunte Kleid und die geringelte Kleidung. Nahezu jede Person, der man die Abbildung des Antragsgegners vorlege, verbunden mit der Frage, wer die abgebildete Person sei, werde die eindeutige Antwort geben: Pippi Langstrumpf. Die von den Gerichten untersagten Abbildungen stellten allesamt unfreie Bearbeitungen gemäß § 23 UrhG dar. Die Gesamtcharakteristik der Figur sei übernommen, bei der vom Antragsteller genutzten Abbildung verblasse die Figur nicht.
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 12.07.2011, als Fax eingegangen am selben Tag den Erlass folgender einstweiliger Verfügung beantragt:
1) Im Wege der einstweiligen Verfügung € der Dringlichkeit wegen ohne vorherige mündliche Verhandlung € wird dem Antragsgegner bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzendes Ordnungsgeld, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,--; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre),
verboten,
ohne Einwilligung der Antragstellerin das nachstehende und zusätzlich in Anlage ASt 2 aufgeführte Bildnis von Pippi Langstrumpf zu vervielfältigen, zu vertreiben oder öffentlich zugänglich zu machen:
2) Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war zurückzuweisen, da der geltend gemachte Anspruch nicht besteht:
351. In Literatur und Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Übertragung eines geschützten Werkes in eine andere Werkart als klassischer Fall der freien Benutzung anzusehen sind (vgl. nur Dreier/Schulze-Schulze, UrhG, 3. Auflage, § 24, Rdn. 19; Schricker-Katzenberger, UrhG, 4. Aufl., § 24 Rdn. 23).
a) Dies hat hinsichtlich der zumindest in Deutschland ähnlich wie Pippi Langstrumpf bekannten Figur Pumuckl das OLG München auch in seinem Urteil vom 04.09.2003, 29 U 4743/02 (NJOZ 2004, 867, 868) wie folgt ausgesprochen:
Die Kl. hat Urheberrechte an den von den Bekl. verwendeten Illustrationen des Pumuckl. Sie hat die Phantasiegestalt des "Pumuckl" in seiner den Schutz des § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG begründenden Form geschaffen. Die Figur genießt als solche urheberrechtlichen Schutz (vgl. BGH, NJW-RR 1995, 307 = GRUR 1995, 47 € Rosaroter Elefant; NJW 1993, 2620 = GRUR 1994, 206 € Alcolix). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Kl. Vorgaben der Bekl. zu 1 umgesetzt hat. Selbst für eine Miturheberschaft der Bekl. zu 1 gem. § 8 UrhG genügen bloße Ideen, die noch nicht Gestalt angenommen haben, oder Anregungen zu dem Werk nicht (vgl. v. Gamm, UrhG, § 8 Rdnr. 7; Schricker/Löwenheim, UrheberR, 2. Aufl., § 7 Rdnr. 7; BGH, GRUR 1981, 267 € Dirlada). Im Übrigen haben die von der Bekl. zu 1 der Kl. vermittelten Vorschläge die konkrete grafische Ausgestaltung nicht entscheidend bestimmt, wie die unterschiedlichen Ergebnisse verschiedener Künstler auf Grund der gleichen Vorgaben zeigen.
b) Die Beschreibung ist auch im vorliegenden Fall nicht so detailliert, dass sich eine bestimmte konkrete bildliche Darstellung zwingend ergäbe, sondern lässt, wie auch die den verschiedenen von der Antragstellerin vorgelegten Entscheidungen zugrunde liegenden Darstellungen zeigen, große Spielräume für die jeweiligen konkreten Kostüme, die allerdings bezüglich der Gesichter keine Darstellungen gem § 2 Abs. 1 Ziff. 4 UrhG, sondern fotografische Wiedergaben der Gesichter der jeweiligen Modelle zeigen.
2. Die Kammer kann daher der Auffassung der Gerichte, die aufgrund der Beschreibung, die oben wiedergegeben ist, die verschiedenen von der Klägerin im Antrag wiedergegebenen Darstellungen von Pippi Langstrumpf verboten haben, nicht folgen:
a) Dies ergibt sich allein daraus, dass einige dieser Figuren durchgängig auch der Beschreibung nicht in allen Elementen folgen: So ist die Farbe des Kleides durchgehend nicht gelb; die Strümpfe sind öfters gleichfarbig und beide geringelt oder es sind überhaupt keine geringelten Strümpfe vorhanden; im Fall, in dem ein Strumpf geringelt und einer einfarbig ist, ist dieser letztere rot und nicht schwarz.
Die Merkmale des Gesichts, sind, soweit sie die fotografische Abbildung der Modelle zeigen, kaum als plagiierendes Element zu werten. Dazu kommt, dass diese Gesichter, wenn solche Merkmale wenn überhaupt erkennbar sind, kaum der Beschreibung (Nase wie eine kleine Kartoffel mit Sommersprossen, unter der Nase ein wirklich riesig breiter Mund mit gesunden weißen Zähnen) entsprechen. Die Zähne sind kaum sichtbar und die Münder der Mädchen, die in den Kostümen stecken, können nur in bestenfalls zwei Fällen wirklich als riesig breit bezeichnet werden.
b) Letztlich begehrt die Klägerin, wie sie auf S. 18 des Antrags erkennen lässt, den Schutz einer jeden Figur, die vom Verkehr (wahrscheinlich) als Pippi Langstrumpf-Darstellung angesprochen wird. Einen solchen Schutz gewährt aber das Urheberrecht nicht; vielmehr wird dieser Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 wie auch nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG nur für die jeweils konkrete Gestaltung gewährt.
c) Soweit die Antragstellerin auf den von der Rechtsprechung zuerkannten Schutz von literarischen Figuren abstellt, handelt es sich hierbei nicht um allein auf das Aussehen dieser Figur, wie es in den jeweiligen Sprachwerken beschrieben ist, gestützte persönliche geistige Schöpfungen, sondern auch die Charaktereigenschaften dieser Figuren tragen zum Schutz bei (vgl. etwa BGH GRUR 1959, 379, 381 € Gasparone; die dort in Bezug genommenen Entscheidungen BGH GRUR 1959, 379 € Lilly Marleen und BGH GRUR 1958, 500 € Mecki- Igel befassen sich nicht mit Übertragungen in eine andere Werkart, sondern mit Bearbeitungen eines Werkes in derselben Werkart).
Die von der Antragstellerin ebenfalls zitierte Entscheidung BGHZ 26, 52 (GRUR 1958, 354) € Sherlock Holmes befasst sich mit dem Sonderfall der Verfilmung eines Sprachwerkes, die aufgrund der Tatsache, dass bei der Verfilmung die Handlung eines Sprachwerks übernommen wird, einen Sonderfall der in der Regel unfreien Bearbeitung der geschützten Handlungselemente darstellt. Die Entscheidung führt aber weiter aus, dass allein die Anspielung an die Figuren von Conan Doyle und die für diese Figuren charakteristische äußere Aufmachung durch den Urheberschutz nicht schlechthin unterbunden wird und in einem Fall, in dem lediglich das äußere Gestaltungsbild übernommen wird, eine abhängige Nachschöpfung nicht vorliegt.
e) Im vorliegenden Fall kann von einer Übernahme von Charaktereigenschaften nicht gesprochen werden (wenn man diese nicht auf das Bild eines chaotisch gekleideten, sommersprossigen, rothaarigen Mädchens reduzieren will, das für sich keinen Urheberschutz genießt).
3. Gleicherweise ist, auch wenn der Antrag nicht auf UWG gestützt ist, eine unzulässige Anlehnung an die Werke, deren Rechte die Antragstellerin wahrnimmt, nicht anzunehmen: Es handelt sich vielmehr um eine zulässige Anspielung, von der auch keine negativen Auswirkungen ausgehen, so dass Verbotsrechte der Antragstellerin nicht bestehen.
4. Dies gilt unabhängig davon, dass eine Bezugnahme auf Pippi Langstrumpf, wie die Figur durch die von der Antragstellerin in Bezug genommenen vielfältigen konkreten Darstellungen in Filmen, Fernsehserien und Büchern dem Publikum bekannt ist, schon aufgrund der äußeren Darstellung zu unterstellen ist.
a) Diese Assoziation des Publikums an Pippi Langstrumpf beruht aber nur hinsichtlich einer nicht schutzfähigen Idee auf der eingangs wiedergegebenen schriftlichen Beschreibung der Figur durch Astrid Lindgren.
b) Eine Übernahme weiterer konkreter Gestaltungsmerkmale, die dann in einen Schutzbereich einer der einzelnen unterschiedlichen oben erwähnten zeichnerischen Darstellungen fallen könnten (wie weit durch konkrete Ausgestaltungen durch Kostümbildner und Schauspieler bei Filmfiguren Bildnisschutz gem § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG begründet werden kann, scheint offen zu sein), ist nicht verfahrensgegenständlich.
5. Die einstweilige Verfügung war daher mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zurückzuweisen.
LG München I:
Beschluss v. 20.07.2011
Az: 33 O 14810/11
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