Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 16. Februar 2006
Aktenzeichen: 20 B 758/05
(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 16.02.2006, Az.: 20 B 758/05)
Tenor
Das Verfahren wird eingestellt, soweit es Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2005 betrifft. Insoweit ist der angefochtene Beschluss wirkungslos.
Im Óbrigen wird der angefochtene Beschluss geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen Ziffer 2 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2005 wird wiederhergestellt.
Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragstellerin 1/6 der Gerichtskosten und die Hälfte ihrer eigenen außergerichtlichen Kosten sowie die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils 5/12 der Gerichtskosten, 1/4 der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten.
Der Streitwert beträgt auch im Beschwerdeverfahren 50.000,- EUR.
Gründe
Das Verfahren ist in der Hauptsache erledigt, soweit es Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides der Antragsgegnerin vom 15. Februar 2005 betrifft, und ist insoweit einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO in entsprechender Anwendung). Die Antragstellerin hat, nachdem sich der Bescheid insoweit mit Ablauf des Jahresfahrplans 2004/2005 durch Wegfall seiner beschwerenden Regelung erledigt hat, die Erledigung des Verfahrens erklärt; dem haben sich die übrigen Beteiligten angeschlossen. Der angefochtene Beschluss ist in diesem Umfang wirkungslos (§ 173 VwGO iVm § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO in entsprechender Anwendung).
Im Übrigen hat die Beschwerde Erfolg. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin ist wiederherzustellen, soweit er sich auf Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides vom 15. Februar 2005 bezieht. Die nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gebotene Interessenabwägung fällt insoweit zugunsten der Antragstellerin aus. Gegen die Rechtmäßigkeit von Ziffer 2 des Bescheides bestehen Bedenken von Gewicht. Umstände, die es rechtfertigen würden, das Aufschubinteresse der Antragstellerin gleichwohl hinter dem Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zurücktreten zu lassen, gibt es nicht.
Die Rechtmäßigkeit der nunmehr noch streitigen Verpflichtung der Antragstellerin ist, was diese mit ihrer Beschwerde hinreichend dargelegt hat (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO), zweifelhaft. Von einer absehbaren Erfolglosigkeit des Widerspruchs und einer gegebenenfalls nachfolgenden Anfechtungsklage kann nicht ausgegangen werden. Die abschließende Prüfung bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten. Die Verpflichtung, es zu unterlassen, den Abschluss von Infrastrukturnutzungsvereinbarungen mit der Beigeladenen von der vorherigen Begleichung bestrittener Entgeltforderungen abhängig zu machen, ist gestützt auf § 14 Abs. 1 und 3a, § 5 Abs. 1 AEG in der bei Erlass des Bescheides geltenden Fassung vor Inkrafttreten des 3. Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften vom 27. April 2005 (AEG a. F.). Die zu diesem Zeitpunkt für die Rechtmäßigkeit des Bescheides maßgeblichen Vorschriften sind für den Ausgang des Hauptsacheverfahrens (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) weiterhin entscheidungserheblich. Denn die am 29. April 2005 anhängigen behördlichen und gerichtlichen Verfahren über den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur - wie hier - werden nach den hierfür bisher geltenden Vorschriften fortgeführt (§ 38 Abs. 7 AEG n. F.).
§ 14 Abs. 3a AEG a. F. setzt für ein Einschreiten gegen ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen voraus, dass dieses das Recht auf diskriminierungsfreie Benutzung einer Eisenbahninfrastruktur beeinträchtigt, und ermächtigt das Eisenbahn-Bundesamt - jetzt die Regulierungsbehörde -, dem Unternehmen das Unterlassen der Beeinträchtigung aufzugeben. Die Beigeladene hat als Eisenbahnverkehrsunternehmen mit Sitz in der Bundesrepublik das Recht auf diskriminierungsfreie Benutzung der Eisenbahninfrastruktur der Antragstellerin (§ 14 Abs. 1 Satz 1 AEG a. F.). Bedenken bestehen aber gegen die Annahme, die Antragstellerin beeinträchtige dieses Recht durch das mit Ziffer 2 des Bescheides untersagte Verhalten. Die angefochtene Regelung bezieht sich auf die von der Antragstellerin zusätzlich zu der Ende 2004 ausgesprochenen Kündigung des mit der Beigeladenen abgeschlossenen Rahmennutzungsvertrages erklärte Absicht, der Beigeladenen den Zugang zur Eisenbahninfrastruktur vertraglich nur nach vollständiger Begleichung ihrer seitens der Beigeladenen bestrittenen Entgeltforderungen für die Benutzung der Infrastruktur im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2003 und dem 30. Juni 2004 zu eröffnen. Sie hält den Standpunkt der Antragstellerin, der Beigeladenen den Zugang zur Infrastruktur bei - bestrittenen - Entgeltrückständen verweigern zu dürfen, uneingeschränkt für unvereinbar mit dem Recht der Beigeladenen aus § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG a. F.
Was unter diskriminierungsfreier Benutzung zu verstehen ist, wie weit also das Recht aus § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG a. F. reicht, ist bezogen auf die Abhängigkeit zwischen Entgeltforderungen und deren Begleichung sowie der Benutzung der Infrastruktur weder gesetzlich noch verordnungsrechtlich ausdrücklich geregelt. Allgemein verpflichtet das Recht auf diskriminierungsfreie Benutzung das Eisenbahninfrastrukturunternehmen dazu, die den Zugang zur Infrastruktur beanspruchenden Eisenbahnverkehrsunternehmen nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich zu behandeln (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 EIBV a. F., § 9 Abs. 1 Satz 2 EIBV n. F.).
Vgl. Senatsbeschluss vom 5. Juni 2003 - 20 B 113/03 - (BA S. 7); EuGH, Urteil vom 7. Juni 2005 - C-17/03 - (zum Elektrizitätsmarkt).
Das eisenbahnrechtliche Zugangsrecht ist ein Mittel zur Liberalisierung des netzgebundenen Marktes für Eisenbahnleistungen. Es dient der Herstellung und Gewährleistung eines funktionsfähigen Wettbewerbs (vgl. auch § 1 Abs. 1 AEG n. F.). Differenzierungen zwischen potentiellen Marktteilnehmern können diesem Ziel zuwiderlaufen. Sie sind daher daran zu messen, ob sie im Hinblick auf diese Zielsetzung objektiv gerechtfertigt sind.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. April 2001 - 6 C 6.00 -, BVerwGE 114, 160 (186) zum Telekommunikationsmarkt.
Die Antragsgegnerin macht zur Begründung von Ziffer 2 des Bescheides selbst nicht geltend, dass die Antragstellerin die Beigeladene mit der Berufung auf die in Rede stehende Zugangsbedingung entscheidungserheblich anders - nämlich ungünstiger - behandelt als sonstige Eisenbahnverkehrsunternehmen, die Entgeltforderungen der Antragstellerin aus Nutzungsverträgen nicht in voller Höhe begleichen bzw. beglichen haben. Konkrete Anhaltspunkte hierfür, also für einen Verstoß gegen die formale Gleichbehandlung der zugangsbegehrenden Eisenbahnverkehrsunternehmen, sind auch nicht ersichtlich. Das dem Bescheid zugrunde liegende Verwaltungsverfahren ist im Juli 2004 eingeleitet worden, nachdem ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs mehrere Eisenbahnverkehrsunternehmen darüber Beschwerde geführt hatten, die Antragstellerin mache den Abschluss neuer Infrastrukturnutzungsverträge vom Ausgleich aus ihrer Sicht bestehender Entgeltforderungen abhängig. Soweit die Antragsgegnerin im Bescheid über diesen Umstand hinaus darauf verwiesen hat, mit einem anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen habe die Antragstellerin in einer solchen Situation lediglich eine Vorkassevereinbarung in Bezug auf das künftig fällig werdende Entgelt getroffen, ist nicht festzustellen, dass eine hierin liegende Beschränkung auf ein derartiges Zahlungsverfahren Ausdruck der gängigen Praxis der Antragstellerin bei Forderungen ist, die aus der Vergangenheit herrühren, und die Beigeladene deshalb durch die ihr entgegengehaltene Zugangsbedingung schlechter gestellt wird als die anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen. Auch mit der Beigeladenen ist die Antragstellerin wegen der aus ihrer Sicht offenen Forderungen eine Vorkassevereinbarung eingegangen, aufgrund deren die Beigeladene allerdings zunächst nur gekürzte Vorauszahlungen erbracht hat. Selbst wenn man Letzteres unberücksichtigt lässt, sind keine im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ohne weiteres aussagekräftigen Tatsachen dafür erkennbar, dass die Antragstellerin die Beigeladene durch die trotz dieser Vereinbarung ausgesprochene Weigerung, wegen der - bestrittenen - Rückstände neue Infrastrukturnutzungsverträge zu schließen, formal ungleich gegenüber anderen Eisenbahnverkehrsunternehmen behandelt. Das Vorgehen der Antragstellerin gegen das bezeichnete andere Eisenbahnverkehrsunternehmen in diesem Zusammenhang als Vergleichsmaßstab zu betrachten, ist nicht zuletzt deswegen fraglich, weil es sich (auch) hierbei um einen Einzelfall handelt und die Antragsgegnerin nach eigenen Angaben gleichgerichtete Beschwerden mehrerer Eisenbahnverkehrsunternehmen aufgegriffen hat. Jedenfalls spricht nichts dafür, dass die Antragstellerin den mit ihr unternehmerisch verbundenen Eisenbahnverkehrsunternehmen günstigere Bedingungen einräumt, was ihre Reaktion auf - bestrittene - Zahlungsrückstände anbelangt.
Die im angefochtenen Bescheid angeführten Erwägungen der Antragsgegnerin zur Unvereinbarkeit der von der Antragstellerin hinsichtlich des Ausgleichs von Entgeltforderungen aufgestellten Zugangsbedingung und des Benutzungsrechts aus § 14 Abs. 1 Satz 1 AEG a. F. überzeugen bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen Prüfung nicht ohne weiteres; die zugrunde liegende Annahme, der Antragstellerin sei es - jenseits der Frage der objektiven Berechtigung ihrer Entgeltforderungen - verwehrt, den Zugang zur Infrastruktur zu verweigern, begegnet im Gegenteil gewichtigen Zweifeln. Das Eisenbahnrecht enthält, was die Zahlung von Entgelten für die Nutzung der Infrastruktur angeht, Regelungen lediglich zu einzelnen Punkten und erfordert deshalb in vielfacher Richtung eine Ergänzung durch vertragliche Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen sowie durch Heranziehung allgemeiner Grundsätze. § 14 Abs. 4 AEG a. F., wonach Einzelheiten des Zugangs sowie das zu entrichtende Entgelt und die sonstigen Nutzungsbedingungen zu vereinbaren sind, setzt die Zahlung von Entgelt für die Benutzung der Infrastruktur und den diesbezüglichen Bedarf an vertraglicher Gestaltung ebenso als selbstverständlich voraus wie die Geltung der Vertragsfreiheit innerhalb der auch durch spezifisches Eisenbahnrecht gezogenen Grenzen. Das gilt umso mehr deshalb, weil die Entgeltpflichtigkeit der Benutzung in enger inhaltlicher Beziehung steht zu dem Recht der Eisenbahnverkehrsunternehmen, die für sie fremde Infrastruktur zu benutzen, und folglich mit der durch die Zuerkennung dieses Rechts bewirkten Einschränkung der Vertragsfreiheit der Eisenbahninfrastrukturunternehmen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2004 - 6 C 1.03 -, BVerwGE 120, 54 (68 f.) zum Netzzugang im Telekommunikationsrecht.
Das Recht, die selbst geschuldete Leistung zu verweigern, bis die zu beanspruchende Leistung bewirkt wird, gehört bei inhaltlich zusammenhängenden Lebensverhältnissen zu den gesetzlich anerkannten Grundelementen privatautonom bestimmter Rechtsverhältnisse (§§ 273, 320 BGB). Es ist eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben.
Vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1991 - VIII ZR 190/90 -, BGHZ 115, 99; Münchner Kommentar zum BGB, 4. Auflage, § 273 Rdnrn. 2, 13.
Wer seiner eigenen Leistungspflicht nicht genügt, kann nach Treu und Glauben nicht die Erfüllung der hiermit in einem hinreichend engen Zusammenhang stehenden, ihm geschuldeten Leistung fordern. Entscheidend hierbei ist nicht das Bestreiten der eigenen Leistungspflicht, sondern deren objektives Bestehen. Dieser Verknüpfung immanent ist ein Druck auf beide Parteien eines Vertrages, sich vertragstreu zu verhalten. Die den Anlass zu der Zugangsbedingung der Antragstellerin bildenden Entgeltforderungen für die bereits stattgefundene Benutzung der Infrastruktur und der von der Beigeladenen behauptete Anspruch auf eine vertragliche Regelung der zukünftigen Benutzung lassen sich ohne weiteres einem solchen innerlich zusammenhängenden Lebensverhältnis zuordnen. Der Bestand des die Fahrplanperiode übergreifenden und gekündigten Rahmennutzungsvertrages ist davon unabhängig.
Der Grundsatz von Treu und Glauben durchzieht die gesamte Rechtsordnung. Er beansprucht daher Geltung auch im Verhältnis zwischen Eisenbahninfrastrukturunternehmen und Eisenbahnverkehrsunternehmen in Bezug auf den Infrastrukturzugang. Damit steht im Einklang, dass bei Zahlungsstörungen ein Leistungsverweigerungsrecht selbst für denjenigen, der Leistungen gegen Entgelt monopolartig anbietet und in seiner Vertragsfreiheit deshalb im Ansatz durch das Prinzip der Nichtdiskriminierung eingeschränkt ist (vgl. etwa § 2, § 19 der Telekommunikations-Kundenschutzverordnung, § 33 Abs. 2 der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Elektrizitätsversorgung von Tarifkunden), in unterschiedlicher Ausformung normativ gesondert vorgesehen ist. Letzteres trifft auf das eisenbahnrechtliche Zugangsrecht zwar nicht zu. Der von der Antragsgegnerin hieraus gezogene Schluss auf eine dem von der Antragstellerin geltend gemachten Recht entgegenstehende normative Wertung des Eisenbahnrechts ist aber schon deswegen zweifelhaft, weil einschlägige, verbindliche Vorgaben dieses Rechtsbereichs in ihrer Regelungsdichte - zumindest bei der hier anzuwendenden Rechtslage bei Erlass des angefochtenen Bescheides - beträchtlich hinter derjenigen für andere Rechtsgebiete mit prinzipiellem Zugangsrecht zurückbleiben. Eisenbahnrechtlich sind der Vertragsfreiheit entzogene Gesichtspunkte, abgesehen vom übergeordneten Gebot der diskriminierungsfreien Benutzung, eher punktuell festgelegt, was bedeutet, dass, weil der Normkomplex bei einer Gesamtwürdigung schwerlich als umfassendes und abschließendes Regelungssystem verstanden werden kann, die Regelungen weitgehend der vertraglichen Vereinbarung in Anwendung der allgemeinen Rechtsgrundsätze überantwortet sind.
Hinsichtlich der Auswirkungen einer Zugangsbedingung im Sinne des von der Antragstellerin geltend gemachten Leistungsverweigerungsrechts auf den Wettbewerb ist dabei einzustellen, dass ein solches Recht als Folge von Zahlungsrückständen wettbewerbsrechtlich bei grundsätzlichem Kontrahierungszwang durchaus in Betracht kommt.
Vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. Oktober 2002 - U (Kart) 9/02 -; OLG Karlsruhe, Urteil vom 11. Oktober 2000 - 6 U 103/00 (Kart) -.
Der von der Antragsgegnerin angeführten "abstrakten" Möglichkeit einer dem Wettbewerb abträglichen faktischen Aushöhlung des Zugangsrechts und/oder der Durchsetzung rechtswidrig überhöhter Forderungen durch das Eisenbahninfrastrukturunternehmen steht, ungeachtet der Entscheidungserheblichkeit mehr oder weniger wahrscheinlicher Möglichkeiten und des Weiteren unabhängig von den Anforderungen an die Gestaltung der Entgelte und deren gerichtliche Überprüfbarkeit auch im Rückforderungsprozess nach Zahlungen unter Vorbehalt -
vgl. hierzu BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 - KZR 36/04 -, ZNER 2005, 320 - ,
rein tatsächlich das Risiko gegenüber, dass sich ein Eisenbahnverkehrsunternehmen durch bloßes Bestreiten der Entgeltforderung einen Wettbewerbsvorteil durch die Nichtzahlung bis zur rechtskräftigen Durchsetzung des Anspruchs verschafft. Ziffer 2 des Bescheides untersagt aber die beanstandete Zugangsbedingung der Antragstellerin bei bestrittenen Entgeltforderungen umfassend und losgelöst von den näheren Umständen, unter denen sie geltend gemacht wird, etwa von der Höhe der Entgeltforderung sowie von den Gründen für das Bestreiten. Auf die Berechtigung der Entgeltforderung kommt es nach Meinung der Antragsgegnerin nicht an.
Der der Zugangsbedingung der Antragstellerin entgegengehaltene Aspekt einer in der Leistungsbeziehung zwischen einem Eisenbahninfrastrukturunternehmen und einem Eisenbahnverkehrsunternehmen unzulässigen Ausübung von Druck, die geforderten Entgelte trotz Bestreitens zu entrichten, beruht auf der Vorstellung eines zentral aus dem wirtschaftlichen Machtgefälle der Vertragspartner und dem Angewiesensein der Eisenbahnverkehrsunternehmen auf die Infrastruktur abzuleitenden Ausschlusses von bei Verträgen im Allgemeinen zur Anwendung gelangenden Grundsätzen. Die Tragfähigkeit eben dieser Vorstellung ist nach dem Vorstehenden zweifelhaft; die Forderung nach Entrichtung der Entgelte vor (Wieder-)Eröffnung des Zugangs zur Infrastruktur stützt sich gerade auf die trotz dieser Machtsituation strikte Entgeltlichkeit der Benutzung der Infrastruktur und ein im Grundsatz geltendes, hieran anknüpfendes Leistungsverweigerungsrecht.
Für die Annahme der Antragsgegnerin, die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin an der tatsächlichen Erlangung der Entgelte in voller Höhe seien anderweitig hinreichend geschützt, lassen sich die Erwägungen des Bundesverwaltungsgerichts zu einer die Nachzahlung von Entgelt betreffenden Zugangsbedingung des Anbieters von Dienstleistungen der Telekommunikation -
Urteil vom 21. Januar 2004 - 6 C 1.03 -, BVerwGE 120, 54 (77 f.) -
nicht unbesehen heranziehen. Diese Ausführungen sind vor dem Hintergrund der im Telekommunikationsmarkt stattfindenden präventiven Entgeltregulierung zu sehen. Durch die hierfür maßgebenden Bestimmungen (vgl. § 25, § 29 Abs. 1 TKG a. F.) wird der Anbieter bis zum Abschluss der behördlichen Kontrolle notwendig in gewissem Umfang zu Vorleistungen verpflichtet; in den hier zu betrachtenden Vorschriften des Eisenbahnrechts findet das keine Entsprechung. Die Begrenzung der Antragstellerin auf ein von der Antragsgegnerin grundsätzlich akzeptiertes Verlangen nach Sicherheitsleistung oder Abschluss einer Vorauszahlungsvereinbarung, mithin auf andere Formen einer Zugangsbehinderung mit dem Zweck der Zahlung des Entgeltes trotz Bestreitens der Forderung bzw. der Schaffung eines dahingehenden Drucks, weist ihr, sollen solche Mechanismen nicht pauschal und vorsorglich sowie nicht ausschließlich zur Abdeckung künftig entstehender Entgeltforderungen eingesetzt werden, typischerweise das Risiko zu, welches daraus folgt, dass die Erforderlichkeit derartiger Maßnahmen erst im Nachhinein erkannt wird. Es liegt zumindest nicht auf der Hand, dass die Hinnahme dieses Risikos zur Vermeidung einer Diskriminierung von Eisenbahnverkehrsunternehmen erforderlich ist, die den Entgeltforderungen nicht nachkommen. Nicht außer Acht gelassen werden kann dabei jedenfalls für den vorliegenden Sachverhalt weiter, dass die Entgeltforderungen der Antragstellerin einen Zeitraum betreffen, für den ungewiss ist, ob die Beanspruchung von Sicherheitsleistung bzw. Vorauszahlungen eisenbahnrechtlich als zulässig anzuerkennen bzw. behördlich anerkannt waren, und dass das Unterbleiben solcher Absicherungen sich wirtschaftlich zugunsten der Beigeladenen ausgewirkt hat. Soweit die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang auf die Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts zur Aufnahme von Kündigungsrechten in eine telekommunikationsrechtliche Zusammenschaltungsanordnung -
Urteil vom 31. März 2004 - 6 C 11.03 -, BVerwGE 120, 263 -
eingeht, ist zu bedenken, dass insofern eine dem Erfordernis des fairen Ausgleichs der berechtigten Interessen beider Parteien Rechnung tragende behördliche Regelung in Frage stand. Im gegebenen Regelungszusammenhang geht es indessen ausschlaggebend um das Ausmaß der Einschränkung der Vertragsfreiheit der Antragstellerin durch das Recht der Beigeladenen auf diskriminierungsfreie Benutzung. Beide Regelungsansätze zu Lasten der Antragstellerin, die das Entgelt für die Benutzung innerhalb der ihr gezogenen Grenzen frei gestalten kann (§ 5 Abs. 1 EIBV a. F.), gleichzusetzen, ist schon deshalb fragwürdig, weil die Antragsgegnerin eine Entscheidung nach § 14 Abs. 5 AEG a. F. unter Einbeziehung der zwischen der Antragstellerin und der Beigeladenen für die Vergangenheit streitigen Entgelthöhe ("Regionalfaktor") trotz Antrags der Antragstellerin nicht getroffen hat.
Aussagekräftige Tatsachen, die dafür sprechen könnten, der Antragstellerin trotz eines hiernach möglich erscheinenden Erfolgs in der Hauptsache den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu versagen, fehlen. Die Ausführungen im angefochtenen Beschluss zur Folgenabwägung sind ebenso wie diejenigen der Antragsgegnerin in der Anordnung der sofortigen Vollziehung in erster Linie geprägt durch die als nicht hinnehmbar bewerteten drohenden Auswirkungen der Kündigung des Rahmennutzungsvertrages während der inzwischen abgelaufenen Fahrplanperiode. Die Verwirklichung der so zugespitzten Situation ist entfallen; die Beigeladene nutzt die Infrastruktur der Antragstellerin auf der Grundlage von Verträgen mit vereinbarter zeitlicher Geltung. Verweigert die Antragstellerin der Beigeladenen entgegen Ziffer 2 des Bescheides den Abschluss weiterer Nutzungsverträge bis zur Begleichung der streitigen Entgeltforderungen, hat die Beigeladene es in der Hand, die Zugangsbedingung durch Zahlungen unter Vorbehalt zu erfüllen und so die Fortsetzung ihrer Verkehrsleistungen sicherzustellen. Ein Rechtsverlust ist damit nicht verbunden; die Beigeladene ist nicht gehindert, zeitgleich ein Rückforderungsverlangen gerichtlich geltend zu machen. Dass die Beigeladene wirtschaftlich außer Stande sein könnte, die finanziellen Mittel für erforderliche Zahlungen - gegebenenfalls unter Mitwirkung ihres Auftraggebers - aufzubringen, ist ebenso wenig ersichtlich wie ein nennenswertes Risiko, Rückforderungen aus überzahlten Entgelten gegenüber der Antragstellerin realisieren zu können. Das öffentliche Interesse an der Gewährleistung und Verlässlichkeit der tatsächlichen Erbringung der Verkehrsleistungen der Beigeladenen ist zumindest auch und in erster Linie von ihr bzw. von dem örtlichen Träger der Aufgaben des öffentlichen Schienenpersonennahverkehrs wahrzunehmen, in dessen Auftrag sie den Verkehr abwickelt. Denn die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Nahverkehrsleistungen obliegt als solche nicht der Antragstellerin (§ 1 RegG). Die Antragstellerin hat zu diesem Zweck (lediglich) ihre Infrastruktur diskriminierungsfrei zur Verfügung zu stellen.
Die Kostenentscheidung beruht, soweit sie die Entscheidung zu Ziffer 2 des Bescheides betrifft, auf § 154 Abs. 1 und 3 VwGO und, soweit sie den in der Hauptsache erledigten Teil des Verfahrens betrifft, auf § 161 Abs. 2 VwGO. Im letztgenannten Punkt entspricht es der Billigkeit, jeden der Beteiligten mit seinen eigenen außergerichtlichen Kosten und einem gleichmäßigen Anteil an den Gerichtskosten zu belasten. Die Erklärungen zur Erledigung der Hauptsache beruhen auf der durch Zeitablauf eingetretenen Erledigung von Ziffer 1 des Bescheides; für die Kostenverteilung ergibt sich aus dem erledigenden Ereignis nichts. Die Erfolgsaussichten ohne Eintritt der Erledigung sind als offen zu bewerten. Gegenüber den vorstehenden Überlegungen zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen Ziffer 2 des Bescheides wirft Ziffer 1 des Bescheides zusätzliche bzw. andere Fragestellungen auf, denen im Rahmen der Kostenentscheidung nachzugehen nicht angezeigt ist. Insbesondere ist insoweit zu bedenken, dass Ziffer 1 des Bescheides sich gegen die Verweigerung des Zugangs zur Infrastruktur unter Berufung auf die Kündigung des Rahmennutzungsvertrages richtet und die Antragstellerin diesen mit bestimmtem Inhalt geschlossenen Vertrag aufgrund eines voraussetzungslosen ordentlichen Kündigungsrechts zu einem Stichtag innerhalb der für die reibungslose Verkehrsabwicklung wesentlichen Fahrplanperiode und während der Laufzeit einer von der Beigeladenen erfüllten Vorauszahlungsvereinbarung gekündigt hat. Aus der Kündigung hat die Antragstellerin Folgerungen für die Rechte der Beigeladenen aus den zusätzlich zum Rahmennutzungsvertrag geschlossenen einzelnen Nutzungsverträgen gezogen. Das führt u. a. auf Fragen hinsichtlich dieses Kündigungsrechts und seiner Ausübung. Die Beteiligten haben auch speziell hierzu eingehend und kontrovers Stellung bezogen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG.
OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 16.02.2006
Az: 20 B 758/05
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