Bundespatentgericht:
Beschluss vom 30. November 2004
Aktenzeichen: 23 W (pat) 309/03

(BPatG: Beschluss v. 30.11.2004, Az.: 23 W (pat) 309/03)

Tenor

Das Patent 198 22 326 wird widerrufen.

Gründe

I Die Prüfungsstelle für Klasse G 09 F des Deutschen Patent- und Markenamts hat auf die am 19. Mai 1998 eingereichte Patentanmeldung das am 21. November 2002 veröffentlichte Patent 198 22 326 (Streitpatent) mit der Bezeichnung "Beschreibbare Vulkanisieretiketten sowie Vorrichtung und Verfahren zum Beschreiben und Aufbringen derselben" erteilt. Das Patent umfasst 7 Ansprüche. Die Einsprechende hat gegen das Streitpatent mit Schriftsatz vom 21. Februar 2003, eingegangen am selben Tag, Einspruch erhoben.

Zur Begründung macht die Einsprechende geltend, das Verfahren gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 sei durch die Firma - B... GmbH & Co. KG in S..., welche im Oktober 1989 Muster für vulkanisierbare Etiketten an die Einsprechende geliefert habe, offenkundig vorbenutzt worden und daher nicht mehr neu. Dafür, dass die Lieferung der Muster keinerlei Geheimhaltungsverpflichtung unterlag, hat die Einsprechende Zeugenbeweis angeboten.

Die Einsprechende vertritt ferner die Auffassung, es fehle dem patentgemäßen Verfahren an erfinderischer Tätigkeit, und zwar im Hinblick auf die Kombination einer der drei Entgegenhaltungen - deutsche Offenlegungsschrift 195 26 695 [= E2]

- deutsche Patentschrift 40 27 192 [= E3] oder - US-Patentschrift 5 603 796 [= E4]

mit den Druckschriften - Produktinformation der 3M Deutschland GmbH, Abt. Marketing Kennzeichnungssysteme, ScotchMark TM Laserbeschriftbare Folie 7847, schwarz/weiß, 4 Seiten (Druckvermerk 05 93/1) [= E5a ] und - Produktinformation der 3M Deutschland GmbH, Abt. Marketing Kennzeichnungssysteme, ScotchmarkTM Laserbeschriftbare Folie 7847, schwarz/weiß, 2 Seiten (Druckvermerk 09. 94/1.) [= E5b]

beziehungsweise - Produktinformation der Beiersdorf AG, tesa Laser Label 6930, 6931, "Die neue Dimension in der Kennzeichnungstechnik für Industrie und Dienstleistung" (ohne Druckvermerk) [= E6a] und - US-Patentschrift 5 688 573 [= E6b].

Die Einsprechende macht außerdem geltend, beim Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 5 sei angesichts des aus den Druckschriften E5a, E5b, E6a und E6b bekannten Standes der Technik schon die erforderliche Neuheit in Frage gestellt. Jedenfalls fehle es der im erteilten Patentanspruch 5 beanspruchten Vorrichtung im Hinblick auf eine Kombination einer der Druckschriften E2, E3 oder E4 mit E5a, E5b oder E6a, E6b an erfinderischer Tätigkeit.

Im Prüfungsverfahren sind zum Stand der Technik neben der eingangs genannten Druckschrift E2 noch die Entgegenhaltungen - deutsche Offenlegungsschrift 43 32 853

- deutsche Offenlegungsschrift 43 30 700 und - deutsche Offenlegungsschrift 30 46 664 in Betracht gezogen worden.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Der Patentinhaber beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten.

Er ist den Argumenten der Einsprechenden in der mündlichen Verhandlung in allen wesentlichen Punkten entgegengetreten. Der Patentinhaber ist der Auffassung, dass die Gegenstände der beiden erteilten nebengeordneten Patentansprüche 1 und 5 durch den im Verfahren befindlichen Stand der Technik nicht patenthindernd getroffen seien.

Der verteidigte Patentanspruch 1 hat - nach Korrektur eines offensichtlichen Rechtschreibfehlers - folgenden Wortlaut:

"Verfahren zum Anbringen von Markierungen, grafischen Darstellungen und/oder Symbolen an Bauteilen mittels Vulkanetten, mit folgenden Schritten:

auf einem Band, das vulkanisierbares Material aufweist, werden Markierungen, grafische Darstellungen und/oder Symbole mittels einer Lasereinheit durch Lasergravur erzeugt, von dem Band werden mittels der Lasereinheit jeweils mit der Markierung, der grafischen Darstellung und/oder den Symbolen versehene Abschnitte abgetrennt, die als Vulkanetten dienen, die abgetrennten Vulkanetten werden vor einem Vulkanisierprozess haftend an Bauteilen angebracht, unddie Bauteile werden in einer Form gemeinsam mit den zuvor angebrachten Vulkanetten vulkanisiert."

Der verteidigte Nebenanspruch 5 lautet:

"Einrichtung zur Herstellung von Vulkanetten, insbesondere für Reifen aus einem Band (17), mit einer Aufnahmeeinrichtung (18) für das Band (17), wobei die Aufnahmeeinrichtung (18) mit einer Transporteinrichtung (23) zum schrittweisen Fortbewegen des Bands (17), mit einer Lasereinheit (12), zu der eine Ablenkeinheit (15) gehört, mit der ein von einem Laser (13) abgegebener Strahl auf einen Brennfleck konzentrierbar ist, der über die Oberfläche des Bands (17) führbar ist, und mit einer Steuereinheit (28), die dazu eingerichtet ist, die Lasereinheit (12) anhand empfangener Daten so anzusteuern, dass der Laserstrahl (35) eine gewünschte Gravur (9) erzeugt, wobei die Lasereinheit (12) von der Steuereinheit (28) derart steuerbar ist, dass die Lasereinheit (12) bedarfsweise von einer Schneidbetriebsart in eine Gravierbetriebsart und zurück umschaltbar ist."

Hinsichtlich der erteilten Unteransprüche 2 bis 4 sowie 6 und 7 wird auf die Streitpatentschrift, hinsichtlich weiterer Einzelheiten auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die Zuständigkeit des (technischen) Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs 3 Nr 1 PatG. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Januar 2005 eingelegt worden ist.

III Der form- und fristgerecht eingelegte Einspruch ist zulässig. Der Einspruch ist auch begründet, denn nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung war das Streitpatent zu widerrufen.

1.) Gegen die Zulässigkeit des Einspruchs bestehen seitens des Senats insofern keine Bedenken, als mit dem Einspruchsschriftsatz der erforderliche Zusammenhang zumindest zwischen dem Stand der Technik gemäß den eingangs genannten Entgegenhaltungen E2, E3, E4, E5a, E5b sowie E6a, E6b und sämtlichen Merkmalen des erteilten Patentanspruchs 1 im einzelnen hergestellt worden ist. Deshalb braucht der Frage, ob die von der Einsprechenden ferner noch behauptete offenkundige Vorbenutzung hinreichend substantiiert worden ist, nicht nachgegangen zu werden.

Die Zulässigkeit des Einspruchs ist im übrigen vom Patentinhaber nicht bestritten worden.

2.) Der erteilte Patentanspruch 1 ist zulässig, denn er findet inhaltlich eine ausreichende Stütze in den ursprünglichen Patentansprüchen 1 bis 3 und 6 in Verbindung mit dem anhand von Figur 2 in der ursprünglichen Beschreibung (S 10, le Abs bis S 11, 2. Abs) erläuterten Ausführungsbeispiel.

Der erteilte nebengeordnete Patentanspruch 5 umfasst die Merkmale der ursprünglichen Patentansprüche 12, 13 und 16. Er ist daher ebenfalls zulässig.

Der auf den Patentanspruch 1 rückbezogene Unteranspruch 2 stützt sich auf den ursprünglichen Anspruch 4 sowie auf die ursprüngliche Beschreibung Seite 4, 2. Absatz, 3. bis letzter Satz. Die erteilten Unteransprüche 3 und 4 entsprechen - in dieser Reihenfolge - den ursprünglichen Unteransprüchen 5 und 7. Die erteilten Unteransprüche 2 bis 4 sind somit zulässig.

Die auf den erteilten Nebenanspruch 5 rückbezogenen Unteransprüche 6 und 7 sind gleichfalls zulässig, denn sie entsprechen - in dieser Reihenfolge - den ursprünglichen Unteransprüchen 14 und 15.

Die Zulässigkeit der erteilten Patentansprüche ist im übrigen von der Einsprechenden nicht bestritten worden.

3.) Nach den Angaben in der Streitpatentschrift betrifft das angegriffene Patent eine Vorrichtung und ein Verfahren zum Herstellen von vulkanisierbaren Etiketten, sogenannten Vulkanetten (Abs [0001]).

Technische Bauteile wie Reifen, Metall-Gummi-Verbundteile, Maschinenelemente, Silentbuchsen und ähnliche Gegenstände sind - wie in der Streitpatentschrift weiter dargelegt ist - häufig mit Markierungen, Beschriftungen, graphischen Symbolen oder Logos versehen, die dauerhaft und gut lesbar an dem Bauteil angebracht werden sollen (Abs [0002]). Beispielsweise könne es von Interesse sein, Chargennummern, Hersteller, Herstellzeitpunkt und ähnliche Sachinformationen an dem betreffenden Bauteil anzubringen. Bei runderneuerten Reifen werde häufig gewünscht, die erneuerten Reifen zu beschriften, um solche Informationen nach dem Runderneuern gut lesbar an dem Reifen verfügbar zu halten ([0003]). Werde an einem Reifen beispielsweise die Anzahl der Runderneuerungen vermerkt, müsse dieser Vermerk auch gegen Ende der Lebensdauer der jeweiligen Runderneuerung noch gut lesbar sein, um den Reifen rechtzeitig aus dem Zyklus nehmen zu können (Abs [0005], Z 39 bis 43).

Dem beanspruchten Verfahren und der beanspruchten Vorrichtung liegt daher die Aufgabe zugrunde, eine Möglichkeit zu schaffen, Bauelemente, die einem Vulkanisierprozess unterworfen werden sollen, mittels Vulkanetten vor Ausführung des Vulkanisiervorgangs mit einer Kennzeichnung, Markierung oder sonstigen Beschriftung oder graphischen Darstellung zu versehen, die auch nach dem Vulkanisierprozess gut und dauerhaft lesbar und unlöslich mit dem Bauteil verbunden ist, wobei die Vulkanetten einfach und individuell herstellbar sein sollen (Abs [0011]).

Diese Aufgabe wird nach den Angaben in der Streitpatentschrift durch das Verfahren nach Anspruch 1 sowie die Einrichtung nach Anspruch 5 gelöst (Abs [0012]).

4.) Das Verfahren gemäß dem erteilten Patentanspruch 1 ist zwar - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - gegenüber dem im Verfahren befindlichen Stand der Technik neu. Dessen Lehre beruht jedoch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Durchschnittsfachmanns, der hier als ein mit der Herstellung von Vulkanetten befasster und mit dem industriellen Einsatz von Lasern vertrauter, berufserfahrener Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Fertigungstechnik zu definieren ist.

Aus der eingangs genannten Druckschrift E2 (vgl insbes die Ansprüche 1 und 9 sowie die Fig iVm der Beschreibung S 2, Z 57 und 58, S 3, Z 53 bis 58 und S 4, Z 13 bis 23) ist ein Verfahren zum Anbringen von Markierungen, grafischen Darstellungen und/oder Symbolen an Bauteilen mittels laserbeschrifteter Vulkanetten bekannt, von dem sich das patentgemäße Verfahren lediglich insofern unterscheidet, als bei diesem die Vulkanetten mittels einer Lasereinheit von einem Band abgetrennt werden, nachdem sie zuvor mit eben dieser Lasereinheit durch Lasergravur beschriftet worden sind. Beim Stand der Technik der Technik gemäß Druckschrift E2 hingegen werden einzelne, plattenförmige Vulkanetten mit Laserstrahlung zum Zwecke der Beschriftung beaufschlagt.

Der vorstehend definierte Fachmann erkennt ohne weiteres, dass eine solche Vorgehensweise bei einer industriellen Fertigung großer Stückzahlen insofern umständlich und unwirtschaftlich ist, als jede der Vulkanetten - von Hand bzw. maschinell - zur Lasereinheit transportiert werden muss, um dort graviert zu werden. Dabei ist damit zu rechnen, dass einzelne Vulkanetten nicht hinreichend präzise unter der Lasereinheit positioniert werden, was einen hohen Ausschuss zur Folge haben kann.

Aufgrund dieser offensichtlichen Nachteile des in der E2 beschriebenen Verfahrens wird sich der Fachmann im technischen Umfeld, das sich mit dem Thema der Lasergravur von Datenträgern befasst, nach geeigneten Alternativen umsehen.

Der Druckschrift E5b (vgl insbes S 1, Abschnitte "3. Lieferbare Ausführungen" und "4. Verarbeitung"), auf die er bei seiner Recherche stoßen wird, entnimmt der Fachmann, dass es auch laserbeschriftbare Folien gibt und dass diese entweder - wie die Vulkanetten beim Stand der Technik gemäß Entgegenhaltung E2 - in Form vorgestanzter Etiketten oder aber "auf Rolle endlos" lieferbar sind. Des weiteren geht aus der E5b hervor, dass sich die besagten Folien mit allen handelsüblichen Neodym-YAG-Laserbeschriftungsanlagen beschriften und schneiden lassen, was nicht zuletzt impliziert, dass ein und dieselbe Anlage sowohl zum Beschriften als auch zum Schneiden verwendet werden kann.

In seinem routinemäßigen Bemühen, den angesprochenen Nachteilen des Standes der Technik entgegenzuwirken, kann der Fachmann nicht umhin, die Lehre der Entgegenhaltung E5b aufzugreifen. Er wird mit anderen Worten anstelle einzelner Vulkanetten ein aus vulkanisierbarem Material bestehendes Band bereitstellen, dieses mit Hilfe der Lasereinheit beschriften und erst dann - entsprechend der durch E5b vermittelten weiteren Anregung - eine Vereinzelung der gravierten Vulkanetten mit Hilfe der gleichen Lasereinheit vornehmen.

Auf diese Weise gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1.

Das Verfahren zum Anbringen von Markierungen, grafischen Darstellungen und/oder Symbolen an Bauteilen mittels Vulkanetten nach dem erteilten Patentanspruch 1 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik nach den Druckschriften E2 und E5b nicht patentfähig.

5.) Das aus der Entgegenhaltung E2 bekannte Verfahren zur Laserbeschriftung einzelner, plattenförmiger Vulkanetten erfordert zwingend das Vorhandensein einer Einrichtung, welche, entsprechend den im nebengeordneten Patentanspruch 5 aufgeführten Merkmalen, über eine Lasereinheit und eine Steuereinheit verfügt, wobei der Steuereinheit entweder Mittel zugeordnet sind, mit denen die Vulkanette zur Aufbringung der gewünschten Gravur verschoben werden kann, oder aber in kinematischer Umkehr eine mit der Lasereinheit zusammenwirkende Ablenkeinheit, die den Brennfleck des Lasers über die Vulkanette wandern lässt.

Der Fachmann wird der zweiten, von der Lehre der E2 mitumfassten Variante schon deswegen den Vorzug geben, weil sie sich mit vergleichsweise geringem Aufwand, beispielsweise mit zwei beweglichen Spiegeln, realisieren lässt, und darüber hinaus fast trägheitslos und damit schnell arbeiten kann, wodurch sie sich für die Herstellung großer Stückzahlen anbietet.

Berücksichtigt man hinsichtlich der noch verbleibenden Merkmale des Patentanspruchs 5 die vorstehenden Ausführungen zum Verfahrensanspruch 1, so wird der Fachmann - angeregt durch die Lehre der Druckschrift E5b - aus den gleichen Überlegungen heraus auch bei der aus der E2 bekannten Einrichtung auf ein Band aus vulkanisierbarem Material zurückgreifen, welches sich entsprechend der Länge der daraus zu fertigenden Vulkanetten von einer Transporteinrichtung schrittweise in die Lasereinheit hinein bewegen lässt. Der Fachmann wird die Lasereinheit ferner mittels der Steuereinheit derart ansteuern, dass sie sowohl in einer Schneidbetriebsart zum Vereinzeln der Vulkanetten als auch in einer Gravierbetriebsart zum Beschriften arbeiten kann.

Damit gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun auch zum Gegenstand des nebengeordneten Patentanspruchs 5.

Die Einrichtung zur Herstellung von Vulkanetten gemäß dem erteilten Patentanspruch 5 ist daher mangels erfinderischer Tätigkeit gegenüber dem Stand der Technik gemäß den Druckschriften E2 und E5b nicht patentfähig.

6.) Mit den erteilten Patentansprüchen 1 und 5 fallen wegen der Antragsbindung auch die darauf zurückbezogene Unteransprüche 2 bis 4 sowie 6 und 7. Dass die Unteransprüche etwas selbständig Erfinderisches enthalten, hat der Patentinhaber in der mündlichen Verhandlung im übrigen auch nicht geltend gemacht.

7.) Deshalb war das Patent zu widerrufen.

Dr. Tauchert Knoll Lokys Dr. Häußler Be






BPatG:
Beschluss v. 30.11.2004
Az: 23 W (pat) 309/03


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