Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. März 2004
Aktenzeichen: 14 W (pat) 318/02
(BPatG: Beschluss v. 22.03.2004, Az.: 14 W (pat) 318/02)
Tenor
Das Patent 43 26 179 wird aufrechterhalten.
Gründe
I Die Erteilung des Patents 43 26 179 mit der Bezeichnung
"Verfahren zum Herstellen einer rahmenlosen Verglasung mit geklebter Fensterscheibe"
ist am 31. Januar 2002 veröffentlicht worden.
Gegen dieses Patent hat die Einsprechende am 24. April 2002 Einspruch erhoben. Der Einspruch ist auf die Behauptung gestützt, die Gegenstände der beiden unabhängigen Patentansprüche 1 und 2 beruhten gegenüber dem Stand der Technik gemäß
(1) DE 39 30 414 A1
(2) DE 90 11 573 U1
(3) DE 85 04 188 U1
(4) DE 38 18 930 A1 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
Die Einsprechende beantragt, das Patent vollständig zu widerrufen.
Die Patentinhaberin beantragt, das Patent in vollem Umfang aufrecht zu erhalten.
Sie tritt dem Vorbringen der Einsprechenden entgegen und ist der Meinung, dass der Patentgegenstand durch den Stand der Technik nicht nahegelegt werde.
Die geltenden Patenansprüche 1 und 2 lauten:
"1. Verfahren zum Herstellen einer rahmenlosen, zum Verkleben mit einer Aufnahme eingerichteten Verglasung, wobei mittels Extruder-Handhabungsautomaten eine Fensterscheibe einseitig randnah mit einer Raupe definierten Querschnitts aus härtbarem Material als Spacer sowie mit einer Kleberraupe versehen wird, dadurch gekennzeichnet, daß im Bereich einer Scheibenecke (21), deren Krümmungsradius kleiner als ein mit dem Handhabungsautomaten erzielbarer minimaler Krümmungsradius ist, der Handhabungsautomat entsprechend den an der Scheibenecke (21) zusammenstoßenden Scheibenrändern (24, 25) im Sinne einer Überdeckung der Spacerraupe (22, 23) im Bereich der Scheibenecke (21) geführt und vor dem Aushärten des Spacermaterials mittels eines Pressformwerkzeugs (26, 27) die Spacerraupe im Überdeckungsbereich geformt wird.
2. Verfahren zum Herstellen einer rahmenlosen, zum Verkleben mit einer Aufnahme eingerichteten Verglasung, wobei mittels Extruder-Handhabungsautomaten eine Fensterscheibe einseitig randnah mit einer Raupe definierten Querschnitts aus härtbarem Material als Spacer sowie mit einer Kleberraupe versehen wird, dadurch gekennzeichnet, daß zur Herstellung einer Spacerraupe (40) mit einer über die Scheibenränder (41, 42) überstehenden Lippe (44, 46) im Bereich einer Scheibenecke (45), deren Krümmungsradius kleiner als ein mit dem Handhabungsautomaten erzielbarer Krümmungsradius ist, zunächst zur Bildung einer Lippe auf die Scheibe (43) eine dünne Kunststoffplatte (46) und danach die Spacerraupe (40) unter teilweiser Überdeckung der Kunststoffplatte (46) mit einem automatengerechten Krümmungsradius aufgebracht wird."
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.
II 1. Über den Einspruch ist gemäß § 147 Abs 3 Satz 1 Ziff 1 PatG durch den Beschwerdesenat des Bundespatentgerichts zu entscheiden.
2. Der Einspruch ist frist- und formgerecht erhoben und mit Gründen versehen. Er ist somit zulässig; er hat aber keinen Erfolg.
3. Die geltenden Patentansprüche 1 und 2 sind zulässig.
Die Ansprüche sind die erteilten und ursprünglich eingereichten Ansprüche.
4. Die Verfahren nach den geltenden Patentansprüchen 1 und 2 sind unbestritten neu. In keiner der entgegengehaltenen Druckschriften (1) bis (4) ist ein Verfahren zum Herstellen einer rahmenlosen, zum Verkleben mit einer Aufnahme eingerichteten Verglasung mit sämtlichen in den Patentansprüchen 1 und 2 im Einzelnen aufgeführten Merkmalen beschrieben.
5. Die Verfahren nach den nebengeordneten Patentansprüchen 1 und 2 beruhen auch auf einer erfinderischer Tätigkeit.
Sie betreffen nach dem Oberbegriff jeweils ein Verfahren zum Herstellen einer rahmenlosen, zum Verkleben mit einer Aufnahme eingerichteten Verglasung, wobei mittels Extruder-Handhabungsautomaten eine Fensterscheibe einseitig randnah mit einer Raupe definierten Querschnitts aus härtbarem Material als Spacer sowie mit einer Kleberraupe versehen wird. Ausgehend von diesem als bekannt vorausgesetzten Stand der Technik liegt dem Streitpatent die Aufgabe zu Grunde, gattungsgemäße Verfahren unter Wahrung ihrer Vorteile für die Großserienfertigung von Kraftfahrzeugen so zu gestalten, dass die Beschränkung auf relativ große Kantenradien der Scheiben fortfällt (Sp 1 Abs 0006 der Streitpatentschrift).
5.1 Die Aufgabe wird nach Anspruch 1 gelöst mit den Merkmalen des Oberbegriffs iVm folgenden Verfahrensmaßnahmen,
- wonach im Bereich einer Scheibenecke (21), deren Krümmungsradius kleiner als ein mit dem Handhabungsautomaten erzielbarer minimaler Krümmungsradius ist,
- der Handhabungsautomat entsprechend den an der Scheibenecke (21) zusammenstoßenden Scheibenrändern (24, 25) im Sinne einer Überdeckung der Spacerraupe (22, 23) im Bereich der Scheibenecke (21) geführt und - vor dem Aushärten des Spacermaterials mittels eines Pressformwerkzeugs (26, 27) die Spacerraupe im Überdeckungsbereich geformt wird.
Zu dieser Lösung kann der entgegengehaltene Stand der Technik den Fachmann nicht anregen.
Der nächstliegende Stand der Technik gemäß (1) beschreibt ein Verfahren mit den Merkmalen des Oberbegriffs von Anspruch 1 des Streitpatents. Dabei wird dort ein profilierter Polymerstrang mittels einer Extruderdüse entlang des Randes einer Glasscheibe über ihren gesamten Umfang aufgetragen (vgl Ansp 1 und 4 iVm Sp 3 Z 63 bis 65 und Fig 1). Erörtert wird auch die Formung des Polymermaterials vor dem Aushärten mittels eines Pressformwerkzeugs an der Nahtstelle zwischen Anfang und Ende des Polymerstrangs (vgl Sp 4 Z 58 bis Sp 5 Z 1). An keiner Stelle findet sich aber in (1) eine Anregung, diesen Übergang gezielt in den Bereich einer Scheibenecke zu verlegen, die einen engen Krümmungsradius aufweist und damit für den Handhabungsautomaten schwieriger exakt bearbeitbar ist.
Auch wenn sich eine Überschneidung der extrudierten Profilstrangenden aus verschiedenen Gründen beim Stand der Technik ebenfalls ergibt, wie die Einsprechende Seite 3, Nr 4 ihres Einspruchsschriftsatzes ausführt, so führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Hinweise, dass mit der gezielten Verlagerung der Überschneidung in einen Bereich einer Scheibenecke mit engem Krümmungsradius Vorteile verbunden sein könnten, finden sich in (1) nämlich nicht.
Das Nachformwerkzeug aus (2) soll durch einfache Bauweise auf eine sichere Weise eine sauber ausgeformte Polyurethanraupe mit guten Abdichtungseigenschaften an einer Nahtstelle garantieren (S 1 Abs 3). Druckschrift (2) hat die Optimierung des Werkzeugs zur Aufgabe; sie setzt sich nicht mit den Problemen des automatisierten Auftrags von Spacer- und Kleberraupen im Bereich enger Krümmungsradien von Scheibenecken auseinander und vermag den Fachmann daher auch nicht zur patentgemäßen Ausgestaltung des Verfahrens nach Anspruch 1 des Streitpatentes anzuhalten.
Auch die Entgegenhaltung (4) enthält für den Fachmann keine Hinweise auf die streitpatentgemäße Lösung der Aufgabe. Das dort beschriebene Verfahren zielt vielmehr auf die Anbringung von Spacer- und Kleberraupe in einem einzigen Extrusionsvorgang unter Verwendung von mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aushärtbarem Material ab. Damit soll wie beim Streitpatent die bekannte Verfahrensweise für die Großserienfertigung weiter vereinfacht werden (Ansp 1 iVm Sp 1 Z 41 bis 45). Die Koextrusion wird als entscheidender Vorteil gegenüber dem Stand der Technik angesehen. Überlegungen, wie der Bereich enger Krümmungsradien von Scheibenecken durch Handhabungsautomaten gezielt mit Spacermaterial versorgt wird, werden in (4) nicht angestellt.
Druckschrift (3) hat keinen Bezug zu einem Verfahren zum Herstellen einer rahmenlosen, zum Verkleben mit einer Aufnahme eingerichteten Verglasung. Der Argumentation der Einsprechenden, wonach diese Druckschrift den Fachmann dennoch instruiere (Einspruchsschriftsatz S 3 Nr 6), wie er einschlägige Kunststoff-Rahmenprofile im Bereich spitzer Ecken verbinden könne (S 8 vorletzter Abs bis S 10), vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Auf Gehrung geschnittene Kunststoff-Profile (Ansp 1), die in einer Vorrichtung zum Verschweißen von Kunststoff-Profilen zu einem rechteckigen Dichtungskörper zwecks Verbindung der Enden der Profile zunächst erweicht, um dann verschweißt zu werden, führen vielmehr von einer überdeckenden Ausführung der Spacerraupe im Bereich der Scheibenecken, wie sie im kennzeichnenden Teil des Patentanspruches 1 ua zur Lösung der Aufgabe vorgeschlagen werden, weg. Somit kann auch (3) keinen Beitrag in Richtung auf das patentgemäße Verfahren leisten.
Das Verfahren nach Patentanspruch 1 weist somit alle Kriterien der Patentfähigkeit auf. Der Anspruch 1 ist daher rechtsbeständig.
5.2 Das Verfahren gemäß nebengeordnetem Patentanspruch 2 unterscheidet sich vom Verfahren nach Anspruch 1 dadurch, dass nach dem kennzeichnenden Teil - zur Herstellung einer Spacerraupe (40) mit einer über die Scheibenränder (41, 42) überstehenden Lippe (44, 46) im Bereich einer Scheibenecke (45), deren Krümmungsradius kleiner als ein mit dem Handhabungsautomaten erzielbarer Krümmungsradius ist,
- zunächst zur Bildung einer Lippe auf die Scheibe (43) eine dünne Kunststoffplatte (46) und - danach die Spacerraupe (40) unter teilweiser Überdeckung der Kunststoffplatte (46) mit einem automatengerechten Krümmungsradius aufgebracht wird.
Auch für diese Lösung liefert der Stand der Technik dem Fachmann keine Anregung. Die Entgegenhaltungen (1) bis (3) nehmen sich wie ausgeführt des zu lösenden Problems nicht an und können daher auch die alternative Verfahrensweise nicht vorwegnehmen.
Soweit die Einsprechende darauf verweist, dass (4) eine Verfahrensmaßnahme wie die Verwendung einer Kunststoffplatte gemäß Patentanspruch 2 nahe lege (Einspruchsschriftsatz S 4 Nr 8 iVm (4) Sp 3 Z 15 bis Z 65), kann dem nicht gefolgt werden. Gemäß (4) wird die Spacerraupe entweder zusätzlich mit einem umlaufenden, aus gummielastischem Kunststoff bestehenden Profilstreifen versehen, der den Einbau der Glasscheibe unterstützen soll (Fig 1 und 2 iVm Sp 3 Z 15 bis 65). Spacerraupe plus umlaufender Profilstreifen gestalten das bekannte Verfahren mithin erkenntlich aufwändiger und regen auf Grund ihrer zusammenwirkenden Funktion nicht dazu an, diese Ausgestaltung auf den Bereich einer Scheibenecke mit einem kleinen Krümmungsradius zu begrenzen. Alternativ wird eine aus dem Spacermaterial angeformte Dichtlippe umlaufend mitextrudiert (Fig 3 und 4 iVm Sp 4 Z 53 bis Sp 5 Z 11). Diese Variante geht nicht über den Offenbarungsgehalt von (1) hinaus und kann zur Lösung der Aufgabe gemäß Patentanspruch 2 keinen Beitrag leisten. Insgesamt lassen beide Varianten nicht erkennen, wie die Herstellung einer Spacerraupe mit einer über die Scheibenränder überstehenden Lippe im Bereich einer Scheibenecke, deren Krümmungsradius kleiner als ein mit dem Handhabungsautomaten erzielbarer Krümmungsradius ist, erzielt werden kann.
Nach alledem weist auch das Verfahren nach Patentanspruch 2 alle Kriterien der Patentfähigkeit auf. Er ist daher ebenfalls rechtsbeständig.
Schröder Wagner Harrer Schuster Na
BPatG:
Beschluss v. 22.03.2004
Az: 14 W (pat) 318/02
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