Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Dezember 2002
Aktenzeichen: 34 W (pat) 40/02
(BPatG: Beschluss v. 17.12.2002, Az.: 34 W (pat) 40/02)
Tenor
Der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 65 D des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. März 2002 wird aufgehoben.
Die Sache wird an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.
Gründe
I.
Der Anmelder hat zugleich mit seiner am 16. Februar 1998 eingereichten Patentanmeldung für diese die inländische Priorität der deutschen Gebrauchsmusteranmeldung 297 03 674.2 in Anspruch genommen. Dieses Gebrauchsmuster ist am 28. Februar 1997 eingereicht und am 30. April 1997 eingetragen worden. Der Patentanmeldung war die Abschrift der Gebrauchsmusteranmeldung samt Antrag auf Eintragung dieses Gebrauchsmusters beigefügt, jedoch fehlte die letzte Seite 10, die einen Unteranspruch 10 enthält.
Mit Schreiben vom 6. Mai 1998 teilte die Prüfungsstelle 11.27 dem Anmelder u.a. mit, dass die Prioritätserklärung als nicht abgegeben gelte, weil bei der Abschrift der früheren Anmeldung der Patentanspruch 10 fehle. Die Angaben seien daher amtsseitig gestrichen worden. Daraufhin reichte der Anmelder mit Schriftsatz vom 26. Juni 1998, eingegangen am 30. Juni 1998 die fehlende Seite 10 der Gebrauchsmusteranmeldung nach.
Anschließend stellte der Anmelder zunächst Rechercheantrag und 1999 Prüfungsantrag, jeweils unter Zahlung der entsprechenden Gebühren.
Mit dem angefochtenen Beschluss hat die Prüfungsstelle die Anmeldung zurückgewiesen, weil der Gegenstand des Patentanspruchs nicht mehr neu gegenüber dem deutschen Gebrauchsmuster 297 03 674 sei. Dieses Gebrauchsmuster gehöre zum Stand der Technik, weil die Erklärung über die Inanspruchnahme der inneren Priorität gemäß der in Form einer Mitteilung gekleideten zulässigen und die Prüfungsstelle bindenden Vorabendscheidung im Formalprüfungsbescheid vom 6. Mai 1998 als nicht abgegeben gelte.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Anmelders, mit der er beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den Prioritätstag 28. Februar 1997 des deutschen Gebrauchsmusters 297 03 674 der vorliegenden Anmeldung zuzuerkennen, hilfsweise beantragt er mündliche Verhandlung und die Prüfung geänderter Patentansprüche 1 bis 16, eingegangen am 6. August 2002, die gegenüber dem deutschen Gebrauchsmuster abgegrenzt seien.
Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, auch der beigezogenen Akte des deutschen Gebrauchsmusters 297 03 674 Bezug genommen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg: Der angefochtene Beschluss war aufzuheben und die Sache war an das Deutsche Patent- und Markenamt zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen. Bei dieser Prüfung ist davon auszugehen, dass die Priorität des Deutschen Gebrauchsmusters 297 03 674 wirksam in Anspruch genommen ist.
1. Die Zurückweisung der Anmeldung kann nicht, wie im angefochtenen Beschluss geschehen, darauf gestützt werden, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht neu gegenüber dem deutschen Gebrauchsmuster 297 03 674 sei. Denn dieses Gebrauchsmuster gehört nicht zum Stand der Technik. Vielmehr hat der Anmelder für seine vorliegende Anmeldung wirksam die Priorität eben dieser Gebrauchsmusteranmeldung in Anspruch genommen. Zwar hat es der Anmelder versäumt, rechtzeitig innerhalb der Frist des PatG § 40 Abs. 4 eine vollständige Abschrift der früheren Anmeldung zu den Akten zu reichen. Bei der fristgerecht eingereichten Abschrift fehlte nämlich die den Text abschließende Seite 10. Diese Unvollständigkeit konnte die Prüfungsstelle aber noch vor Ablauf der Frist des PatG § 40 Abs. 4 durch Vergleich mit den gleichzeitig eingereichten Unterlagen der Patentanmeldung feststellen, da beide Unterlagen ansonsten nahezu identisch sind. Sodann konnte die Prüfungsstelle ebenfalls noch fristgerecht aus ihrem eigenen Amtswissen die festgestellte Lücke schließen. Dazu konnte sie auf die Unterlagen des zu diesem Zeitpunkt bereits eingetragenen deutschen Gebrauchsmusters 297 03 674 zurückgreifen. Diese Unterlagen waren dem Amt (wie auch der Öffentlichkeit) u.a. in einfacher Weise über das amtseigene Informationssystem DEPATIS zugänglich (vgl. Schulte, PatG 6. Aufl. § 41 Rdn. 68) . Dort war seit dem 12. Juni 1997 die fehlende Seite 10 darstellbar. Das ergibt sich aus einer Auskunft des Deutschen Patent - und Markenamts (Leiter der Abteilung 2.4 - IT - Betrieb) vom 6. Dezember 2002.
Es kann im übrigen dahinstehen, ob in der Mitteilung vom 6. Mai 1998, wie das Patentamt meint, eine Vorabentscheidung zu sehen ist. Diese wäre nicht in Rechts- bzw Bestandskraft erwachsen. Denn der Nachweis der förmlichen Zustellung der Mitteilung lässt sich nicht mehr führen. Diese Zustellung erfolgte ausweislich der Amtsakte durch Sammelempfangsbekenntnis. Ein solches ist nicht zur Akte gelangt, kann auch nicht mehr eingesehen werden, weil Sammelempfangsbekenntnisse nur drei Jahre lang aufbewahrt werden, mithin diejenigen von 1998 nicht mehr zur Verfügung stehen. Dies hat eine Rückfrage beim Deutschen Patent - und Markenamt (Abfertiger für Zustellungsaufträge) bestätigt (vgl. auch Schulte, PatG 6. Aufl, § 127 Rdn. 80). Deshalb kann nicht mehr festgestellt werden, ob hier eine Frist für eine Beschwerde gegen die Mitteilung in Gang gesetzt worden ist. Für diese Frist ist auch VwZG § 9 Abs 1 (Heilung) nicht anwendbar (PatG § 127 Abs 2 a.F.).
Die Mitteilung mag das Deutsche Patent- und Markenamt binden (BGH a.a.O.; Schulte a.a.O. § 34 Rdn 65), hindert aber mangels Rechts- bzw. Bestandskraft den Senat nicht an der Entscheidung der Frage, ob die Priorität des deutschen Gebrauchsmusters formell wirksam in Anspruch genommen worden ist.
Die Entscheidung über die Zurückverweisung beruht auf PatG § 79 Abs 3 Nr 3, da die Anmeldung von der Prüfungsstelle nunmehr mit anderem Stand der Technik erneut zu prüfen ist.
Da der Anmelder mit seinem Hauptantrag Erfolg hat, war über den gestellten Hilfsantrag nicht zu entscheiden.
Ch. Ulrich Hövelmann Dr. Barton Ihsen
BPatG:
Beschluss v. 17.12.2002
Az: 34 W (pat) 40/02
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