Bundespatentgericht:
Urteil vom 2. Mai 2002
Aktenzeichen: 3 Ni 16/01

(BPatG: Urteil v. 02.05.2002, Az.: 3 Ni 16/01)

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 13.000,--€ vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 17. Juni 1997 unter Inanspruchnahme der Priorität der deutschen Patentanmeldung 19631042 vom 1. August 1996 angemeldeten und ua mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 916 004 (Streitpatent), das vom Deutschen Patentund Markenamt unter dem Aktenzeichen 597 00 424 geführt wird. Das Patent betrifft Straßenbaumaschinen zum Bearbeiten von Fahrbahnen und umfasst 12 Patentansprüche. Patentanspruch 1 lautet:

"1. Straßenbaumaschine zum Bearbeiten von Fahrbahnen,

-mit einem selbstfahrenden Fahrwerk, bestehend aus einer lenkbaren vorderen Fahrwerkachse (6) mit mindestens einem Stützrad (12) und zwei hinteren Stützrädern (14, 16),

-mit einem im Bereich der hinteren Stützräder (14, 16) angeordneten Fahrstand (4) für einen Fahrzeugführer auf einem von dem Fahrwerk getragenen Maschinenrahmen (8),

-mit einer in oder an dem Maschinenrahmen (8) gelagerten Arbeitseinrichtung (20), die auf einer Seite, nämlich auf der sogenannten Nullseite (24) des Maschinenrahmens (8) in etwa bündig mit diesem abschließt,

-mit einem Antriebsmotor für die für den Antrieb der Arbeitseinrichtung (20) und den Fahrbetrieb benötigte Antriebsleistung, -wobei das auf der Nullseite (24) befindliche hintere Stützrad

(16)

aus einer über die Nullseite (24) vorstehenden äußeren Endposition (26) in eine eingeschwenkte innere Endposition

(28)

verschwenkbar ist, in der das Stützrad (16) nicht über die Nullseite (24) übersteht, dadurch gekennzeichnet, dass das schwenkbare Stützrad (16) über ein in einer horizontalen Ebene liegendes mit einer Antriebseinrichtung (34) gekoppeltes Getriebe (30) von der äußeren Endposition (26) unter Beibehaltung der Laufrichtung in die innere parallelverschobene Endposition (28) verschwenkbar ist."

Wegen des Wortlauts der auf den Patentanspruch 1 mittelbar oder unmittelbar zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil die Erfindung nicht als neu anzusehen sei und darüber hinaus nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Zur Begründung beruft sich die Klägerin auf die von ihr eingereichten Anlagen Anlage 2 US-PS 6 106 073, Anlage 4 DE-OS 23 44 877, Anlage 5 FR-A-2 642 773, Anlage 6 US-PS 4 966 418, Anlage 7 US-PS 3 306 390, Anlage 8 US-PS 3 971 594, Anlage 9 US-PS 3 188 026, Anlage 10 Wirtgen-Prospekt "1000 DC Cold Milling Machine", No. 11-10 EN 04/91, Anlage 11 Wirtgen-Prospekt "1000 DC Technical Specification", No. 10 20.10.0891, Anlage 12 Dubbel "Taschenbuch für den Maschinenbau", 14. Aufl., Springer-Verlag, 1981, Anlage 13 Fotografien einer Maschine "Wirtgen 1000 DC", Anlage 14 Zeichnung No. 388-00-000/1 der Firma Bitelli betreffend eine Maschine "Bitelli SF 100 T4" vom Dezember 1991, Anlage 15 Bitelli "Catalogo Generale", Anlage 16 Bild einer Wirtgen-Fräsmaschine "Modes 4200 SM", aufgenommenauf der BAUMA in München, 1989, Anlage 17 Auszüge aus dem Erteilungsverfahren vor dem US-Patentamt, Anlage 18 Rechnung betreffend eine "Bitelli SF 100 T4" vom 22. Mai 1990, Anlage 20 Prospekt betreffend "Bitelli SF 100 T4", Anlage 21 Dubbel, "Taschenbuch für den Maschinenbau", 19. Aufl., Springer-

Verlag, 1997, Anlage 22 Kopien aus dtv-Lexikon in 20 Bänden, 1972, Anlage H3a Wörterbuch "Sachs-Vilatte Enzyklopädisches französischdeutsches und deutschfranzösisches Wörterbuch", 1959, Seite 573, Anlage H3b Wörterbuch "Ernst-Wörterbuch der industriellenTechnik" Band IV, Französisch-Deutsch, 1988, Seite 737, Anlage H3c Wörterbuch "Ernst-Wörterbuch der industriellen Technik" Band II, Englisch-Deutsch, 1985, Seite 749, Anlage H6a dtv Lexikon in 20 Bänden, 1997, Band 11 Seite 10, Anlage H8 Steinhilper, Hennerici, Britz: Kinematische Grundlagen ebener Mechanismen und Getriebe, Seiten 52,53, 61, 66-67, Anlage H9 FR 1 442 426, Anlage H10 Volmer: Getriebetechnik, Grundlagen, 1995, Seiten 27, 186, Anlage H11 Hagedorn, Thonfeld, Rankers: Konstruktive Getriebelehre, 1997, Seiten 13-17, Anlage H12 Wilson, Sadler, Michels: Kinematics and Dynamics of Machinery, 1983, Seiten 16-23 und 540-553, Anlage H13 Waldron, Kinzel: Kinematics, Dynamics and Design of Machinery, 1999, Seite 236, Anlage H14 McGraw-Hill Encyclopedia of Engineering, 1993, Seiten 462-464 und 697-700, Anlage H15 DE 907 838, Anlage H16 US 2 209 804, Anlage H17 FR 2 551 015.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 916 004 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hilfsweise verteidigt sie das Patent im Umfang der Patentansprüche gemäß den in der mündlichen Verhandlung überreichten Hilfsanträgen I bis IV in dieser Reihenfolge.

Sie tritt dem Vortrag der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig.

Gründe

:

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.

Der Senat hat nicht erkennen können, dass dem Streitpatent der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit entgegensteht, Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG, Art 138 Abs 1 lit a EPÜ, Art 54, 56 EPÜ.

I.

1) Nach den Angaben in der Streitpatentschrift sind aus dem Stand der Technik Straßenbaumaschinen - beispielsweise als Kaltfräsen zum Fahrbahndeckenaus bau - bekannt, die um eine vertikale Achse schwenkbare, höhenverstellbare Stützräder aufweisen, die das von dem Fahrwerk abgestützte Maschinengewicht tragen und zur konstanten Einhaltung der Frästiefe der Fräswalze dienen. Bei Fräsen neuerer Bauart ist ein Allradantrieb vorgesehen, so dass auch die normalerweise in Höhe der Fräswalzenachse verlaufenden Stützräder ebenfalls angetrieben sind. Dabei sind die Stützräder mit Hilfe von Hydraulikzylindern teleskopierbar und tragen das Maschinengewicht. Die Fräswalze ist am hinteren Ende des Maschinenrahmens angeordnet und reicht mit ihrer einen Stirnfläche bis dicht an die sogenannte Nullseite, bei der die Stirnseite der Fräswalze nahezu bündig mit der Seitenkante des Maschinenrahmens abschließt. Da sich das auf der Nullseite befindliche Stützrad normalerweise wegen der direkten Einstellbarkeit der Frästiefe auf der Höhe der Walzenachse der Fräswalze befindet, kann es zum kantenbündigen Fräsen auf der Nullseite relativ zum Maschinenrahmen um eine vertikale Schwenkachse nach innen verschwenkt werden, wobei wegen der hervorstehenden Lagerung der Schwenkeinrichtung zwar ein kantennahes Arbeiten, nicht aber ein bündiges Heranfahren an eine Hauswand möglich ist und die Lagerung zudem die Sicht auf den Arbeitsraum vor der Fräswalze beeinträchtigt. Darüber hinaus wird durch ein Verschwenken des Stützrades dessen Laufrichtung geändert, weshalb eine Drehrichtungsumschaltung des Hydraulikantriebs oder eine drehbare Lagerung in der Hubsäule mit zusätzlicher Arretiervorrichtung erforderlich sind (s StrPS Sp 1 Z 1 - Sp 2 Z 9).

Vor diesem Hintergrund hat das Streitpatent die Aufgabe (StrPS Sp 2 Z 10 -15) eine entsprechende Straßenbaumaschine derart weiterzubilden, dass bei einem auf der Nullseite der Maschine verschwenkbaren Stützrad die freie Sicht auf den Arbeitsraum vor der Arbeitseinrichtung bei kantennahem Arbeiten verbessert wird.

Diese Aufgabe wird durch eine Straßenbaumaschine zum Bearbeiten von Fahrbahnen mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen gelöst.

II.

1. Der Patentanspruch 1 des Streitpatents gibt dem Fachmann, einem Maschinenbauingenieur (FH) mit mehrjähriger Erfahrung auf dem Gebiet der Straßenbaumaschinen, eine klare und eindeutige Lehre zum technischen Handeln.

Der Patentanspruch 1 betrifft gemäß seinem Oberbegriff eine Straßenbaumaschine zum Bearbeiten von Fahrbahnen, wie sie durch die Kaltfräsen Wirtgen W 500, Wirtgen 1000 DC oder Bitelli SF 100 T4 bekannt geworden sind. Gemäß seinem kennzeichnenden Teil soll die Straßenbaumaschine über ein in einer horizontalen Ebene liegendes, mit einer Antriebseinrichtung 34 gekoppeltes Getriebe 30, von der äußeren Endposition 26 unter Beibehaltung der Laufrichtung in die innere parallel verschobene Endposition 28 verschwenkbar sein. Diese Angabe gibt dem Fachmann die eindeutige Lehre, dass er das Verschwenken und dabei zugleich die Beibehaltung der Laufrichtung des Stützrads über dieses Getriebe 30 bewerkstelligen soll. Diese Lehre ist auch hinreichend vollständig, denn es ist für den Fachmann augenfällig, dass es zur Lösung der dem Patent zugrundeliegenden Aufgabe, dass die freie Sicht auf den Arbeitsraum vor der Arbeitseinrichtung bei kantennahem Arbeiten verbessert wird, nur darauf ankommt, dass das Getriebe 30 das Verschwenken und die Beibehaltung der Laufrichtung bewirkt, nicht aber darauf, welcher Art das Getriebe ist oder wie das Getriebe im einzelnen aussieht. Die Ausbildungen nach den Ansprüchen 2 und 3 betreffen geeignete Ausgestaltungen für das Getriebe, sie sind jedoch nicht zwingend. Ebenso ist es für die Lösung der Aufgabe nicht notwendig, dass im Patentanspruch 1 angegeben ist, wie das Stützrad in seinen Endpositionen arretiert wird. Die Angabe im Anspruch 7 stellt somit ebenfalls nur eine vorteilhafte Ausgestaltung dar. Grundsätzlich kann die Arretierung jedoch auch in gleicher Weise wie bei den bekannten Kaltfräsen erfolgen.

2. Der von der Klägerin geltend gemachte Stand der Technik kann die Patentfähigkeit des Gegenstands des Streitpatents nicht in Frage stellen.

2.1 Zum entgegengehaltenen Stand der Technik Die Klägerin hat auf druckschriftlichen Stand der Technik wie auch auf offenkundige Vorbenutzungen verwiesen. Die behaupteten Vorbenutzungen sind von der Beklagten nicht bestritten worden. Im einzelnen gilt:

a) die als Anlagen 5 und 6 von der Klägerin entgegengehaltenen Druckschriften FR-A-26 42 773, US 4 966 418 sowie die von der Beklagten genannte Druckschrift DE 39 03 482 A1 gehören zur selben Patentfamilie und sollen entsprechend dem Vortrag der Beklagten (Eingabe vom 2.4.01, S 3) die Kaltfräse Wirtgen 1000 DC betreffen. Ebenso betreffen die Anlagen 10, 11, 13 und 16 die Kaltfräse Wirtgen 1000 DC. Insgesamt dienen diese Druckschriften dem Nachweis der Ausgestaltung der Kaltfräse Wirtgen 1000 DC.

b) Mit ihren als Anlage H5 eingereichten Vortrag hat die Klägerin die Kaltfräse Wirtgen W 500 als Stand der Technik eingeordnet und näher beschrieben. Die Beklagte hat diese Kaltfräse als Stand der Technik anerkannt.

c) Die als Anlagen 14, 15 und 20 von der Klägerin vorgelegten Prospekte und Zeichnungen betreffen und erläutern eine Kaltfräse Bitelli SF 100 T4.

d) Die Patentschriften DE 23 44 877 A1 sowie US 3 306 390, 3 971 594 und 3 188 026 sind von der Klägerin als Anlagen 4, 7, 8 und 9 eingereicht und mit dem Streitpatent nicht weiter in Vergleich gesetzt worden.

e) Die von der Klägerin als Anlagen H9, H15, H16 und H17 eingereichten Druckschriften FR-PS 1 442 426, DE-PS 907 838, US-PS 2 209 804 und FR 2 551 015 A1 betreffen keine Straßenbaumaschinen und sind zum Nachweis des Bekanntseins von Viergelenkgetrieben zur Bewegung eines schwenkbaren Hinterrades genannt worden. Außerdem wurde mit den Anlagen 12, H8, H10-H14 belegt, dass Viergelenkgetriebe allgemein bekannt und dem Fachmann geläufig sind.

f) Alle übrigen von der Klägerin weiter noch im Laufe des Verfahrens eingereichten Anlagen dienen zur Ergänzung und Verdeutlichung ihres Klagevorbringens.

2.2 Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents ist neu.

Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Stand der Technik ergibt, ist die Straßenbaumaschine nach dem Patentanspruch 1 lediglich mit den drei vorstehend unter a) bis c) genannten Kaltfräsen Wirtgen W 500, Wirtgen 1000 DC und Bitelli SF 100 T4 in Vergleich zu setzen, da der unter d) bis f) genannte Stand der Technik keine derartige Straßenbaumaschine betrifft.

Die Klägerin hat die Neuheit der im Patentanspruch 1 beanspruchten Straßenbaumaschine bestritten, wobei sie sich auf die von der Beklagten erstellte Merkmalsanalyse gestützt und nachgewiesen hat, dass auch die Kaltfräsen Wirtgen 1000 DC und Bitelli SF 100 T4 so ausgebildet sind, dass sie alle die in ihrer Merkmalsanalyse aufgeführten Merkmale aufweisen. Im Vergleich mit dem erteilten Patentanspruch 1 trifft dies jedoch nicht zu. Denn die von den Parteien im Verlauf des Nichtigkeitsverfahrens vorgenommenen Merkmalsanalysen des Patentanspruchs 1, in der sie den an sich schon in Einzelmerkmale gegliederten Patentanspruch 1 noch weiter aufgegliedert haben, lassen die im erteilten Patentanspruch vorhandenen funktionellen Zusammengehörigkeiten verloren gehen. Gemäß dem kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 soll nämlich das schwenkbare Stützrad 16 über ein in einer horizontalen Ebene liegendes mit einer Antriebseinrichtung 34 gekoppeltes Getriebe 30 von der äußeren Endposition 26 unter Beibehaltung der Laufrichtung in die innere parallelverschobene Endposition 28 verschiebbar sein. Diese eindeutige Angabe läßt ein anderes Verständnis als das, dass das Getriebe das Verschwenken des Stützrads und zugleich die Beibehaltung der Laufrichtung bewirken soll, nicht zu.

Diese im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 beanspruchte Ausgestaltung ist den Kaltfräsen Wirtgen 1000 DC und Bitelli SF 100 T4 jedoch nicht zu entnehmen. Bei der Bitelli-Fräse wird die Einstellung der Laufrichtung von Hand über zwei beim Stützrad vorgesehene Handgriffe durch eine Bedienungsperson bewirkt. Nach dem Vortrag der Parteien in der mündlichen Verhandlung gibt es die Wirtgen 1000 DC-Fräse in zwei unterschiedlichen Ausführungen. In der einen Ausführung wird das Stützrad ebenfalls von Hand in die gewünschte Laufrichtung von einer Bedienungsperson gedreht, und in der anderen Ausführungsform erfolgt das Drehen des Stützrads im Zusammenhang mit dem Anheben des Stützrads in der Hubsäule. Zu diesem Zweck ist am oberen Ende der Hubsäule eine in Anlage 10 als "Führungsnut " bezeichnete Einrichtung vorgesehen, die mit Hilfe eines von einer Bedienungsperson eingesteckten Bolzens ein Drehen des Stützrads in der Hubsäule ermöglicht. Die Lehre, dass sowohl das Verschwenken des Stützrads sowie die Beibehaltung der Laufrichtung von ein und demselben in einer horizontalen Ebene liegenden mit einer Antriebseinrichtung gekoppelten Getriebe bewirkt wird, ist bei den Fräsen Wirtgen 1000 DC und Bitelli SF 100 T4 nicht verwirklicht. Gleiches gilt für die Kaltfräse Wirtgen W 500, bei der die Laufrichtung des Stützrads beim Verschwenken nicht beibehalten wird.

Die Klägerin hat ferner die Neuheit im Hinblick auf die Druckschriften FR-A-24 62 773 (S 3, Z 28 bis S 4, Z 3) und die US-PS 4 966 418 (Sp 2, Z 17 bis 21) bestritten. In diesen Entgegenhaltungen, in denen jeweils die Priorität der Voranmeldung in Deutschland (DE 39 03 482 A1) in Anspruch genommen wird, ist das Problem der Beibehaltung der Laufrichtung des verschwenkbaren Stützrads nicht einmal angesprochen, so dass der Fachmann diesen Entgegenhaltungen das im kennzeichnenden Teil des Patentanspruchs 1 angegebene Merkmal auch nicht als bekannt entnehmen kann.

2.3 Die Klägerin hat den Senat auch nicht davon überzeugen können, dass sich der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Eine Straßenbaumaschine mit den im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 angegebenen Merkmalen ist zwar durch die beiden Wirtgen-Fräsen W 500 und 1000 DC sowie auch durch die Bitelli-Fräse SF 100 T4 bekannt. Die Ausgestaltung nach dem kennzeichnenden Teil ist, wie vorstehend schon gesagt, bei diesen Fräsen jedoch nicht verwirklicht. Am nächsten kommt der Straßenbaumaschine gemäß dem Streitpatent die Fräse Wirtgen 1000 DC, die als einzige das Verschwenken des Stützrads und das Verdrehen in die Laufrichtung ohne Bedienungsperson und ausschließlich mittels Maschinenkraft bewerkstelligt. Das Verschwenken des Stützrads und das Drehen des Stützrads in die gewünschte Laufrichtung erfolgt hier jedoch unabhängig voneinander, was auch von der Klägerin nicht bestritten und von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung mittels eines Video-Films dokumentiert worden ist. Irgendeinen Anknüpfungspunkt, der den Fachmann auf den Gedanken bringen könnte, diese voneinander unabhängigen Bewegungsabläufe zu vermeiden, und das schwenkbare Stützrad über ein in einer horizontalen Ebene liegendes mit einer Antriebseinrichtung gekoppeltes Getriebe unter Beibehaltung der Laufrichtung in die jeweilige Endposition zu verschwenken, ist den beiden Wirtgen-Fräsen und auch der Bitelli-Fräse nicht zu entnehmen.

Die Klägerin hat ferner das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Kaltfräse Wirtgen W 500 in Verbindung mit dem Parallelführungen betreffenden Grundwissen des Fachmanns wie auch in Verbindung mit der Druckschrift FR-PS 1 442 426 (Anlage H9) bestritten. Entsprechend den Ausführungen der Klägerin in der Anlage H5 wird bei der Wirtgen-Fräse W 500 beim Verschwenken des Stützrads zugleich dessen Laufrichtung umgedreht, so dass auch die Laufrichtung des Hydraulikmotors im schwenkbaren Stützrad umgedreht werden muß. Ausgehend hiervon stellt das Wissen des Fachmanns um die Wirkungsweise eines Viergelenkgetriebes keinen Ausgangspunkt für die Überlegung dar, anstelle der Verschwenkkonstruktion für das Stützrad bei der Fräse Wirtgen W 500 ein in einer horizontalen Ebene liegendes Getriebe vorzusehen, das das Stützrad unter Beibehaltung seiner Laufrichtung verschwenkt. Hier fehlt es schon an einer Anregung, von der dort praktizierten Umkehr der Laufrichtung des Hydraulikmotors abzugehen und statt dessen die Laufrichtung des Stützrads beizubehalten.

Auch die Kombination der Fräse Wirtgen W 500 mit der Lehre der FR-PS 1 442 426 oder der unter 2.1 e) genannten Patentschriften führt zu keinem anderen Ergebnis, weil der Fachmann diesen Druckschriften lediglich entnimmt, dass eine Parallelversetzung von Rädern mittels eines Viergelenkgetriebes erfolgen kann. Bei der Wirtgen W 500 erfolgt jedoch nicht bloß eine Parallelversetzung eines Rades, sondern eine Verschwenkung um 180¡.

Ein Indiz für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit stellt auch die technische Entwicklung dar, die durch die Kaltfräsen Wirtgen W 500, Bitelli SF 100 T4 und Wirtgen 1000 DC aufgezeigt wird.

-Die Fräse Wirtgen W 500 ermöglichte ein Verschwenken des Stützrads in die innere parallel verschobene Endposition. Das hatte den Vorteil, dass mit dieser Fräse ein kantennahes Arbeiten möglich wurde. Als Nachteil mußte in Kauf genommen werden (vgl Streitpatent Sp 2, Z 4 bis 9), dass durch das Verschwenken des Stützrads dessen Laufrichtung geändert würde und eine Drehrichtungsumschaltung des Hydraulikantriebs für das Stützrad erforderlich war.

-Letzteres wird durch die Fräsen Bitelli SF 100 T4 und die Wirtgen 1000 DC zwar vermieden, aber nur um den Preis, dass die Einstellung der gewünschten Laufrichtung des Stützrads entweder von Hand oder mittels der Hubbewegung des Stützrads vergleichsweise aufwendig und in der Handhabung umständlich erfolgt. Außerdem muß das Stützrad in den Endlagen eigens arretiert werden.

Diese nachteiligen Begleiterscheinungen waren für den Fachmann jeweils augenfällig. Wenn die im Patentanspruch 1 angegebene Ausgestaltung für den Fachmann auf der Hand gelegen hätte, so darf davon ausgegangen werden, dass zumindest die Fräse Wirtgen 1000 DC bereits in dieser Weise ausgebildet worden wäre.

Die übrigen im Verfahren befindlichen, in der mündlichen Verhandlung von der Klägerin zu Recht nicht mehr aufgegriffenen Entgegenhaltungen kommen dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht näher als der vorstehend abgehandelte Stand der Technik.

Der Patentanspruch 1 des Streitpatents ist somit rechtsbeständig.

Die auf den Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 12 betreffen zweckmäßige, nicht selbstverständliche Ausgestaltungen des Gegenstands des Anspruchs 1; sie sind daher ebenfalls rechtsbeständig.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 ZPO.

Hellebrand Riegler Schmidt-Kolb Sperling Voit Pr






BPatG:
Urteil v. 02.05.2002
Az: 3 Ni 16/01


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